Irisches Tagebuch 2008

God bless all here ... except the cat

 

Sonnabend, 7. Juni 2008

Der große Stau bei Moate fällt aus, fällt so sehr aus, dass wir freiwillig anhalten und eine Rast einlegen. Der Tuar Ard Coffee Shop war einst eine Kirche. Wir sitzen vor der offenen Tür in der Sonne, blicken über den Platz zur heutigen Kirche hinüber und versuchen, unter der Panade unserer Hühnchen nach Art der amerikanischen Südstaaten eben diese Hühnchen zu finden. Es ist gar nicht so einfach!

Ein starker Rückenwind hatte uns in weniger als anderthalb Stunden von Düsseldorf nach Dublin gebracht. Es war noch keine zwölf, als wir landeten, mindestens zehn Minuten vor der Zeit. Das Auto, ein ‘fairly new car’, wie das Irish colleen hinter dem Schalter von AVIS erklärte, stellte sich als ein Nissan Note mit gerade einmal 1.500 km auf dem Tacho heraus. Wir kämen ihr irgendwie bekannt vor, meinte sie, ob wir schon letztes Jahr ein Fahrzeug gemietet hätten? Ein Marketing-Trick von AVIS?

Ein handliches, fast fabrikneues Auto mit Klimaanlage, und so machte es uns auch nichts aus, dass wir uns beim Absetzen aus dem Großraum Dublin gleich zweimal verfuhren. Ich hasse diese zweispurigen Kreisverkehre mit ihrer unübersichtlichen Beschilderung, bei denen man blitzschnell entscheiden muss, wann man von der Innen- zur Außenspur zu wechseln hat, um schließlich die richtige Ausfahrt – und nicht ein anderes Fahrzeug – zu treffen.

Doch jetzt sitzen wir in Moate in der Sonne und stärken uns. “Gewonnen!” Mein Mädchen hat als Erste unter ihrer Panade ein Stückchen Huhn gefunden.

Bis Kilbeggan geht mittlerweile die Autobahn, und im nächsten Jahr soll sie an Moate vorbeiführen und in die vierspurige Umgehungsstraße von Athlone münden. Ob wir uns dann auch noch beim Lidl in Athlone mit Lebensmitteln eindecken, oder den erst nächsten in Ballinasloe aufsuchen? 140 Euro geben wir diesmal aus. Die Annahme, dass das Wissen um einen im Vergleich zum Vorjahr kleineren Kofferraum das weibliche Wesen dazu bewegt, weniger in den Einkaufswagen zu legen, erweist sich als trügerisch.

*  *  *

Boo und Eileen in IrlandIn Connemara wird der Himmel grau. Ein paar Regentropfen fallen, und wie durch ein Wunder setzt sich der Scheibenwischer von selbst in Bewegung. Was es nicht alles gibt! Regnet es kräftiger, so bewegt er sich schneller, lässt er nach, wird er wieder langsamer. “Boo! macht das”, behauptete unser Reise- und Navigationsschaf Eileen Óg (rechts im Bild). Wie dem auch sei, auch bei grauem Himmel und Regen ist Connemara schön. Manchmal gerade dann.

*  *  *

Um halb acht sind wir in Tully Cross. Aus den Cottagefenstern dringt Licht, der Schlüssel steckt außen an der Tür und die Heizung läuft. Wir holen unsere private property – sie ist diesmal unversehrt – vom Dachboden, richten uns ein und wandern auf ein Pint zu Sammon’s.

Nach Mitternacht

Es miaut! Nicht draußen vor dem Fenster, wie ich glaube, sondern im Zimmer, wie die Liebste feststellt. Durch einen Spalt, hat sich die Tullycrosser Cottage-Katze (siehe Reisebericht 2007) den Weg ins Schlafzimmer gebahnt. Eine Katze im Bett?

“Ich will ja nur an den Kamin”, meint die Katz, “doch die Tür nach nebenan ist zu.” Und so huscht sie nach dem Öffnen der Tür hinüber und springt aufs Sofa. “Nichts da, nicht ohne eine Beteiligung an der rental rate”, meint die Liebste und expediert sie nach draußen. Die Katze mault, doch gegen mein Mädchen hat selbst eine Katze keine Chance.

God bless all here, except the cat!

