Pubgeschichten

Gehört, gelesen und
aufgeschrieben

Ein Pub in Irland

 
Sin mo scéal is má tá bréag ann, bíodh!

Dies ist meine Geschichte, und findest du eine Lüge drin,
so darfst du sie behalten!

 
Glaube und Unglaube

Nachdem Sie Herr Yeats auf diese Seite gelockt hat, gebührt ihm das Wort für die erste Geschichte, die auch die Einstellung vieler Pubgänger von heute wiedergibt. Ich fand sie in seinem Buch ‘The Celtic Twilight’ von 1893 und habe sie hier übersetzt:

“Es gibt da ein paar Zweifler sogar in den Dörfern Westirlands. Letzte Weihnachten erzählte mir eine Frau, sie glaube weder an die Hölle noch an Geister. Die Hölle, so meinte sie, sei eine reine Erfindung der Priester, damit die Menschen dem Guten bei der Stange blieben – und Geistern sei es nicht erlaubt, nach Belieben frei auf der Erde herumzutrapsen. Aber, fügte sie hinzu, natürlich gibt es Feen und kleine Leprechauns und Wasserpferde und gefallene Engel.”

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Zwei Alte im Pub

Paddy Coyne’s zu Tully Cross im Juni 2001. Es ist nicht viel los, zwei kahle Alte an der Theke. Fremd erscheinen sie mir, dann aber auch wieder sehr bekannt. Ich hole mir noch ein Glas Lebenswasser. Da kommt die Erleuchtung:

Wenn die kahlen alten Berge Connemaras und Mayos im Dunkel der Nacht verschwinden, verwandeln sie sich in kahle alte Männer, wandern in die Pubs, genehmigen sich ein oder zwei Guinness und diskutieren über die gute alte und schlechtere neue Zeit. “Mein Heiliger hat mir ganz schön was eingebrockt, als er vor ein paar Jährchen zu mir hoch kam”, seufzt der alte Croagh Patrick. “Seht nur, wie zertrampelt ich seither bin”. Er kratzt sich den wunden Rücken. “Ja, ja, eine harte Zeit”, stimmt ihm Mweela zu. “Als wenn du Grund zu klagen hättest”, protestiert Paddy, “die paar Schwarzbrenner, die sich zu dir hoch wagen, geben sich alle Mühe keine Spuren zu hinterlassen, während man meine Kratzer noch jenseits der Clew Bay sieht. Scheiß Heiliger und Scheiß Touristen!” “Ach was”, gibt ihm Mweela einen Tipp, “schlaf morgen durch und deck dich mit ein paar Wolken zu, dann lassen sie dich in Ruhe.”

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Limerick In The Rare Old Times

Anfang der 60-er Jahre. Die Flugreise nach Irland kostet ein halbes Vermögen, und Heinrich Böll wandert über Achill Island und beschreibt ein Land, das die, die mehr als 40 Jahre später zum Preis von sechs Pint Guinness auf die Grüne Insel fliegen, nicht mehr finden. Und dann war da ein Schweizer Koch, den es nach Limerick verschlagen hatte. Max Blunier erzählt:

Ich arbeitete 1962–64 für die Intercontinental Hotel Corporation in Dublin, Limerick und Cork als Koch und Sous chef. It was a great time. Wie oft war ich wohl in Paddy’s Pub ‘over the Shannon Bridge’ in Limerick, ‘for a drink and a half’. Father O’Brien was there, und wenn er genug intus hatte, sang er die schönsten altirischen Lieder. Als unbegabter Sänger sollte ich Schweizer Jodellieder zum besten geben, Dart mit ihnen spielen oder mich zum katholischen Glauben bekehren lassen. Wenn dann noch Pat Masterson, ein Detektiv, auf seinem Fahrrad der irischen Polizei vorbeikam, vergaß man des öfteren die Zeit, denn Paddy O’Brien war der Bruder von Father O’Brien und mächtig stolz, eine so angesehene Persönlichkeit zum Bruder zu haben. Paddy hatte dann immer noch Stout in den Emailleschüsseln unter dem Guinnessfass, das man nicht stehen lassen durfte. Denn wenn die Dirty Old Bitch zu den ‘late hours’ um Mitternacht aus dem Shannon steigt, muss ‘Clean House’ sein. O Jesus, never mind!

