Irisches Tagebuch 2010

Film ab!

 

Sonnabend, 29 Mai 2010

Man spricht deutsch, nein, Frau spricht deutsch, muss es natürlich heißen, denn der Flugkapitän ist eine Sie, und sie begrüßt uns zehn Kilometer über der Nordsee in deutscher Sprache. Auch die Irin neben uns spricht deutsch. Besser als wir Englisch, doch lebt sie auch schon seit 13 Jahren in Deutschland, während wir aufaddiert gerade einmal 1,3 Jahre in ihrem Land verbracht haben. Sie stammt aus Westport und will für ein paar Tage ihre Verwandten besuchen.

Die irische Hauptstadt empfängt uns mit Nieselregen, der englische Begriff drizzle klingt dafür irgendwie netter. Nett ist auch die junge Dame von der AVIS-Autovermietung: wir dürfen uns unter drei Fahrzeugen eines aussuchen. Mein Mädchen entscheidet sich für einen weniger als ein Jahr alten viertürigen Nissan Micra. Es ist jüngste Auto im Angebot und weist sich mit dem Kennzeichen 09 D 10000 als das zehntausendste aus, das 2009 in Dublin zugelassen wurde. Beim Übergabezeitpunkt kommt man uns entgegen und rundet von 12.25 Uhr auf 13.00 Uhr auf. So können wir uns am Rückreisetag bis 13.30 Uhr Zeit lassen.

He drove me out as far,
Upon an outside car,
Faith! such jolting never wor
On the rocky road to Dublin.

Die Zeiten, in denen der Galway-Poet D. K. Gavan das obige Lied über die steinige Straße zwischen seiner Heimatstadt und Dublin schrieb, sind ein für alle Mal vorbei. Eine Autobahn führt seit Jahresbeginn von der Ostküste nach Galway, und schon um Viertel nach drei schieben wir unseren Einkaufswagen an den Regalen der dortigen Lidl-Niederlassung vorbei. Um halb fünf geht es mit 136 Euro weniger im Portmonee weiter, und um sechs fahren wir in Tully Cross ein.

Paddy Coyne’s, © 2010 Juergen KullmannDann der Schock des Abends. Dass ein nach Beginn der Rezession nicht mehr fertiggestelltes Haus auf der Baustelle des ‘Exciting new Development’ am Ortseingang etwas abgebrannt aussieht, lässt uns kalt, aber was ist das? Der traditionelle, ehemals weiß leuchtende Dorfpub Paddy Coyne’s ist schmutzig-gelb gestrichen, und über dem Eingang prangt ein Schild Mallon’s Bar and Lounge. Waren Gerards Probleme mit der Steuerbehörde so gravierend, dass er verkaufen musste? Davon hatte uns Yvonne gar nichts geschrieben, in ihrer Reservierungsbestätigung stand nur die frohe Kunde, dass der Pub nach einem Jahr wieder geöffnet ist. Den Coyne’schen Laden scheint es noch zu geben, doch seit wann darf in der Öffentlichkeit wieder für Tabak geworben werden? Allerdings sieht das Schild, das dazu auffordert, den ‘Männertabak St. Bruno Flake’ zu rauchen, schon fast antik aus.

Auch das Haus unseres Nachbarn Noel macht einen etwas schmuddeligen Eindruck, und die mannshohe Fuchsienhecke zwischen seiner Einfahrt und unserem Cottage ist verschwunden. Das sieht seiner Frau Maggie gar nicht ähnlich. Wurden sie durch die Rezession von Haus und Hof vertrieben? Man sollte doch meinen, dass sein Gewerbe als Bestatter jede Krise überdauert. Bilder von der Großen Hungersnot tauchen vor dem inneren Auge auf.

