Irisches Tagebuch 1996

Connemara & Nord-Mayo II

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Sonnabend, 15. Juni 1996

Nach dem Frühstück und den Strapazen des Vortags, die, wie man zugeben muss, professionellen Radtouristen nur ein müdes Lächeln entlockt hätten, fahren wir mit dem Auto zum Glassilaun-Strand. Doch es ist schon fast zu heiß, um am Strand zu sitzen, während andererseits zum Baden das Wasser zu kalt ist – außer man gehört zur Spezies Irische Kinder. So hocken wir auf einem Stein, lesen ein wenig, schreiben ein wenig, lauschen den Möwen und der sachten Brandung und sehen den im Wasser spielenden Kindern zu.

Am Abend wandern wir ins Renvyle Inn, wo, wie an jedem Sonnabend, Musik mit Frank und Charlie angesagt ist. Frank hat seine Frau Rose mitgebracht, und auch die Lübecker stehen an der Bar: ein deutsches Paar, das sich vor einigen Jahren auf einem Hügel zwischen Tully Cross und Tully ein Haus gekauft hat. Sie sind ganz nett und wir kennen sie schon seit ’92, hatten jedoch nie viel Kontakt. Denn was unterscheidet den Deutschen in Spanien von dem in Irland? Der erste sucht den Umgang mit Landsleuten und der zweite mit ‘Locals’.

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Sonntag, 16. Juni 1996

Am späten Vormittag fahren wir nach Clifden. Das Städtchen ist ausgesprochen belebt für einen Sonntagmorgen. Die meisten Läden haben geöffnet, nicht nur die Craftshops, so dass ich in einem Geschäft am hinteren Ende der Market Street eine irische Tweedmütze aus dem County Donegal erstehe, um mich künftig nicht mehr mit einer winterlichen Wollmütze vor einem Sonnenbrand auf dem Kopf schützen zu müssen.

Am frühen Nachmittag machen wir einen längeren Spaziergang zum Renvyle Beach und schauen dem sonntäglichen Badeleben zu, das überwiegend von Kindern bestritten wird. Wie es scheint, sind die Mädchen weniger kälteempfindlich und wasserscheu als die Jungen! Nach einer Stunde kommt Gisela über den Strand spaziert. Die Flut steigt höher und wir wandern zu Dritt zum Cottage zurück.

Map Tullcyross
Lg. = Lettergesh/Leenaun, K. = Kylemore, Lf. = Letterfrack

*  *  *

Was unsere abendlichen Aktivitäten betrifft, hier eine Tagebuchnotiz meines Mädchens:

“Nach einem wunderbaren von mir auf den Tisch gezauberten Abendessen (Tortellini mit Sahnesauce, Salat und Pudding), warten wir gespannt auf das Abendprogramm im Angler’s Rest. So gegen halb zehn bewegen wir uns hinüber und, wie’s der Zufall will, treffen wir Kieran und Frank an der Eingangstür. Rose und Noreen, die Ehefrauen, sind mit von der Partie.

“Und es beginnt einer dieser einzigartigen Abende, die man nie vergessen wird. Etwas lärmend die anderen Pubbesucher, etwas schrill der Verstärker, doch die beiden Brüder singen fast alle unsere ‘Favourites’ – einfach hinreißend. Zum ersten Mal erleben wir die beiden als Team, und hatten wir zunächst befürchtet, dass der eine den anderen dominieren und ihn nicht zum Zuge kommen lassen würde, so verfliegt diese Sorge schon nach dem zweiten Lied. Die zwei ergänzen sich einfach wunderbar! Persönlich gefällt mir ***s Stimme besser, vielleicht ist er auch der Talentiertere, aber wer weiß das schon so genau? Gemeinsam bringen sie heute Abend die Herzen zweier auf Irland-Trip befindlicher Frauen zum Schmelzen, denn Gisela ergeht es nicht anders als mir. Meinem Liebsten gefällt’s zwar auch ganz gut, doch mit dem Schmelzen hat er’s nicht – da holt er sich lieber noch ein Guinness.”

