Irisches Tagebuch 1996

Connemara & Nord-Mayo

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Sonnabend, 8. Juni 1996

Nach der stundenlangen Schwitzerei auf dem Düsseldorfer Zeltflughafen* ist es eine Wohltat, endlich in der Maschine nach Shannon zu sitzen – noch mit dem alten Emblem, dem nicht ganz so dynamischen Kleeblatt auf der Heckflosse. Die Sitzbezüge sind auch noch die alten, ohne die im Aer Lingus Prospekt versprochenen eingewebten Worte irischer Dichter & Denker. Doch das macht nichts, dann dichten wir eben selbst – und was stört es schon einen Dichter, wenn die Bordverpflegung von Jahr zu Jahr geschmackloser wird? Also bedankt man sich, als sie über der Nordsee anrückt, mit einem zögerlichem go raibh maith agat, was mit einem anerkennenden tá fáilte romhat (keine Ursache) erwidert wird. Das gibt neben der Eitelkeit auch dem Flugzeug Auftrieb, so dass wir nach mehr als anderthalb Stunden wohlbehalten in Shannon landen. Slán, grinst die Stewardess beim Verlassen der Maschine, derweil sie die anderen Passagiere mit einem eher müden good-bye verabschiedet.

Unser Auto, ein fast nagelneuer VW-Polo, ist der beste Leihwagen, den wir bislang hatten, und die Dame bei AVIS sehr viel freundlicher, als es in den Jahren davor die Herren von Hertz und Budget waren. Kein misstrauisches Taxieren unserer drei Personen und des Gepäcks bei der Wahl des kleinsten Modells, und Gisela als dritte Fahrerin wird ohne Aufpreis in die Papiere eingetragen. Bei Hertz hätte das 2 Pfund pro Tag gekostet.

Bei bedecktem Himmel mit sunny spots, wie es im Wetterbericht heißt, startet die Fahrt vom westlichsten Flughafen Europas gen Norden. Der übliche Zwischenstop in Gort, County Clare, zwecks Wochenendeinkauf. Derweil Gisela und mein Mädchen im Laden sind, höre ich im Radio Raidió na Gaeltachta. Es ist nicht viel, was ich nach unserem Gälischkurs an der Volkshochschule Dortmund verstehe, abgesehen von der Uhrzeit und dem immer wiederkehrenden ‘agus’, dem deutschen ‘und’.

Je weiter wir nach Norden kommen, desto dunkler wird der Himmel. Galway liegt bereits hinter uns, als die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe fallen. Im Inagh Valley wird der Scheibenwischer auf Dauerbetrieb geschaltet und schließlich fahren wir bei strömendem Regen in Tullycross ein.

Da wir weder Anne Jack noch ihren Mann Jackie auftreiben können, besetzen wir unser Cottage, an dem von außen der Schlüssel steckt. Doch unsere Ankunft bleibt nicht lange verborgen. Bald kreuzt Anne auf, in ihrem Gefolge Brian Coyne vom Laden gegenüber, ein Bündel Briketts in der Hand. Mein Mädchen entfacht ein Feuer im Kamin und das Cottage-Leben beginnt.

*  *  *

Cousine Gisela ist müde, doch kurz nach halb zehn wandern mein Mädchen und ich die anderthalb Kilometer nach Tully hoch um zu sehen, ob es dort Musik gibt. In Tullycross selbst ist heute nichts los: Paddy Coyne’s, der traditionelle Dorfpub, hat sich noch nicht mit der Steuerbehörde auf eine neue Lizenz geeinigt, und das Angler’s Rest ist heute Nacht den stillen, wenngleich nicht anonymen Trinkern vorbehalten.