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Sonntag, 8. Juni 2008

Hildegard an Brigitte & Klaus – Brief aus Tully Cross

Hallo Klaus, hallo Brigitte – nach einem Jahr Hausrenovierung in Tönning ist es der erste Urlaubstag, an dem wir keine Lampen aufhängen, Löcher dübeln, Fenster streichen oder uns sonst irgendwie handwerklich betätigen. Es war aber auch dringend einmal nötig!

Es kam uns ganz komisch vor, von früh bis spät so gut wie nichts zu tun. Wir sind spazieren gegangen, dann habe ich einen Mittagsschlaf gehalten, und nun sitzen wir vor dem Cottage, das wir wieder nett eingerichtet und dekoriert haben. Tully Cross hat sich kaum verändert. Es ist nicht so warm wie in Dortmund, aber mild und fast windstill. Der Geruch von Torffeuern liegt in der Luft. Wir hoffen, dass heute Abend auch Musik in der Luft liegen wird.

Cottage Herd in Irland, © Juergen KullmannDoch zuvor müssen wir noch unsere ‘neue’ Küche einweihen, denn Anne Jack hat in einen neuen Herd und neue Töpfe investiert! Dass es diese Elektroöfen mit Metallspiralen als Heizflächen überhaupt noch gibt, hat uns gewundert! Zum Dinner gibt es – Eileen Óg schaut mir gerade über die Schulter – Wolfskoteletts Cottage Style. Viele Grüße nach Fischbachtal von

Hildegard, Jürgen, Eileen Óg und einer
schwarz-weißen Cottage-Katze”

Postskriptum: Dieses Faible meiner Mitreisenden für Wolfsbraten kommt mir langsam verdächtig vor. Vor allem in Kombination mit Mintsauce.

gez. Eileen Óg.

~ Der Chronist fährt fort ~

“So gut wie nichts gemacht ...?” Nach dem ersten Frühstück auf irischem Boden sind wir wie üblich nach Tully gewandert. Vor ihrem Haus gegenüber der Health Station kratzt Frau Dr. Nee das Unkraut vom Gehweg. Wollen wir hoffen, dass wir sie in den kommenden drei Wochen nicht an ihrem Arbeitsplatz auf der anderen Straßenseite aufsuchen müssen.

Dann geht es am Tankstellenladen vorbei zum Meer hinunter. Wir passieren ‘Ireland in the rare old times’, ein murkeliges, in den letzten Jahren immer mal wieder übertünchtes Cottage. Neben der Eingangstür ein wildes Durcheinander aus Gerümpel und Kinderspielzeug und mittendrin eine Schar Hühner, die sich mit ihrem Hahn auf der Bank unter dem Fenster versammeln.

“Eine Konferenz der Suppenhühner?” Ein großes Protestgegacker schallt mir entgegen. Als ‘approved Irish free range Legehühner’ seien sie akkreditiert, ansonsten wären sie schon längst ausgewandert. Und in der Tat, es gibt weder Zäune noch andere Barrieren, die eine Hühnerschar daran hindern könnten, sich mit ihrem Hahn vor dem Kochtopf in Sicherheit zu bringen.

Strand in Irland, © 2008 Juergen KullmannWir sind am Kai, an dem wie üblich keine Schiffe liegen, und setzen uns auf eine kleine Mauer. Die Steine sind ganz warm. ‘Between the Silences’ lautet der Titel eines Heftes mit Gedichten und Texten der Letterfrack Writers Group, das vor Jahren erschien. Wir sitzen inmitten dieser Stille und haben den ganzen Urlaub noch vor uns. Rechts im Gras liegt ein frischgeteertes Ruderboot. Oisín Óg, der junge Oskar, liest man in weißer Schrift am Bug. Die Geschichte von Oisín und Niamh kommt mir in den Sinn:

Eines Tages stand Oisín, Sohn des Fionn Mac Cumhaill, dem Anführers der Fianna, am Strand, als Niamh von dem goldenen Haar auf einem weißen Pferd übers Meer geritten kam. Die beiden verlieben sich, und Niamh nimmt den jungen Oisín mit ins Tír na nÓg, dem Land der ewigen Jugend.

