Irisches Tagebuch 2005

Ganz weit weg

 

Prolog

Hildegard Vogt-Kullmann, © 1992 Juergen KullmannImmer wenn ich Stress habe, erinnere ich mich an einen Abend aus unserem ersten Irlandjahr. Es war 1992, und wir saßen im Renvyle Inn. Die zweite Urlaubswoche muss es gewesen sein, denn Frank kannten wir schon.

Eine Nacht mit Nieselregen und Wind, kein ‘goldener Abend’. Die Vorhänge waren zugezogen – ich weiß es noch, ein dunkelrotes englisches Blumenmuster. Der Pub war warm und trocken, das Licht gedämpft. Wir irgendwo an einem Tischchen, ‘Onkel Jochen’ mit seinen Segelohren im Hintergrund und an der Theke weitere Originale, die Gertrude Degenhardts Skizzenbuch hätten entsprungen sein können. An dem kleinen runden Tisch neben dem Eingang ein junger Mann aus dem Hostel im ersten Stock, nachdenklich-versonnen eine Ansichtskarte schreibend: Liebe Mutter, mir geht es gut ... Und Frank sang ‘Spancil Hill’:

Last night as I lay dreaming
Of pleasant days went by,
Me mind bein’ bent on rambling
To Ireland I did fly ...

Wenn ich nun zur Tür hinaus gehe, dachte ich, aus den Kaminen die Torffeuer rieche und über die Straße blicke, sehe ich die Bucht im Mondnacht-Licht, dahinter den Maol Réidh, die anderen Berge, und zwischen mir und Deutschland ist unendlich viel Wasser. Und die Arbeit ist ganz weit weg. Gut, dass ich nicht in der Firma bin.

Und gut, denke ich heute, dass wir nächste Woche wieder in Irland sind!

Hildegard

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Sonnabend, 4. Juni 2005

Aer Lingus nimmt es genau, selbst das Handgepäck wird gewogen. Doch wir haben Glück: alle Gepäckstücke liegen ein paar hundert Gramm unter dem Limit. Schwein gehabt, dass ich die schweren Wanderschuhe nicht im Koffer sondern an den Füßen trage, wo sie bislang keiner Gewichtskontrolle unterliegen.

Dafür starten wir heute recht pünktlich, es ist ein funkelnagelneuer Airbus mit Ledersitzen. Die alten Boeings mit den Sprüchen irischer Dichter auf den Bezügen haben wohl ausgedient, ‘Heavy traffic’ im Dubliner Luftraum beschert uns eine Ehrenrunde über der Hauptstadt, so dass wir dann doch zwanzig Minuten später als geplant landen.

Am Schalter von National Car Rental verläuft die Fahrzeugübernahme blitzschnell, schließlich hatten wir am Mittwoch brav unser Fast Track Application Form mit allen Daten nach Dublin gefaxt. Tipp: Kopie des Fax beim Autoabholen vorlegen, dann findet man den Vorgang auch tatsächlich fast = schnell. Da wir (a) ‘frequent renter’ sind und (b) für volle drei Wochen mieten, meint die Dame hinter dem Tresen, wolle sie uns ein etwas größeres Auto fürs gleiche Geld geben. Vor allem ein etwas höheres, stellen wir fest. Renault Modus steht hinten drauf.

An einem Juni-Holiday-Weekend quer über die Insel nach Westen – was das bedeutet, darüber habe ich mich schon vor einem Jahr ausgelassen, muss nun aber den Namen des Ortes mit dem größten Stau korrigieren: Moate. Aber Loughrea ist auch nicht ohne.

Nach zwei Zwischenstopps (Lunch bei Mother Hubberts, Einkaufen bei Lidl in Athlone) sind wir gegen Viertel nach acht in Letterfrack. Ein Sprung rein zu Sally, die verrät, dass es heute Abend Musik bei ihr gibt, und dann die Renvyle-Halbinsel hoch zum Cottage. Neben der Tür steht ein Sack Torf, doch zum Gepäck ausladen und Cottage einrichten tut’s auch die Heizung, die Anne Jack bereits angeworfen hat.

*  *  *

Zwei Stunden später sind wir wieder in Molly’s Bar, deren Landlady Sally heißt. Mag sein, dass Guinness stark macht – munter nicht unbedingt, wenn man seit 18 Stunden auf den Beinen ist. Frank singt It’s a Long Way from Clare to Here (dabei kommen wir doch von der Ostküste!), Charlie begleitet ihn auf dem Akkordeon und Tom, der auch als Sekretär der Letterfrack Writers’ Group fungiert, wünscht uns ein ‘welcome back’ und freut sich, dass wir uns seiner Mutter Nora erinnern, die zu ihren Lebzeiten hier in der Ecke saß, wenn Frank musizierte, und sich das Lied über Molly Mallone wünschte:

... And her ghost wheels her barrow
Through streets broad and narrow
Crying cockles and mussels
A-live, a-live oh!