Nach einem kleinen Plausch mit Frank nach der Nationalhymne schlendern wir gegen ein Uhr in der Früh über die Straße zum Cottage und lassen die Nacht bei einer halben Flasche Whiskey ausklingen. In welchem Zustand sich morgen früh wohl unsere Köpfe befinden werden?

H.”

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Montag, 17. Juni 1996

Halb so schlimm ist es mit unseren Köpfen an diesem Morgen. Nach dem Frühstück – in Deutschland würde man sagen ‘so gegen Mittag’ – raffen wir uns zu einem Spaziergang übers Moor auf.

Ich glaube, ich habe diesen unseren Bogway schon früher erwähnt. Bog, das ist das irische Wort für ‘weich’, und im Englischen wurde es zum Wort für Moor. Eigentlich ist der späte Nachmittag die richtige Zeit für einen solchen Spaziergang, wenn die Sonne im Westen versinkt und die Twelve Bens am östlichen Horizont aufleuchten lässt.

Vom Cottage aus geht es rechts an der Kirche vorbei und ein Stück die Straße nach Letterfrack hinunter. Links der Western Autopoint, rechts der Bungalow der Familie Jack, die den Bauplan zu ihrem Domizil vor mehr als 20 Jahren für 20 irische Pfund aus einem Katalog erworben hatte. Kein Wunder, dass die Häuser aus dieser Zeit alle so gleich aussehen. Dann nach rechts auf einen Feldweg oder bohereen, wie es im irischen Englisch heißt. Das ursprüngliche gälische Wort bótharín bedeutet Wegchen oder Sträßchen, abgeleitet von bóthar für Weg oder Straße. Die gälische Wortendung ‘-ín’ lässt sich ganz wunderbar mit dem deutschen ‘-chen’ übersetzen, so dass aus meinem Mädchen in Irland ein cailín wird. Woraus die Anglo-Iren dann ein colleen gemacht haben, ein Wort, das der geneigte Leser in jedem besseren deutsch-englischen Wörterbuch findet.

Doch genug der sprachlichen Spitzfindigkeiten – dass mich dergleichen einmal interessieren würde, hätte ich früher nie gedacht. Und den bótharín übers Moor beschreibe ich ein anderes Mal, wenn das Licht schöner ist!

Später am Nachmittag fahren wir an den Renvyle Strand, und diesmal geht mein Mädchen sogar ins Wasser. Man selbst zieht es vor, etwas weiter oben auf einem Felsen zu hocken und über die ‘blaue Lagune’ zu blicken. Und in der Tat, irgendwie erinnert diese Szene an eine Bucht auf Mahé knapp unterhalb des Äquators. Ein Felsenring in der steigenden Flut öffnet sich zum offenen Meer, am Horizont die Berge Mayos (die allerdings südlich des Äquators nicht zu sehen sind), und genau dort steht mo chailín in ihrem pinkfarbenen Badeanzug bis zur Hüfte im Wasser und blickt in die Ferne. Und wenn ich oben geschrieben habe, Mädchen würde cailín heißen, ist dies nun kein Fehler, denn im Gälischen ändern sich die Wörter mitunter am Wortanfang, so zum Beispiel wenn ‘mein’ davor steht.

Gegen Abend fahren wir nach Clifden; wer am Steuer sitzt, verrate ich hier nicht. Bei der Tankstelle von Moyard ein gewaltiger Knall: ein Steinbrocken am Straßenrand hat sich geweigert vor unserem herannahenden Gefährt davonzulaufen und erzeugt eine eindrucksvolle Verbiegung unserer linken Vorderradfelge. Doch Luft scheint aus dem Reifen nicht zu entweichen und so fahren wir vorsichtig weiter.