Glücklich leben sie dort, und dreihundert Jahre verstreichen wie drei. Schließlich verspürt Oisín das Verlangen, seine alten Freunde wiederzusehen, aber Niamh rät ab. Irland sei nicht mehr das Land, das er verlassen habe. Seine Freunde seien tot, und statt der Fianna hätten Heilige und Priester das Sagen. Doch Oisín hört nicht auf die Worte seiner Frau. Schweren Herzens überlässt sie ihm ihre weiße Stute, warnt aber davor, vom Pferd zu steigen und irischen Boden zu betreten.

Natürlich passiert genau das, und im gleichen Moment wird Oisín zu einem uralten, fast blinden Mann. Man führt ihn zu St. Patrick, der gerade Irland christianisiert hat. Er philosophiert mit dem Heiligen über Gott und die Welt und stirbt.

Schritte hinter uns, zwei Jugendliche aus dem Land der Gegenwart stapfen über den Anleger. Am Ende des Kais zieht einer von ihnen einen Hummerkorb hoch, findet nur Seegras darin, nimmt es heraus und lässt den Korb wieder hinab. Dann ein Klatschen. Die Youngster hechten per Kopfsprung ins Wasser – bei ablaufendem, da muss man wissen, wo es tief genug ist. Prustend und kreischend tauchen sie wieder auf.

*  *  *

Am Abend gibt es gegenüber bei Sammon’s Musik. Kieran erkennen wir kaum wieder; er hat sich einen Bart wachsen lassen, der ihm ausgesprochen gut steht. Er umarmt mein Mädchen. Frank, zurückhaltend wie immer, berichtet, dass sein fünfter Enkel in Anmarsch ist. As time goes by ... am 27. März, verrät er, wird er 60.

Im sechzehnten Jahr sind wir nun schon hier.

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Montag, 9. Juni 2008

Ein erster Ausflug nach Clifden. Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich nicht viel geändert, die Sprünge des keltischen Tigers sind kleiner geworden. Der neue Finanzminister Brian Lenihan will selbst eine ‘vorrübergehende’ Rezession nicht ausschließen.

Das Clifden Station House Theatre hat seit November letzten Jahres die Pforten geöffnet; im Hotel gegenüber gibt es das aktuelle Programmheft. Im Jahr 1895 wurde das Gebäude als Lagerschuppen der neu eröffneten Midland Great Western Railway in Betrieb genommen und diente diesem Zweck, bis 1935 der letzte Zug von Clifden nach Galway dampfte. Dann vergaß man es abzureißen und es lag in einem Dämmerschlaf, bis ein kluger Kopf vor zwei Jahren auf die Idee kam, es für Theater-, Film- und Konzert-Veranstaltungen umzubauen.

Wir schlendern durch einige Läden, erstehen ein paar Ansichtskarten und lunchen im Off the Square Restaurant an der Main Street. Auf ‘Pan fried Sea Bass’, Wolfsbarsch aus der Pfanne, fällt die Wahl. “Wie erkundigt man sich wohl nach den Beilagen?” grübelt mein Mädchen, derweil sich der Kellner nähert. “Dazu gibt es gestampfte Kartoffeln und Gemüse”, nimmt dieser grinsend eine Antwort vorweg. Ein Zugereister aus Freiburg im Breisgau.

Wir kaufen im SuperValu noch ein paar Lebensmittel, darunter Trockenfutter für unsere Cottage-Katze, die uns immer so vorwurfsvoll anblickt. Dann geht es wieder heim.

*  *  *

Es wird Nachmittag, wir sitzen vor dem Cottage. Die Katze ist mit dem, was wir ihr mitgebracht haben, voll zufrieden, auch wenn es die preiswerteste Katzenkost ist, die wir auftreiben konnten. Sie streicht um uns herum, schnurrt und meint, sie sei der keltische Tiger. Ein etwas müder Tiger. Mein Mädchen geht ins Haus und entfacht das erste Torffeuer.

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Dienstag, 10. Juni 2008

LIrland Foto Leenaun, © 1995 Juergen Kullmanneenaun zu fotografieren, ist in diesem Jahr nicht angesagt. Seit im vergangenen Juli eine Flutwelle die fast zwei Jahrhunderte alte Steinbrücke über den River Lahill (das Foto rechts stammt aus dem Jahr 1995) weggerissen hat, führt eine einspurige Behelfsbrücke mit Ampelschaltung über den Fluss. Kein sehr pittoreskes Bild, auch wenn dort die bislang einzige Ampel Connemaras steht. Laut Site Notice soll hier eine neue Betonbrücke ‘im alten Look’ entstehen, der zum historischen Erscheinungsbild des Ortes passt, vermutlich also eine mit Bruchsteinen auf alt getrimmte. Abwarten und Guinness trinken!

