Irisches Tagebuch 1996

Connemara & Nord-Mayo III

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Sonnabend, 22. Juni 1996

Nach dem Frühstück studieren wir die Karte und entdecken einen Rundwanderweg westlich der N 59. Alte Eisenbahnlinien interessierten mich schon immer, und der ausgeschaute Weg führt über die Trasse der Midland Great Western Railway, die von Galway nach Clifden verlief und nach nur 40-jähriger Betriebszeit Mitte der 30er Jahren wieder abgebaut wurde. Heute bedauert es manch einer.

Wir starten kurz hinter der Zufahrt zu Ballynahinch Castle, heute ein Hotel, das so nobel wirkt, dass wir uns noch nicht hineingewagt haben. Der ehemalige Bahnhof, gegen Ende des letzten Jahrhunderts errichtet, ist gut erhalten und heute eine Lodge. Über die verrostete Eisenbahnbrücke – Durchbruchgefahr an den Rändern! – wandern wir über den Gwenmore River Richtung Clifden.

Ein kleiner Wald, dann kommt das Moor: Flüsschen und kleine Seen rechts und links, darüber auf einem befestigten Damm die alte Bahntrasse. Wir stellen uns vor, wie wir vor mehr als 60 Jahren in einem Zug übers Moor nach Clifden gereist wären und trauern einer Zeit nach, die so großartig wohl auch nicht war. Wir trödeln dahin, wiewohl sich damals auch der Zug Zeit gelassen haben mag, bis wir nach vielleicht einer Stunde auf einen quer über den Damm gespannten Drahtzaun stoßen. Davor ein handgemaltes Schild, dass unbefugte Betreter prosecuted würden! Das bedeutet auf Deutsch ‘strafrechtlich verfolgt’, klingt aber wie executed, was nicht übersetzt werden muss. Und wer weiß, ob er nicht einen Hund mit Beißlizenz besitzt.

Da das Moor uns keine Ausweichmöglichkeit lässt, marschieren wir fast den ganzen Weg wieder zurück, bis wir kurz vor der Clonbeg-Brücke einen Abzweig finden und über einen anderen Weg zur Straße und zu unserem Auto gelangen. Der An Abhainn Mhór, anglisiert Gwenmore River oder wörtlich übersetzt Der große Fluss, verbreitert sich hier kurz vor seinem Eintritt in den Ballynahinch Lake zu einem kleinen See, an dessen Ende Ballynahinch Castle liegt. Über eine Steintreppe gelangt man von der Clonbeg-Brücke zum Wasser hinunter und hat von einem romantischen Halbinselchen aus einen schönen Blick auf das Castle und die alte Bahnstation rechts oberhalb des Ufers. Wahrscheinlich ein Anglerparadies. Hier lassen wir uns im Frieden mit den Fischen ein Weilchen nieder, ehe wir zum Auto zurückkehren und durchs Inagh Valley zurückfahren.

*  *  *

Am Abend gibt es wieder Musik im Renvyle Inn, Charlie und Frank sind diesmal besonders gut drauf. Kurz vor Schluss wünscht sich mein Mädchen den Galway Shawl und walzt mit Gisela über die Dielen. Danach kann eigentlich nur noch The One Road und Sinne Fianna Fáil ... kommen, und so ist es dann auch.

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Sonntag, 23. Juni 1996

Wir lassen es ruhig angehen, denn auch heute Abend ist Musik angesagt, praktischerweise gegenüber im Angler’s Rest. Am späten Vormittag fahren wir ohne Gisela nach Clifden, in die Hauptstadt Connemaras mit ihren gut 1000 Einwohnern, wo an einem Sonntagmorgen mehr los ist als in der Dortmunder Innenstadt. Viele Läden haben geöffnet, auch ganz normale Lebensmittelgeschäfte. Wir kaufen ein paar Dinge ein, die wir eventuell noch für das Abendessen gebrauchen können.

Weiter oder besser zurück nach Cleggan, einem Weiler, in dem das Postboot von Inishbofin anlegt. Doch auf die Insel wollen wir heute nicht, es wäre auch zu spät dafür. Wir erstehen in Oliver Coynes Laden ein paar Dinge, die wir in Clifden nicht bekommen hatten, und erfahren so nebenbei, dass es am Freitag nebenan in seinem Pub Livemusik gibt.

