Irisches Tagebuch 2001

You will come back

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Sonnabend, 2. Juni 2001

Stationen einer Anreise

9.00 Uhr: Bei strömendem Regen verlassen wir rucksackbepackt und Trollys hinter uns herziehend das Haus Richtung Haltestelle Wasserstraße. Der Bus lässt nicht lange auf sich warten, Ankunft am Dortmunder Hauptbahnhof nach einmaligem Umsteigen gegen 9 Uhr 35.

9.57 Uhr: Abfahrt mit dem Westfalen-Express Richtung Düsseldorf. Der Schaffner akzeptiert die Flugtickets als auch für die Bahn geltend.

10.45 Uhr: Ankunft am Flughafenbahnhof und Einschecken am Lufthansaschalter, der sich auch für Aer Lingus zuständig fühlt. Für die Abfertigung der 10 Personen vor uns braucht die Dame dahinter ca. 50 Minuten. Die Irish Times schrieb kürzlich einmal ‘Lusthansa’, viel Lust für die Gesellschaft zu arbeiten scheint die Mitarbeiterin nicht zu haben.

11.45 Uhr: Fahrt mit dem völlig überfüllten Shuttle-Bus. Viele haben ihr Gepäck noch nicht aufgegeben, dazu herrscht unter den sich im schaukelnden Bus festhaltenden Reisenden Verwirrung, an welcher Station man denn nun aussteigen muss. Wir kriegen es geregelt und verlassen ihn am richtigen Terminal.

11.55 Uhr: Gisela steht in der Abflughalle C und händigt uns einen Umschlag mit IR£ 113,67 aus. Die blieben von ihrem letzten Irlandbesuch übrig und nächstes Jahr gelten die Tacken nicht mehr. Der Euro kommt.

13.40 Uhr: Pünktlich wie gewohnt hebt die Maschine Richtung Shannon ab. Der Flugkapitän kündigt leichten Regen und mäßige Temperaturen an.

14.25 Uhr Ortszeit: Landung in Shannon, so sanft, wie schon lange nicht mehr. Ob es kein Guinness im Cockpit gab?

15.15 Uhr: Shannon Airport, am Mietwagenschalter von National Car Rental. Wir sind die einzigen Kunden und legen unsern Aer-Lingus-Fly-and-Drive-Voucher vor. Die Dame ist leicht irritiert, denn auf dem Ticket steht nichts von ‘National Car Rental’. Wie wir erst jetzt bemerken, hat das Reisebüro schlicht vergessen den Namen der Verleihfirma einzutragen. Doch zum Glück sind wir in Irland: sie findet in ihren Buchungslisten einen Vorgang, der zu uns passt und glaubt uns, dass wir die dazugehörigen Personen sind.

15.45 Uhr: Abfahrt in Shannon in einem schwarzen Opel Corsa, Baujahr 2001. Er klappert ein wenig, wie es sich für einen drei Monate alten Opel gehört, hat dafür aber einen CD-Spieler. Ein praktisches Feature, denn so können wir die in den nächsten drei Wochen zu kaufenden CDs auch hören. Anders als in früheren Jahren halten wir nicht beim SuperValu von Gort; uns wurde empfohlen den Aldi in Galway testen. Dort soll der Wein so billig sein, und den braucht man nun einmal zum Kochen. Mitunter auch zum Trinken.

17.30 Uhr: Wir finden den Aldi, doch als wir den Einkaufswagen hineinrollen wollen, schließt er. Ein freundlicher junger Mann, dessen Hautfarbe sich vortrefflich mit dem gälischen Wort ‘dubh’ beschreiben lässt, empfiehlt einen Liddelll, doch das Interesse an deutschen Discountern ist uns abhanden gekommen.

Ende der Zeiterfassung: Uachter Árd nennt sich das Tor zu Connemara. Hier spielt die Uhr keine Rolle mehr und man weiß nichts von offiziellen Ladenöffnungszeiten. So erstehen wir bei Logan’s für 37 irische Pfund die Lebensmittelgrundaustattung für das erste Wochenende. Zudem gibt es hier den besten Italian Style Cheese with Garlic and Herbs zwischen Galway und Westport. Allerdings keinen Aceto Balsamico, und die Tomaten sehen uns entweder unsympathisch grün oder matschig rot an. Gut so, denn Veldon’s in Letterfrack und Brian in Tully Cross wollen auch noch an uns verdienen.