Wir melden uns bei Michael & Kathleen O’Toole im Leenane Cultural Centre jenseits des Flusses zurück, erwerben ein kleines Buch und fahren über die N59 zur Tullyconnor Bridge zurück, um von dort aus einen kleinen Spaziergang entlang des Killary Harbour zu machen.

*  *  *

So vergeht Jahr für Jahr
Und dann wird mir ganz klar,
Dass nichts bleibt, dass nichts bleibt,
Wie es war.

Eine Dekade lang war Veldon’s in Letterfrack eine gute Adresse für den Mittagsimbiss. So leer wie heute war es in all diesen Jahren noch nie, und nach einem Blick auf die Speisekarte verzichten wir darauf, an einem der Tischchen Platz zu nehmen: Toasted Sandwiches, Chicken Curry und Stew, das ist alles, was man anzubieten hat. Da versuchen wir es lieber im Bard’s Den, schräg gegenüber auf der anderen Seite der Kreuzung, und ...

... genießen für € 13,90 das beste Chicken Kiev unseres Lebens, umgeben von zerlassener Knoblauch-Petersilien-Butter und frischen Pellkartoffeln, die fast von selbst aus ihrer Hülle fallen, begierig sich mit dieser Butter vollzusaugen. Dazu ein Pint Guinness, versteht sich. Hier waren wir in diesem Sommer nicht zum letzten Mal.

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Mittwoch, 11. Juni 2008

Es regnet. Wir frühstücken drinnen, während die Katze ihre Mahlzeit unter einem Strauch gegenüber der Cottagetür einnimmt. Das Katzenfutter, das preiswerteste, das der SuperValu im Angebot hatte, mundet auch dem Border Collie unseres Nachbarn Noel – wobei mein Mädchen meint, dass er nur äußerlich ein Border Collie ist. Ein Tier, das derart sanftmütig an einer schlafenden Katze vorbeitrottet um sich dann ein paar Meter weiter selbst zu einem Nickerchen niederzulassen, müsse eine andere Seele haben.

Fingerhut am Killary, IrlandNach dem Frühstück packt mein Mädchen ihren Malbeutel aus. Als Bildvorlage dient ein Foto, das wir gestern eigens zu diesem Zweck am Killary Harbour aufgenommen hatten: eine Ansammlung von rot-violettem Fingerhut in einem grünen Dschungel zwischen Steinen und einem abgestorbenen Baum. Doch da gibt es ein Problem. Eine der Farben ist eingetrocknet, und mit den verbliebenen lässt sich das Rot-Violett nicht hinbekommen. Das Malprojekt wird zurückgestellt, bis wir aus Clifden neue Farbe besorgt haben.

Der Regen macht netterweise eine Pause, und wir brechen zum Renvylestrand auf. Die Flut hat ihren Höhepunkt erreicht, eingebettet in den verbliebenen Sandstreifen glänzen große runde Steine. Die würden sich gut im Garten von ‘uns Huus’ machen, doch bei den Gepäcktarifen von Aer Lingus ... ? Vielleicht dieser kleine hier?

“Lass mich hübsch hier liegen”, meint das Objekt der Begierde. “Ich mag es, vom Meer umspült zu werden – und ob es euch wirklich gefällt, wenn ich es in euren Garten rufe?” Wir lassen die Sache, unabhängig vom Gewichtsproblem. Hatte nicht vor vielen hundert Jahren ein nordfriesischer Seefahrer einen solchen Stein mit nach Hause genommen? Aus einem Ort namens Rungholt* soll er gekommen sein.

* Bei der Ersten Groten Mandränke, auch zweite Marcellusflut genannte, ging am 16. Januar 1362 in der nordfriesischen Marsch der Ort Rungholt zusammen mit sieben anderen Kirchspielen unter.

