Irisches Tagebuch 2006

Thugamar féin an samhradh linn

 

Sonnabend, 3. Juni 2006

SEileen Óg, © 2006 Juergen Kullmanno! Nachdem sich Maureen hier schon des öfteren zu Wort gemeldet hat, will ich auch mal was sagen. Nicht, dass ich etwas gegen Maureen habe, doch ihr Geist, auf den sie so stolz ist, ist doch arg auf geistige Getränke fixiert. Sir Edward und Sergeant Pepper meinen das auch. Und überhaupt, diese Rutscherei über Regenbögen und so weiter, die die drei behaupten jedes Jahr nach Tully Cross zu machen, ist nichts im Vergleich zu den Anstrengungen, die ich bei der Anreise im Rucksack auf mich nehme. Doch einer muss ja den Leihwagen nach Renvyle navigieren, und wer könnte das besser als ein Schaf!

gez. Eileen Óg

Der Chronist fährt fort

Und in der Tat, mit Eileen Ógs Hilfe entkommen wir dem Großraum Dublin so fix wie nie zuvor. Die M 1 sparen wir uns, fahren stattdessen über die Swords Road vorbei an den Langzeitparkplätzen zur M 50-Auffahrt No. 4.

Westward bound! Die Nachfahren der Wikinger knöpfen uns bei der Fahrt über die Liffey € 1,80 ab, dann will der Clan eines geschäftstüchtigen Häuptlings für die Nutzung eines kürzlich fertiggestellten Teilstücks der neuen Ost-West-Autobahn € 2,50 von uns. Mit Mother Hubbert’s steht er auf Kriegsfuß, denn er hat den neuen Motorway großräumig um den berühmten Trucker-Treff herumgeführt. Doch nicht deshalb haben die Trucker zum Boykott der Autobahn aufgerufen; viel mehr stört sie, dass sie für die Nutzung € 6,50 zahlen sollen. Uns kann es nur Recht sein, denn so bleibt sie lastwagenfrei.

Leider hat die neue Autobahn das über die Grafschaftsgrenzen hinaus für seine Verkehrsmarmelade berüchtigte Städtchen Moate noch nicht erreicht. An Holiday-Weekends beginnt der Stau bereits zwei Kilometer vor dem Ort, wir brauchen mehr als eine halbe Stunde, um ihn zu bewältigen. Einkaufen im Lidl von Athlone, und dann finden wir vor Galway eine Dependance von Mother Hubbert’s, an der Irlands ost-westliche Hauptverkehrsachse noch vorbeiführt. Wir essen zu Abend, ehe wir die letzten 100 km in Angriff nehmen. Gegen halb acht sind wir zu Hause.

Renvyle Thatched Cottages, IrlandTully Cross mit seinen reetgedeckten Cottages vor der Kulisse der Twelve Bens hat sich kaum verändert, doch ein paar Kilometer vor dem Ort in Letterfrack ist der Bauboom ausgebrochen. Links neben Veldon’s ein fast fertiggestelltes imposantes Gebäude, dessen Zweckbestimmung uns zunächst verborgen bleibt, und rechts neben Molly’s wird etwas nicht weniger Monströses hochgezogen. “Ferienappartements”, erklärt Frank, als wir ihn zwei Stunden später in der Bar treffen, wo er mit Charlie für die Musik sorgt. Und das, wo man allerorten liest, dass der Westen unter dem Fortbleiben der Touristen leidet. Doch wichtiger ist, wie es Johnnie geht, der um Ostern einen Schlaganfall erlitten hatte. “Mal so, mal so”, meint Frank. Das Kurzzeitgedächtnis habe gelitten, doch der ‘wit’ sei seinem Vater nicht abhanden bekommen.

Wir sind müde und man sieht es uns an. “Guinness will keep you alive”, meint Sally, doch es hilft nicht viel. € 3,50 nimmt sie für das Pint, das ist der gleiche Preis wie im vergangenen Jahr. So singt Frank noch rasch Isle of Hope, Isle of Tears “für die müden Augen von Hildegard und Jürgen aus Germany”, ehe die beiden sich gegen halb zwölf auf den Weg in ihr Cottage machen. 20 Stunden nach ihrem Aufbruch in Dortmund kommen sie ins Bett.