 
Wieder daheim

Gegen halb acht fahren wir in Tully Cross ein. O Schreck, da, wo bisher Curleys Haus und sein im Grunde viel schönerer wenngleich baufälliger Schuppen standen – also genau gegenüber unserem Cottage – sehen wir einen grauen Bauzaun und sonst nichts. Was das wohl wird? Hoffentlich machen die in den nächsten drei Wochen nicht so einen Lärm hinter der Bretterwand.

Der Cottageschlüssel steckt von außen an der Tür und wir treten ein, wie immer hat Anne schon vorgeheizt. Was ist das? Das schöne blaue, wenngleich leicht lädierte Delfter ist aus dem Dresser verschwunden und hat Platz für ein altrosa Country-Style-Geschirr gemacht. Schade, doch richten wir uns erst einmal ein!

Das übliche Ritual: Tisch vor die Wand geschoben, Stuhl auf den Tisch gestellt, hochgestiegen, Tür zum Dachboden aufgestoßen, die zentnerschwere unförmige Tasche herausgezerrt und langsam zu Boden gelassen. Tischdecke, Deckchen, Irish Writers hinter Glas, Kerzenhalter und Kerzen erblicken nach elf Monaten das Tageslicht. Komisch, diese vielen Wachskrümel in der Tasche! Doch weiter: Küchenutensilien, Salatschüsseln, Topf, Pfanne, Blechdose mit Gewürzen fürs neue Jahrtausend, eine übriggebliebene Obstkonserve vom letzten Jahr, unser Privatbesteck. Unser Radio, in Handtücher eingewickelt, eine Flasche mit Sonnenmilch – war wohl nicht richtig zu, alles ist feucht. War doch richtig zu, aber die Flasche hat unten ein Loch. Die Reisetasche auch, kreisrund. Da soll mal einer schlau daraus werden. Oder vielleicht eine Katze engagieren?

*  *  *

Keine Musik heute Abend in Tully Cross, weder im Paddy Coyne’s noch bei Sammon’s, verrät uns Brian im Laden. Wir brauchen noch Tomaten und Wasser, und eine Zeitung vom Tage hat er auch noch. Wie lange wir denn diesmal bleiben? “Three weeks, the same procedure as last year.” “The same procedure as every year!” Er lacht und wiegt die Tomaten ab.

Keine Musik in Tully Cross, und so wandern wir kurz vor zehn nach Tully ins Renvyle Inn. ‘Traditional Irish Music to-nite’ steht an der Tür und Feenish nennt sich die Gruppe. Kennen wir nicht, muss von auswärts sein. Doch halt: “Three pound admission fee per person!” Admission fee ??? Für Musik in einem Pub auf Renvyle? Oder meinte der junge Mann admission free? Meinte er nicht. Wir zahlen.

Ein hervorragender Flötenspieler, ein recht guter Akkordeonspieler und ein Gitarrist, der nicht singen kann, es aber nicht weiß. Wir sind überrascht, dass trotz der Eintrittsgebühr so viele lokale Pubnasen um uns sind, doch die waren wohl schon da, ehe der Kassierer seinen Platz an der Tür eingenommen hatte. Und da sitzt auch Rose im Gedränge, womit sichergestellt ist, dass man morgen früh in Mullaghgloss weiß, dass wir eingetroffen sind.

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Sonntag, 3. Juni 2001

Hätte ich ein altes Reisetagebuch zur Hand und würde den ersten Sonntag nach unserer Ankunft in Tully Cross aufschlagen, so müsste ich wohl nur das Datum ändern und könnte das meiste abschreiben.

Gestern Morgen beim Start in Düsseldorf hatte der Pilot Regen für Westirland angesagt, doch nichts da! Je weiter wir mit dem Auto nach Norden kamen, desto mehr lockerte es sich auf, und heute morgen scheint sogar die Sonne. Mein Mädchen putzt die Cottagefenster.