Das Abendessen in Clifden ist ein Einfall mit Reinfall. Zehn Jahre lang gab es an der Market Street in einem hübschen handtuchschmalen Backsteingebäude Doris’ Restaurant. Das Gebäude gibt es immer noch, doch Doris aus Deutschland ist ausgezogen. Dem Vernehmen nach gab es Probleme mit der einheimischen Konkurrenz, und in ihrer Abwesenheit sollen mitunter die Fensterscheiben gelitten haben. Wir haben nie bei ihr gespeist, doch als wir nun hören, dass jemand aus ihrer Belegschaft ein anderes Restaurant am Hang über der Main Street eröffnet hat, wollen wir zumindest dieses einmal testen. Der Wirt spricht deutsch und versichert, dass er auch Guinness zum Essen ausschenkt. Doch brrrrr, als es anrückt, erkennt selbst ein ungeübtes Auge, dass es aus einer Flasche und nicht aus einem Fass stammt. Nach dieser Heimtücke kann das Essen eigentlich gar nicht mehr schmecken – und so ist es dann auch.

Um zehn Uhr beginnt die Musik in der Central Bar. Wie an jedem Montag, doch nach einer halben Stunde tauchen Frank und Charlie auf. Kieran ist verdutzt, denn Frank war heute Abend bei Lowry’s an der Market Street engagiert. Wie wir hören, gab es dort einen Trauerfall in der Familie. Etwas Getuschel, dann verschwinden die beiden und sind wenig später mit ihren Instrumenten wieder da.

Ab geht die Post, auch wenn für vier Musiker nur zwei Mikrofone vorhanden sind. Je später die Nacht, desto mehr steigt die Stimmung, und als ein Gast zum x-ten Mal Seven Drunken Nights wünscht, kennt Kieran keine Hemmungen und lässt auch die siebte Strophe nicht aus – derweil Charlie die Hände von den Knöpfen seiner Quetschkommode nimmt, sich grinsend bekreuzigt und seine Finger in Ohren stopft. Kurz nach Mitternacht rückt Frank ans Mikrofon, und in einem furiosen Finale werden die Geister irischer Rebellen längst vergangener Tage lebendig:

... North men South men comrades all,
Dublin, Belfast Cork and Donegal,
We’re on the one road, swinging along,
Singing a Soldier’s Song.

Mit Amhrán na bhFíann geht der Abend zu Ende.

*  *  *

Auch wir müssen uns auf den Weg machen, checken zuvor den linken Vorderreifen unseres Autos. Es ist noch Luft drin, und so fahren wir zum Cottage zurück, wo die Füllhöhe in unserer Paddyflasche um ein weiteres Stück sinkt.

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Dienstag, 18. Juni 1996

In den letzten Tagen gab es einige Diskussionen unter unserem Strohdach. Sollen wir es für ein paar Tage verlassen und einen Mehrtagesausflug in den hohen Norden unternehmen? Nicht gleich bis Malin Head, dem nördlichsten Punkt der Insel, aber Nord-Mayo oder Sligo wäre doch auch einmal interessant. Im irland journal stand vor längerer Zeit ein Bericht über steinzeitliche Ausgrabungen bei Céide Fields, die man unbedingt besichtigen müsse, und die Klippen sollen es mit denen von Moher durchaus aufnehmen können.

Der Entschluss ward gefasst und eigentlich sollte es gleich nach dem Frühstück losgehen – wenn da nicht das Problem mit der linken Vorderradfelge wäre. Also stehen wir, als Mr Sammons vom Western Autopoint gegen zehn Uhr seine Werkstatt öffnet, bereits auf der Matte. Als wir seinen Schuppen zum ersten Mal sahen, schien er uns wenig vertrauenserweckend, doch dieser Eindruck täuscht, wie wir seit unserer ersten Panne vor zwei Jahren wissen. Der Mann, ein Bruder des Pubkeepers, ist ein Genie von einem Automechaniker. Noch etwas müde schaut er aus der Wäsche, sieht sich die Felge an, brummt ein I’ll fix it und verspricht das Ganze bis gegen elf auf die Reihe gebracht zu haben. Für zehn irische Pfund, sprich 23 DM.