Das nichts bleibt, wie es war – das Motto des Renvyle-Inn-Clans, und diesmal ist er besonders gründlich zur Sache gegangen. Ein neuer Anbau über zwei Stockwerke, in dem eine Treppe zu einer kleinen Galerie führt, von der aus man hinunterschauen kann und ins Restaurant im Obergeschoss gelangt. Von der Bar aus kommt man durch eine Doppeltür neben dem Kamin in diesen Anbau, der von außen dem Stil des Hauses angepasst ist – im Innern kann man darüber streiten. Nicht der erste Versuch, das Renvyle Inn zu erweitern, erfahren wir später: im ersten Anlauf war man auf fremden Grund und Boden geraten und musste wieder abreißen.

Wie dem auch sei, in der hinteren Ecke des Anbaus befindet sich eine kleine Plattform für Musikanten, Frank und Charlie sind es heute Abend. Man kennt sich und tauscht holperig ein paar gälische Brocken aus, schließlich muss unser Gälischkurs für irgendwas gut gewesen sein. Seit diesem Jahr spielt Frank nicht mehr mir seinem Sohn Kevin zusammen – so ganz gut passte dessen Keyboard noch nie zu Irish Folk. Wir ergattern zwei Barhocker an der Wand, hinter uns auf der Brüstung griffbereit das erste Pint Guinness seit drei Monaten, und dann geht’s los: in der ersten halben Stunde alle unsere Favoriten von From Clare to Here bis zum The Lonesome Boatman, danach eher Musik zum Tanzen für die reifere Jugend. Zwischendurch schaut die Landlady vorbei, weiß der Teufel, warum sie Jahr für Jahr so begeistert ist, wenn wir hier aufkreuzen. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als diese ‘Music Hall’ zu bewundern und uns dabei ein wenig im Lügen zu üben.

Eine dunkle Nacht, als wir nach Hause zurückwandern, doch weit hinten glänzt das Meer vor den Schatten der Berge Mayos. Wie ging das Lied vorhin:

Träumend in deiner Nacht,
Sah ich ein Land,
In dem keiner kämpfen musste.
An deinen westlichsten Ufern
Sah ich die Sonne untergehen,
Sehnte mich nach mehr,
Stand am Atlantik
Und sang ein Lied für Irland.

Vielleicht etwas flüchtig übersetzt, aber was soll’s.

* Nach der Brandkatastrophe auf dem Düsseldorfer Flughafen im Frühjahr 1996 fand die Abfertigung in Zelten statt.

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Sonntag, 9. Juni 1996

Es ist immer das Gleiche, am ersten Morgen im Cottage wird man viel zu früh wach. Kein Wunder, wenn wir hundemüde sind, denn immerhin war es schon lange nach Mitternacht, als wir endlich im Bett lagen. Doch allmählich regen sich die Lebensgeister, vor allem nach dem hervorragenden irischen Frühstück, das uns mein Mädchen bereitet hat – inklusive Black & White Pudding.

A Stroll Under Mweelrea, © Paul GuilfoyleWie meist am Sonntag nach der Ankunft auf Renvyle machen wir einen Spaziergang ins Nachbardorf Tully und dann weiter zum Renvyle Beach, sehen nach, ob das Meer noch da ist. Das ist es in der Tat, grau unter grauem Himmel begrüßt es uns. Unbeeindruckt von unserer Ankunft schaukeln die Möwen im Wind, ein Wind, der mir so arg in die Ohren bläst, dass ich Watte hineinstopfe. Schließlich wandern wir wieder den holprigen Pfad zur Straße hoch, inspizieren den Supermarkt an der Tankstelle, der an diesem Sonntagmittag nicht sein schlechtestes Geschäft macht. Ich ergattere noch eine Zeitung, Brian hatte gestern Abend keine mehr.

Später am Tag treffen wir auf der Straße nach Mullaghgloss Franks Sohn Kevin – natürlich weiß er schon, dass wir im Lande sind. Sein Vater hatte uns bereits erzählt, dass sie nicht mehr zusammen musizieren. Kevin grinst: das sei nur von Vorteil für Dad, er selbst stehe nun ’mal mehr auf Blues. Wie lange wir denn blieben? Drei Wochen? Wir wüssten ja gar nicht wie glücklich wir seien, jedes Jahr drei Wochen verreisen zu können.

