Irische Tagebücher

Die ersten Reisen

Weitere Reiseberichte

 

Wie alles begann

Es war einmal ... ein Vierzehnjähriger, dem fiel eines Tages ein Bändchen mit Erzählungen von Frank O’Connor in die Hand. Und er begann zu träumen, von Irland. Das war in den wilden 60ern. Und in jenen Jahren gelang es einer Übersetzerin namens Elisabeth Schnack immer wieder, einen Verleger namens Daniel Keel dazu zu bewegen, ihre Übersetzungen irischer Geschichten und Romane zu veröffentlichen. Und so konnte der Vierzehnjährige, der bald fünfzehn und sechzehn wurde, weiterträumen, davon, dass er eines Tages selbst nach Irland reisen würde. Denn das Tagträumen war seine starke Seite.

Doch in den nächsten zwei Jahrzehnten verreiste er gar nicht, und dann tauchte ein ‘kleines Mädchen’ auf und es gab viele andere Länder. Die Bretagne, griechische Inseln, Portugal, San Miguel de la Palma. Und dann eines Abends, auf der Terrasse eines kleines Holzhauses hoch über der Bucht von Baie Lazare, auf der Insel Mahé etwas südlich des Äquators, hieß es: “... und nächstes Jahr fahren wir nach Irland.”

Das war 1991, im Jahr darauf fuhren wir zum ersten Mal nach Connemara. Und nun, im März 1999, kommen wir gerade aus Dublin zurück und bereiten unsere elfte Irlandreise vor.

*  *  *

1995 begann ich Reisetagebücher zu schreiben, man musste mich nicht lange dazu überreden. Ihr Inhalt findet sich, wenngleich nicht immer wortwörtlich, in den folgenden Berichten. Doch auch von der ersten Reise ist einiges im Gedächtnis geblieben, von der, mit der es begann:

Die Twelve Bens, © Hildegard Vogt-Kullmann... und so mieteten wir uns ein kleines, strohgedecktes Cottage hinter den zwölf Bergen in Connemara, Na Beanna Beola, wie sie auf Gälisch heißen. Zugegeben, die Cottages im Dörfchen Tullycross wurden speziell für Touristen wie uns gebaut und haben neben dem traditionellen Torfkamin auch eine Ölheizung und ein Bad. Das ist praktisch, doch man sieht es ihnen nicht an.

Doch zunächst einmal muss man hinkommen! Aer Lingus Flug EI 691 – die Flugnummer hat sich in all den Jahren nie geändert – landet gegen zwei Uhr in Shannon. Wir hatten uns von Deutschland aus einen Mietwagen reservieren lassen, bei Windsor Rent-a-Car. “Nein, einen Schalter hätte Windsor in Shannon nicht”, hatte uns das Vermittlungsbüro informiert, doch die würden sich schon bemerkbar machen. Wir kommen durch die Sperre, sehen einen Mann mit einem Besenstiel in der Hand, daran ein Pappschild mit der Aufschrift: VOGT-KULLMANN. “Das sind wir!” ruft mein Mädchen, und in der Tat, wir sind es. Der Träger des Pappschilds führt uns aus dem Flugplatz heraus, über die Straße auf einen Hotelparkplatz und zeigt uns einen schwarzen Nissan Micra. Wir akzeptieren, zahlen ihm für drei Wochen 500 Irische Pfund bar auf die Hand und fragen, wie und wo der Wagen wieder abzugeben wäre. Kein Problem, erklärt er: “Auto wieder auf den Hotelparkplatz fahren, Fahrertür abschließen, Beifahrertür offen lassen, Autoschlüssel unter die Fußmatte legen.”

Linksverkehr. Mein Mädchen ist mutig, fährt das erste Stück – sie war schon ’mal in England und gilt somit als Expertin für das Linksfahren. Hinter Galway wagt man sich dann selbst ans Steuer. Wir erwarten ein raues, steiniges Land. “Es wird schon viel steiniger”, heißt es hinter jeder Kurve, doch was steinig heißt, werden wir erst viel später erfahren. Hinter Oughterard und Maam Cross beginnt das, was einmal unser Connemara werden wird. Heide und Moor, ein Flüsschen, kleine und größere Loughs, dahinter im schrägen Licht der Abendsonne die Twelve Bens.

Ob das nun mit dem Cottage auch so gut klappt? Wir hatten alles telefonisch arrangiert, dann das Geld per Scheck im Briefumschlag nach Irland geschickt. Alles, was wir nun haben, ist eine Beschreibung des Wohnhauses einer Mrs Anne Jack, die die Thatched Cottages verwaltet. Doch sie weiß Bescheid: es ist das zweite nach der Kirche, der Schlüssel würde von außen an der Tür stecken. Und das tut er.