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Sonntag, 4. Juni 2006

Thugamar féin an samradh linn – wir haben den Sommer mitgebracht. Mitgebracht nach Dublin, von wo aus er uns nach Renvyle folgte. Wie lange er wohl bleibt? Es ist Sonntagmorgen und die Halbinsel ruht. Wir sind allein auf der Welt. Der ganze Urlaub liegt noch vor uns, jung und neugierig wie der beginnende Tag. Wir schlendern nach Tully und dann zur Pier hinunter, glasklar das Wasser hinter der wuchtigen Kaimauer. Glas ist das gälische Wort für grün, und so leuchtet es in der Tiefe. Zwei Curraghs schaukeln auf dem Wasser.

An Tulach, Irland, © Hildegard Vogt-KullmannJenseits des Baches, der hinter der Pier fast unbemerkt ins Meer plätschert, wandern wir zur Straße zurück, vorbei am Fuchsia House B&B und der Villa Hügel. Ob ihre Besitzer mit denen von Bohlen und Halbach verwandt sind? Sie scheinen noch zu schlafen. Rechts voraus taucht die bunte Häuserreihe von Tully auf, dahinter dunkel der Tully Mountain.

*  *  *

Am frühen Nachmittag, wir bereiten gerade unser Lunch vor, schaut Anne Jack herein.

 
Eileen Óg mischt sich ein:

“Das war aber eine nette Landlady! Hat sie doch gleich nach meinem Namen gefragt und kennt ganz bestimmt auch mein Lied:

Eíleen Óg, an’ that my darling’s name is
Through the barony her features they are famous
If we love her, who is there to blame us
For wasn’t she the pride of Tully Cross.

A very decent person, in der Tat! Kein Vergleich zu meinen beiden Mitreisenden, die heute Mittag meinten, ich solle mal zur Pier runtergehen. Die jungen Lämmer dort würden ihren Müttern nicht glauben, dass im Cottage ein ‘Schaf im blauen Schlafanzug’ wohnt. Eine Geschichte wie die vom Osterhasen, hätte ein Lamm gesagt, der die kleinen Schafe bringt. Blauer Schlafanzug, eine Un-ver-schämt-heit! Und ich hab’ die zwei nach Renvyle navigiert. Määh!”

Der Chronist fährt fort

Man hat es nicht leicht, wenn man mit einem Schaf reist, doch Bären, erzählt Anne Jack, stellen noch höhere Ansprüche. So hatte vor einiger Zeit ein englisches Ehepaar einen Hochstuhl mitgebracht, damit ihr Teddy mit ihnen frühstücken konnte. Ob er Wildlachs bekam?

Heute Abend erwartet uns Musik bei Sammon’s, doch noch sitzen wir mit zwei Töpfen Kaffee vor dem Cottage. “Kann ich mal sehen, was du da schreibst?” Mein Mädchen blickt zu mir rüber. “Gib ihr schon das Heft”, ruft Eileen Óg von drinnen. “Was Frauen wollen, kriegen sie auch.”

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Montag, 5. Juni 2006

Der Sommer geht in den dritten Tag, und sein Ende ist noch nicht abzusehen. “Sonnecreme in Reichweite halten”, lautet die Empfehlung des Irish Independent. Bis auf 28 Grad sollen die Temperaturen in dieser Woche steigen.

Momentan wären wir schon zufrieden, wenn ein 14 Jahre alter, metallisch-grüner Golf mit dem Kennzeichen

92-MO-9**

Vor dem Cottage in Tullycross, Irlandaußerhalb unserer Reichweite wäre. Seit gestern Vormittag steht er in der Einfahrt vor dem Cottage, derweil sein Besitzer nach dem Besuch einer der beiden Pubs gegenüber irgendwo seinen Rausch ausschläft. Man könnte ihm die Luft aus den Reifen lassen, doch dann wäre die Chance, dass er in absehbarer Zeit ‘removed’ wird, eher noch geringer. So stibitze ich aus dem Malbeutel meines Mädchen eine Tube rote Farbe und ein Stück Karton, greife zum Pinsel und klebe mein Werk mit Isolierband an die Mauer neben der Tür:

NO CAR PARK. BEWARE OF THE BULL

gez. McCabe

Das sollte reichen, ‘The Bull McCabe’, dargestellt von Richard Harris im nicht weit von hier gedrehten Film The Field, ist jedem ein Begriff.