Wer weiß, ob Noras Geist heute Abend nicht auch hier sitzt.

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Sonntag, 5. Juni 2005

Erwartungsgemäß klappt es noch nicht so recht mit der Umstellung der inneren Uhr. Kurz nach Mitternacht hundemüde ins Bett gekommen, ist mein Mädchen kurz nach sieben schon wieder munter. Gegen acht huscht Anne Jack am Cottage vorbei, wagt aber nicht anzuklopfen. Dann ein traditional Irish Breakfast – zumindest ‘more traditional’ als bei Aer Lingus, wo man es ohne Eier serviert. Das Abspülen übernimmt der Ehemann.

*  *  *

Die Straße ist fast menschenleer, als wir nach Tully rauf und dann zur Gurteen Pier hinunterwandern, womit der Juni 2005 so beginnt, wie der Juni 2004 endete. Auch das Wetter ist das gleiche, und die Liebste hat dieselbe gelbe Jacke an. Der Kreislauf des Lebens.

Bis in die 50-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts spielte das Fischen eine wichtige Rolle für den Lebensunterhalt der Bewohner der Halbinsel. Red Pat Heanue aus Renvyle erzählt:

“Vierzig Jahre lang fuhr ich im Curragh auf Fischfang, Hummer und Lachs. Heute baut keiner mehr Curraghs. [...] Wir verkauften den Lachs an Coyne’s in Tully Cross. Davon gab es damals eine ganze Menge. Man glaubte damals, dass es ein schlechter Tag werden würde, wenn ein Fischer auf dem Weg zum Boot einer Frau begegnete. Ammenmärchen, denk ich, alles Unsinn.

Als wir zum ersten Mal zum Fischen ausfuhren und die Netze ins Boot packten, sprengte man noch Weihwasser auf die Vier von der Crew. Dann ging’s los. Man sagte, dass wenn Fischer auf See beteten, dies ein Zeichen für Aufgabe war und sie ertrinken würden. Deshalb beteten sie nicht, solange sie nicht wirklich völlig verzweifelt waren.”

Hidden Connemara, hg. von Erin Gibbons. Conneamara West Press, 1991

Aber heute ist das Meer nur leicht bewegt, kein Grund zu völliger Verzweiflung, weder auf See noch an Land. Links vom Kai schaukelt ein Boot mit hochgezogenem Außenborder im Wasser, und in der Ferne verhüllt der Croagh Patrick sein Haupt in den Wolken.

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Montag, 6. Juni 2005

Der erste Montag im Juni ist Bank Holiday. Ein arbeitsfreier Tag, außer man arbeitet in einem Business, das auf Touristen setzt. Der eine oder andere Laden schätzt das falsch ein, zum Beispiel der Kramwaren-Discounter an der Market Street, dessen Tür sich verschlossen zeigt. So müssen wir das für unsere HiFi-Anlage (Portabler CD-Spieler + zwei Computerlautsprecher) benötigte Verlängerungskabel mit Mehrfachsteckdose anderen Ortes erwerben, womit ihm ein Umsatz von € 5,99 entgeht.

Was gibt es Neues in Clifden? Als im letzten Jahr rund um die Market und Main Street Parkgebühren eingeführt wurden, ließen wir den Wagen von da an am Ortseingang auf dem Platz vor der St. Joseph’s Church stehen, was die Kirche während unserer nunmehr 11-monatigen Abwesenheit auf eine Idee zur Verbesserung ihrer Einnahmesituation brachte. So finden wir nun auch hier einen Parkscheinautomaten, doch kostet es nur halb soviel wie in der ‘City’. Ein Anreiz, hier dennoch zu parken.

Wir kaufen ein: neben besagter Verlängerungsschnur (der Haushaltswaren-Laden an der Bridge Street hat geöffnet) ein paar Lebensmittel im SuperValu sowie im Paper Shop Briefumschläge und -papier. Auf die offerierten Briefmarken verzichten wir – schließlich will man den Umsatz Postmeisterin von Letterfrack ankurbeln und ihren Job sichern.