Wahrscheinlich hat er Recht, und dass dies bereits unsere zweite Urlaubsreise in diesem Jahr ist, verraten wir nicht.

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Montag, 10. Juni 1996

Fährt man am ‘Dreieck Leenaun’ rechts hoch in die Berge, so erreicht man nach einigen Meilen Maam. Eine schmale Straße, auf der immer irgendwo gearbeitet wird; die Schilder Loose Chippings – Rollsplitt, sagt man wohl im Deutschen – stehen hier schon seit unserem ersten Irlandbesuch vor vier Jahren. Rechts gewaltig die Maamturk Mountains, die höher wirken als sie sind, und wie das Bergmassiv linkerhand heißt, verrät die Karte nicht. An Mám, der Bergpass, lautet der irisch-gälische Name des Ortes, der als Tor zum Joyce Country gilt.

Joyce ist ein geläufiger Name in West-Connemara und die Joyces gehörten nie zu den Ärmsten der Armen. Ob der große James aus Dublin verwandtschaftliche Beziehungen zu ihnen hat, vermag ich nicht zu sagen.

Maam spielte im vergangenen Jahrhundert eine wichtige Rolle für den Verkehr, liegt der Ort doch am westlichen Ausläufer des Lough Corrib, der bis nach Galway hinunter führt. Mit der Eröffnung der Galway-Clifden-Eisenbahn am Neujahrstag 1895 war diese Rolle jedoch beendet und die zweimal täglich verkehrenden Züge ersetzten die Boote. Der Zug hielt ein paar Meilen weiter unten in Maam Cross, an der heutigen N 59. Der irische Name dieses auf den ersten Blick nur aus einem Souvenierladen, einem Pub und einem Restaurant bestehenden Ortes lautet An Teach Dóite, das verbrannte Haus. Hier stand früher die Butler’s Lodge, eine Postkutschenstation, die 1839 abbrannte. Ein Ereignis, das dem Ort seinen irischen Namen gab.

Zurück in die Gegenwart und nach Maam. Die heutigen Regenten von Maam sind die Keanes, und folglich sitzen wir in Keane’s Bar & Café-Shop. Eine der Keane-Damen betätigt sich künstlerisch und man kann für wenig Geld Reproduktionen ihrer Aquarelle auf Postkarten kaufen. Was wir dann auch tun, und derweil wir unseren Tee trinken, schreibe ich eine Karte an unseren Irisch-Kurs in Dortmund – auf Gälisch natürlich. Wir fragen uns, ob die Sängerin Dolores Keane auch zum hiesigen Clan gehört, doch dann lägen neben den Postkarten wohl auch ihre CD’s aus.

Wie das Journal der Clifden & Connemara Heritage Group verrät, hat das Gebäude eine lange Geschichte. So residierte hier in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Alexander Nimmo, ein brillanter schottischer Ingenieur, der seine Handschrift auf so mancher Straße und an so manchem Hafen Connemaras hinterlassen hat. Der Hafen von Roundstone ist sein vielleicht bekanntestes Werk, und auch der Kai in Clifden stammt von ihm.

Wir lassen das Auto vor dem Portal stehen und wandern zum Lough Corrib hinunter. Der Weg führt durch ein Torfabbaugebiet, ein großes Feld mit pyramidenförmig zum Trocknen aufgestellte Soden. Die Szene reizt zum Fotografieren, auch wenn die Sonne noch zu hoch steht und der Torf eher stumpf wirkt. Dann sitzen wir an einem Ausläufer des Sees, versuchen Steine über das Wasser springen zu lassen. Ein leichter Wind kommt auf, die Phantasie schweift in die Vergangenheit ab und ich stelle mir vor, wie die Lastkähne aus Galway vorbeiziehen.