Beim Frühstück schaut Anne herein und wir werden unser Präsent los: ein Fläschchen Williams Christbirne – fühlt sich vielversprechend an, meint unsere Vermieterin beim Abtasten der Tüte – und ein Päckchen Mozartkugeln, erstanden auf dem Düsseldorfer Flughafen. Die Baustelle gegenüber werde uns nicht stören, versichert sie, wegen Erbstreitigkeiten sei sie für’s Erste stillgelegt. Man habe beim Verkauf des Grundstücks schlichtweg einen Erben übersehen, und der wolle nun sein Stück vom Kuchen. Wenn das Gebäude im nächsten Sommer fertig sei, werde es ganz gut ins Dorfbild passen, im Stil Angler’s Rest und auch nicht höher. Das beruhigt, auch wenn die Aussicht auf den grauen Bretterzaun nicht sehr schön ist.

Wir wandern die Halbinsel hoch, ein kurzer Abstecher in den Tankstellenladen von Tully. Keine neue Veröffentlichung der Letterfrack Writers Group in diesem Jahr. Weiter zum Renvyle Strand. Das Meer ist vor uns geflüchtet, erholt sich aber von seinem Schrecken und kommt langsam zurück, mit jedem Wellenschlag ein Stück weiter den von Quallen und Seetang bedeckten Strand hoch. Der Seetang erinnert an Vollwert-Bandnudeln, meint mein Mädchen. Wir klettern zu einem unserer Sitzsteine und sie lässt sich die Beine in der Sonne bräunen, auf dass auch die Mücken etwas davon haben.

*  *  *

Am Abend ist es rappelvoll im Angler’s Rest. “Welcome back”, Frank und Kieran machen Musik, und ehe wir uns versehen, hat Frank jedem von uns ein Pint Guinness spendiert. Im Juli erscheint seine erste CD, erzählt er. Wir lassen uns auf die Vormerkliste setzen und er verspricht, uns ein Vorabexemplar zu schicken. The Teenage Emigrant wird sie heißen.

Connemara hat beim Gaelic Football einen historischen Sieg errungen, und bei denen, die dies feiern, steht Country Music leider hoch im Kurs. Patrick Sammons steht hingegen in der Tür, überschlägt lächelnd die Tageseinnahmen und versucht durch rhythmische Bewegung der Tür etwas Luft in seinen Pub zu pumpen, damit es die Gäste noch lange aushalten. Das tun sie auch, und es ist bereits nach eins, als Frank endlich Amhrán na bhFiann anstimmt.

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Montag, 4. Juni 2001

Pfingstmontag und Bank Holiday – was die Clifdener Kaufleute nicht davon abhält ihre Läden zu öffnen. Geschlossen sind nur der Fischladen und die Bank of Ireland, der erste mangels Fisch, denn die Fischer hocken seit zwei Tagen in den Pubs.

Wir schlendern die Straße entlang und halten Ausschau nach Music to-nite Hinweisen, aber Fehlanzeige. Außer bei Manion’s, wo Großvater seit mehr als zehn Jahren allabendlich am Klavier sitzt, und bei King’s, wo sich seit ebenso langer Zeit die Möchtegern-Szene trifft und man sich die Beine in den Bauch steht.

Weather WisdomsJoyce’s an der Market Street – nur selten gelingt es mir den pinkfarbenen, handtuchschmalen Laden zu passieren ohne hineinzugehen. Neben vielem Krimskram gibt es fast immer etwas zu entdecken: ‘Gälisches’, das man noch nicht kennt, und meist für weniger Geld als in anderen Craft Shops und Buchhandlungen. ‘Irische Wetterweisheiten’ haben es mir diesmal angetan. Wer weiß, vielleicht kann man demnächst mit der einen oder anderen brillieren. Ob es ein Zufall ist, dass es mehr Regeln für Regen als für Sonne gibt? Wie wäre es mit dieser hier: Déanfaidh sé báisteach throm má thagann leipreachán an chlaí isteach sa chistin – Wenn der Leprechaun des Grabens in die Küche kommt, durchweicht Regen das Land. Wobei man wissen muss, dass im Irischen der Frosch der ‘Leprechaun des Grabens’ ist.