Im Cottage hingegen gibt es erstmals seit zwei Jahrzehnten umfassende Renovierungs-Maßnahmen zu bewundern: Das Bad wurde neu gefliest und die lädierte Wanne durch eine Dusche ersetzt – im Großen und Ganzen gut durchdacht, wenngleich ausgeführt in irischer Handwerkerqualität. Später dazu mehr. Im Schlafzimmer wurde der alte Teppichboden durch Laminat ersetzt. Das sieht gut aus, wenngleich saubere Abschluss- und Fußleisten den Gesamteindruck noch weiter verbessert hätten. Und schließlich ist der Kamin neu ausgemauert, in diesem Punkt keine Klagen.

Wohl aber im nächsten. Nicht über die Iren, sondern über einen deutschen Gast, der – so die einzige Erklärung – nach dem Studium gewisser, im Internet veröffentlichter Reisetagebücher auf den Dachboden geklettert ist und dort unsere ‘Private-Property-Taschen’ durchwühlt hat, bis er einen in der Cottageküche schmerzlich vermissten, da in Irland ungebräuchlichen Kaffeefilter fand. Denn dieser ist der einzige Gegenstand, der fehlt. Hätte der ruchlose Dieb die anderen Dinge wieder sorgfältig in der Tasche verstaut, statt sie über den Boden zu verteilen, wären wir davon ausgegangen, dass wir bei unserer Abreise vergessen hätten ihn einzupacken. So aber legen wir den schlimmsten aller irischen Flüche über ihn: Ná raibh tú ólta ar feadh do shaoil uafásach, mögest du für den erbärmlichen Rest deines Lebens nüchtern sein.

Jetzt aber richten wir uns erst einmal ein, fahren nach Letterfrack, finden bei Veldon’s in der Abteilung Schwarzbrenner-Bedarf einen großen Trichter als Kaffeefilter-Ersatz und öffnen wieder daheim eine Flasche Wein.

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Sonntag, 30. Mai 2010

Wir wandern in (auf irische Verhältnisse bezogen) aller Herrgottsfrühe an den Renvyle-Strand, genießen ein bisschen Sonne, ein paar Wolken und ein bisschen Wind. Und sind ein bisschen irritiert. Wo ist der Felsen geblieben, von dem wir im letzten Jahr Paddy-the-Sailor gerettet haben? Dort – das sollte er sein, doch statt anderthalb ragt er nur noch einen halben Meter aus dem Boden. Wind und Wellen müssen in den vergangenen Monaten viel Sand den Strand hochgespült haben.

Wir sind nicht länger allein. Eine junge Familie mit drei Kindern im Vorschulalter trollt an uns vorbei, zwei Mädchen und ein Junge, womöglich Drillinge. Eines der Mädchen ist eindeutig ‘the boss’, derweil der Junge etwas genervt ob der weiblichen Dominanz an der Hand seines Vaters die Wasserkante entlang spaziert. Vielleicht hat der bei seinen Frauen auch nicht viel zu sagen.

*  *  *

Tully Cross Police Station, © 2010 Juergen KullmannZum Lunch verspeisen wir draußen vor dem Cottage die Reste von gestern Abend: ein Gulasch aus Schweinefilet-Scheiben an einer Pilz-Paprika-Sauce und dazu Kartoffelspalten oder ‘Wedges’, wie man hier sagt. Dann taucht Anne Jack auf, und der Schock von gestern verflüchtigt sich. Gerard hat das Erbe seines Vaters mitnichten verkauft, Maggie ihr Haus nicht verkommen lassen und im ‘Exciting new Development’ am Ortseingang hat es auch nicht wirklich gebrannt — sondern in Tully Cross werden zwei Folgen einer Fernsehserie gedreht. Es geht in ihr um einen aufs Land versetzten Polizisten, der einen Mord aufklärt. Jetzt verstehen wir auch, warum sich das Haus links der Kirche in eine Polizeistation verwandelt hat.