Um elf Uhr wirkt Sammons schon viel ausgeschlafener und unsere Felge sieht wie neu aus. Via Westport und Castlebar fahren wir gen Norden. Ein Zwischenstop in Foxford, wo man in einer Woollen Mill den Aran Pullover ersteht, den man schon immer hat haben wollen aber nie zu kaufen gewagt hat, nicht zuletzt, weil fast nur Touristen Aran-Pullover kaufen – und eitel, wie man ist, offenbart man sich als solcher nicht allzu gerne.

Weiter geht die Fahrt nach Norden und wir erreichen Ballina, die Geburtsstadt der Staatspräsidentin. Ein Angler auf der großen Brücke über den River Moy, der die Stadt von Süden nach Norden durchfließt, zerrt einen großen Fisch an Land. Mir tut das arme Tier leid. Man stelle sich vor: man sitzt mit einem leckeren Happen auf der Gabel in einem Restaurant, schluckt – und ein Faden hängt einem aus dem Maul. Schon wird an dem Faden gezogen, jeder Widerstand ist zwecklos, und man landet in der Küche ...

Lassen wir das, sonst schubst mich mein Mädchen noch in den Mhuaidhr, wie der Fluss auf Irisch heißt. Denn auf ihrem Speiseplan stehen Fische ganz oben, und ich muss zugeben, ein von ihr zubereiteter Monkfish ist unvergleichlich. Wie dem auch sei, wir finden keinen rechten Gefallen an Ballina: etwas rummelig, durcheinander und ein wenig an Tralee erinnernd. So fahren wir weiter ins verschlafene Killala, einem ruhigen Örtchen mit historischem Rundturm aus dem 11./12. Jahrhundert, der mit knapp 26 Metern höher als der Kirchturm des Ortes ist. Wobei manche Historiker glauben, dass die Rundtürme ursprünglich als Kirchtürme gebaut wurden. Zu den Besonderheiten dieses Turms gehört eine nach außen ragenden Beule, eine Renovierung im 19. Jh. nach einem Blitzschlag könnte die Ursache sein.

An raibh tú i gCill Ala nó Caisleán a’Bharraigh?
An bhfaca tú campaí ag na Francaigh?

Warst du in Killala oder Castlebar?
Sahst du die Lager der Franzosen?

... haben wir im Irischunterricht zu übersetzen gehabt. Denn hier in der Bucht von Killala landeten 1798 die Franzosen, um die Iren im Kampf gegen das britische Weltreich zu unterstützen. Was aber nichts genützt hat. Dafür ist mein Mädchen umso erfolgreicher und schafft es, uns im ‘Avondale House’ bei Michael Coplice ein Bed-and-Breakfast Quartier zu organisieren.

Am späten Nachmittag bummeln wir durchs Örtchen – ich in meinem neuen Aran-Pullover – und fahren dann die Küste entlang Richtung Downpatrick Head, eine Landzunge, die man gut unterrichteten Quellen zufolge unbedingt gesehen haben muss. Doch heute noch nicht, denn beim erstmöglichen Halteplatz lassen wir das Auto stehen, suchen uns ein schattiges Plätzchen und blicken in der Abendsonne aufs Meer.

Am Abend essen und trinken wir in der Anchor Bar, dem Dorfpub Killalas, und trotz aller Vorbehalte gegenüber Anglern ist die Fisherman’s Platter ganz hervorragend. Das Guinness natürlich auch.