Zurück zur N 59. Ein kleiner Spaziergang nach rechts ins Moor, wo wir allein auf weiter Flur ein wenig Torf klauen. Es sind eigentlich nur die am Wegesrand verlorene Stücke, die wir einsammeln, aber es reicht um sich als Torfdieb zu fühlen. Wenn wir damit nun auch noch eine Destille anheizen ... doch nicht hier, wo man den Rauch meilenweit sehen kann.

Außerdem käme bei uns nur Fusel dabei heraus. Also zurück auf die Renvyle-Halbinsel. Ein Abstecher zu Mr. King an der Lettergesh Road, der seinen Laden eigentlich nie schließt, um dort die Würstchen zu erstehen, die es weder in Clifden noch in Cleggan gab. Dann ab ins Cottage, wo mein Mädchen das erste echte Torffeuer der Saison entfacht, eines ganz ohne Briketts ... und es für geraume Weile vor Rauch unbetretbar macht. Auch Gisela flüchtet nach draußen. Ob’s am geklauten Torf liegt? Ansonsten ist sie die beste Torffeuer-Anzünderin diesseits der Twelve Bens! Egal, wir wollten sowieso ins Angler’s Rest, doch von dem, was folgte, schreib’ ich nix!

Ich aber!!! Ein Abend mit Kieran & Frank, zwar ohne unsere ‘Favourite Songs’, aber mit toller Stimmung und viel Tanz. Doch das Wichtigste geschieht kurz vor Toresschluss. Der ‘Galway Shawl’ ist angesagt, Damenwahl. Als leidenschaftlicher Nichttänzer hebt mein Liebster betont desinteressiert sein Pint Guinness, Gisela und ich starten in bewährter Manier. Und dann, ich kann es kaum glauben, schnappt sich Anne Jack meinen geliebten Ehemann. Ein entsetzter Blick in seinen Augen, jeder Widerstand ist zwecklos, doch irgendwie meistert er, der jede Tanzfläche wie der Teufel das Weihwasser meidet, den Walzer ganz souverän. Und als dann Gisela auf die geniale Idee kommt, Anne Jack ‘abzuschlagen’, komme ich in den Genuss des ersten Tanzes meines Lebens mit meinen Schatz – es klappt gar nicht so schlecht.

Anne Jack kann’s nicht glauben, als ich es ihr erzähle, verweist auf die nächste Tanzveranstaltung am Donnerstag. Doch mein Liebster sieht gar nicht so begeistert aus, fragt Anne boshafterweise, ob man dann auch ihren Jackie tanzen sehen könne, denn der verdrückt sich auch immer. Schade, ich würde die Chance so gerne nutzen. Ich fand’s toll, doch unserer Paddyflasche ist die Nacht hernach nicht gut bekommen.

H.

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Montag, 24. Juni 1996

Boshafte Zungen würden behaupten, dass zwischen dem Zustand der Paddyflasche heute Morgen und dem unserer Mitbewohnerin G. ein ursächlicher Zusammenhang besteht, doch nachdem diese ihren Kopf zur Tür hinausgestreckt und einen Schnack mit einem holländischen Touristen (... a very nice cottage, yes, indeed) gehalten hat, geht es ihr plötzlich besser und sie begleitet uns auf unserem Ausflug.

Es ist schon eine Weile her, dass man in der Irish Times einen Bericht über einen alten Friedhof bei Salrock las, der aus der Zeit der Großen Hungersnot stammt. Salrock liegt fast vor der Haustür und auf unserer Karte ist ein ehemaliger Friedhof eingezeichnet. Wir fahren via Mullaghgloss und Lettergesh nach Osten, vorbei an Lough Muck und der heutigen Salrock-Kirche, einem grauen, schmucklosen Zweckbau. Kurz dahinter biegen wir ab und fahren ein Stück die Straße zur Killary-Fischfarm hoch. Hinter der Brücke über einen Bach, der in den Kleinen Killary mündet, führt ein Pfad rechts den Hang hoch, vorbei an einem Haus zu einem kaum noch erkennbaren Friedhof.

Von hohem Farn überwuchert sieht man hier und da schiefe Grabsteine, die jüngsten etwa zum Zeitpunkt meiner Geburt aufgestellt – also noch gar nicht so alt, wie mein Mädchen meint. Viele sind so verwittert, dass man die Inschriften nicht mehr lesen kann. Man muss aufpassen, wohin man tritt, denn unter hohem Gras und Gestrüpp tun sich Abgründe auf. Um uns ein schattenloses Licht aus einer Anderswelt, eher friedlich als unheimlich.