Und Tully Cross saniert sich: die Verkaufsanzeige für das defizitäre Maol Réidh Hotel geht nicht raus (die Filmcrew braucht Unterkünfte), Gerard vom Paddy Coyne’s, als Mallon’s Bar einer der Hauptdrehorte, kann seine Steuerschulden bezahlen, und schließlich bekommen Maggie und Noel ein Entgelt für ihre Bereitschaft, sich ihr Haus verschmutzen zu lassen, und es nach Abschluss der Dreharbeiten auf Kosten der Produktionsfirma neu gestrichen. Auch in und vor Brians Laden wird gedreht, daher die historische Tabakwerbung.

*  *  *

Am Sonntagabend gibt es ab 10 Uhr Livemusik bei Sammon’s, daran hat sich nichts geändert, und auch nicht daran, das Frank und Kieran die Musikanten sind.

BuchcoverGuinness für lau. Zu den ersten beiden ladet uns Patrick Sammon persönlich ein; dass mien Deern lieber einen Kaffee möchte, lässt er nicht gelten. Kaffee sei ungesund! Milch-und-Honig zapft, und er legt seiner Tochter den Betrag aus seiner privaten Geldbörse auf den Tresen. Die Kasse muss stimmen, auch wenn der Landlord ordert. Auch bei den nächsten beiden Guinness gelingt es uns nicht, die Zeche selbst zu begleichen: Milch-und-Honig winkt ab, Frank habe den Betrag bereits hinterlegt. Wir hatten ihm kürzlich ein selbst hergestelltes, kleines Buch mit Erinnerungen und Briefen seines verstorbenen Vaters geschickt. Und dann singt er:

Life is the Ocean
And Love is the Boat ...

‘The Voyage’, heißt das Lied, die Lebensreise.

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Montag, 31. Mai 2010

Es ist ein trüber Tag. Zwischenzeitlich regnet es auch ein bisschen, doch morgen soll die Sonne wieder scheinen – und das für den Rest der Woche, hat uns Anne Jack versprochen.

Schon am frühen Morgen (8.30 a.m.) rücken die Filmleute an und blockieren das halbe Dorf. Von unserer Klöntür aus haben wir die beste Aussicht und beobachten das Drehen einer ‘Schlüsselszene’. Film ab:

Das Dorf liegt unter einer grauen Wolkendecke, von rechts naht ein Taxi und stoppt auf der Straßenmitte vor Mallons Bar. Ein älterer Mann in brauner Jacke, der dort schon eine Weile vor der Tür stand, geht auf das Taxi zu, spricht durch das offene Seitenfenster mit dem Fahrer, geht wieder zurück, dreht sich noch einmal um, zögert einen Moment und verschwindet im Pub. Aus dem Auto steigt ein Polizist und folgt ihm.

Das ganze 5×, 10×, 15× bis der Regisseur endlich zufrieden ist und wir mangels weiterer aufregender Straßenszenen nach Clifden fahren. Unsere Einkäufe:

Lebensmittel aus dem SuperValu: ca. 20 €
Lebensmittel aus dem Lidl: ca. 30 €
Eine Jacke für die Liebste: 60 €
Eine DVD über das Poitín-Brennen: 19 €
Eine Öse zur Befestigung des schief
hängenden Duschvorhangs:
 
0,05 €

Was ganz Clifden jedoch nicht zu bieten hat, ist ein Kaffeefilter – kein Wunder, dass unserer auf dem Dachboden so begehrt war. Wir sollten dem Filmteam eine Idee für eine weitere Folge der Fernsehserie unterbreiten:

Garda McKillicuddy
and the
Secret of the Stolen Coffee Filter
of Tully Cross

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Dienstag, 1. Juni 2010

DDer Regen hat sich verzogen, die Filmleute sind geblieben. Sie beginnen mit einem Dreh an der ‘Garda Station’ von Tully Cross, ehe sie vor Mallon’s Bar weitermachen. Wie der Ort wohl im Film heißt?