O God! und wenn dann die Bauern mit ihren Pferden und Traktoren die Shannon Bridge versperrten und streikten, weil die Milchpreise zu tief waren – worauf die Brotpreise stiegen, weil das Korn aus Übersee im Hafen von Cork festlag –, konnte man als Father den Pub doch nicht verlassen! Das könnten die guten Glaubensbrüder ja sehen und denken, man würde den Streik unterstützen. Und am Ende würden die Leute gar die Messe meiden!

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Der Barmann als Literaturkritiker

In Dublins Chatham Street No. 1 liegt Neary’s Pub. Aus den Tagen, in denen der Dichter Patrick Kavanagh – viele werden sein von den Dubliners interpretiertes Gedicht ‘Raglan Road’ kennen – hier ein und aus ging, ist die folgende kleine Geschichte überliefert, auf die ich kürzlich beim Blättern in einer Bibliothek in dem Buch ‘Irish Pubs’ von J.K. König stieß. Hier in meinen Worten nacherzählt:

Eines Tages hockte Patrick Kavanagh an der Bar, als ein gerade angelernter Barmann ungeschickt ein Pint Guinness ausgerechnet über einige vor ihm auf der Theke ausgebreitete Manuskriptblätter schüttete. “Du wirst wohl nie ein guter Barmann werden, mein Junge”, brummte Kavanagh, “bist aber ein verdammt guter Literaturkritiker.”

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Literarische Pubs

In den 1950-er Jahren hätte ein Deckeneinbruch in der Dubliner Palace Bar zur Closing Time die Hälfte aller irischen Schriftsteller ausgelöscht. Nur die Hälfte? Exakt. Weil die andere Hälfte zur gleichen Zeit in McDaids in der Harry Street für die Last Orders anstand.

Frank McNally, Irish Times vom 8. November 2008

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Der Mann, bei dem es umgekehrt war

Wie es scheint, haben die Kerrymen so einiges mit den Niederrheinern gemeinsam. Mit einem Gruß an Hanns-Dieter Hüsch:

Siehst du den da an der Bar? – Den? – Nein, den daneben. Fällt völlig aus der Rolle! – ??? – Noch nicht von den Kerrymen gehört? Bei dem ist’s genau umgekehrt: weiß alles, kann aber nichts erklären.

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Ein paar Tage frei nehmen

Ein Arbeitsloser an der Bar zum Barmann: Ein tolles Wetter haben wir zur Zeit. Hätte ich einen Job, würde ich mir ein paar Tage frei nehmen und das Haus streichen.

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Die Strümpfe der Fianna

Die folgenden Zeilen gehen mit einem Gruß von mir an T. H. White. Lebte er noch und würde er sie lesen, wüsste er warum.

“Sitzt du noch fest auf deinem Barhocker? Rutsch mal ein bisschen, du solltest immer etwas rutschen, damit dir nicht das gleiche passiert, wie Conán Maol von Irlands Fianna, ein Großmaul, das sich über alle und alles lustig machte. Doch dann ward er an einen Stuhl gezaubert, keiner wusste wie. Er hing ganz fest und man konnte ihn nicht loskriegen. Da rissen sie ihn gewaltsam los, doch man musste ihm hernach ein Stück Haut aufs Hinterteil pflanzen. Das war aus Schafsleder, und von da an wurden alle Strümpfe für die Krieger der Fianna aus der Wolle gemacht, die auf Conáns Hintern wuchs.”

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Kleiderordnung

Aus was für einer Wolle ein Ire seine Strümpfe hat, wissen wir nun. Woraus jedoch lässt er seine übrige Kleidung fertigen? Doch wohl aus irischem Tuch, oder? W.B. Yeats in seiner Autobiographie aus dem Jahr 1922:

“... ich glaubte, dass meine Kleidung der öffentlichen Meinung entsprach, bis sich mein Schneider in einem Brief dafür entschuldigte, dass es ‘so lange dauert Connemara-Tuch zu kriegen, weil es so weit her aus Schottland kommt’.”