Der Friedhof ist bekannt für seine Pfeifengräber, schreibt Oliver St. John Gogarty in seinem 1936 veröffentlichten autobiografischen Werk As I Was Going Down Sackville Street. Tonpfeifen wurden von den Trauernden nach dem Begräbnis geraucht und auf das Grab gelegt. Wer sein Einkommen auf See gesucht hatte, bekam ein Ruder auf seine letzte Ruhestätte. Die Sitte mit den Tonpfeifen hat uns Johnnie Coyne aus Mullaghgloss bestätigt, von den Rudern wusste er nichts.

Der Friedhof von Salrock, ein vergessener Friedhof am Rande des Universums. Auch eine kleine Kirche soll es hier gegeben haben, doch wir wissen nicht wo. Und so fahren wir ein Stück des Weges zurück und machen uns auf einen zirka 8 km langen Rundweg.

*  *  *

Als wir vor einer Stunde vom Schweinesee (Lough Muck) die Straße nach Salrock hochkamen, zweigte nach etwa einem Kilometer ein holpriger Fahrweg über den Berg nach Glassilaun ab. Wir kommen nun aus der Gegenrichtung, lassen das Auto an seiner Einmündung stehen und nehmen ihn zu Fuß in Angriff. Je höher wir steigen, desto großartiger wird die Aussicht. Doch das ist wohl immer so. Auf der gegenüberliegenden Hangseite erkennt man bald die Stelle, an der gut versteckt der soeben besuchte Friedhof liegt, dann weiter links und noch höher am Berg etwas, was wie eine zerfallene Kirche aussieht. Der Grundriss dieser Kirchenruinen ist fast immer gleich. Niemand scheint um ihre Erhaltung bemüht zu sein, wie sich auch niemand um die Pflege der Gräber kümmert. Das hat nichts mit Herzlosigkeit zu tun, schreibt Ralf Sotscheck in seiner Gebrauchsanweisung für Irland: die Körper der Verstorbenen fallen in der geheiligten Erde der Vergänglichkeit anheim, während ihre Seelen Teil des Landes werden. Auch wenn auf unserer Karte an jener Stelle keine Ruine verzeichnet ist, vermuten wir, dass es sich um die gesuchte handelt. Die heutige Salrocker Kirche steht unten am Schweinesee; dort findet Sonntags die Messe für die Bewohner der umliegenden Bauernschaften statt.

Weiter geht es bergauf, vorbei an einem einsamem Haus mit einem Auto vor der Tür, das wohl als einziges diesen Fahrweg nutzt. Dann ist der Gipfel erreicht. Hier rasten wir, den Elfen auf dem Weg vor uns die Chance zu geben, sich dezent zurückzuziehen. Am Abzweig zum Glassilaun-Strand kommen wir den Berg runter, wandern geradeaus weiter zur Lettergesh Road und dann im Bogen an Lough Muck vorbei zum Auto zurück.

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Dienstag, 25. Juni 1996

Galway im Regen, es ist jedes Jahr das Gleiche. Und der Galwayer Regen ist noch genau so nass, wie in den vergangenen Jahren – wir hatten nur vergessen, wie nass das ist.

Die Kennys haben ihren Buchladen völlig umgekrempelt. Die antiquarischen Titel sind noch größtenteils im Keller eingelagert, erläutert Maureen, die sich nicht geändert hat und wie in alten Zeiten hinter der Kasse steht. Doch man kann sich mit seinen Wünschen in eine Kladde eintragen. Da dies Mrs. Kenny so freundlich empfiehlt, notiert man dort seinen Namen und die vollständige irischsprachige Ausgabe von Peig Sayers Autobiographie, die schon seit Jahrzehnten vom Markt verschwunden ist. Die gibt es aber nur in the old spelling, der alten Schreibweise, meint Maureen. Macht nichts, gibt man sich souverän, auch wenn man nur ein paar gälische Brocken versteht.