Gestern Abend hatten wir ‘Mallon’s Bar & Lounge’ einen Besuch abgestattet, dort unser erstes selbstfinanziertes Pint Guinness der Saison genossen und festgestellt, dass die Rezession im Lande auch positive Seiten hat. Zum ersten Mal ist der Preis für das ‘Pint of Plain’ gesunken, von € 4,00 im vergangenen Jahr auf € 3,80. Schräg vor uns am Kamin hatte sich ein junger Langstrecken-Wanderer aus Wales mit wildem Bart, freundlichen Augen und der Haarpracht der Woodstock-Generation niedergelassen und gab drei Mitgliedern der Filmcrew bereitwillig Auskunft über seine Abenteuer und persönlichen Eindrücke vom Land. In sechs Monaten auf Schusters Rappen um die Grüne Insel, so sein Ziel. Leider verstanden wir nicht seine Antwort auf die Frage, welche Abenteuer er anstrebe, wenn er dieses erreicht hat.

*  *  *

Glassilaun Beach, © 2009 Juergen KullmannWir brechen auf, fahren an den Filmleuten vorbei zum Glassilaunstrand. Der Maol Réidh schläft noch und hüllt sein kahles Haupt in ein Wolkenkissen, doch im Westen ist der Himmel blau. Wir sind allein am Ufer, das sich wie der Renvyle Beach gehoben zu haben scheint. Einige Felsformationen ragen nur noch wenig aus dem Sand. Ob dieser vom Meeresboden hochgespült wurde? Zudem scheint das Wasser zwischen uns und der kleinen Insel Illaunmore tiefer geworden zu sein, denn obwohl es bereits ebbt, ist sie trockenen Fußes noch nicht erreichbar.

Zwei Stunden später hocken wir bei Tee und einem Stück Zitronen-Käsekuchen vor dem Sheep-and-Wool-Centre von Leenaun, nachdem mein Mädchen durch den Nichtkauf einer Jacke rund hundert Euro für kulinarische Genüsse gerettet hat. Das Wasser im Killary-Fjord hat sich zurückgezogen und ein riesiges Feld rotbraunen Seetangs freigelegt. Dahinter erheben sich die Berge Südmayos, über die sich eine weiße Wolke schiebt.

*  *  *

Es wird Nachmittag, und wir sitzen – dieses Mal bei Kaffee und Guinness-Cake – vor dem Cottage und beobachten die Dreharbeiten auf der anderen Straßenseite. Ich beschließe die ‘Tully Cross Garda Station’ zu fotografieren, um die Welt damit zu überraschen, dass das Dorf jetzt eine Polizeiwache hat. Doch als ich an Noels Haus vorbeikomme, fängt der Hausherr mich ab: seine Frau Maggie hätte der meinigen Cabbage aus seinem Gewächshaus versprochen. Wirklich? Egal, er führt mich hinters Haus, nicht ohne zunächst einen Schuppen zu öffnen und stolz seinen funkelnagelneuen Leichenwagen zu präsentieren, dahinter das Sarglager. Der ausgemusterte alte Wagen steht verschmutzt in einer Hofecke, darin noch ein (hoffentlich leerer) Sarg. Ob er eine Rolle in der Fernsehserie spielt? Anschließend wird im Gewächshaus der zuvor hinreichend bewunderte (Kohl-)Kopf abgestochen, als Zugabe gibt es noch eine Stange Lauch und ein paar Möhren. Hundred percent organic! wie Noel betont.

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Mittwoch, 2. Juni 2010

Die Dreharbeiten vor unserer Haustür haben den Reiz des Besonderen verloren, und so brechen wir gleich nach dem Frühstück zu einem Spaziergang über unsere Halbinsel auf. Den kleinen Hardware-Shop gegenüber der Tankstelle von Tully gibt es immer noch, vor der Tür auf dem schmalen Bürgerteig stehen Blumen zum Verkauf. Mein Mädchen würde gerne mal wieder etwas bei “dem netten jungen Mann” kaufen, der ihr im vergangenen Jahr ein Stück Schnur zur Verzierung einer Weinflaschen-Verpackung geschenkt hatte, doch mit einem Kaffeefilter kann er ihr auch nicht dienen. Er wisse schon, was sie meine, äußert er sich bedauernd, doch seien diese Dinger nun einmal “not very popular in Ireland”.