*  *  *

An einem sonnigen Nachmittag vor dem Cottage sitzen und den Irish Independent lesen – ohne dem wäre ein Urlaub kein Urlaub. Anne Jack kommt auf einen Begrüßungsschnack vorbei und wir erfahren, was mit Cottage No. 4 passiert ist, dessen Reetdach abgefackelt ist. Funkenflug von Unbekannt, lautete die offizielle Version. Ein purer Zufall also, dass zur gleichen Zeit auf dem Feld dahinter *** seinen Abfall verbrannte. Zum Glück griff der Brand nicht auf die anderen Dächer über und niemand wurde verletzt. Doch vor dem Herbst, meint Anne, wird nichts aus dem Wiederaufbau, und der Einnahmeausfall tue ihnen schon weh.

*  *  *

Wir fahren nach Mullaghgloss. Es ist warm, und Johnnie sitzt in einem Gartenstuhl, während sein Jüngster die Hecke schneidet. Fünf Wochen lag er in Galway im Krankenhaus; eine Lungenentzündung und keiner hatte an sein Überleben geglaubt. Vor wenigen Tagen erhielten wir in arg zittriger Schrift einen Brief von ihm, in dem er mitteilte, dass er wieder zu Hause sei, aber zu schwach, um in den Pub zu gehen. Ein hartes Schicksal! Wir sollten doch mal vorbeischauen, wenn wir wieder im Lande sind.

Johnnie macht einen weniger hinfälligen Eindruck als befürchtet, steht auf und umarmt mein Mädchen. Im November wird er 85. Er grinst: das hätte er ja gerade noch geschafft! Was ? Das Umarmen ? Nein, sich die Haare schneiden zu lassen, antwortet er. Erst gestern habe er Rose gesagt, sie müsse ihm nun aber bald die Haare schneiden – ehe Hildegard and Jürgen ‘home’ kämen. Dann aber fix, habe Rose gesagt, denn sie seien bereits ‘home’.

Ein hübsches Auto hätten wir, doch die Zeiten der gemeinsamen nach-mitternächtlichen Fahrten von Clifden nach Mullaghgloss seien wohl endgültig vorbei. Und er erzählt von noch älteren Zeiten, als man, wenn man nicht zu Fuß ging, mit dem Pferdekarren nach Tully Cross fuhr:

Mullaghgloss 1945, © Juergen Kullmann
Johnnie (3. v.l.) und Margaret um 1945 in Mullaghgloss

Zurück in die Gegenwart. Wir rücken unser Mitbringsel heraus, den Wandteppich mit der Fiddle. Doch zum Auspacken gehen wir zu Margaret ins Haus.

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Dienstag, 7. Juni 2005

Die innere Uhr passt sich langsam der Connemara-Zeit an; immerhin ist es schon nach acht, als wir uns aus dem Bett begeben. Frühstücken, bei Brian die Zeitung holen, auf den Wetterbericht schauen und den Rest überfliegen. Dienstags gibt es die Beilage für Farmer, und darin findet sich heute ein Bericht, dass die jungen Leute die Landwirtschaft als Lebensperspektive zunehmend interessant finden.

*  *  *

Grau der Himmel, doch immerhin ist es trocken, als wir auf den Parkplatz von Kylemore Abbey fahren. Elf Euro verlangt man für einen Blick auf den viktorianischen Garten – nein danke! Wir schlendern durch den Craftshop, in den man auch ohne Ticket gelangt, kaufen aber nichts. Wer solche Eintrittspreise nimmt, dessen Shop mag man nicht fördern.

Visions of Iar ChonnachtDa geben wir unser Geld lieber in Leenaun aus, für eine blaue aran-like Jacke aus dem Lädchen an der Brücke, und nach einem herzlichen ‘welcome back’ von ‘Mr. Leenaun Cultural Centre’ erwerben wir bei ihm die Visions of Iar Chonnacht, ein schön gestaltetes Buch mit Texten von Michael Gibbons und Bildern von Reingard Gahan. Eine gebürtige Duisburgerin, die letzte. Hatte ich kürzlich ‘dass nichts bleibt, wie es war’ lamentiert? Mr. O’Toole widerspricht. Was die Städte betreffe, stimme es vielleicht, doch auf dem Lande habe sich nur wenig geändert. Leenaun sei noch fast wie vor zehn Jahren. Und das sei auch gut so!

*  *  *

Sharon ShannonLunch bei Veldon’s in Letterfrack. Auch hier ist das meiste geblieben, wie es war, inbegriffen das Roasted Pork on Mustard Mash auf der Speisekarte. Nur dass die Wandfotos von den springenden Delphinen in der Killary Bay noch mehr verblichen sind und die im vergangenen Jahr arg zerfetzten Bezüge der Bänke und Hocker erneuert wurden. Da beginnt hinter uns ein Akkordeon zu spielen, betätigt von Sharon Shannon aus dem County Clare, die gestern Abend zur Überfüllung des Bard’s Den beigetragen hatte. So kommen wir auch noch an Tischmusik.