Dann fahren wir nach Clifden. Abgesehen von der Bank und der Post, haben an diesem Holiday Weekend alle Läden geöffnet. Wir parken kostenfrei am Station House und ich mache noch rasch ein Foto von der Ostseite des früheren Bahnhofs, ehe die Sonne nach Westen wandert. Auch der alte Personenwagen, der schon seit Jahren auf die angekündigte Restaurierung wartet und immer mehr zerfällt, wird abgelichtet.

Clifden arbeitet an seinem Ruf als Hauptstadt Connemaras. Der Baukomplex am Spire ist fertiggestellt und wird im wesentlichen vom SuperValu eingenommen. Mal gespannt, was aus den alten Geschäftsräumen des Supermarkts schräg gegenüber wird. Große Plakate machen Werbung für eine Produktlinie, die mit den Preisen von Aldi und Lidl konkurrieren soll. Leute, fahrt nicht mehr nach Galway, kauft in Clifden ein!

*  *  *

Zurück aus der Stadt, sind wir am Strand hinter dem Renvyle House Hotel. Eine Yacht ankert in der Bucht, um sie herum paddeln Kinder in einem Schlauchboot. Mein Mädchen übt sich im Wassertreten und wagt sich dann ganz ins kühle Nass.

Das Renvyle House am Renvyle Strand, Oliver St. John Gogarty kann es besser beschreiben als ich. Ein Auszug aus seinem 1936 erschienenen Buch ‘As I Was Going Down Sackville Street’, hier in der Übersetzung von Gerhard Edler:

Mein Haus steht auch am See, aber es steht auch am Meer. Wasserlilien begegnen goldenem Seetang. Es ist, als ob in dem Märchenland Connemara am äußersten Ende Europas das Unvereinbare schließlich zusammenflösse; und das Süße und das Bittere ineinander übergingen. Hinter mir haben Inseln und bergiges Festland teil an der endgültigen Versöhnung an diesem Ende der Welt. Ich sitze auf einer kleinen Terrasse, von der man den See überblickt, und beobachte den weitentfernten Schimmer des Ozeans jenseits einer dünnen grünen Linie in mittlerer Entfernung. Es ist gut, die Augen zu entspannen und den Blick in die Weite schweifen zu lassen.

Quelle: Oliver St. John Gogarty: As I Was Going Down Sackville. Street. Merlin Verlag, Gifkendorf 1996

Vor mehr als 70 Jahre wurden diese Zeilen geschrieben. Statt auf einer Terrasse sitze ich auf einem Stein am Ufer, doch sonst hat sich nicht viel geändert.

*  *  *

Es geht auf 10 Uhr zu, und wir stehen erneut an Gogartys Renvylestrand, sind diesmal mit dem Auto gekommen und haben es hinter dem Hotel abgestellt. Im Westen geht die Sonne unter, vor uns liegt ein magisches Schimmern auf dem Wasser.

Wir wenden uns ab und schlendern den Weg zum Hotel hoch, vorbei an lieblosen Anbauten mit Personalräumen. Charlie sitzt bei offenem Fenster im Auto, wartet auf seinen Freund Frank, wie er sagt. Wir bedanken uns für die beiden Pints, die er uns gestern Abend spendiert hatte: da ordert man für sich und seine Liebste zwei Pint und wird, wenn man das Portmonee zückt, informiert, dass C. bereits gezahlt hat. Dann hatte sich Charlie von dannen gemacht, während sich Frank und Kieran im Dublin in the Green (musikalisch) der IRA anschlossen.

Wir wandern noch einmal ans Meer, bis wir Frank die Hotelzufahrt hochkommen sehen und die Musik in der Bar beginnt.

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Dienstag, 6. Juni 2006

NTwelve Bens, Connemara, Irland, © 1993 Juergen Kullmannun währt der Sommer schon vier volle Tage. Wir machen uns auf, den Diamond Hill zu bezwingen – mit freundlicher Unterstützung der Verwaltung des Connemara-Nationalparks, die einen Rundwanderweg über seinen diamantengleich schimmernden Gipfel gelegt hat. In den letzten Jahren war der Aufstieg untersagt, davor zwar nicht direkt verboten, doch wurde seit Anfang der 90-er Jahre darum gebeten, wegen Erosion und Landschaftsgefährdung auf die Besteigung zu verzichten. Jetzt hat man über die sumpfigen Moorwiesen zu seinem Fuße Holzstege gelegt, den Anstieg durch unauffällig arrangierte Felsblöcke gesichert und einen offiziellen Wanderweg ausgewiesen.