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’ne Flasche Whiskey für ’nen Penny

Eine Geschichte von Éamonn MacThomáis, der 2002 im Alter von 75 Jahren starb. Gefunden in seinem Buch ‘Me Jewel and Darlin’ Dublin’ aus dem Jahr 1974 und hier von mir ins Deutsche übersetzt:

“Man erzählt von einem Dubliner, der in einem Public House eine große Flasche Gold Label Whiskey stehen sah, daran das Preisschild ‘1 Penny’. Er wollte sie kaufen, doch der Wirt erklärte ihm, dass der Preis nicht stimme, er betrage in Wirklichkeit ein Pfund. In diesem Moment kam ein Polizist in den Pub. Er hörte sich den Sachverhalt an und sagte dem Wirt, dass er die Flasche laut Gesetz für einen Penny verkaufen müsse. Glücklich verließ der Mann mit seiner Flasche den Laden.

Ein paar Tage darauf traf der Polizist den Mann auf der Straße und meinte: ‘Heiliger Bimbam, das Gesicht von dem Wirt werde ich nie vergessen, als ich ihm sagte, dass er die große Whiskeyflasche für einen Penny hergeben müsse’. Der Mann grinste zurück: ‘Sie hätten erst einmal sein Gesicht sehen müssen, als ich am nächsten Tag mit der leeren Flasche kam, um mir den Penny Pfand auszahlen zu lassen.’”

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Erbsünde auf Irisch

Als einer der ‘ersten Entdecker’ nach der Gründung des irischen Freistaates reiste Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Henry Vollam Morton einmal um die Grüne Insel. Das folgende Erlebnis berichtete er aus Kerry:

... und dann gibt es da in den einsamen irischen Städten den Ahnenforscher. Bei einem Glas Porterbier berichtet er alles von den Vorfahren der Einheimischen. Er steht bei Mike Finnigan an der Bar und brütet über die Abstammung der Leute. Von jedem weiß er alles. “Sehen Sie den Mann da drüben?” fragt er, wendet sich ein wenig von der Theke ab und deutet mit der Pfeife auf einen anderen. “Das ist Paddy Milligan, der Schafsdieb.”

“Was”, fragt man erstaunt zurück, “er stiehlt Schafe?”. Der Mann zeigt einen grimmigen Blick voller Verachtung, als er erwidert: “Klar doch, schließlich wurde sein Urgroßvater gehängt, weil er Schafe klaute”.

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Kühe melken in Kerry

Die Frage was es zuerst gab, die Ostfriesen- oder die Kerrymen-Witze, wird wohl nie zu klären sein. Hier die spezielle Technik, mit der in Kerry die Kühe gemolken werden:

Wie viele Männer braucht es in Kerry, um eine Kuh zu melken? Einundzwanzig. ??? Einen, der die Zitzen hält, und zwanzig, die die Kuh auf- und abheben.

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Der größte Lügner im Land

Bei den Gerichtsverhandlungen im Kingdom of Kerry sind die Eigenarten des dortigen Menschenschlags zu berücksichtigen:

Ein Farmer in Kerry wird wegen Totschlags angeklagt und bekennt sich zur großen Überraschung schuldig. Die Jury tritt zusammen, braucht nicht lange, und erklärt ihn für unschuldig.

Der Richter wundert sich. Wie konnte das passieren, fragt er den Vorsitzenden der Jury nach dem Prozess, der Angeklagte hat sich doch ausdrücklich schuldig bekannt und alle Indizien sprechen für seine Schuld. “Nun, Euer Ehren”, antwortet dieser, “Sie sind ja nicht von hier und können das nicht wissen. Wir aber kennen den Mann. Er ist der größte Lügner im ganzen Land, dem darf man kein Wort glauben.”

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Traditional Irish Songs

Was ist ein Traditional Irish Song? Tommy Sands erzählte, von mir hier ins Deutsche übersetzt, die folgende Geschichte über das Auswandererlied ‘Rolling in the Hay, Whiskey in the Tae’ bei einem musikalischen Frühschoppen der Sands Family in der Ravensburger Spinnerei:

“... eigentlich hörte ich dieses Lied zum ersten Mal von einem alten Mann im Donegal, der es von einer alten Frau im County Kilkenny gelernt hatte. Die hatte es bei einem jungen Mädchen aus dem County Down gehört – und dieses junge Mädchen aus dem County Down kannte es von der neuen Dubliner CD. Doch Sache ist – – – ich hatte das Lied geschrieben.”