*  *  *

Bergsitzen, eine sportliche Betätigung, wie geschaffen für diesen sonnigen Nachmittag. Eigentlich wollten wir zum Tag der offenen Tür ins Little Killary Adventure Centre, doch die Türen und das Gatter an der Einfahrt sind geschlossen: Warnung vor der Maul-und-Klauenseuche, Zugang nur nach Absprache! Kein Mensch ist zu sehen, außer einem, der auf einem Dach sitzt und darauf herumhämmert. Will wohl die MKS-Erreger vertreiben. Also fahren wir zur Killarymündung hoch und parken vor dem Hostel, an dem die Straße endet. Ob es nach dem Auszug Wittgensteins im Jahr 1948 noch einmal einen Gast hatte? Nie haben wir jemand ein oder aus gehen sehen. Doch ganz alleine sind wir nicht. Eine Frau und ein kleiner Jungen stehen an der Pier und starren auf die unbewegte Wasseroberfläche. Ob sie etwas verloren haben? Dass der Kleine nur nicht hineinfällt! Da kräuselt sich das Wasser und ein Mann im Neoporenanzug taucht auf. “Daddy”, ruft der Junge.

Auf der Landzunge, die den Killaryfjord von seinem Ableger Little Killary trennt, erhebt sich mit 81 Metern das Mallnalackgebirge. Da wir auf Abenteuer aus sind, nehmen wir die Herausforderung an und klettern hoch. Die flache Steinkuppe auf dem Gipfel ladet zum Picknick ein. Eine Bergbesetzung – Bergsitzen als ultimatives Abenteuer! Links der kleine und rechts der große Killary, vor uns der Atlantik mit der Insel Inishturk. Ich habe vergessen, wie viele Bewohner sie hat, die Zahl liegt wohl im unteren zweistelligen Bereich. Vor zwei Monaten wurde dort die erste Hochzeit seit einem halben Jahrhundert gefeiert; das Ereignis war so wichtig, das die Irish Times darüber berichtete. Das logistische Hauptproblem soll gewesen sein, genügend Porter und Whiskey auf die Insel zu schaffen.

Seit zwei Stunden sitzen wir nun hier oben, und die Abendsonne taucht die Szene in ein Licht à la William Turner. Flach steht sie im Westen über dem Atlantik, eine schimmernde Spur hinterlassend. Doch bevor sich nun die Dunkelheit über den Mallnalack legt und wir uns in einem Kaninchenloch die Fußgelenke brechen, machen wir uns auf den Heimweg.

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Dienstag, 5. Juni 2001

Hildegard an Gisela – Letter From Home

Liebe Gisela – Seit zwei Tagen sind wir wieder zu Hause. In diesem Jahr mit einem grauen Bauzaun vor der Nase; nicht sehr schön, aber nicht zu ändern. Curley’s alter Butcher Shop wurde nun doch abgerissen und es entsteht ein 16-Zimmer-Hotel. Zur Zeit Baustopp wegen Erbschaftsprobleme – Gott sei Dank!

Bisher hatten wir sehr schönes Wetter. Irland scheint mir, verglichen mit unserer Märzreise nach Andalusien, eine sehr trockene Gegend zu sein. Kaum feuchte Stellen in den Bergen, hoffentlich bleibt das so. Unsere Cottageausstattung haben wir von Menschen unberührt auf dem Dachboden wiedergefunden. Allerdings nicht von Mäusen unberührt, denn eine Spezies dieser Art hat unsere Tasche besichtigt und an den Kerzen und der Flasche mit Sonnenmilch geknabbert. Hat ihr aber beides nicht geschmeckt.