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Donnerstag, 12. Juni 2008

Hildegard an Gisela – Brief aus Tully Cross

Liebe Gisela – Viele Grüße aus dem Cot. No. 1 in Tully Cross. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr verbringen wir ein paar freie Tage nicht mit Schrauben, Dübeln, Streichen et cetera. Ich genieße es, planlos in den Tag hinein zu leben. Manchmal frage ich mich, ob ich als Urlauber ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn ich nicht auf umfangreiche Entdeckungstouren gehe. Aber mir reicht Renvyle und die nähere Umgebung.

Vielleicht klettern wir heute Vormittag auf den Diamond Hill. Dann können wir hinterher im Bard’s Den lunchen. Die Küche des Barden ist zur Zeit ganz hervorragend – highly recommended! Vorgestern haben wir dort gespeist und waren ganz begeistert, während es bei Veldon’s nur Sandwichs gab. Vielleicht ist ihnen der Koch abgehauen!

Wo ich gerade bei Letterfrack bin, hier ein paar weitere News. Seit dem letzten Jahr ist der Lebensmittelladen in dem neuen großen Gebäude untergebracht, das auf dem ehemaligen Parkplatz links neben dem Hardware-Shop errichtet wurde. Ein weiterer Neubau, schon fast ein Gebäudekomplex, steht jetzt rechts neben Molly’s. Im Erdgeschoss findet man einen Coffee Shop und einen Souvenirladen, oben drüber und dahinter soll es Appartements geben. Arg groß für ein Dorf, doch nicht so schlimm, wie es während der Bauphase aussah.

Bei uns im Cottage hat sich nicht viel getan. Vorgestern hat ein Möbellieferant zwei neue Matratzen für das Kinderzimmer geliefert, in dem du im letzten Jahrtausend so manche Nacht verbracht hast. Wir wurden ganz neidisch – sie sind mindestens 19 Zentimeter dick!

Kieran Coyne 2008, © Juergen KullmannIn der Küche ist der Herd neu. Jürgen ist ganz beeindruckt, dass es Anne Jack geschafft hat einen zu finden, der mit seinen Heizspiralen noch dem Standard der Herde zur Gründerzeit der Cottages entspricht. Es muss sehr schwer gewesen sein ihn aufzutreiben; wir hätten nicht gedacht, dass solche Kochstellen noch im Handel sind. Ich habe auch schon die Gardinen gewaschen und die Fenster geputzt!

Sonntagnacht gab es Musik im Angler’s Rest – The Coyne Brothers! Ich hätte Kieran fast nicht wiedererkannt: nackenlange weiße Haare und ein weißer Vollbart. Er könnte jetzt bei den Dubliners mitspielen, die Stimme hat er allemal. Ist bei denen nicht kürzlich ein Platz freigeworden? Ich habe Fotos von ihm gemacht; wir schicken dir eines, wenn wir wieder in Dortmund sind.

*  *  *

Ein paar Stunden sind vergangen, und ich setze diesen Brief fort. Auf dem Diamond Hill waren wir heute doch nicht. Jetzt ist Nachmittag, und wir sitzen bei einer Tasse Kaffee vor dem Cottage. In diesem Jahr haben wir eine schwarz-weiße Cottagekatze. Die hockt jetzt vor meinem Stuhl und sonnt sich. Im SuperValu haben wir ihr Trockenfutter gekauft, sie kann so herzergreifend miauen.

Morgen Abend fahren wir zur Musik ins Renvyle House, alten Traditionen soll man treu bleiben. Es ist jetzt sechzehn Jahre her, dass wir Frank dort das erste Mal haben singen und spielen hören. Im kommenden März wird er 60! Doch bevor ich jetzt sentimental werde und über das Leben, die Zeit und so weiter lamentiere, sage ich einfach nur tschüüs.

Hildegard”

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Freitag, 13. Juni 2008

Noch ein paar Zeilen zu gestern. Wir waren in Cleggan, und der Ort sieht immer noch wie ein Schmugglernest aus. Kein Wunder, dass uns unterwegs gleich zweimal die Küstenwache entgegenkam.

Grab Gogarty, Ballynakill, © 2008 Juergen KullmannAuf dem Weg stoppten wir am Friedhof von Ballynakill, wo Oliver St. John Gogarty begraben liegt. Mag sein, dass James Joyces ‘Ulysses’ das große literarische Werk über Dublin ist, doch Gogartys ‘As I Was Going Down Sackville Street’ ist mein Dublin-Buch. Vor einem halben Jahrhundert ist Gogarty gestorben. Geboren in Dublin, unterstützte er im Bürgerkrieg die Regierung des Freistaats, worauf sein Haus in Renvyle von Republikanern abgebrannt wurde. Die Schrift auf der Grabplatte ist nur noch schwer zu lesen:

Our friends go with us as we go
Down the long path where Beauty wends.
Where all we love forgathers, so
Why should we fear to join our friends?