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McAlpine in Letterfrack

Jahrelang trafen wir, wenn Livemusik angesagt war, McAlpine in Molly’s Bar, und manchmal auch im Renvyle Inn. Nie so ganz nüchtern, und nicht selten die Hose offen. Natürlich hieß er nicht McAlpine, doch da er stets McAlpine’s Fusiliers ‘requestete’, nannten wir ihn so. 1999 war sein Stimme so zerstört, dass man ihn kaum noch verstand, und dann gab es ihn nicht mehr. Er mochte die Deutschen, erzählte er in seinem letzten Jahr, weil sie zum Osteraufstand Waffen nach Irland geschickt hätten (die nie ankamen). Sein Großvater habe gegen die Black-and-Tans gekämpft und sei am Ostermontag 1916 im Dubliner General Post Office gewesen.

Im größten Gebäude Irlands, bleibt da hinzuzufügen, denn wie schon Flann O’Brien feststellte, fasst dieses Gebäude mindestens eine Million Menschen – wenn man alle Iren addiert, die nach eigenem Bekunden am Ostermontag 1916 dort waren.

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Es geht auch ohne Arzt

In der Irish Times vom 27. März 1929 berichtet Reisender, der mit seiner Frau einen Ausflug in den Donegal unternommen hatte, wie er in einem Cottage einkehrte, das von einem alten Mann bewohnt wurde. “Was machen Sie”, fragte er, “wenn Sie in dieser Einsamkeit krank werden? Wie kommen Sie an einen Arzt?” “Wir brauchen hierzulande keine Ärzte”, antwortete der alte Mann. “Wir sterben hier natürlichen Todes.”

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Der Bräutigam im Moor

‘O schaurig ists übers Moor zu gehn ...’ schrieb Annette von Droste Hülshof, doch es gibt da auch eine nette irische Geschichte:

Ein junger Mann geht am Vorabend seiner Hochzeit zum Torfholen ins Moor und kehrt nicht mehr zurück. Keine Frage, der arme Junge ist in einem Moorloch versunken. Trauer im Dorf und bei der Braut, die, wie sich bald herausstellt, ein Kind erwartet. Die Zeit vergeht, und nach mehr als einem Jahr berichtet ein Besucher aus Neuseeland, der Verschwundene sei ihm dort über den Weg gelaufen. “Mann, was haben wir hier für Moorlöcher”, klopft man sich stolz auf die Schultern, “die gehen durch bis zur anderen Seite der Erde.”

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Die Zeit

Gar nicht so selten sind irische Pubs mit alten Büchern dekoriert, und dann kann ich nicht umhin, in das eine oder andere zu schauen. So stieß ich vor längerer Zeit auf einen verstaubten Band von Lord Dunsany aus dem Jahr 1936, blätterte ein wenig und las die folgende, hier von mir ins Deutsche übersetzte Geschichte. Später fand ich das Buch in einem Antiquariat in Westport und erwarb es.

Ein Engländer betritt einen Dubliner Bahnhof, hält, wie es sich zweifelsohne für einen methodischen Menschen gehört, nach der Uhrzeit Ausschau und wendet sich, nachdem er festgestellt hat, dass diese unterschiedlich interpretiert wird, an einen Gepäckträger: “Sehen Sie sich das an, wofür sind zwei Uhren gut, wenn sie verschiedene Zeiten anzeigen?” “Und wozu wären zwei Uhren gut”, entgegnet der Gepäckträger, “wenn beide die gleiche Zeit anzeigten?”

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Untypisch für Dublin

Und noch etwas zur Zeit in den alten Zeiten. Zum Bekanntekreis von Lord Dunsany (s.o) gehörte Oliver St. John Gogarty, vom James Joyce als als ‘Buck Mulligan’ im Ulysses verewigt, der in seinem Buch ‘As I was going down Sackville Street feststellt’, dass die Gezeiten völlig untypisch för Dublin sind:

“Und da die Gezeiten – untypischerweise für Dublin – vorhersagbar und pünktlich sind, hat man selten eine Stunde am Morgen, zu welcher der Sandstrand ganz unter Wasser ist”, stellt er im dritten Kapitel seines Buches fest.

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Mãnana-Prinzip in Irland?

Womit wir beim beliebten Thema ‘als Gott die Zeit erschuf’ sind. Es gibt unzählige Anekdoten, um zu illustrieren, das Gott den Iren genug davon gab. Rolf Sotscheck, ‘unser Mann in Dublin’ erzählt gerne die folgende, die ich hier mit meinen Worten wiedergebe:

Ein spanischer Tourist unterhält sich in einem Pub mit einem Iren. In Spanien lässt man vieles langsam angehen, verschiebt Dinge gerne auf mãnana, auf morgen, und so fragt er den Iren, ob es in seinem Land auch so etwas wie das ‘Mãnana-Prinzip’ gibt. Um Gottes Willen nein, antwort der Ire, so etwas Dringendes kennen wir hier nicht.

