Literatur aus Irland

Literatur des 21. Jahrhunderts

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vorgestellten Bücher antiquarisch bei zvab.com erhältlich

Bücher aus Irland: Ein verborgenes Leben

Sebastian Barry

Ein verborgenes Leben

Erstveröffentlichung: 2008 (The Secret Scripture)
Übersetzt von Hans-Christian Oeser
392 Seiten, Geb.
Steidl Verlag, Göttingen 2009

ISBN 978-3-86521-967-1

“Die Welt beginnt mit jeder Geburt von Neuem, sagte mein Vater immer. Er vergaß hinzuzufügen, dass sie mit jedem Tod endet. Oder hielt es nicht für nötig. Denn ein Gutteil seines Lebens hatte er auf einem Friedhof gearbeitet.”

Mit diesen Worten beginnen die Erinnerungen der fast 100-jährigen Roseanne McNulty, seit fast einem halben Jahrhundert Patientin in der Psychiatrischen Bezirksklinik von Roscommon. Einen Rechenschaftsbericht will sie hinterlassen, eine Art brüchiger aber aufrichtiger Geschichte ihrer selbst, ehe sie sich unter dem Rasen von Roscommon zur letzten Ruhe bettet. Eine Geschichte, die 1922 mitten im Bürgerkrieg beginnt, als IRA-Kämpfer nachts einen toten Kameraden auf den Friedhof von Sligo bringen. Der Friedhofswärter soll ihn beerdigen, und seine schöne Tochter Roseanne wird nach dem Priester geschickt. Ein verhängnisvolles Schicksal nimmt seinen Lauf.

Wie die Ereignisse einer einzigen Nacht eine zwischen alle Fronten geratene Familie zerstören, schreibt Roseanne viele Jahre später heimlich auf einen Stoß Papier, den sie in einer Vorratskammer ‘zwischen anderen unerwünschten Dingen’ entdeckt hatte. Ihr Arzt Dr. Grene, dem sie unter einem Vorwand einen Kugelschreiber abgeluchst hatte, will mehr wissen, als ihre zögerlichen Gespräche und die wenigen Akten hergeben, und stellt eigene Nachforschungen an. Was er herausfindet, wirft ein ganz anderes Licht auf Roseannes Vergangenheit.

Der Autor: Sebastian Barry wurde 1955 in Dublin geboren und unterrichtete nach seinem Studium Latein und Englisch am Trinity College. Er lebt heute in Wicklow.

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Bücher aus Irland: Was zusammengehört

Martin Feldenkirchen

Was zusammengehört

320 Seiten, Geb. mit SU
Verlag Kein & Aber, Zürich 2010

ISBN 978-3-0369-5575-9

“Ich lief auf die Halfpenny Bridge, blieb auf ihrer höchsten Stelle stehen und sah hinaub auf den Fluss, der langsam vorankroch Richtung Meer. Der Regen nässte mein Gesicht. Wie sie wohl jetzt aussah? Sie muss jetzt 36 sein, eine Frau mit Narben des Lebens auf ihrer Haut ...”

Was passiert, wenn ein jung-dynamischer Banker überraschend einen Brief erhält und nach fast zwanzig Jahren feststellen muss, dass die damalige Liebe die bisher größte war. Und dass man seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat?

Beim Anblick des Absenders kehrt Benjamin ins Jahr 1989 zurück, als in Deutschland die Mauer fiel und er als 16-jähriger bei einem Schüleraustausch in Irland sein Herz an die 17-jährige Victoria verlor. Inzwischen hat er eine Freundin, eine Geliebte und reist als Banker um die Welt. Nun, mit dem Brief in die Hand, kommt ihm nicht nur seine teure Wohnung, für deren Einrichtung er keine Zeit findet, leer vor.

Er steckt den Brief ungeöffnet in die Tasche und bricht zu einer Geschäftsreise nach Irland auf, wo sich der Zusammenbruch des Bankensystems abzeichnet, und lässt auf den Stationen dieser Reise seine neunzehn Jahre zurückliegenden Erlebnisse Revue passieren. Am Abend vor seinem geplanten Rückflug nach Deutschland öffnet er den Brief. Das Ende bleibt offen.

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Bücher aus Irland: The Canal Bridge

Tom Phelan

The Canal Bridge

Sprache: Englisch
280 Seiten, Br.
The Lilliput Press, Dublin 2005

ISBN 1-84351-075-8

Come to my side, come to my side
where the sun is shining ...

beginnt der Canal Song, der gesungen an der Canal Bridge bei Ballyrannel ‘so viel besser als geschrieben klingt’. ‘Ich liebe den Grand Canal’, schreibt Kitty Hatchel in einem Schulaufsatz über eine Idylle, in der auch schon mal ein toter Hund oder ein toter Mann treibt. Hier verbringt sie mit ihrem Bruder Con und seinem Freund Matt Wrenn ihre Kindheit.

Going Away. Irland 1913. Matt Wrenn und Con Hatchel sind zu jungen Männern herangewachsen, Kitty und Matt haben sich ineinander verliebt. Doch die beiden Freunde suchen das Abenteuer, wollen fremde Länder sehen. Die Kolonien locken, und wie viele ihrer Landsleute treten sie in die britische Armee ein. Im Sommer 1914 findet man sie in Urlaubsstimmung auf einem Truppentransporter nach Indien.