*  *  *

Nach dem Abendessen in Clifden machen wir einen Spaziergang über die Main Street, und wer wandert da mit dem Geigenkasten in der Hand in Kevin Barrys Central Bar, wenn nicht unser alter Freund Johnnie Coyne, begleitet von seinem Sohn Kieran mit der Gitarre unter dem Arm. 76 Jahre alt wird Johnnie im November, und noch immer spielt er mit Kieran an vier Nächten in der Woche in der Central Bar bzw. in Barry’s Hotel.

Vor vier Wochen, erzählt er später bei einem Pint Guinness in der Bar, fand in Tullycross ein von lokalen Musikern ausgerichtetes Festival statt, auf dem er sieben Stunden lang gespielt hat. Bei der Veranstaltung wurde Geld für den Prozess gegen einen Franzosen gesammelt, der auf Privatbesitz pochend den Zugang über sein neu erworbenes Grundstück zum Mullaghgloss-Strand sperren will. Doch Johnnie weiß noch mehr zu berichten. Dass C. ein pleasant jokeful fellow ist, ist uns nicht unbekannt; nur ist er nicht, wie wir glaubten, um die 50, sondern um die 60 und färbt sich die Haare. Und hätte er tatsächlich, wie er stets behauptet, Johnnie das Musizieren beigebracht, wäre er wohl noch um einige Tacken älter. Und ...

“Falls jemand einen Fiddler in der Bar sieht, sage er ihm, dass die Band ihn sucht”, ruft Kieran ins Mikrofon. Johnnie grinst, er müsse nun zur Nachtschicht. Wir setzen uns dazu und der Abend nimmt seinen Lauf.

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Dienstag, 11. Juni 1996

Nachts um halb zwei sind wieder zu Hause. Ein kleiner Whiskey für den, der den Fahrer spielen musste, dann wird bis zehn Uhr geschlafen und anschließend gefrühstückt. Und am Abend sind wir schon wieder in Clifden, diesmal in der Town Hall, in der um neun die erste Irish Night der Saison beginnt.

Die Town Hall, das ist ein länglicher, etwa renovierungsbedürftiger Kasten an der Straße zum Hafen. Und drinnen sieht’s ungefähr so aus:

Clifden Townhall

Etwas kalt ist es in der Halle, und wir hocken uns auf eine Stuhlreihe an der Wand. Allzu voll wird es nicht, denn die Saison beginnt erst so richtig im Juli. Ein Akkordeonspieler, ein Fiedler und ein Gitarre spielender Sänger bilden die Grundbesetzung der Band, alles locals von der Sky Road, wie uns die local Hausfrau am Mikrofon erklärt. Später zupfen zwei local Teenager sehr gekonnt die Harfe, Stücke von Turlough Carolan, einem wandernden blinden Harfenisten aus dem siebzehnten Jahrhundert. Der liebte nicht nur sein Instrument, sondern auch den Whiskey. Als es dann zum Sterben kam, bat er einen Getreuen, ihm einen Tropfen von diesem Elixier auf die Zunge zu geben – denn ohne seinen Freund könne er nicht in den Himmel einziehen.

Doch diese Geschichte erzählt uns die moderierende local Hausfrau nicht, präsentiert uns stattdessen ein jüngeres, wohlgenährtes local Mädchen mit einem Akkordeon, über das sie kaum hinwegschauen kann – eine Tochter von Mr Walsh, dem local All-Ireland-Akkordeon-Champion, erfahren wir. Dann zeigen zwei noch jüngere local Mädchen in irischen Kostümen dem geneigten Publikum, wie man in Irland tanzt – einem Publikum, das trotz mehrfacher Aufforderung nur wenig Neigung zum Mittanzen zeigt. Schließlich greift die junge local Lehrerin zu Fiedel, und der local Priester hält eine kleine Ansprache und trägt ein Liedchen vor. Und als gegen elf Uhr die Veranstaltung mit dem Abspielen der Nationalhymne zu Ende geht (was nicht alle erkennen), freut sich das internationale Publikum, dass es soviel local Atmosphäre mitbekommen hat.