Karte Diamond HillUnbezwingbar sieht der Berg aus der Ferne aus, doch das Nationalparkamt hat seine Sache so gut gemacht, dass es auch ‘non-qualified hillwalker’ bis zum Gipfel schaffen, auf dem wir nach anderthalb Stunden etwas aus der Puste geraten stehen. Connemara liegt uns zu Füßen, unter uns das Tal von Kylemore mit dem Schloss, der Kapelle und dem Walled Victorian Garden am Südhang des Doughruagh, dann weiter hinten die Insel Gráinne Ní Mháilles und am Horizont das Eiland Heinrich Bölls.

Wir wenden uns nach Westen, der Blick streift Inishbofin und wandert weiter nach links. In einem Tal verborgen muss irgendwo Clifden liegen, das Meer dahinter glänzt am Horizont. Nach einer weiteren Linksdrehung, nun weist der Blick schon nach Süden, erkennt man den Errisbeg, den Hausberg Roundstones. Davor noch erhebt sich der Cregg mit seinem Sendemast, von dem aus sich auch weit ins Land schauen lässt, wenngleich die Aussicht nicht so grandios ist wie hier.

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Mittwoch, 7. Juni 2006

Der Sommer schien sich verabschiedet zu haben, belehrt uns bei der Ankunft in Clifden jedoch eines Besseren. Wir besuchen Johnnie, der vor einiger Zeit von Galway ins hiesige Bezirkskrankenhaus verlegt wurde.

Er sitzt angezogen auf einem Stuhl am Fenster, liest die Zeitung und erkennt uns auf Anhieb. Mit seinem Kurzzeitgedächtnis ist es schlecht bestellt, ansonsten kann er sich an alles erinnern. Die Liebe halte ihn am Leben, grinst er, während eine Schwester im Vorbeigehen mit im flirtet. Dann staubsaugt und wischfudelt sie um uns herum, kramt seinen Geigenkasten unter dem Bett hervor und legt ihn auf die Decke. “Morgen bring ich meine Fiddle auch mit”, raunt sie ihm zu, “und dann zeigen wir denen, wie man die Betten zum Tanzen bringt!”

Johnnie schüttelt wenig überzeugt den Kopf: Er habe neulich mit einem Akkordeonspieler vom Bett nebenan ein paar Melodien probiert, doch seine Finger hätten nicht gewollt. Grausam habe es geklungen!

Das Clifden District Hospital, erst seit kurzem besitzt es ein eigenes Röntgengerät, hatten wir uns nach all den negativen Zeitungsberichten über das irische Gesundheitssystem viel schrecklicher vorgestellt. Es hat 35 Betten. Kommt man durch den Haupteingang, liegt rechts die Abteilung für die Damen und links die für die Herren, jeweils ein großer Saal, der durch verstellbare Wände in Zweibett-Appartements unterteilt ist. Johnnies Abteil befindet sich gleich hinter der Tür am Fenster, das Nachbarbett ist leer.

Es herrscht keine Hektik, jeder, der vorbeikommt, ist zu einem Schwätzchen aufgelegt. Johnnie hofft, in den nächsten Tagen entlassen zu werden. Wir drücken ihm die Daumen.

*  *  *

At Home in RenvyleNach einem Besuch am Renvylestrand sitzen wir vor dem Cottage und beobachten das Dorfleben, blättern dabei im Wechsel in der Zeitung und Tim O’Sullivans kürzlich erschienenem Kochbuch. Unser Exemplar ist vom Autor signiert. Wenn Johnnie schon einen Schwiegersohn hat, der Chefkoch im Renvyle House Hotel ist und ein Buch mit Rezepten herausgibt, müssen wir zumindest eine seiner Kreationen ausprobieren. Daher gibt es heute:

Ueberschrift

Die Zutaten, im folgenden für vier Personen angegeben, haben wir aus Clifden mitgebracht, das Rezept findet sich auf Seite 47:

Zutaten für den Fisch     Zutaten für die Sauce
600 g frisches Kabeljaufilet
4 Scheiben geräucherter Lachs
4 Dessertlöffel Meerrettich-Sauce
1 Tl. gehackter, frischer Dill
50 g Sesam-Samen
Saft einer halben Zitrone
50 g Butter
35 ml. Olivenöl
Salz & Pfeffer
  3 gehackte Schalotten
2 gehäutete und gewürfelte Tomaten
20 ml weißen Weinessig
20 ml Weißwein
100 g Butter
100 ml Sahne
Saft einer halben Zitrone

Zubreitung Sauce: In einer schweren Pfanne Schalotten, Essig und Wein drei bis vier Minuten kochen lassen, dann die Sahne hinzugeben, erneut zum Kochen bringen und vom Herd nehmen. Die Butter hineinschlagen, Tomaten und Zitronensaft hinzugeben und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Bei mittlerer Hitze warm halten.

Zubereitung Fisch: Backofen auf ca. 200 °C vorheizen. Fisch mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft würzen und Meerrettich bestreichen, den Lachs darüber legen, mit Dill und Sesamsamen bestreuen und in einer Pfanne mit heißem Olivenöl ein Minute lang versiegeln. Den Fisch dann für zehn Minuten in den vorgeheizten Backofen geben.

Zubreitung Lauch: Den Lauch (wir werden Frühlingszwiebeln nehmen) in Butter braten, Sahne hinzugeben und mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Und so wird serviert: Lauch auf vier warme Teller verteilen, Fisch aus dem Ofen nehmen und darüber arrangieren. Mit der Tomanten-Zitronen-Buttersauce anrichten.

Mal sehen, was daraus wird, aber noch ist es zum Kochen zu früh. Ein Auto hält vor Noels Haus und ein Mann mit einer Videokamera steigt aus, gefolgt von einem zweiten im Business-Dress. Die Kamera richtet sich auf unser Cottage und schwenkt zur Tür. Ob unsere No-Car-Park-Warnung – sie hat übrigens gewirkt – heute Abend in den landesweiten Nachrichten zu sehen ist?

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Donnerstag, 8. Juni 2006

Sechs Tage Sommer an einem Stück, wann gab es das schon einmal? Das schmale Band der Straße, das sich vor der Kulisse der Twelve Bens über die Hügel des Moors schlängelt, bringt uns die Erinnerung an den ersten Irlandurlaub vor vierzehn Jahren zurück. Wie damals sind wir auf dem Weg nach Kylemore, diesmal um im Craftshop der Benediktinerinnen nach einem Geburtstagsgeschenk für Katharina Ausschau zu halten. Das von den Nonnen geführte Mädcheninternat wird im August 2010 die Pforten schließen, doch das Schloss aus dem 19. Jahrhundert mit dem 140 Jahre alten, von einer hohen Mauer eingefassten viktorianischen Garten soll für Besucher zugänglich bleiben. Der Craftshop wohl auch.

Wir haben ein Geschenk gefunden, ein rotes Schmuckkästchen. Weiter geht es nach Leenaun, wo wir, so unser Eindruck, vom Betreiber des Cultural Centre genauso herzlich begrüßt werden, wie 1992 Staatspräsidentin Mary Robinson. Für € 8,90 entdecke ich ein elfhundert Seiten starkes Buch mit Gespenster- und Geistererzählungen, mindestens ein Drittel davon von Le Fanu, dem 1873 verstorbenen irischen Meister viktorianischer Schauergeschichten. Bisher kannte ich ihn nur in deutscher Übersetzung. Mit zwei Terrinen Fischsuppe und einer Kanne Tee ziehen wir uns auf eine Bank vor das Gebäude zurück, blättern ein wenig in dem Buch und beobachten die Wolkenbewegungen über dem Fjord.

Die Fischsuppe ist die leckerste Westirlands, vor allem, wenn man sie mit einem Extraspritzer Zitrone verfeinert. Das mag mein Mädchen dem Koch aber nicht sagen, und so werden die Zitronenspalten ‘for the tea’ geordert.

*  *  *

Nach einem Badeaufenthalt am Glassilaun-Strand sitzen wir vor dem Cottage. Es wird Abend. Ein Zettel am Eingang der Maol Reidh Lodge verkündet, dass das Restaurant ausgebucht ist, sehr ungewöhnlich an einem Donnerstag im Juni. “Fällt Ihnen dabei etwas ein, Dr. Watson?” Mr. Holmes sieht des Doktors ratlose Miene und lächelt milde: “John Martin ist wieder im Lande.”