The War. Kurz vor dem Suezkanal kehrt das Schiff um. Der erste Weltkrieg hat begonnen, England ist an Frankreichs Seite. Und während mehr als fünftausend irische Freiwillige sich auf den Marsch machen, um in der Schlacht an der Somme getötet oder verwundet zu werden, organisiert in Dublin ein Dutzend Träumer den Osteraufstand. “Weißt du, Con”, sagt Matt Wrenn, “wir warteten mit unseren Tragen auf die Erlaubnis der Deutschen, die Verwundeten vom Feld zu holen. 27.000 in vier Stunden niedergemacht, 27.000 im Schlamm vor uns und viele davon aus Irland – und die in Dublin glaubten, sie hätten Grund zum Heulen, weil Ostern zwölf Männer hingerichtet worden war. Hätten sie nicht warten können? Mussten sie so dringend Helden werden?” Gegen Ende des Kriegs kommt Con ums Leben, doch nicht durch eine feindliche Kugel. Was in jener Nacht geschah, erfährt der Leser erst viel später.

Coming Home. Matt kommt zurück zur Canal Bridge, körperlich unversehrt, doch ‘ein Toter im Körper eines Lebenden’. Für die einen der Held, der als ‘stretcher-bearer’ Verwundete vom Schlachtfeld holte, für andere ein Verräter, der sich an den englischen König verkauft hatte, statt zu Hause für die Unabhängigkeit zu kämpfen. Noch bevor Kitty ihren Arm um seinen Hals schlingt, weiß sie: das ist nicht ihr Matthias, der Jahre zuvor nach Indien aufgebrochen war

Come to my side, come to my side
where the sun is shining ...

Wo ist die richtige Seite, gibt es eine richtige Seite? “Du warst auf der falschen Seite, du Hurensohn”, schleudert ihm ein Nachbarjunge aus Kindertagen entgegen. Auch Cons früherer Schwarm Sarah, Tochter aus einem protestantischen Haus, kehrt nach einem traumatischen Erlebnis als Rotkreuz-Schwester in Frankreich und langem Aufenthalt in einer Nervenklinik heim. Matt arbeitet auf dem Gut ihrer Mutter, und die gebrochenen Seelen beginnen einander zu heilen. Doch der Krieg holt Matt, Kitty und Sarah wieder ein, kommt mit der IRA zur Canal Bridge.

Die Episoden werden – fast protokollarisch – im Rückblick von den handelnden Personen erzählt, jede trägt als Titel den Namen ihrer Erzählerin oder ihres Erzählers. Was macht der Krieg in der Fremde und der Bürgerkrieg daheim aus den Menschen und wohin treibt er sie? Fünfzig Jahre nach Matts Tod blickt Kitty Wrenn ein letztes Mal zurück. ‘Bridgen’ nennen sie die Kinder, die Verrückte von der Canal Bridge. Und wieder wandert sie zur Brücke, streicht mit ihren Händen über die glatten Steine um den Canal Song zu hören, die kindlichen Stimmen, die über das glänzende Wasser gleiten:

Come to my side, come to my side
where the sun is shining,
there is no rain and there is no frost.
Come to my side, come to my side
where the yellow cowslips are speckled red,
where the small daisies dance in the breezy grass.

Come to my side!

Während der irische Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg seinen Platz in der Literatur gefunden hat, wird oft übersehen, dass von 1914 bis 1918 eine Viertelmillion Iren für Großbritannien in den Krieg nach Frankreich zog und 50.000 dort ihr Leben ließen. Tom Phelan stellt zwei von ihnen (und die Frauen, die sie zurückließen) in den Mittelpunkt eines sehr eindringlichen Romans, dessen Botschaft mitunter jedoch etwas aufdringlich vermittelt wird. Sein Schreibsteil ist packend, doch wirkt die Handlung in seinem Bemühen, Con und Matt als die wahren Helden und Patrioten darzustellen, manchmal etwas konstruiert.

Der Autor: Tom Phelan wurde 1940 in Mountmellick, County Laois, geboren. Er studierte Theologie, wurde 1965 zum Priester geweiht und emigrierte 1970 in die USA. 1977 gab er den Priesterberuf auf und lebt seither in New Jersey, wo er Englisch unterrichtet.

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Bücher aus Irland: Das Vieh

Pádraig Standún

Das Vieh

Erstveröffentlichung 1992 (An tAinmhí)
Aus dem Irisch-Gälischen übersetzt von Gabriele Haefs
190 Seiten, Geb., Fadenheftung
Pendragon Verlag, Bielefeld 1999

ISBN 3-929096-76-5

“Mami, Mami, Mami …” Sorcha stürzte zur Tür, als sie aus der Ferne Sibéal rufen hörte. Sie dachte sofort, das Kind sei in den Brunnen gefallen. Aber Sibéal hatte Pádraicín auf dem Arm und wirkte heil und gesund. Die Kleine brauchte einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. Die Mutter zog sie an sich. “Mami, wir haben das Vieh gesehen!”

Das Vieh, so nennen die Bewohner einer Insel vor der irischen Westküste einen seltsamen Spuk, streiten sich darüber, ob es sich um einen Menschen oder ein Tier handelt und ob es dieses Wesen überhaupt gibt. Das Vieh ist ein Mann namens Timín Sheanais, der sich dreißig Jahre zuvor, als seine Verlobte sich in einen anderen verliebte, von den Klippen stürzte. Heimlich beobachtet er seither die anderen, zeigt sich aber nicht freiwillig, weiß gar nicht, ob sie ihn überhaupt sehen können ...

‘Das Vieh’ ist eine Seltenheit auf dem deutschen Buchmarkt, denn der Roman wurde von Gabriele Haeffs ohne den Umweg übers Englische direkt aus der irischen Sprache ins Deutsche übersetzt. Der Autor Pádraig Standún wurde im County Mayo an der irischen Westküste geboren und arbeitet als katholischer Priester in der Carna-Gaeltacht Connemaras und auf den Aran-Inseln.

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