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Mittwoch, 19. Juni 1996

Nach dem Frühstück kramt unser Gastgeber ein Fotoalbum hervor und zeigt uns, was man sich in Nord-Mayo so anschauen kann. Er ist ein pensionierter Garda, ein Polizist, den es vor dreißig Jahren aus dem County Tipperary nach Killala verschlagen hat, und der diesen einsamen Landstrich nun nicht mehr missen mag. Vor der großen Hungersnot vor fast 150 Jahren hatte der Ort 10000 Einwohner, und als der gute Mann nach hierher versetzt wurde, waren es noch gut 300. Dank diverser Regierungsprogramme zur Entwicklung unterentwickelter Regionen und nicht zuletzt der Sozialhilfe, wie unser Gastgeber meint, ist die Einwohnerzahl nun wieder auf 1000 angestiegen. Er erzählt uns auch von einem abgelegenen kleinen Kaff oben an der Westküste, mit einer Polizeistation, die aus einem Polizisten besteht. Dorthin wird man versetzt, wenn man als Polizist etwas ausgefressen hat, und muss solange aushalten, bis es einen anderen trifft. Er selbst war nie dort, fügt er hinzu.

Unser ersten Ausflug führt nach Céide Fields zu den Ausgrabungen einer 5000 Jahre alten steinzeitlichen Siedlung, die sich über ein riesiges Areal erstreckt. Wir sind früh da und schließen uns einer kleinen Führung an, die mit uns aus fünf Teilnehmern besteht. Wobei die anderen allerdings besser Englisch verstehen. Das, was man bisher über diese Siedlung weiß, steht auf Deutsch zusammengefasst in einem Artikel des irland journals (Heft 2/94), den man uns als Kopie in die Hand drückt. Viel Kopfzerbrechen bereiteten den Wissenschaftlern lange Zeit Brandflecken in einer Grabstelle – ein steinzeitliches Krematorium? Die Einheimischen schwiegen: vor dem Anrücken der Wissenschaftler aus Dublin hatten sie hier ihre Poitín-Brennerei installiert gehabt. Wo die wohl jetzt ist?

Nordmayo, © Jürgen KullmannWeiter gen Westen. Die Klippen von Nord-Mayo sind dreimal so lang und etwa anderthalb Mal so hoch wie die von Moher, dazu vom Tourismus verschont, denn sie liegen weit abseits aller Reiserouten. Es gibt nur weniger Straßen, und je näher sie der Küste kommen, desto einsamer werden sie. Die Pier von Porterlin würde ein hervorragendes Schmugglernest abgeben, mit einer Telefonzelle und dem kleinen Oifig an Phoist (Postamt) als Nachrichtenzentrale. Bis die Garda hier eintrifft, ist genügend Zeit, den Schnaps wegzutrinken, und der strafversetzte Polizist dürfte dabei mit von der Partie sein.

Der Rückweg über eine auf unserer Karte grau eingezeichnete Straße erweist sich als mittelprächtiges Abenteuer. Es ist nicht die Tatsache, dass wir uns durch eine Herde freilaufender Kühe schlängeln müssen – das kann auch auf Nationalstraßen passieren. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die Kartografen der Ordnance Survey of Ireland (Discovery Series 24) unter other roads auch unbefestigte Moor- & Feldwege verstehen, auf denen man nicht wenden kann und für die ein VW-Polo nicht so recht gebaut ist. Trotz einiger unheimlicher Geräusche am Unterboden bewältigen wir die Herausforderung und stehen am frühen Abend am Downpatrick Head, einer ins Meer ragenden Landzunge mit halsbrecherischen Steilklippen. Ein kleines Naturwunder ist der sogenannte ‘Pool’:

Map DownpatrickSchaut man in diesen heute von einem hohen Zaun umgebenen tiefen Schacht von etwa 20 Metern Durchmesser, so sieht man zig Meter unter sich das Meerwasser wallen. Nach dem gescheiterten Aufstand von 1798 wurden hier die Rebellen hineingeworfen, wie uns eine Tafel informiert. Heute Abend macht hier eine dreiköpfige Abenteurergruppe, die über den zweieinhalb Meter hohen Absperrzaun geklettert ist, Absteigeübungen: einer steigt hinab und die beiden anderen kümmern sich um das Seil. Wir wollen einen möglichen Reinfall weder hören noch sehen und wandern mit hinreichendem Abstand zum Abgrund zum Klippenrand hinaus, irgendwo unter uns der Tunnel, der den Pool mit dem offenen Meer verbindet. Schroff erhebt sich vor uns der Kopf des Downpatrick aus dem Meer, eine Klippe, in Besitz genommen von Seevögeln. Ob der Heilige Patrick einst hier gesessen hat?