Another Place, © 2010 Juergen KullmannVorbei geht es am Renvyle Inn, dann hinter dem Teach Ceol (Haus der Musik) links den Weg hoch und anschließend rechterhand über den Hügel, vorbei an einem Haus, in dem einst die Malerin Elizabeth Audigier ihr Atelier hatte – alles schon mehrfach beschrieben. Áit Eile, ein and’rer Ort, lesen wir auf einem Holzschild oberhalb eines grünen Hangs, der sich zum Lough Tully hinunterzieht – der Eingang zur Anderswelt, in der die Feen wohnen? Am Ende des Sträßchens wandern wir anders als in früheren Jahren nach rechts zum Renvyle House hinunter. Slí Eile, ein and’rer Weg. Nach einem Zwischenstopp am Renvylestrand, mien Deern zieht sich Schuhe und Strümpfe aus und stapft durch die sanft ans Ufer plätschernden Wellen, bummeln wir zum Cottage zurück und sie schreibt einen Brief:

Mittwoch, 2. 6. 10
Tully Cross, RTC No. 1

Liebe Gisela —

Alte Traditionen soll man pflegen. Somit sitze ich jetzt hier, nach Eiern und Speck, und schreibe dir über unsere ersten Tage im Cottage.

Mit dem Cottage fange ich dann auch gleich an. Das Bad wurde renoviert !! Alles neu !!! Weiße Fliesen an der Wand und auf dem Boden und in Brusthöhe ein zirka zehn Zentimeter breiter Streifen Mosaikfliesen (grau-weiß-türkis). Die Wanne ist weg, statt dessen gibt es nun eine ebenerdige Dusche mit den o.g. Mosaikfliesen als Bodenbelag. Neue Keramik im Landhausstil, um die Dusche ein weißer Vorhang, wobei die Duschstange allerdings in der Mitte durchhing. Abbruchgefahr! Jürgen, renovierungserprobt, hat dann gleich für 5 Cent in Clifden eine Öse gekauft, sie in die Decke oberhalb der durchhängenden Stange geschraubt und sie mit einem Stück Paketband fixiert.

Ausgeführt wurden die Arbeiten in altbekannter irischer Handwerksqualität, das Fugenmaterial nur so über die Fliesen geschmiert und mit Silikon herumgesaut. Anne Jack hat sich schon dafür entschuldigt. Der Craftsman hätte zwei Trainees aus Galway bekommen, und die seien nun einmal so. Das erklärt alles – – – oder?

Bei allem ist die morgendliche Dusche eine Wohltat und das Bad eine Augenweide, wenn man nicht so genau hinschaut. Das Schlafzimmer hat jetzt einen Laminatboden, ein solcher soll auch noch ins Kinderzimmer. Ich bin mal gespannt, ob dann auch Abschlussleisten angebracht werden, glaube es aber nicht. Somit wird das Projekt bei den Cottage-Mietern zweifelsohne einen “typisch irischen” Eindruck hinterlassen.

Einen weiteren Fortschritt gibt es bezüglich der Anreise zu vermelden. Die Autobahn von Dublin nach Galway ist fertig. Wir haben für die Strecke nur zirka zwei Stunden gebraucht, plus 1,5 Std. für Galway–Tullycross = 3,5 Std. Somit waren wir schon um 18 Uhr im Cottage. Gefühlsmäßig ist Irland dadurch kleiner geworden. Hatte man früher den Eindruck, einen Kontinent zu durchqueren, kam es uns jetzt so vor, wie von NRW einmal durch Niedersachsen nach Schleswig-Holstein.

In Tully Cross angekommen, fielen zwei Dinge auf. Maggies Haus (Frau vom Undertaker) machte einen arg heruntergekommenen Eindruck, und der Dorfpub Paddy Coyne’s hatte sich in Mallon’s Bar and B&B verwandelt. Dafür hing nun über Brians Laden ein neues altes Schild “Coyne’s”. Wir haben 1,5 Tage lang spekuliert:

Maggie ist krank, weg, hat den Undertaker oder zusammen mit ihm Tully Cross verlassen, und
Gerard seine Lizenz fürs Paddy Coyne’s nicht mehr zurückbekommen und den Pub verkauft oder verpachtet.