Wir wechseln die Lokalität. Nicht weit von der Townhall auf der rechten Seite der Main Street befindet sich Barry’s Hotelbar, in der Johnnie & Kieran ihre Nachtschicht ableisten. Kieran steht heute auf Rebel Songs, doch als ein nicht mehr ganz nüchterner local Rebel vulgär wird, weist Kieran ihn auf die Existenz von Ladies hin und Kevin Barry persönlich expediert ihn nach draußen.

Wir trinken einen Whiskey und Johnnie wird melancholisch, wünscht sich ‘The Lonesome Grave’, ein Lied von Luke Kelly. Andächtig lauschend fällt er mit seiner Fiddle ein und fährt dann fort mit ‘The Hesitating Waltz’, einem Stück, das einst seine verstorbene Mutter Lena, eine geborene Keane, komponierte. Dann ist auch diese Nachtschicht zu Ende, und alle local und nicht-local Besucher gehen nach Hause.

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Mittwoch, 12. Juni 1996

Ein Mountain-Walk oder ein Hill-Walk? – ich weiß es nicht, die Begriffe für Berg und Hügel sind in Irland wenig aussagekräftig. So lautet der Name unseres Hausbergs auf der einen Karte Tully Mountain (Berg) und auf der anderen Letter Hill (Hügel). Doch den wollen wir heute nicht bezwingen. Stattdessen mogeln wir uns ohne Eintritt zu zahlen von hinten aufs Kylemore-Abbey Gelände – ein Trick, den die Nonnen entweder noch nicht durchschaut haben oder bewusst tolerieren. Ich habe ihn bereits im vergangenen Jahr beschrieben.

Dann steigen wir den Berg hinter Mitchell Henrys Märchenschloss* hoch – den Pilgerweg zu einer Statue, die man unten von der Straße aus am steilen Hang sieht, wo sie nahezu unerreichbar zu sein scheint. In der Tat ist der Aufstieg zunächst recht steil, jedoch ungefährlich und wurde seit dem letzten Jahr hier und dort ausgebessert. So gibt es mittlerweile deutlich weniger Stellen, an denen man den Eindruck hat in einem Bachbett zu laufen. Auf etwa halber Berghöhe hört der Kreuzweg der Nonnen bei einer arg verwitterten weißen Statue auf. Wen sie darstellt, weiß ich nicht; auf jeden Fall handelt es sich um einen männlichen Heiligen und nicht um eine der landestypischen Marienerscheinungen, wie man sie hier an nebelverhangenen Tagen – siehe unser Foto – dann und wann beobachten kann.

Wir sitzen zu Füßen des Heiligen: ein großartiger Blick auf Lough Kylemore, die gegenüberliegenden Berge und das im Westen zum Meer hin flacher werdende Land. Hinter uns die Reste einer alten Straße, die in alten Zeiten, so vermuten wir, über den Berg geführt hat. Mein Mädchen erinnert sich vage, von einem solchen Weg gehört zu haben. An einigen Stellen bis zu zwei Meter breit, zieht er sich den Berg hoch, verschwindet dann und wann im Geröll oder Grün und taucht plötzlich wieder auf. Jetzt wird er wohl nur noch von Schwarzbrennern benutzt:

Gather up the pots and the old tin can,
The mash, the corn, the barley and the bran,
Run like the devil from the excise man,
In the Hills of Connemara.

Pack deine Pötte und die alte Blechkanne,
Die Maische, das Korn, die Gerste und die Kleie,
Renn wie der Teufel, denn der Zöllner naht,
In den Bergen Connemaras.