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Beim Kramen in alten Ordnern stieß ich auf die Kopie eines Briefes, verfasst unmittelbar nach dieser ersten Irlandreise. Hier ein Ausschnitt:

 
Dortmund, 30. Juni 1992

Lieber W.,

... here we are, back home from the ‘Western World’, wie die Iren Connemara und Mayo nennen. Zwei weitere Wochen, und wir wären für den Rest der Welt verloren gewesen.

Verloren für den Rest der Welt, weil in unserem 120-Seelen-Dorf Tully Cross noch viel von dem lebendig ist, was man gelesen und als romantisches Klischee abgetan hatte. Die beiden Pubs als Wohnzimmer des Dorfes, in dem sich die Bevölkerung zwischen 1 und 90 Jahren tummelt, der ortsübliche alte Säufer inbegriffen. Letzterer könnte Gertrude Degenhards Skizzenbuch entsprungen sein. Wobei wir uns die Frage gestellt haben, ob es sich bei ihm nicht um einen Mitarbeiter von Bord Fáilte handelt, fest angestellt zur Erfüllung der Erwartungen der Touristen. Seinen Lehrling, den jungen Nachwuchssäufer, lernten wir dann auch kennen.

Wie dem auch sei, von 10 o’clock p.m. bis Mitternacht Livemusik zum Nulltarif. Ein deutscher Tourist erinnert sich eines Liedes aus seiner irischen Schallplattensammlung und fragt nach Ermutigung durch zwei Pint Guinness schüchtern den einheimischen Musikanten, ob er ‘Róisín Dubh’ auf der Tinwhistle spielen könne, weil es doch eine solch ‘very fine tune’ sei. Es sei in der Tat ‘a very fine tune from old times of oppression’, antwort dieser, und obwohl er sie noch nie auf der Flöte gespielt habe, werde er es einmal versuchen. Der trotz einiger (weniger) schiefer Töne tosende Applaus des Publikums muss ihn inspiriert haben zu Hause zu üben, und am nächsten Abend in einem anderen Pub wird die Melodie mit wahrer Virtuosität als ‘a very, very special request of two good friends from Germany’ vorgetragen.

Kontakt zu den Menschen zu finden ist nicht schwer. Man muss nur an beliebigen Orten (z.B. an der Theke im Pub, vor der Telefonzelle, in der die Liebste telefoniert, oder dem Laden, in dem die Ehefrau nach einer alt-irischen Marmelade sucht) schüchtern und freundlich interessiert aus der Wäsche schauen. So weiß ich nun von Iren, die aus Dublin kommen (wo’s aber nicht so schön ist), deren Söhne in Frankfurt Theologie studieren bzw. für eine Computerfirma in München arbeiten, die schmale Straßen und Schafe auf selbigen für die weltbeste Methode zur Vermeidung tödlicher Unfälle erkannt haben oder an der Straße von Tully Cross nach Letterfrack wohnen und Frank Coyne aus Mullaghgloss für den weit und breit besten Musiker halten.

Ende des Reiseberichtes. Solltest du nach mehr Information über die Landschaft, das Torfstechen und die Methode der Rent-A-Car-Rückgabe etc. lechzen, ist diese unter der im Briefkopf angegebenen Adresse erhältlich.

Gruß, J.

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Und so wurde dieses Cottage zu unserer zweiten Heimat, unserer Juniresidenz. Das heißt, nicht ganz, denn im Folgejahr wechselten wir zu No. 1, und seitdem sind wir Die Zwei aus No. 1. “Wenn die aus No. 1 anreisen, wird das Wetter gut”, soll nach einer Auskunft von Anne Jack eine Dorfbewohnerin einmal gesagt haben. Doch zumindest in einem Jahr irrte sich diese Wetterprophetin, das war Anno ’94, als mit uns der Regen kam.

Viele kleine Erinnerungen, die sich zu einem Bild zusammenfügen. Das erste Guinness an der Bar bestellt, die erste Musiknacht im Pub. Eine Woche haben wir gebraucht, um zum ersten Mal Irish Music in einem Irish Pub zu hören – dabei hätten wir das schon am ersten Abend haben können, gleich gegenüber im Angler’s Rest. Doch was haben wir gemacht? Uns über den Lärm auf der Straße aufgeregt. Doch bald gewöhnten wir uns an den Dorfrhythmus: nachts um eins ins Bett, nicht vor neun Uhr morgens aus den Federn. Den Irish Independent in Brians Shop auf der anderen Straßenseite gibt es sowieso erst ab zehn.

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Genug der flüchtigen Erinnerungen. Wer mehr wissen möchte, der folge uns nun ins Jahr 1995, dem Jahr unserer fünften Irlandreise, in dem unsere Aufzeichnungen beginnen.

 
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Wie es dann weiterging


Reiseberichte Irland: Erste Reisen
© 1999 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 28.04.2006