Bis demnächst,
Hildegard”

Die Autorin fährt fort:

“Habe es mir anders überlegt und schreibe auf einem Zusatzblatt weiter, auf die Karte passt ja nichts. Werde alles zusammen in einen Briefumschlag packen. Zunächst weitere Nachrichten aus dem Cottage: Das blaue Geschirr ist weg; Teller und Tassen haben jetzt ein Rosenmuster. Hat uns etwas enttäuscht, doch es gibt keinen Nachschub mehr, sagt Anne Jack. Dafür haben wir jetzt einen Staubsauger, Funktionsfähigkeit noch nicht getestet. Allerdings hat die Kaffeemaschine das Zeitliche gesegnet, doch hatte ich in einer Vorahnung einen Plastik-Kaffeefilter in den Trolley gepackt und gieße den Kaffee nun allmorgendlich per Hand auf. Jürgen meint, es reiche ihm, wenn er an den 325 Nicht-Urlaubstagen im Jahr fürs Kaffeeaufgießen verantwortlich ist.

Aktuelles aus der Musikszene: Wegen der Maul-und-Klauenverseuchung sind die Touristen aus den USA und anderen Ländern weggeblieben und es gibt in Clifden keine Musik mehr, vor allem keine mit den Coynes. Du hast richtig gelesen! Spielte Kieran früher Mo, Di, und Mi in der Central Bar bzw. Barry’s Hotel, so herrscht dort jetzt die Woche über gähnende Leere.

Doch am Sonntag haben wir ihn mit Frank im Angler’s Rest gehört, just across the road, was will man mehr. Und sonnabends spielen die beiden bei Molly’s in Letterfrack, aber das ist auch schon alles. Was soll’s, wir wollten ja einen ruhigen Urlaub! Außerdem zeigen sich unerwartete Alternativen: Gestern, am Montag, war Bank Holiday, und da haben wir im Bard’s Den einigen lokalen Musikern gelauscht. Spät in der Nacht hat sich dann ein älterer Mann, Micky genannt, überreden lassen The Bogs of Shannaheever und Skibbereen zu singen. Fast so gut wie Phil Coyne, solltest du dich noch an die historische Session im Renvyle Inn erinnern. Die sprichwörtliche Nadel hätte man fallen hören können, und alles ohne Verstärker und Begleitung.

Heute nieselt es etwas und wir wollen selbst kochen, anschließend vielleicht noch auf ein Stout ins Paddy Coyne’s. Der Preis für dieses schwarze Stärkungsgetränk liegt derzeit bei IR£ 2.30. Wie üblich, ist wieder alles teurer geworden: bei Veldon’s gibt es am Abend kaum noch eine Mahlzeit unter 10 bis 11 Punt.

Noch etwas. Auf der Hinfahrt wollten wir beim Aldi in Galway einkaufen. Den Laden haben wir trotz Jürgen am Steuer (hoffentlich liest er das nicht, sonst steigt er demnächst aus, setzt sich mit seinem Tagebuch in den nächsten Pub, und ich muss fahren) sofort gefunden. Nur machte er unmittelbar vor unseren Nasen zu! So ein Pech auch !!! Folglich unterstützen wir nun die lokalen Läden, bis wir dann eines Tages noch einmal zu den Discountern nach Galway kommen. Schluss jetzt, meine Mückenstiche jucken! Vielleicht hilft dagegen ein Pint im Paddy Coyne’s.

Hildegard ”

*  *  *

Ergänzung des Chronisten

Aus dem Pint im Paddy Coyne’s wurde leider nichts. Vor zwei Tagen starb in einem Galwayer Hospiz eine Frau aus Renvyle und wurde heute Abend nach Tully Cross überführt. Ergo war es im Paddy Coyne’s so voll, dass man kein Bein auf die Erde bekam. So sitzen wir nun beim Kerzenlicht vor unserem Torffeuer und genehmigen uns ein Glas Lebenswasser.

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Mittwoch, 6. Juni 2001

Es regnet in Strömen, also das richtige Wetter für Galway, denn schon seit Jahren haben wir die Stadt nicht mehr im Regen erlebt. Zuvor ein Stopp bei der Post in Letterfrack, eine richtige Post noch, kein Postschalter in einem Laden. Die Postmeisterin ist die freundlichste Connemaras, doch was den Regentag in Galway betrifft, macht sie unsere Hoffnungen zunichte. Der Regen werde gegen Mittag aufhören, sie erkenne es am Horizont. Doch wo ist hier ein Horizont? Ich sehe nur grauen Dunst.