Wir fahren weiter und besuchen zwei Kirchenruinen. Die erste sehen und fotografieren wir nur von weitem, da der Landeigentümer auf einem großen Schild vor dem Betreten seines Besitzes warnt und auf einen gefährlichen, freilaufenden Bullen hinweist. Vermutlich ist er selbst der Bulle, oder noch eher der Ochse, wie mein Mädchen meint. Mit der zweiten gibt es weniger Probleme, man kann sie über eine grau auf der Karte eingezeichnete Straße anfahren. Eine alte Mönchsabtei, wunderschön an einem Fluss vor seiner Mündung ins Meer gelegen. Es ist noch viel erhalten und einige Stahlgerüste weisen darauf hin, dass man um die weitere Erhaltung bemüht ist. Über verschiedene Treppen kommt man eine Ebene höher und hat einen herrlichen Blick auf das alte Gemäuer und den träge dahinfließenden Strom.

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Donnerstag, 20. Juni 1996

Nett, aber ruhig war es gestern Abend in der Anchor Bar. Ein großer Pub, und wir drei machten die Hälfte der Besucher aus. 1000 Einwohner hat Killala, doch wo stecken die alle, wenn schon ein 100-Seelen-Dorf in Connemara allabendlich zwei Pubs zu füllen vermag?

Auf diese Weise kamen wir zeitig ins Bett und hocken nun schon um neun in der guten Stube unseres Gastgebers. Beim Frühstück erzählt er uns von seinem Freund Hans-Jürgen aus Tschörmenie, der schon seit zig Jahren seinen Urlaub in Killala verbringt, und mit dem er an lauen Sommerabenden vom Boot aus unter den Klippen Nord-Mayos zu angeln pflegt. Ich kenne auch einen Hans-Jürgen in Tschörmenie, weiß ich zu berichten, doch nicht den uns auf einem Foto präsentierten. Dann muss es auf dem Kontinent noch einen zweiten Hans-Jürgen geben, stellen wir gemeinsam fest. Und da wir es nicht mit dem Angeln haben, verabschieden wir uns vom Herrn des Hauses, bezahlen unsere Rechnung und machen uns wieder nach Süden auf.

Gegen zehn Uhr verlassen wir Killala. Gisela möchte gerne Knock sehn, den Marienwallfahrtsort im County Mayo, in dem die Heilige Maria 80 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen ein noch größeres Wunder in Form des Baus eines Flugplatzes bewirkte, auf dem anschließend der Heilige Vater landete. Oder, um mit Christy Moore zu sprechen:

Von Fatima bis Bethlehem,
Von Lourdes bis Kiltimagh,
Gab’s niemals so ein Wunder,
Wie den Flugplatz der Stadt Knock.

Doch man sollte ihn besser umfahren, schweigend oder lästernd, je nach Geschmack. Hätten wir persönliche Feinde, so hätten wir ihnen geweihtes Wasser in madonnenförmig gestalteten, blauen Plastikflaschen mitgebracht. Oder wie wäre es mit einer blauen Plastikmadonna mit eingebauter Batterie und Glühbirne, die zu wahrer Erleuchtung führt? Da kauft sich Gisela lieber einen Strohhut. Mein Mädchen ist auch so hinreichend erleuchtet.

In Kiltimagh, wo sich die Regionalstraßen 320, 321, 322 und 324 auf ein Guinness treffen, hat man im ehemaligen Bahnhof ein kleines Folkmuseum eingerichtet. Mich interessieren mehr das kleine Bahnhofsgebäude und die drei historischen Personenwagen; und die Horde Grundschulkinder, die zum Abschluss des Schuljahres mit ihren Lehrerinnen auf der Wiese davor ein Picknick abhält, passt malerisch ins Bild. Nur kommt das Licht von der falschen Seite, so dass die alten Wagen im Schatten stehen.