Mr. Holmes hatte Recht, eine Viertelstunde später stoppt Wallace’s Kleinbus vor dem Hotel. John steigt mit einer neuen Reisegruppe aus und schickt die Gang zum Essen ins Haus. Dann kommt er kurz zu uns rüber und wir verabreden uns für halb zehn im Paddy Coyne’s.

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Freitag, 9. Juni 2006

Sollte der irische Sommer diesmal eine ganze Woche währen? Er geht in den siebten Tag und wir fahren nach Galway. Mein Mädchen will shoppen! Apropos shoppen: auf dem Hinflug las ich im Aer-Lingus-Magazin ein Interview mit der Schriftstellerin Marian Keyes. Eine Passage ist mir im Gedächtnis geblieben:

Frage: Mit welcher Persönlichkeit der Weltgeschichte würden sie am liebsten ihren Urlaub verbringen und warum?

Antwort: Mit meinem Mann, denn er schaltet sein iPod aus, wenn ich es ihm sage, und trägt meine Einkaufstaschen.

Also darf auch ich mit nach Galway.

 
Mein Mädchen meldet sich zu Wort

Gegen Mittag kommen wir endlich an – erst die Pflicht (Lidl), dann die Kür (freies Shoppen). Mein armer Schatz hat es sichtlich schwer: so viele Läden mit (Sonder-)Angeboten. Und drinnen mangelt es an Umkleidekabinen, so dass man jedes Mal Schlange stehen muss, auch an der Kasse, wenn man etwas gefunden hat.

Im Superbilligladen Penney’s finde ich nach langem Stöbern am Ende dann doch nichts, und im Dunnes Store kann ich mich nicht entscheiden. Bis ich schließlich in einer kleinen Boutique, die ich von früher her kannte, dank der Empfehlung meines Liebsten fündig werde: ein kurzer, netzartiger, schlammfarbener Pullover. Ein außergewöhnliches Design, und dazu von 78 auf 39 € runtergesetzt! Nach diesem mutigen Start geht die Bluse aus dem Dunnes Store auch noch mit, 15 Euro das Teilchen. Die kurze Hose vom Stand nebenan packe ich – der Liebste soll nicht länger warten – ohne Anprobe gleich mit ein. Sie wird schon passen!

Anschließend zu Mittag essen, ein Jacke für Mutter kaufen, eine Kerze für das Cottage und ein paar Scones – mann, was war ich geschafft. Doch es war ein toller Tag! Nur mein armer Liebster hat sich total gelangweilt. Und zu Hause hat die Hose dann doch nicht gepasst, aber ich kann sie innerhalb von 28 Tagen umtauschen – herrlich, so müssen wir noch einmal zum Shoppen nach Galway!

 
Der Chronist fährt fort

Eating Out at Nimmo’s, © Paul GuilfoyleEin Nachtrag zum Lunch in der Bar des Spanish Arch Hotel. Der Galway Advertiser liegt aus. Ich blättere ein wenig darin und stoße auf die Rubrik ‘Eating Out’. Ein Gemälde von Paul Guilfoyle ist abgebildet, Eating Out at Nimmo’s, doch hier geht es nicht um Kunst-Kritik, sondern der Experte des Advertiser hat die Lokalität und das Können des Kochs des Restaurants getestet und weit unterhalb der Fähigkeiten des Malers eingestuft. ‘Ein Desaster für rund 70 Euro (2 kleine Bier, 2 Starter, 2 Hauptgerichte), lautet sein Resümee. Aus dem Ladies’ Restroom sei seine Begleiterin nur noch geflüchtet.

*  *  *

Die Sonne sinkt über Cladach und der Galway Bay, auf die die bedauernswerten Gäste aus Nimmo’s Restaurant blicken können, und wir fahren heim. Ein kurzer Stopp an der Bahnstation von An Teach Dóite (Maam Cross), an der vor 71 Jahren der letzte Zug hielt. Ein Foto des alten Gemäuers in der warmen Abendsonne ist angedacht ... doch sie zieht sich genau in dem Moment zurück, in dem wir aus dem Auto steigen. Ein paar Mal blinzelt sie kurz durch ein Wolkenloch, und wir machen zwei oder drei Aufnahmen.

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Reiseberichte Irland: Connemara 2006
© 2006 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 27.02.2007