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Für einen Esel gut genug

Und hier noch eine, vor allem Zugereisten in der Gaeltacht gerne erzählte Anekdote aus der Reihe ‘Der Engländer und der Ire’. Neben einem Engländer und einem Iren taucht in ihr ein Vierbeiner auf, oft ein Hund, doch in dieser Variante ein Esel.

Ein Engländer fragt einen Iren, der ihm mit einem Esel vor einem Torfkarren an einer Kreuzung begegnet, nach dem Weg. Der Ire antwortet in unverständlichem Irisch. Die Frage wird wiederholt und die Antwort erfolgt wieder auf Irisch, bis schließlich der Bauer seinen Esel mit einem “Come on, let’s go home” antreibt. Verstimmt fragt der Engländer den Iren, warum er mit seinem Esel Englisch rede, ihm aber auf Irisch antworte. “Surely”, meint der Bauer, “für einen Esel ist Englisch wohl gut genug”.

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Der gelehrte Kuhhirte

Auch bei der folgenden Anekdote, die man sich auf der Halbinsel Beara erzählt, geht es um Sprachgewandtheit. Involviert sind in ihr der Dichter Aodhagán Ua Rathgaile (Aogán Ó Rathaile, 1670-1728), einer der letzten dynastischen Dichter des Landes, und der Dekan der St. Patrick’s Kathedrale Jonathan Swift:

Man sagt, dass der Dekan Swift in Irland umherreiste, um herauszufinden, welche Grafschaft die gelehrtesten Einwohner hat. Als die Leute in Kerry von seinem Kommen hörten, baten sie Aogán Ó Rathaile ihn herauszufordern. Mit einem Seil um die Hüften und zwei räudigen Hunden zu seinen Fersen stellte er sich als Kuhhirte verkleidet auf die Straße. Als Swift in Hörweite war, begann Aogán eine seiner Kühe auf lateinisch anzureden, die andere auf griechisch und die dritte in kunstvollem Irisch. Er war gerade dabei, sich zu den anderen Kühen und weiteren Sprachen vorzuarbeiten, als sich Swift an seinen Diener wandte und verblüfft sagte: “Hier in Kerry sprechen ja schon die Kuhhirten sieben Sprachen! Wie wird es dann erst um die Gelehrten bestellt sein? Es hat keinen Sinn, dass ich mit ihnen wetteifere.” Und er machte auf dem Absatz kehrt und ritt nach Dublin zurück.

Nach Hans-Christian Oeser, Treffpunkt Irland

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Der Sieger im Rennen

Die folgende, hier von mir nacherzählte Episode aus der irischen Geschichte entdeckte ich in Henry Vollam Morton Reisebericht ‘In Search of Ireland’ aus dem Jahr 1930, deutsch erschienen unter dem Titel ‘Wanderungen in Irland’:

Wir schreiben den ersten Juli 1690. Ein Mann reitet durch die Sommernacht, will zum Haus von Lord Tyrconnel. Er reitet um sein Leben. Es ist James II. In Dublin angekommen erzählt er Lady Tyrconnel, wie er von seinem Schwiegersohn William III, der ihn vom Thron des Vereinigten Königreichs geputscht hatte, in der Schlacht am Boyne geschlagen wurde. Bitter berichtet er, dass ihm sein ganzes irisches Heer davongelaufen ist.

“Aber”, erwiderte die Lady, “Eure Majestät haben das Rennen gewonnen!”

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Irisch reicht nicht immer!

So faszinierend die irische Sprache auch ist, überall kommt man nicht mit ihr weiter. “Ich lernte vor mehr als 40 Jahren im Pub ‘Over the Bridge’ in Limerick einen Storyteller kennen”, schrieb mir kürzlich ein Freund aus der Schweiz, “kann mich aber nicht mehr an seinen Namen erinnern. Und das war seine Geschichte”:

Eine alte Irin, nahe den 90 Jahren, wohnte mit ihrer Tochter in einem mit Stroh gedeckten Cottage ‘up in the Connemara’. Eines Tages sagte sie zur Tochter, sie müsse auf ihre alten Tage noch mal in die Stadt. Auf die Frage, was sie denn in der Stadt wolle, antwortete sie: “In die Schule gehen und Lateinisch lernen.”