Mit der alten Schreibweise hat es folgendes auf sich: Einst gab es im Gälischen Konsonanten mit einem Punkt darüber. Sie waren nicht sehr stetig, diese Punkte, denn je nach grammatikalischem Zusammenhang kamen und gingen sie – zumindest die meisten. Um die Sprache der modernen Drucktechnik anzupassen, machte eine Kommission diese Punkte zu ‘h’s, die seither in Abhängigkeit vom Kontext hinter ihre Konsonanten huschen und wieder verschwinden. Wodurch sich manche Wörter, je nach dem, wo sie im Satz stehen, arg aufplustern und ihre ursprüngliche Gestalt geschickt verbergen. Doch andere treiben’s noch ärger: so tarnt sich das Wort cónaí (Wohnung) nicht nur als chónaí, sondern anderen Ortes auch als gcónaí. Und stößt man auf das Word rómhaith und sucht es im Lexikon, so muss man dort unter maith nachschlagen und kann dann endlich sagen: Tá mé rómhaith – mir geht’s zu gut.

Zurück in den nassen Galwayer Regen. A soft day, ein ‘weicher’ Tag, nennt man dergleichen in Irland. Ich habe keinen Appetit, und so lunchen mein Mädchen und ihre Cousine in einem französisch angehauchten Imbiss, derweil ich über die High Street bummle. Nicht weit von Kenny’s Bookshop ein anderes Antiquariat, das gar nicht so übel und auf jeden Fall preiswerter ist, doch ich finde auf Anhieb nichts. Und so sammle ich die Damen wieder ein und wir fahren am frühen Nachmittag die 80 Kilometer nach Renvyle zurück.

Am Abend sitzen wir in einer Bar in Clifden, nicht weit von uns zwei Musiker, beide mit dem Auto angereist. Während sich der eine den ganzen Abend über mit zwei Pints begnügt, frönt der andere dem Motto ‘Guinness is good for you’. In einer Pause fragt mein Mädchen den ersten, ob sein Kollege nach einem halben Dutzend Pints noch mit dem Auto nach Hause fahren kann. “Kein Problem für ihn, werden wir aufgeklärt, “ihr allerdings solltet in die Berge flüchten, wenn ihr ihn heute Nacht im Rückspiegel seht.”

Wir werden aufpassen!

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Mittwoch, 26. Juni 1996

Wir mussten heute Nacht nicht vor *** in die Berge flüchten, sind also ausgeschlafen und sitzen gegen zehn munter am Frühstückstisch. Ein Grund auf Pilgerfahrt zu gehen! Es muss ja nicht gleich der Croagh Patrick sein, der Kleine Patrick tut’s sicher auch.

Lough Inagh,© P. GuilfoyleKleiner Patrick, so nennen wir seit unserem ersten Irlandbesuch den St. Patrick’s Well, den Brunnen des Heiligen Patrick auf der Passhöhe von Maumeen, und unterscheiden den Berg damit vom ‘großen’, dem Croagh Patrick im County Mayo. Der Pass führt vom Inagh Valley über die Maumturk Mountains ins Joyce Country. Auf seiner höchsten Stelle befindet sich seit Menschengedenken ein heiliger Brunnen und noch nicht ganz so lange eine Kapelle. In der Osterwoche pilgert man hier ganz offiziell und barfüßig hoch. Da Ostern lange vorbei ist, machen wir’s in Schuhen.

In Schuhen ist der Aufstieg vom Inagh Valley her kein Problem. Beeindruckend das Tal unter uns, dahinter die Twelve Bens und dann das Meer – doch das sieht man nicht. Auf der Passhöhe eine Statue, ein Kreuzweg und rechts neben der verschlossenen Kapelle eine überdachte, nach vorne offene Andachtstätte mit einem steinernen Altar, unter der bei Regen die Passwanderer Schutz finden und eine Mahlzeit einnehmen können. Vielleicht hätte ein Heiliger der Neuzeit hier eine Imbissstube eingerichtet. Nicht zu vergessen der etwas abseits liegende heilige Brunnen, der derzeit aber nicht viel Wasser hergibt.

Wir rasten auf den Stufen vor dem steinernen Altar, beäugt von zwei Schafen. Rechts das Inagh Valley, aus dem wir gekommen sind, links unten das Maam Valley mit dem Joyce Country. Eine Gruppe Wanderer kommt von dort her hoch. Noch sind sie weit unten auf der großen Ebene, doch schneller als erwartet nehmen sie den Anstieg und überraschend schnell sind sie oben – ein ganz und gar unirisches Tempo. Sie halten sich nicht lange auf, marschieren an uns vorbei ins Inagh Valley. Vielleicht mit dem Ehrgeiz, die Zeitvorgaben in ihrem Wanderführer einzuhalten.