Wir brauchen ein paar Briefmarken und eine Telefonkarte. Bis vor einer Stunde glaubten wir im Besitz einer solchen zu sein, doch die, die mein Mädchen gestern für 10 Punt in Clifden erwarb, wird von der Telefonzelle des Ortes verschmäht. Es ist auch keine, erklärte uns ein technisch visierter Tourist, sondern eine Karte mit einem Code, den man telefonisch durchgeben muss, um dann mit seinem Handy zu telefonieren. Doch so etwas besitzen wir nicht. Zurückgeben können wir die Karte nicht, da wir die Versiegelung bereits geöffnet haben. Also trinken wir vier Pints weniger.

*  *  *

Erster Programmpunkt in Galway ist der Aldi. Hier gibt es Wein zum sensationellen Preis von unter drei Punt die Flasche, doch hätten wir gewusst, wie er schmeckt, wäre er nicht in den Einkaufswagen gewandert. Dann geht es zum Townhall Theatre, wo wir für den kommenden Montag zwei Karten zum Preis von je 10.50 Punt erworben. Dritter Programmpunkt ist das Tourist Office, das wieder einmal umgezogen ist. Für’s Büro erwerbe ich ein Poster Irish Writers, schließlich muss man bei den Kollegen seinem Ruf als ‘Irelandman’ gerecht werden. Der vierte Programmpunkt ist der wichtigste: durch die Stadt schlendern.

Beim Verlassen des Tourist Office beginnt die Nachmittagssonne zu scheinen, und so zeigt sich die City mit ihren bunten Ladenfronten wieder einmal von ihrer fotogensten Seite. Fast, denn warum um alles in der Welt reißt man in der Fußgängerzone das erst vor zwei Jahren gelegte Pflaster wieder heraus?

Galway Bay, © H. Vogt-KullmannDas Galway City Museum am Spanish Arch nimmt 1 Punt Eintritt pro Person, ein Tarif, bei dem man nicht nein sagen kann. Wo sonst gibt es noch Eintrittspreise unter vier Punt? Bei diesem unschlagbaren Angebot ist es verzeihlich, dass ich mehr oder weniger vergessen habe, was es zu sehen gab: alte Gerätschaften, Fotos von ‘Cladach in the rare ould times’ und alten irischen Eisenbahnen. Vor allem aber Zeitungsberichte vom Untergang der Titanic, woraus man schließen mag, dass der Eisberg, den sie rammte, in der Galway Bay lag. Und schließlich blicken wir von der Dachterrasse des Museums über die Bucht.

*  *  *

Es ist gegen halb neun, ein Torf-Brikett-Feuer knistert im Kamin und Knoblauchduft entweicht den Crab Claws auf unseren Teller. Dazu gibt es Salat ohne Ende und Brown Bread mit gesalzener Butter aus Kerry. Es klopft an der Tür, John Martin kommt herein. Er sei gerade eingetrudelt und hockte jetzt mit seinen Leuten im Paddy Coyne’s. Ob wir nicht rüberkommen wollten?

Eine halbe Stunde später sind wir drüben, man rückt zusammen und wir schieben uns mit einem von John spendierten Pint zwischen die mampfende Schar. Mein Mädchen, mit zehn Jahren Irlanderfahrung Mittelpunkt der Damenrunde, redet Englisch, als habe sie 10 Jahre vor ihrer Geburt damit begonnen. Derweil berichtet John, was er mit seiner Gang in den kommenden Tagen vorhat. Am Freitag Musik in der gediegenen Atmosphäre des Renvyle House Hotels, dann am Sonnabend als Kulturschock Frank und Charlies in der veruchten von Molly’s Bar. Beides steht auch auf unserem Plan.

Kurz nach elf zieht er mit den Seinen von dannen. Seit sieben in der Früh sind sie unterwegs und haben zwei wesentliche Punkte ihres Kulturprogramms bereits abgehakt: Traditional Irish Barfood in einem Traditional Irish Pub und die Präsentation der Traditional Irish Germans.

