Es war einmal ...

... im Juni

2. Juni 1931 – Kaffeebuden

Im Gespräch mit einem aus London herübergekommenen, mit mir befreundeten Journalisten musste ich neulich einen längeren Vortrag über die verschiedenen Annehmlichkeiten ertragen, an denen es Dublin mangelt.

Den größten Kummer bereitete meinem Freund das Fehlen von Kaffeebuden. Ich musste zugeben, dass wir in dieser Hinsicht nichts aufzuweisen haben, und während ich darüber nachdachte, konnte ich mich nicht daran erinnern, in Dublin je eine Kaffeebude gesehen zu haben. Einrichtungen wie diese scheinen den Kniff herausgefunden zu haben, eine ganz besondere Mischung von Kunden anzuziehen, von Erdarbeitern an ihren Bohrmaschinen bis hin zu Theaterbesuchern von makellosem Ansehen in, wie es die Romanschreiber sagen, vollendeter Abendkleidung. Darüber hinaus offerieren sie ausgesprochen passable Mahlzeiten bei in der Tat sehr vernünftigen Preisen.

Ich bin geneigt zu glauben, dass sich eine Kaffeebude in der Sackville Street innerhalb weniger Wochen bezahlt machen würde. Alles in allem gibt es kaum eine Nacht, in der nicht der eine oder andere seinen Fuß in Dublins City setzt, und ich habe noch nie einen Blick in ein Nachtrestaurant geworfen, ohne dass es mehr oder weniger voll war.

Aus einem zeitgenössischen Bericht der Irish Times

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3. Juni 1930 – Preiserhöhung für Lokomotiven

Ein enorm langer Güterzug, der nordwärts über die Brücke bei Clontarf puffte, erinnerte mich kürzlich an einen Freund von der Eisenbahn, der mir einige sehr interessante ‘Insiderinformationen’ aufnötigte.

Der Preis von Lokomotiven, erzählte er, sei stark gestiegen, gemeinsam mit dem von anderen Notwendigkeiten wie dem Pint. Mittlere Modelle, die die Züge über die weniger wichtigen Strecken ziehen, kosten heute um die 6.000 £, verglichen mit einem Vorkriegspreis von 5.000 £. Die Monster, die die großen Expresszüge von Dublin nach Belfast rasen lassen, sind heute kaum noch für 10.000 £ zu bekommen, obwohl ihre Preise im letzten Jahr noch in der Nähe von 7.000 bis 8.000 £ lagen. Personenwagen, die damals für etwa 3.000 £ gebaut und ausgestattet werden konnten, kosten nun proportional mehr, und auch alles andere am Wagenpark spiegelt die höheren Preise wieder.

Natürlich bedeutet dies nicht, dass unsere Eisenbahnen nun Unsummen für neue Lokomotiven und Wagen ausgeben müssen, denn alles was rollt genügte schon vor den Preiserhöhungen den Anforderungen. Auch wenn dies noch einige Jahre so weiterginge, meinte mein Freund, müsse die Bahn nicht allzu viel Geld ausgeben, denn die Lebensdauer eines Personenwagens läge bei 45 Jahren.

Aus einem zeitgenössischen Bericht der Irish Times

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5. Juni 1986 – Bertie und der Alkohol am Steuer

Michael O’Higgins vom Hot Press Magazine interviewt den Abgeordneten der oppositionellen Fianna Fáil Bertie Ahern, einen der ‘jungen Tiger’ seiner Partei, dem manch einer zutraut, in einer noch unbestimmten Zukunft den Posten des Parteichefs zu übernehmen und Taoiseach zu werden. Bertie zum Thema Alkohol:

“Ich könnte sicherlich ein paar ordentliche Pints trinken und wäre noch in der Lage Auto zu fahren. Ob ich dann den Atemtest bestehen würde oder nicht, ist eine andere Sache, aber sie würden mich kaum betrunken machen.” Vor Alkoholkontrollen habe er mehr Angst, fügte er hinzu, wenn er zuvor als Abgeordneter die Polizei kritisiert habe: “In der Woche darauf passt du sehr genau auf, wie viele Pints oder Gläser du trinkst. Es geht dir dann immer wieder durch den Kopf, yeah!”