Tully Cross, ©2010 Juergen KullmannMittlerweile wissen wir es besser. In Tully Cross wird ein Film (BBC-Krimiserie) gedreht, und das alles gehört zur Kulisse. Das ganze Dorf verdient daran, und dein Tom spielt als Statist mit. So kam er einmal aus dem Pub und wurde dabei gefilmt. Im April gab es im Maol Réidh Hotel ein Casting, bei dem man sich bewerben konnte. Wir haben einen den Platz in der ersten Reihe und beobachten die Dreharbeiten von unserer Klöntür aus. Ganz offensichtlich macht man sich beim Film nicht kaputt. Etwa zwanzig Leute gehören zum Team, doch die meisten verbringen die meiste Zeit mit Warten. Vielleicht auf Godot, doch der kommt nicht. Einen Herzinfarkt bekommt man beim Film wohl nur aus Langeweile. Für alle Fälle hat Noel einen Defilbrator, auch wenn das für seinen Job als Undertaker eher kontraproduktiv ist.

Die Zeitung schreibt, der Tourismus sei durch die Wirtschaftskrise zurückgegangen, zu erkennen auch daran, dass die meisten Cottages momentan leer stehen. Sonst war Anfang Juni deutlich mehr los. In Clifden bieten jetzt viele Restaurants Early-Bird-Menüs an, wir werden das morgen einmal ausprobieren.

So, jetzt ist meine Hand ganz lahm vom Schreiben und die Wäsche gleich fertig zum Aufhängen. Schöne Grüße

Hildegard und Jürgen

P.S.: Ja, die Coynes (Frank + Kieran) gibt es auch noch

Der Brief liegt im Postkasten und wir bekommen Besuch. Eine Marlis aus dem Wallis, die vor vier Jahren ihre Zelte in der Schweiz abgebrochen hatte und seither bei Murrisk an der Clew Bay wohnt, hat sich angesagt. Ihr Traumland hat sie gefunden, ihren Traumberuf noch nicht. Als Schriftstellerin würde sie gerne ihren Lebensunterhalt verdienen. Wir wünschen ihr viel Glück dabei, können es uns so recht jedoch nicht vorstellen. Ihr Wein schmeckt uns und die Ziegenkäse-Tart, mit der wir sie bewirten, ihr nicht weniger.

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Donnerstag, 3. Juni 2010

Sitting at the Dock of the Bay ... wieder einmal sitzen wir auf der Kaimauer von Cleggan, vor uns die Fähre nach Inishbofin, die ‘Island Discovery’. Verglichen mit dem Postschiffchen des Paddy O’Halloran, das uns im vergangenen Jahrhundert mehr als einmal auf die Insel brachte, ist sie ein ganz schöner Brocken. Ob sie auch dem Clan der O’Hallorans gehört? Damals gab es zwei konkurrierende Fähren, die kurz nacheinander ablegten, jetzt nur noch diese eine.

Cleggan Harbour, © 2010 Juergen KullmannRechts neben der Fähre hat ein blaues Fischerboot mit einer kleinen Kajüte im Vorderschiff festgemacht. Eine Mann kommt heraus und nimmt ein paar Fische aus, reicht zwischendurch dem zweiten, der mit dem Netz beschäftigt ist, ein Messer hinüber. Nach zwanzig Minuten haben beide ihr Werk getan und das Schiffchen legt ab.

Die ersten Passagiere für die Island Discovery treffen ein, noch dürfen sie nicht an Bord. Nach einer halben Stunde drängt sich auf dem Kai eine Menschenmenge, die meisten offensichtlich Urlauber. Kurz vor der Abfahrt tauchen ein paar Einheimische auf. Ein Mann schleppt eine große Kiste Lebensmittel von Oliver Coyne’s heran, eine Frau zwei offene Plastiktaschen mit klimpernden Weinflaschen. Dann stellt jemand einen Rasenmäher zum Verladen bereit. Um Viertel nach elf wird das Schiff zum Entern freigegeben, und um Punkt halb zwölf sticht die Fähre in See.