Nach Maam hin ist die Landschaft offener: bis ins Tal lässt sich der Weg mit dem Auge verfolgen, dahinter die Berge des Joyce Country. Eigentlich wäre ein Abstieg nach Maam interessanter, zudem hätten wir die Sonne im Rücken. Doch unser Auto wartet auf der anderen Seite, und so nehmen wir den alten Weg zurück.

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Donnerstag, 27. Juni 1996

Unser zweiter Besuch auf Clare Island, der Insel Gráinne Ní Mháilles respektive Grace O’Malleys*. Im Irisch Independent stand neulich etwas von einer neuen Fährverbindung ab Westport. Wohl weniger abenteuerlich, als mit dem schaukeligen Postboot vom glitschigen Roonah Quay bei Louisburgh, denken wir – wenngleich doppelt so teuer.

Am Hafen von Westport gibt es dort zu wenig Wasser für eine Fähre. So fährt uns ein bereits wartender Bus um die Bucht herum nach Rosmoney: Fahrtzeit mehr als eine halbe Stunde. Ein Pfund extra für den Transfer, was vorher nicht verraten wurde, denn sonst wären wir mit dem eigenen Auto dorthin gefahren. Aber auch in Rosmoney liegt die Fähre mangels genügend Wasser unterm Kiel nicht am Kai, sondern wir müssen ein Schlauchboot entern, das uns zu ihr bringt. Ein Abenteuer sondergleichen für uns Landratten. Die Zickzack-Fahrt bei trübem Wetter durch das flache, graue Wasser der Bucht dauert etwa anderthalb Stunden. Die Clew Bay ist ein sehr unwegsames Gewässer, was sie davor bewahrt, ein Seglerparadies zu werden. Vor mehr als 400 Jahren schützte sie Gráinne und ihren Clan vor Sir Bingham, der in Galway die Interessen Ihrer Majestät vertrat.

Clare Island ist immer noch so still, so sanft, so schön wie früher, auch wenn es nach alter Clare-Island-Sitte kurz nach unserer Ankunft zu regnen anfängt. Vor zwei Jahren waren wir die einzigen Touristen, die an der Mole unterhalb des Kastells dem Postboot entstiegen. Ein wuchtiger Turm, in dem Gráinne lebte, wenn sie auf ihrer Insel weilte. Diesmal kommen ein paar Touristen mehr; im einzigen Hotel der Insel übernachten sogar einige und sitzen gegen 11 Uhr am Frühstückstisch. Ein Auto mit einem 10-jährigen Burschen am Steuer kreuzt unseren Weg – es gibt keine Polizei auf der Insel. Die schmale Teerstraße führt vorbei an den wenigen Häusern des Hafenortes und einem kleinen, stinkenden Heizölkraftwerk, zieht sich dann die Südküste hoch, um unterhalb des 500 m hohen Knockmore am Westzipfel der Insel zu enden. Doch so weit wollen wir nicht. Die Postfrau auf einem Moped überholt uns und winkt, wir haben sie bereits am Hafen gesehen. Nach einer Viertelstunde kommt sie uns entgegen und lacht.

Die Straße vor uns steigt leicht an und liegt nun ein Stück über dem Meer. Grau und ruhig breitet es sich aus; jenseits der Bucht der Croagh Patrick, der seine Spitze in den Wolken versteckt. Noch weiter im Süden erheben sich grau verhangen die Berge um den Killary Harbour, und auch Inis Bó Finne, die Insel der weißen Kuh, soll man sehen können. Doch vielleicht muss das Wetter dazu klarer sein. Bei einer kleinen Ansiedlung biegen wir rechts ab. Hier wird und wurde bereits vor zwei Jahren eine Zisterzienserkirche aus dem 13. Jahrhundert restauriert, Gráinne Ní Mháille soll hier begraben sein. Einem Bericht zufolge wurden ihre Gebeine im vergangenen Jahrhundert von Schotten geraubt, um sie zu Dünger zu verarbeiten, ein seinerzeit nicht unübliches Gewerbe. Als dieser Dünger auf einem Feld ausgebracht wurde, fiel ein kleiner Knochen in einen Kohlkopf, an dem ein Mann erstickte, der die Engländer bei der Unterdrückung Irlands unterstützt hatte.