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Mittwoch, 8. Juni 2005

Mindestens elf Jahre sind es her, dass wir das letzte Mal den Connemara National Park besucht hatten. Zeit also, diese Bekanntschaft zu erneuern, allein schon deshalb, weil es heute eine geführte Wanderung durch seine Flora und Fauna gibt. Mit € 2,75 pro Person ein für Irland ausgesprochen preiswertes Vergnügen!

Dazu ein feuchtes, doch nur von unten. Etwas schmunzelnd betrachtet die Parkführerin die weißen Turnschuhe einiger Teilnehmer und kommentiert, in zwei Stunden wären sie wohl nicht mehr so weiß und die Füße ihrer Besitzer weniger trocken. Zunächst aber ist unsere Truppe ein Festschmaus für die Midges, die am Sammelpunkt vor dem Besucherzentrum über uns herfallen. Ob sie den Eintrittspreis subventionieren? Man beginnt sich mit allem, was man hat, zu verhüllen. Nun ein Bank betreten, und ...

Doch wir betreten nur simple Torfbänke, die für die Midges weniger interessant zu sein scheinen, so dass man sich wieder zu enthüllen beginnt und die Gesichter der Wanderer erkennbar werden. Vor uns ein weißes Pony auf einer Torfbank, den Blick auf das ferne Meer gerichtet – Niamhs Schimmel aus Tír na nÓg? Es scheint an Bogwanderer gewohnt zu sein, derweil die in ein diffuses, schattenloses Licht getauchte Landschaft etwas Unwirkliches hat. Eine Szene für ein Scharz-Weiß-Foto oder eine Zeichnung: Sanft fällt das hügelige Moor zum Ballynakill Harbour ab, jenseits der Bucht im leichten Dunst der Tully Mountain oder Letter Hill, wie ihn die Einheimischen nennen.

So stapfen wir fast zwei Stunden durchs Moor, uns die eine oder andere Pflanze erklären lassend, wobei mit größtem Wohlwollen ein Blümchen aufgenommen wird, das sich von Mücken ernährt. Einzelheiten sind dem Faltblatt der Parkverwaltung zu entnehmen, das an der Pforte erhältlich ist. Seit einiger Zeit wird hier auch wieder Rotwild angesiedelt, dessen Bestand vor 150 Jahren erloschen war. Inzwischen wächst die Population und die Frage erhebt sich, was man machen wird, sollte sie eines Tages Überhand nehmen. Eine klare Antwort darauf gibt es nicht, doch die Vermutungen konzentrieren sich auf ein Day’s Special bei Veldon’s in Letterfrack.

*  *  *

Am Nachmittag sitzen wir bei Hochwasser oberhalb des Renvyle-Strandes und blicken über das Meer, bis in der Nacht ein Michael Cary in Lowry’s Bar in Clifden ‘for Hildegard and Jürgen’ die Hills of Donegal besingt:

In the city of Chicago,
As the evening shadows fall
There are people dreaming
Of the hills of Donegal.

Da hat sich der Junge doch tatsächlich gemerkt, was mein Mädchen im vergangenen Jahr ‘requestete’. Kein Wunder, meint diese, schließlich ist er Franks Schwiegersohn.

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Donnerstag, 9. Juni 2005

Tully Cross, Tully und die Townlands der Renvyle-Halbinsel: da wohnt das brave Landvolk, bei dem der Enkel noch spurt, wenn Opa etwas sagt, das sonntags in die Kirche geht und sich – von der Einhaltung der Sperrstunden abgesehen – an Recht und Ordnung hält.

Und nun zu Cleggan jenseits des Ballynakill Harbour. Ein alter Schmugglerhafen, schreibt Michael Gibbons. Um 1820 gab es nichts Schlimmeres für die Konstabler von Clifden, als nach Cleggan geschickt zu werden, wo die Armee der O’Malleys mit dem legendären Captain George O’Malley an ihrer Spitze schon auf sie wartete. Bis in unsere Tage werden Lieder über ihn gesungen, doch seine Aufzeichnungen wurden nie veröffentlicht. Noch heute wirkt die Pier Bar am Hafen mit ihrem heruntergekommenen Mobiliar und den zerfetzten Hockerbezügen, auf denen sich zur Sperrstunde bilderbuchreife Gestalten lümmeln, wie eine Schmugglerkneipe.