Wir folgen dem alten Weg, der aus dem Nichts aufgetaucht zu sein scheint und bei weitem nicht so steil ist, wie der Anstieg zur Statue. Doch kein Schwarzbrenner mit einem Klimpern im Rucksack kommt uns entgegen und offeriert uns einen Schluck Poitín aus den Bergen Connemaras.

Langsam gelangen wir höher den Berg hinauf, passieren einen kleinen Bach, der weiter unten zu einem Wasserfall wird. Kylemore Abbey entschwindet unseren Blicken, gleichzeitig wird der Blick ins Tal und auf den See immer großartiger. Dann verdunkelt sich der Himmel, doch immer wieder dringt die Sonne durch eine Wolkenloch, und ein leuchtend grüner Fleck wandert den Berghang auf der gegenüberliegenden Talseite hinauf und hinab und lässt das weiße Haus unten am See hell aufleuchten.

Es ist zu spät um weiterzuwandern, zudem sieht es nach Regen aus. So setzen wir uns auf einen Stein, träumen von Schwarzbrennern und wandern, als die ersten Tropfen fallen, langsam zurück.

* siehe 23. Juni 1995

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Donnerstag, 13. Juni 1996

Die Tankstelle zu Tully hat heute keine Fahrräder zu verleihen, eine Touristengruppe aus dem Renvyle House Hotel ist uns zuvorgekommen. Also fällt die geplante Radtour um Lough Fee ins Wasser und wir fahren mit dem Auto nach An Cheathrú Rua an die Galway Bay.

An Cheathrú Rua (englisch: Carraroe) bedeutet übersetzt Das Rote Viertel, was aber nichts mit ‘Rotlichtviertel’ zu tun hat. Beartla, unser Gälisch-Lehrer, wuchs hier auf und hatte uns erklärte, was es mit dem Namen auf sich hat – nur habe ich es vergessen. War es die rote Erde, oder wurde hier Klatschmohn angebaut? Wir finden nichts Rotes. Bei unserer Ankunft ist gerade die Schule aus und unzählige Schulkinder kommen uns gälisch plappernd entgegen. Ein Radfahrer grüßt freundlich mit Dia daoibh (Gott mit euch), was wir schüchtern mit Dia’s Muire duit (Gott und Maria mit dir) erwidern, doch da ist er schon fast vorbei. Ansonsten können wir dieser Hochburg der irischen Sprache wenig abgewinnen; ein zersiedeltes Vor-Dorf von Galway, so der erster Eindruck, mit einem unschönen Hotel, in dem im Sommer die Irisch-Lernenden aus aller Welt übernachten können, sollten sie keine Unterkunft bei einheimischen Familien gefunden haben.

Also fahren wir zum Strand hinunter. Auf zwei Hügeln am Ufer tummeln sich Ziegen, weniger kamerascheu als die ortsüblichen Schafe. Und so lassen wir uns auf einem Stein nieder, beobachten sie und das nachmittägliche Treiben am Strand. Desgleichen tun die Ziegen mit uns, und so haben beide Seiten etwas davon.

*  *  *

Am Abend sind wir wieder im Tullycross; im Angler’s Rest gegenüber machen die beiden Coasters Musik. Im Dorf sind sie recht beliebt, erzählt Anne Jack, doch unser Fall ist ihre Musik nicht. Einen von ihnen haben wir neulich die Kirche streichen statt die Saiten zupfen gesehen; was er besser kann, bleibt eine Frage des persönlichen Geschmacks. In diesem Jahr haben sie sich zu ihrem Vorteil mit einer Banjo-Spielerin verstärkt, und wenn sie zu Dritt Jigs & Reels spielen, gefällt uns das besser, als wenn sie singen. Star des Abends ist ein junger Mann, dass ihm bei seinen Solotänzen nicht die Beine davonfliegen, erscheint wie ein Wunder. Was ihm davonfliegt, ist ein Schuh, doch das hält ihn nicht auf. Als es hernach etwas langsamer zugeht, lassen sich auch mein Mädchen und Cousine Gisela vom Tanzen anstecken. Man selbst ordert lieber ein Guinness.