O'Malley's Foodstore, © 1996 Juergen KullmannWir wandern einmal um die Kirche, versuchen die Grabsteine der vielen O’Malleys zu entziffern, ehe es an O’Malley’s Foodstore vorbei den Berg hochgeht. Hinter einem kleinen See biegen wir rechts ab und haben von einer Anhöhe aus einen besonders schönen Blick über die moosgrünen Berge bis hin zum Meer, derweil es von oben etwas feucht wird. So machen wir uns wieder auf den Weg, der bergab durch ein kleines unwirtliches Tal führt, bedeckt von Farn, Ginster und Büschen. Nebel senkt sich herab, es nieselt. Da taucht links am Hang ein weißes Pferd auf, um einige Nuancen heller als der Nebel. Ohne Zaum und Zügel zupft es am Grün und schaut uns an. Der König der Elfen. Wir wandern über die Kuppe, der Zauber schwindet und der Weg bringt uns direkt zum Hafen.

Sunset at Clare Island, © Paul GuilfoyleIn der Bar des Inselhotels speisen wir wie weiland Irlands Staatspräsidentin Mary Robinson. Da es regnet, lassen wir uns Zeit, betrachten die historischen Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden der Lounge: Zeugnisse einer Epoche, die noch nichts von Touristen wusste. Dann wird es Zeit und wir schlendern zum Kai um die Fähre nicht zu verpassen, die uns zurück nach Rosmoney bringt. Das Schlauchboot bleibt uns erspart, denn der Skipper schafft es, mit der Bugspitze am Kai anzulegen, von wo aus die Passagiere mit Unterstützung der Crew über die Reling kletternd an Land gehen können. Der Bus nach Westport wartet schon, auf uns und die IR£ 1.00 pro Person.

Cousine Gisela fährt von Westport nach Renvyle zurück. Kurz vor einem See schreit sie auf: “Da steht er!” Sie wendet, fährt ein Stück zurück, bleibt im Schutze einer Hecke stehen. Private Detective Hildegard schleicht sich aus dem Wagen, lugt durch die Hecke, kommt zurück und teilt Chief Detective Gisela die Nummer eines silberfarbigen Autos oben am Haus mit. Gisela verifiziert die Nummer: eines der größten Geheimnisse der letzten zwei Jahre ist gelöst, der Wohnsitz von K. entdeckt.

Danach kann es an diesem Tag nichts Wichtiges mehr geben.

* siehe auch 15. Juni 1995

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Freitag, 28. Juni 1996

Der Tag klart allmählich auf. Nach einem kurzen Besuch im Craftshop der Nonnen zu Kylemore, wo wir einen Wanderführer für das kommende Jahr kaufen, fahren wir nach Clifden. Etwas lustlos sind wir heute: die Abreise morgen liegt uns im Magen. Wir schauen in ein paar Pubs, erkundigen uns, ob es am Abend Musik gibt, und machen einen kurzen Abstecher nach Cleggan. Ein Schild vor Joyce’s Pub: “Irish Music to-Night”. Doch auf Nachfrage stellt sich heraus: From the tape, vom Band.

Am Nachmittag wandern wir um die Spitze der Renvyle-Halbinsel, ein Weg, den wir noch nie gegangen sind. Unsere drei Wochen sind vorbei, viel zu kurz sind sie gewesen. Als wir vor einer halben Stunde loszogen, war es recht trüb, so dass der Fotorucksack im Cottage blieb. Nun haben wir durch ein Sonnenloch hindurch das herrlichste Licht unter grau-schwarzem Himmel. Man kann halt nicht alles fotografieren.

Am Abend singt George im Angler’s Rest. Er hat es immer noch nicht gelernt, schreit noch genauso wie im letzten Jahr, sieht aber gesunder aus. Seine inzwischen langen Haare haben sich in ein Hellblond verwandelt. Ich mag seine heisere Stimme nicht, gehe über die Straße ins Cottage und entfache das Torffeuer. Die Flammen lassen Schatten an den Wänden tanzen und ich übe mich auf der Tinwhistle, für Außenstehende wahrscheinlich genau so schrecklich wie der Gesang im Angler’s. Nach einer Weile kommen mein Mädchen und ihre Cousine nach. Gisela geht schlafen, und wir zwei sitzen noch eine Weile vor der Glut. Morgen müssen wir nach Deutschland zurück. Ein kleiner Rest ist noch in der Paddyflasche auf dem Kaminsims, und so

... fill to us the parting glass,
Good night and joy be with you all.

 
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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara, Galway und Mayo 1996
© 1999 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 27.10.2006