Die Tochter: “Ja, was willst du denn noch Lateinisch lernen, du kannst doch Irisch, und das genügt, um mit mir zu reden.”

Die Mutter: “Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich bald sterben werde, und im Himmel will ich mich doch mit Petrus und dem lieben Gott und den vielen Engeln unterhalten können, und das kann man da oben nur auf Lateinisch!”

Die Tochter: “So weit, so gut, das leuchtet mir ein! Aber was ist, wenn du in die Hölle kommst?”

Die Mutter: “Das macht dann auch nichts, Englisch kann ich schon!”

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Ein himmlischer Betriebsausflug

Ich weiß nicht, ob ich die folgende Geschichte tatsächlich in einem irischen Pub gehört habe. Vielleicht ist sie auch eine Eingebung des Heiligen Geistes:

Im Himmel wird eine Konferenz einberufen, es geht um den diesjährigen Betriebslausflug. Erster Vorschlag: Fahren wir doch nach Jerusalem. “Nee”, meint Jesus, “an das Kaff habe ich nur schlechte Erinnerungen.” Und was ist mit Irland, vielleicht nach Knock im County Mayo? “Um Gottes Willen,” protestiert Maria, “lieber fahre ich zur Hölle.” Oder Rom? “Au ja”, meldet sich der Heilige Geist zu Wort, “da war ich noch nie!”

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Wer eine Meerjungfrau fängt

An Tánaiste Mary Harney, die stellvertretende irische Regierungschefin, kann nicht nur Reden halten; sie ist auch einem Pint nicht abgeneigt und erzählt gerne Geschichten. Diese hier, von mir nach einem Bericht der Irish Times aus dem Jahr 2001 aus der Erinnerung nacherzählt, liebt sie ganz besonders:

Drei Männer fischen auf dem Meer. Einer von ihnen fängt eine Meerjungfrau. Die Meerjungfrau bittet freigelassen zu werden und bietet an, jedem einen Wunsch zu erfüllen. Die Männer sind skeptisch, doch der erste meint, er hätte gerne seinen IQ verdoppelt. Und sogleich rezitiert er flüssig Shakespeare. Der zweite möchte seinen IQ verdreifacht haben. “Kein Problem”, meint die Meerjungfrau, und sogleich löst er die kompliziertesten mathematischen und physikalischen Gleichungen, an denen die berühmtesten Experten der vergangenen Jahrhunderte gescheitert waren.

Das lässt den dritten aufhorchen und er möchte seinen IQ verfünffacht haben. “Nein”, sagt die Meerjungfrau, “das wäre eine sehr schlechte Idee. Ich muss dich warnen, dass würde dich völlig umkrempeln. Deine Persönlichkeit wäre nicht mehr die alte und du würdest die Welt aus einer völlig anderen Perspektive sehen”. Doch der Mann bleibt hartnäckig und besteht auf die Erfüllung seines Wunsches. “Okay”, sagt die Meerjungfrau, “doch ich habe dich gewarnt”. Und sogleich wird der Fischer zu einer Frau.

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Der befreite Knoten

Die folgende Geschichte schrieb mir Peadar Ó hÉrtel, manchen eher als Peter Ertel bekannt. Er hörte sie anno 1995 in O’Flaherty's Pub in Dingle von einem Dubliner, der bei der EU als Beamter fürs Eich- und Meßwesen arbeitet und der gerade erfolgreich seinem englischen Schwager einen Fetzen-Rausch anhing, während die Ehefrauen, so wie die seine auch, beim Einkaufen unterwegs waren. Alles am hellichten Nachmittag:

A piece of string went into a bar and asked for a whiskey. “Sorry”, said the barman, “we don’t serve whiskies to pieces of string.”

So the piece of string went into another bar and ordered a whiskey. The barman skeptically looked at him and asked “Are you a piece of string?” – “ O no”, said the piece of string, “I’m a frayed knot!”

* Ein wohl unübersetzbares Wortspiel: frayed = ausgefranst, abgenutzt oder auch aufgelöst, klingt im Eifer des Rausches auch nicht viel anders als freed = befreit, doch ebenso kann man ‘a frayed knot’ als ‘afraid not’ verstehen.

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by Jürgen Kullmann. – Letzte Ergänzung: 08.09.2015