Nachtrag: Bertie Ahern wurde 1994 zum Vorsitzenden der Fianna Fáil gewählt und war von 1997 bis 2008 Taoiseach (Regierungschef).

Nach einer Meldung des Hot Press Magazine

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11. Juni 1925 – Die Spaltung der Nation

Aus einer Rede des Dichters und Nobelpreisträgers William Butler Yeats vor dem irischen Senat:

“Wenn ihr demonstrieren wollt, dass dieses Land, das südliche Irland, von katholischen Ideen und nichts als katholischen Ideen regiert wird, werdet ihr niemals den Norden bekommen. ... Ihr werdet einen Keil mitten durch die Nation treiben.”

Nach Aidan H. Crealey, An Irish Almanac

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11. Juni 2016 – Ein seltsames Phänomen

“Ein seltsames Phänomen zog gestern von Süden her über das Land. Die Menschen trauten ihren Augen nicht, schauten angstvoll in den Himmel, fragten sich, was es wohl sei, und viele kamen zu dem Schluss, dass wir den Zorn Gottes heraufbeschworen haben mussten. Als sie dann fortrannten um Schutz zu suchen, einige verschütteten dabei gar ihre Pints, begann ihnen klar zu werden, dass in der Tat Wasser vom Himmel fiel.

Einige Ältere erinnerten sich daran, dass dies eine Sache war, die sich in Irland früher häufiger zu ereignen pflegte und man Regen nannte. Die junge Generation jedoch, deren Gedächtnis durch die moderne Technologie derart zurückentwickelt ist, dass der interne Speicher maximal drei Wochen zurückreicht und die Aufmerksamkeitsspanne sich auf wenige Minuten beschränkt, konnte sich nicht erinnern, Derartiges jemals gesehen zu haben.

Als der Regen kam, sah manch einer die reale Gefahr, dass das Land aufwachen und an die Arbeit gehen würde, doch nach drei Wochen Sonne und die Europameisterschaften am Horizont verschwand die Gefahr wieder. Als wir dann gestern Abend versuchten jemanden aus der Regierung zu kontaktieren um herauszufinden, ob das Land jetzt offiziell stillgelegt ist, gab es niemanden, der unseren Anruf entgegennahm. Die Fine Gael meinte, dies sei letztlich eine Angelegenheit der Fianna Fáil, da sie mehr oder weniger federführend sei.*

Schließlich bekamen wir dann doch Kontakt mit dem Taoiseach. ‘Das Land stillgelegt’, fragte er? Das geschah doch schon vor Wochen. Der offizielle Start des Sommers begann mit dem Bruce-Springsteen-Konzert im Croker. Ich habe dann ein paar Runden durch Edinburgh und London gedreht, und ruhe mich seither aus. […] Als wir Mr. Kenny fragten, ob die Regierung in naher Zukunft irgendetwas zu unternehmen dächte, antwortete er: ‘Die Regierung ist nicht dort, wo sie jetzt ist, wenn sie irgendetwas getan hätte. In den zwei Monaten, ehe wir gewählt wurden, hatten wir nichts getan, und ebenso wenig seit unserer Wahl. Und wenn Sie mich fragen, funktioniert das doch wunderbar.”

* Die Fine Gael führte zu jener Zeit eine Minderheitsregierung an, die auf die Duldung durch die Fianna Fáil angewiesen war.

Aus einem Bericht des Irish Independent

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15. Juni 2004 – Abgesang

Der sich bei den Europawahlen zeigende Trend* war ganz und gar vorhersehbar, ist aber ungemein traurig. Er bestätigt auf der Seite der Unionisten die Dominanz der Ulster Unionist Party und bei den Nationalen die der Sinn Féin.