NON DOLET

‘Non dolet’, auf Deutsch ‘Es tut nicht weh’, lautet der Titel seines Gedichtes, von dem hier der erste Vers in den Stein gehauen ist. Beim Verlassen des Friedhofs entdecken wir auch das Grab von Noreen, Kierans Frau.

Wahrscheinlich ist Cleggan immer noch ein Schmugglernest, und welcher Schmuggler gibt schon etwas auf Verbotsschilder? No Parking on the Pier, lesen wir auf einem solchen, derweil nämliche Pier mit Autos zugeparkt ist. Wir beobachten das Ablegen der Fähre nach Inishbofin und wandern entlang der Küste zur Sellerna Bay.

*  *  *

Das war gestern, und jetzt sind wir wieder unterwegs, streifen über die sanften Hügel der Torffelder von Renvyle. War es gestern sonnig und windig, so ist es heute grau und windstill. Ich mag die Stimmung. Eine Rast inmitten der Stille auf einer kleinen Erhebung zwischen dem Tully Mountain und dem Diamond Hill; die Kuppen der Berge sind in grauen Dunst gehüllt. Wir kreuzen die Straße von Letterfrack nach Tully Cross und wandern weiter zum Derryinver Quay. Ein Hupen von hinten. Der Kleinbus des Renvyle Active Age Clubs überholt uns, Frank sitzt am Steuer und winkt.

Cottage am Ballynakill Harbour, © 2008 Juergen KullmannDie Pier präsentiert sich wie immer schmuddelig und unaufgeräumt, am Anleger ein verrosteter Kahn. Es riecht nach Seetang. Ich sitze auf einer kleinen Mauer, während die Liebste Austern- und Jakobsmuschel-Schalen finden geht: Dekoration für uns Huus in Tönning. Hinter mir am Hang steht ein ‘traditional Irish Cottage’ aus dem letzten Jahrtausend, an einem der Fenster hängen noch Gardinen. Ich lasse das Schreiben und mache ein Foto.

*  *  *

Wir sind wieder in unserem Cottage und schalten das Fernsehgerät ein. Drei Sender kann man hier empfangen, darunter den irischsprachigen TG4, der gerade Musik aus einem Pub in Cork überträgt. Eine junge Dame singt, und alle Pubnasen schweigen.

‘Is tusa mo ruaim’

klingt der Refrain in meinen Ohren. Doch was heißt ‘ruaim’? Ich konsultiere unser irisch-englisches Wörterbuch: Ah ja, fishing line. “Du bis meine Angelschnur”, erklärt die Sängerin in dem Lied also ihrem Liebsten. Meine Liebste sieht mich zweifelnd an: “Bist du dir ganz sicher, dass du das richtig übersetzt hast?”*

Europawahl in Irland, © 2008 Juergen KullmannNicht so wichtig, denn ein anderes Ereignis bewegt die Medien. If It Was Your Will ..., mit diesem Lied des kanadischen Songpoeten Leonard Cohen von seinem Konzert in Dublin untermalt das irische Fernsehen die Meldung des Tages: Irland sagt No! Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams strahlt, und das politische Establishment ist fassungslos. Bei einer überraschend hohen Wahlbeteilung von 53 % haben mehr als 53 % der zur Volksabstimmung gegangenen Iren gestern Nein zur EU-Verfassung gesagt und die EU in eine Krise gestürzt, obwohl sich 97 % der von ihnen ins Parlament gewählten Abgeordneten für die Annahme dieser Verfassung ausgesprochen hatten. Rund 110.000 irische Nein-Stimmen (Nein: 862.415, Ja: 752.451) bewirken, dass für 490 Mio. Europäer die von allen EU-Staaten unterschriebene Verfassung nicht in Kraft treten kann.

* Vielleicht war es dann eher ‘Is tusa mo rún’ (Du bist mein Geheimnis)

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Reiseberichte Irland: Connemara 2008
© 2009 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 16.12.2009