Doch heute Mittag hat sie geschlossen, derweil wir über die unaufgeräumte Mole schlendern und beobachten, was auf die Fähre nach Inishbofin geladen wird. Zuletzt kommen die Tagesausflügler an die Reihe. Dann legt das Boot ab, ein Matrose springt noch rasch an Bord und wir gehen zum Auto zurück.

*  *  *

Renvyle Beach, © Paul GuilfoyleEin Nachmittag am Renvyle Strand. Wolken am Himmel jenseits der Bucht, scheinbar frei über ihnen schwebend die kahle Kuppe des Maol Réidh. Dann ist sie verschwunden, doch rechts davon schwimmt nun ein anderer Gipfel im Wolkenmeer. Weitere Berge tauchen auf und verschwinden, bis sich die Wolken gegen Abend verziehen. Mein Mädchen läuft zum Strand hinunter und lässt ihre von den Midges (32 gezählte Stiche) gepeinigten Waden vom Meerwasser umspülen.

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Freitag, 10. Juni 2005

Von Jahr zu Jahr wird es schwerer, in Galway einen Parkplatz zu finden. Auf dem Tagesparkplatz gegenüber dem Lidl ist jede Box besetzt, bis nach der dritten Runde ein netter Mensch herausfährt und uns mit dem Tipp, die drei Euro lieber in einen Tee zu investieren, seinen Parkschein überlässt.

Ich vergaß zu erwähnen, dass wir beim Einrichten am Sonnabend unsere private Tischdecke nicht wiederfanden. Mag sein, dass die Leprechauns sie bei einer Fete auf dem Dachboden haben mitgehen lassen. So fristen wir mit der schnöden Wachstuchdecke aus dem offiziellen Cottage-Fundus ein arg kulturloses Dasein, denn wie es aussieht, wird im aktuellen National Development Plan (NDP) der Handel mit Tischdecken nicht als vordringlich für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes betrachtet. Ein Geschäft zu finden, das Tischdecken jenseits von Wachstuch-Meterware führt, erweist sich als ausgesprochen schwierig. In Clifden waren wir zu Wochenanfang gescheitert und hoffen nun auf Galway, der Hauptstadt der Grafschaft.

Es sieht schlecht aus, doch als wir schon resignieren wollen, bekommen wir einen Tipp. Und in der Tat, Ryans großer, neuer Edel-Haushaltswarenladen stellt sage und schreibe zwei Tischdeckentypen zur Auswahl, diversifiziert nach vier Farben und verschiedenen Größen. Galway, die wahre* Kulturhauptstadt Europas! Wir entscheiden uns für eine hellgoldgelbe.

*  *  *

Auf unserer Karte ist er noch nicht eingezeichnet, doch seit Ende April kann man über einen anderthalb Kilometer langen ‘Causeway’ nach Mutton Island, einer Leuchtturminsel in der Galway Bay, laufen. Fast, denn am Ende des Damms stößt man, den Leuchtturm und weiteres historisches Gemäuer bereits vor Augen, auf ein Tor mit dem Hinweis, dass der Öffentlichkeit der Zugang verwehrt ist. Das kling wie militärisches Sperrgebiet, nach einem Wachposten gegen die wilden O’Flahertys aus Connemara, vor denen im ausgehenden Mittelalter über dem westlichen Stadttor göttlicher Beistand erfleht wurde. Oder ist es ein Schutzgebiet für bedrohte Vogel- und Feenarten?

Evening at Galway Docks, © Paul GuilfoyleWir betrachten das Panorama. Jenseits der Bucht erkennt man den Burren; wie ein ausgegossener Pudding sieht er aus, meint mein Mädchen, zu Ringen erstarrt. Weiter links die Docks mit den Hafenanlagen. Vielleicht hätte mehr aus ihnen werden können, denn in den 1850-er Jahren verfolgte ein Gruppe von Kaufleuten den Plan, die Stadt zu einem Überseehafen zu machen. Missmanagement und zahlreiche Unfälle ließen das Projekt scheitern, wobei das Gerücht umging, dass eine die Konkurrenz Galways fürchtende ‘Liverpool-Connection’ ihre Finger dabei im Spiel hatte.

Wir vertreten uns da lieber die Beine und wandern, während der Nachmittag in den Abend übergeht, in die Stadt zurück.

* Galway hatte sich als europäische Kulturhauptstadt 2005 beworben, doch machte am Ende Cork das Rennen.

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Reiseberichte Irland: Connemara 2005
© 2006 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 13.02.2007