Eine demokratische Entscheidung muss respektiert werden, und die Aussichten sind nicht völlig düster. Vieles hängt von der DUP ab. Es gibt Anzeichen, dass Rev. Ian Paisleys Partei aufrichtig mit der Sinn Féin verhandelt wird, unter der einzigen und richtigen Voraussetzung, dass es keine Privatarmeen geben darf.

Sollten sie auf einen Nenner kommen, wird es Irland freuen. Aber Irland wird auch eine Träne für jene verlieren, die von der Sinn Féin in den Schatten gestellt wurden. Die SDLP war die mutigste, intelligenteste und phantasievollste Partei der letzten Generation. Sie hätte Besseres verdient gehabt.

* Nachdem die SDLP im November 2003 bei den Wahlen zum nordirischen Parlament ihre Position als stärkste Partei des nationalen Lagers an die Sinn Féin abgeben musste, verlor sie am 11. Juni 2004 ihren Sitz im Europaparlament, den ihr Mitbegründer und langjähriger Vorsitzende, der Friedensnobelpreisträger John Hume, ein Vierteljahrhundert lang gehalten hatte.

Ein Kommentar des Irish Independent

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16. Juni 2003 – Olympia in Irland

Die Special Olympics, die olympischen Weltspiele der ‘people with mental problems’, kommen nach Irland. 162 irische Städte und Ortschaften sind Gastgeber für jeweils ein Land, so Belfast für die USA, Kilkenny für Deutschland, Clifden für Estland, Westport für Luxemburg und Galway für Großbritannien.

Bei strahlendem Sonnenschein begrüßt Galway seine Olympioniken. Ein Pfeifen und Trommeln kommt die Quay Street herunter, die Parade naht! Voran trommelnde Jungen und Tinwhistle spielende Mädchen der Claddagh National School, gefolgt von Kindern und Jugendlichen in Phantasiekostümen, die einen bunten Karren schieben und ziehen, auf dem, so meine Interpretation, dargestellt wird, dass wir alle Kinder dieser Erde sind. Dann kommen die Athleten, fröhlich winkend und in die Menge rufend, was von den Passanten begeistert erwidert wird. Unten am Spanish Arch stoppen unabhängig von der Ampelfarbe die Autofahrer und begrüßen die Gäste mit einem Hupkonzert.

Am Nachmittag versammelt sich alles am Eyre Square, von einer Bühne schallt ein Platzkonzert. Galway Welcomes Great Britain, verrät ein Banner der Welt. Auf dem Rasen davor ein einziges Menschengetümmel, und wer da ein ‘mental problem’ hat und wer nicht, ist nicht mehr auszumachen.

Aus einem Reisetagebuch

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25. Juni 1938 – Ein alter Depp vom Lande

Dubhlás de hÍde (Douglas Hyde) wird als erster Staatspräsident des Landes in sein Amt eingeführt. Nach Verabschiedung der neuen Verfassung hatten sich alle Parteien einmütig für den walrossbärtigen, hochgeachteten Gelehrten und Mitbegründer der Gälischen Liga, der nach ‘bäurischer Art Tabak schnupfte und Poitín trank’ (W. B. Yeats), ausgesprochen. Als der 78-jährige Rentner dem Ruf Folge leistend mit seinem ältlichen Fahrzeug in die Hauptstadt eilte, verursachte er in seiner Aufregung einen Verkehrsstau und wurde von einem Dubliner Polizisten gestoppt und angeherrscht: “Immer diese alten Deppen vom Lande, die den ganzen Stadtverkehr lahm legen!”

Nach Hans-Christian Oeser, Treffpunkt Irland, Reclam 1996
 

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Historische Berichte aus Irland – Letzte Ergänzung 08.07.2016