Noch ein Bummel über die Hauptstraße des Örtchens, dann geht es via Castlebar nach Westport. Den antiquarischen Buchladen an der Bridge Street gibt es leider nicht mehr, dafür erstehe ich in der Buchhandlung gegenüber Tim Pat Coogans Michael-Collins-Biographie. Das junge Mädchen hinter der Kasse ist begeistert ob meines Einkaufs. “A wonderful book, the man who saved Ireland”, klärt sie mich auf. In Dublin wurde kürzlich ein Film über ihn gedreht, der aber noch nicht in den Kinos läuft. Doch selbst wenn, gibt es überhaupt Kinos im irischen Westen? In Connemara haben wir noch keines gesehen.

Eine Stippvisite zum Hafen von Westport, wo wir erfahren, dass die neue Fähre nach Clare Island ihn jeden Morgen um 9.30 Uhr verlässt und etwa anderthalb Stunden unterwegs ist. Wir hatten in der Zeitung davon gelesen und spielen mit dem Gedanken sie zu testen. An der Straßenbaustelle vor Leenaun beginnt unser heimatlicher County Galway. Ein Zwischenstop am King’s Store in Lettergesh, um noch rasch etwas zum Abendessen einzukaufen, und wir sind am Cottage, ehe die Sonne hinter selbigem versinkt. Mein Mädchen entfacht ein Feuer im Kamin, dann fliehen wir vor dem Rauch auf ein Pint ins Angler’s Rest.

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Freitag, 21. Juni 1996

Den auf unserer Karte eingezeichneten Trampelpfad von Lettergesh in die Berge und möglicherweise bis hinüber nach Kylemore finden wir nicht – trotz Tim Robinsons berühmter ‘One-Inch Connemara Map’. Doch das liegt wahrscheinlich nur an unserer Unfähigkeit, obwohl mein Mädchen eigentlich genial im Kartenlesen ist!

Over Killary, © P. GuilfoyleAlso entschließen wir uns zu einem Spaziergang entlang des Killary Harbours, den man nur machen sollte, wenn es eine Woche lang nicht geregnet hat. Diese Bedingung ist gegeben; zudem ist das Licht diesmal besser als bei den Killary-Harbour-Wanderungen der letzten Jahre* und mir fehlen noch ein paar brauchbare Fotos von Irlands einzigem Fjord.

Wir kommen weiter als je zuvor: links der Berg und rechts immer tiefer unter uns der Fjord. Die Mauer quer über dem Weg, die bisher immer Endpunkt der Expedition war und unserer Meinung nach schon recht nahe an der Mündung liegt, wird erstmals überstiegen. Über einen für den Chronisten schwindelerregenden Weg um die dahinter liegende Felsnase (warum um alles in der Welt sind Frauen eigentlich soviel schwindelfreier?) gelangt man auf die nächste Anhebung, von der man einen großartigen Blick über den Fjord hat. Tief unter uns im glitzernden Wasser ein Boot der Killary-Fischfarm, etwas oberhalb von mir mein Mädchen, in die Ferne schauend mit dem Blick einer Gráinne Ní Mháille.

Vermutlich kommt man von hier aus bis zur Mündung des Fjords, doch der Rückweg wird immer länger, und ein auf dem Papier möglicher Rundweg vorbei an dem Hostel, dem Kleinen Killary, Lough Fee und über die N 59 zum Auto zurück wäre für uns eine Tageswanderung. So kehren wir um und sind nach summa summarum vier bis fünf Stunden wieder an unserem Auto. Viele Mußepausen inbegriffen.

Am Abend speisen wir bei Veldon’s in Letterfrack. Von Clifden bis Tully keine Musik, die uns gefällt, und im Angler’s Rest ist es uns zu laut und voll. So kommen wir noch vor Mtternacht ins Bett.

* siehe 21. Juni 1995

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Reiseberichte Irland: Connemara, Galway und Mayo 1996
© 1999 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 04.05.2006