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Freitag, 14. Juni 1996

Eine Fahrradtour mit Hindernissen. An der Tankstelle in Tully sind immer noch keine Leihräder frei, doch beim King’s Store in Lettergesh soll es welche geben. Also fahren wir mit dem Auto zum Laden des Herrn King und lassen es dort stehen. Zwar sehen seine Fahrräder nicht allzu vertrauenerweckend aus und für mein Mädchen ist nur ein Herrenrad erhältlich, aber wir riskieren es. Das heißt, zunächst einmal tausche ich nach den Erfahrungen früherer Jahre bei meinem das Folterinstrument von einem irischen Herrensattel durch einen aus Deutschland mitgebrachten aus. Mein Mädchen lacht, doch nach einem Kilometer unterpolstert sie ihren Sattel mit Hilfe meines Pullovers. Und weiter geht’s.

Von den 10 Gängen meines Rades funktionieren immerhin drei – einer der beiden Schalthebel sitzt völlig fest und der andere reagiert nur in drei von fünf möglichen Positionen. All dies akzeptiert man, dass jedoch zunehmend die Luft aus dem Vorderreifen schwindet, ist weniger vergnüglich. Also kehren wir nach einigen Kilometern bei Salrock um, und als wir wieder am Laden sind, ist der Reifen völlig platt. King’s Sohn wechselt das Vorderrad komplett aus, zudem am Fahrrad meines Mädchens die hintere Felgenbremse, die sich am letzten Gefälle als wirkungslos herausgestellt hatte.

Wir schauen zu und unterhalten uns mit einem alten Mann, der an der Mauer vor dem Laden lehnt und die handwerklichen Aktivitäten des jungen King mit mäßigem Interesse beobachtet. Fahrrad ist er nie gefahren, erfahren wir, jedoch als junger Mann zu Fuß über den Brennerpass marschiert. Dabei musste er einem natürlichen Bedürfnis nachgehend die öffentliche Straße verlassen und hatte arge Angst erschossen zu werden. Warum, das habe ich nicht verstanden. Macht nichts, meint mein Mädchen, ein Ire, der in der Schule Deutsch gelernt hat, versteht auch keinen Ostfriesen.

Inzwischen sind die Fahrräder nach Meinung des jungen King fit für die Tour der France. “Very wise”, sehr weise, meint unser Freund an der Mauer, als ich unter der gleißenden Mittagssonne in Ermangelung einer anderen Kopfbedeckung eine Wollmütze hervorziehe. Denn er selbst habe drei Behandlungen wegen eines Hautkrebses auf dem Schädel hinter sich.

Eine kurze Beschreibung der Fahrtroute: Die schmale, buckelige Piste nördlich vom Lough Fee gen Osten bis zur N 59, dann westwärts bis Kylemore Lough, dort durch ein Tor mit der Aufschrift PRIVATE in den Coille Móire (Großer Wald) mit dem Märchenschloss des Mitchell Henry, dann weiter durch den Wald entlang des Dawros River bis zur Tullywee Brücke und schließlich die schmale Straße nach Tullycross hoch.

Hier ist man bei aller landschaftlichen Schönheit hinreichend erschöpft, um am Cottage zwei Stunden lang Pause zu machen. Eigentlich hätte ich sehr viel mehr zu berichten gehabt: über die Torffelder hinter Lough Fee, umsäumt von den Bergen der Twelve Bens, über den von hundertjährigen Bäumen gesäumten schattigen Weg durch den Großen Wald und vieles mehr. Doch die Schmerzen in niederen Körperteilen dämpfen alle literarischen Ambitionen. Erst gegen Abend bringen wir die Räder zum King’s Store zurück und holen unser Auto ab.

 
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Reiseberichte Irland: Connemara, Galway und Mayo 1996
© 1999 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 02.05.2006