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Donnerstag, 7. Juni 2001

Ein Sonnenstrahl mogelt sich gegen neun Uhr in die Schlafstube – ein Grund dafür, nach dem Frühstück die Waschmaschine anzuwerfen. Und derweil die Wäsche eine Stunde später an der Leine flattert, fahren wir nach Kylemore, um uns von den Fortschritten bei der Restaurierung von Mitchel Henry’s Walled Victorian Garden zu überzeugen.

Vier Punt pro Nase kassiert man an der Pforte bei der Tullywee Bridge; mehr, als im letzten Jahr, doch um wie viel, darüber sind wir uns nicht einig. Der Pfad führt schräg den Hang hoch; jenseits des Tals der Diamond Hill, dessen kahle Kuppe in der Sonne glitzert. Immerhin haben die Nonnen auf halber Höhe eine Bank aufgestellt, auf der wir einen Teil des Wegezolls absitzen.

Kylemore Garden, © 2003 Juergen KullmannDen Garten habe ich schon oft genug beschrieben. Auf einer Bank links unten an der Mauer sitzend sehen wir zwei jungen Leuten beim Buddeln zu – mehr als halbvoll darf die Schubkarre nicht werden. Dann wandern wir den Hang hoch in die rechte oberen Ecke der Anlage und betrachten aus diesem Blickwinkel die (nicht von uns) geleistete Arbeit der letzten zwölf Monate. Weiter zur Dienstwohnung des vor hundert Jahren verstorbenen Obergärtners, dessen Geist über alles wacht und vor dessen weißem Haus man wunderbar in der Sonne sitzen, philosophieren, sinnieren und das Werk überblicken kann. Ein lange vergessener viktorianischer Garten, nun nicht länger geheim.

Eine Dame aus Dublin nähert sich und fragt mein Mädchen, ob sie die amtierende Obergärtnerin sei. Sie käme in jedem Sommer nach Connemara, wenn ihr die City mit den Touristen zu laut würde, ihre Seele hier baumeln zu lassen. Wie viele Seelen in den Bäumen dort drunten am Fluss wohl schon baumeln mögen. Auch die Dublinerin hat alle Stationen der Gartenrestaurierung miterlebt. Jeder, der einen Spatenstich dazu beigetragen hat, ist auf einer Tafel im früheren Geräteschuppen verzeichnet: Kieran aus Kylemore, Franks Sohn Kevin, nun mit einer Schweizerin in der Alpenrepublik lebend, unser Nachbar Noel, der Bestatter, zwei deutsche Gartenbaupraktikanten und ein weiteres Dutzend Namen. Nur wir, die wir mit unseren Eintrittsgeldern das alles finanziert haben, fehlen auf der Tafel.

*  *  *

Es wird Abend in Clifden. Wir kommen die Sky Road herunter, über die sich langsam der Schatten legt, während sich draußen in der Bucht noch die Sonne im Wasser spiegelt. ‘Rezoning’ lautet derzeit ein Reizwort. Rezoning bedeutet, den Hang zur Bucht für die weitere Bebauung zu erschließen – als ob nicht schon jetzt zu viel und zu schrecklich gebaut würde. Inzwischen befürchten selbst die Einheimischen, dass eine erneute Bombardierung des Hangs mit Bungalows die Touristen verscheucht. Und die machen sich bereits jetzt rar:

Es ist zehn Uhr, die beste In-den-Pub-geh-Zeit. Allerorten freie Parkplätze, und so sieht es in den Bars aus:

Central Bar: völlig leer
Barry’s: kein einziger Gast
D’Arcy’s: ein paar Gestalten an der Theke
Lowry’s: ein einsamer Trinker

Nur bei Manion’s und in King’s Bar herrscht ein gewisses Gedränge. Dort gibt’s Musik, aber keine, die uns gefällt. So fahren wir heim und treffen im Paddy Coyne’s John Martin mit seiner Gang. Charlie O’Malley kommt herein und erzählt, dass er am Sonnabend mit Frank in Molly’s spielt. Wir versprechen zu kommen.