Ein kalter Wind umweht uns auf dem nun menschenleeren Kai. Mir fröstelt. Wir klettern von der Mauer und fahren heim.

*  *  *

Am Nachmittag sind wir schon wieder in Clifden, füllen beim Lidl unseren Weinvorrat auf. Inzwischen gibt es in dem Ort auch eine Aldi-Niederlassung. Eigentlich wollten wir hernach eines der vielen Early-Bird-Menus ausprobieren, doch habe ich mir eine Erkältung eingefangen und mir fehlt der Appetit. Aber die Liebste findet bei Stanley an der Market Street ein Paar feine Schühchen. Ein Sonderangebot, lästere ich: Buy one, and get the second free ...

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Freitag, 4. Juni 2010

Das Datum oben stimmt schon längst nicht mehr, denn es ist bereits Sonnabend. Wir sitzen in Galway auf der Terrasse des Tamarind Restaurants und ich versuche mich zu erinnern, was wir am gestrigen Freitag gemacht haben.

Quelle des Patrick von Irland, © 2010 Juergen KullmannEs war der Tag unserer ‘alljährlichen Wallfahrt’ auf den Mám-Éan-Pass. Ehe St. Patrick dort sein Lager aufschlug, sich an der Quelle labte und dort übernachtete, war der Berg ein Heiligtum des altirischen Gottes Lugh*.

Der Himmel ist bedeckt und es weht ein frischer Wind, der auf dem Scheitel des Passes sehr frisch wird. Ich mache ein Foto von der Quelle des Pádraig Mór na hÉireann (Patrick der Große von Irland) der ganz offensichtlich nach der Morgentoilette seinen Kamm dort vergaß. Dann sitzen wir auf der Stufe des Open-Air-Altars, verzehren Schoko-Kekse, blicken über die Landschaft und einen schwarzen See, dessen Oberfläche sich leicht kräuselt.

Der Wind wird heftiger und mir fröstelt. Wir machen uns auf den Rückweg, nicht ohne zuvor zwei Schieferplatten in den Rucksack gepackt zu haben, auf denen man dem Großen Patrick von Irland seine Wünsche einkratzen kann. Mit Sicherheit mehrfach mit geheiligtem Wasser in Berührung gekommen, werden sie an der Pforte unseres Hauses in Nordfriesland ihre Wirkung nicht verfehlen. Wir haben auch schon einen Spruch im Sinn, den wir St. Patrick unterschieben werden: Mögen die Fluten des Meeres dieses Haus nie erreichen.

*  *  *

Am Abend sitzen wir in der Bar des Renvyle House Hotels. Hier wird auch Barfood serviert; vor uns speisen an einem Tischchen die beiden Hauptdarsteller der in Tully Cross gedrehten Filmserie. Frank hatte uns mitgenommen; zusammen mit Kieran bestreitet er das Musikprogramm und sorgt dafür, dass wir nicht zu viel in Guinness investieren. Ein Musiker, der sein Publikum im Privatwagen zu seinem Konzert kutschiert und ihm dann auch noch die Getränke spendiert – wo sonst auf der Welt gibt es das? Immerhin schafft es mein Mädchen, ihm einen Kaffee auszugeben. Mehr ist nicht drin, schließlich darf man seinen Chauffeur nicht trunken machen.

Mit Northmen, Southmen, Comrades all und Sinne Fianna Fáil endet der Abend eine halbe Stunde nach Mitternacht. Frank setzt uns auf dem Heimweg vor unserem Cottage ab.

* Siehe Reisetagebuch vom 15. Juni 2005

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Reiseberichte Irland: Connemara 2010
© 2010 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 19.11.2010