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Freitag, 8. Juni 2001

Man nehme ein paar Morgen Moorland an einem See und entdecke darauf – wer sucht, der wird finden – einen:

  Shamrock Feenwald
  Shamrock Feenkreis
  Shamrock Leprechaunbaum
  Shamrock Bullenfelsen (was immer das auch sein mag)
  Shamrock Wunschbrunnen
  Shamrock Famine Grab
  Shamrock Penal Day Altar

Dann umzäune man das Ganze und stelle ein paar Schilder auf, damit die Sehenswürdigkeiten als solche erkannt werden – vor allem die tanzenden Feen im Feenwald, die ein ungebildeter Sterblicher nur zu allzu leicht für Mücken hält. Am Ende setze man einen Leprechaun in den Leprechaunbaum und kassiere vier Punt Eintritt pro Person.

Da der junge Mann in dem Bretterhäuschen an der Kreuzung von Maam Cross so sympathisch wirkt und uns an unseren früheren Irischlehrer erinnert, lassen wir uns davon überzeugen, dass uns Wesentliches entgeht, wenn wir diesen walk of lifetime nicht wahrnehmen. Doch mannigfache Hindernisse stellen sich ein:

   –

Die Informationszettel, die er uns mit auf den Weg geben will, sind verschwunden. Nach fünf Minuten findet er andere. Es steht aber nicht viel drauf.

   –

Die Einnahmen der letzten Tage erlauben es ihm nicht, auf 20 Punt 12 herauszugeben. Dann zahlen wir halt später, sollte er bei unserer Rückkehr noch in seinem Häuschen hocken.

   –

Der Schlüssel zum Tor aufs Gelände ist verschwunden und dieses verschlossen. Ergo werden wir ein Stück die Straße entlang geführt und gebeten, über den Zaun zu klettern. Vielleicht auch eine gute Idee für den Rückweg, meint mein Mädchen.

Der Weg ist wirklich hübsch. Tritt man aus dem Mücken ... sorry, Feenwald heraus, schlängelt er sich am Westufer von Lough Shintalla entlang, jenseits des Sees die kahlen Berge der Mamturk Mountains. Die ‘Old Galway Clifden Railway’ ist gleichfalls als Attraktion angekündigt, doch ist die vor fast 70 Jahren aufgegebene Strecke auf der anderen Seeseite nur auszumachen, wenn man weiß, dass es sie einmal gegeben hat. Strommasten entlang der früheren Trasse zeigen ihren Verlauf. Und dann eine Attraktion, die nicht angekündigt ist: ‘Scrín na maighdine’, der Schrein der Jungfrau: eine Höhle in einer Torfbank und darin eine Madonna in Blau.

Wegweiser Madonna

Zwei Stunden später kehren wir auf dem Heimweg bei den Joyces of Recess ein. Die Lammkoteletts sind noch so gut wie vor vier Jahren, als wir von Beartla aus An Cheathrú Rua kamen. Mintsauce gibt es auf Nachfrage. Da kommt unser Nachbar Noel durch die Tür und trinkt an der Bar ein Guinness. “Was macht der 15 Meilen von daheim zur besten Schaffenszeit in einer Kneipe?” “Kommt vielleicht von Oughterad”, meint mein Mädchen. “Dort ist das Funeral Home, und als Bestatter mag er dort gewisse Pflichten haben.”

Wir fahren weiter zum Mamean Pass. Auf einem neuen Schild am Gatter liest man MÁM ÉAN, was sich mit Vogelpass übersetzen lässt. Unsere alten Karten weisen ihn noch als ‘Maumeen’ (irisch: Máimín) aus, was ‘kleiner Pass’ bedeutet. Klein oder nicht klein, wir gehen durch das Tor und steigen – wie in jedem Jahr* – zum Bett und zur Waschstelle des heiligen Patrick hoch.

*  *  *

Am Abend gibt es Musik in der Bar des Renvyle House Hotels, doch obwohl die Dame eine gute Stimme hat, ist es nicht die Musik, die wir erwartet hatten. Das finden auch John Martin und seine Gang, von denen der Tipp kam. Noch vor Mitternacht ziehen wir gemeinsam wieder ab. See you tommorow at Molly’s!

** siehe 20. Juni 1998

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Reiseberichte Irland: Connemara 2001
© 2002 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 31.08.2006