Irisches Tagebuch 2010

Film ab!

 

Sonnabend, 5. Juni 2010

WWandgemaelde Galway, © 2010 Juergen Kullmannir sitzen immer noch im Tamarind-Restaurant am Ausgang von Galways Latin Quarter – rechts ein Wandgemälde – und schauen auf die Corribmündung. Mittlerweile bin ich bei meiner ‘Buchführung’ in der Gegenwart angekommen.

Auf dem Weg hierher vermissten wir die Winding Stair. Den Laden an sich gibt es zwar noch, doch all der herrliche Krimskrams, durch den man sich auf drei schmalen Etagen von der sich windenden Treppe aus wühlen konnte, ist nicht mehr. Im Erdgeschoss findet der geneigte Tourist nun eine aufgeräumte Schmucketage, darüber eine karge Abteilung mit Drucken und Reproduktionen historischer Landkarten und ganz oben unter dem Motto ‘Alles muss raus’ die Reste des ehemaligen Sortiments.

Und ansonsten? Shopping in Galway. Doch morgen machen wir wieder Urlaub, hat die Liebste versprochen.

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Sonntag, 6. Juni 2010

Einen regnerischen Tag mit wenigen sonnigen Flecken sagte der irische Wetterdienst für heute voraus. Einer davon liegt über Renvyle.

Pebble Strand, ©2010 Juergen KullmannWir wollen Johnnie auf dem Friedhof von Mullaghgloss besuchen, wandern aber erst einmal zum ‘Pebble Strand’ hinunter. Das hübsche Haus oben an der Abbruchkante, bei dessen Anblick wir uns bereits vor zwei Dekaden fragten, wann es sich wohl das Meer holen wird, steht immer noch dort. Erst kürzlich, so scheint es, ist wieder ein Stück Erdreich abgesackt, und man hat dem nach unten führenden Trampelpfad einen leichten Bogen landeinwärts verpasst.

Muschel am Pebble Strand, ©2010 Juergen KullmannDer Pebble Strand ist kein Strand zum Baden, aber bei der jetzt langsam zurückkehrenden Flut ein Ort zum Sinnieren und Träumen. Unterhalb der steilen Wand mit ihren grün schimmernden Tupfen erstreckt sich ein breiter, zum Wasser hin sacht abfallender Streifen aus Geröll und Kieselsteinen. Es folgen einige Sandflecken, dahinter schieben sich flache Felsformationen ins Meer, zwischen denen bei Ebbe kleine Buchten entstehen. Seepocken und Muscheln haben sich auf den Felsen angesiedelt, saugen sich fest und warten darauf, dass das Wasser zurückkehrt.

Noch liegen diese Steinformationen trocken; von der Sonne beschienen haben sie sich aufgewärmt und laden den Wanderer ein, sich auf ihnen niederzulassen. Das tun wir dann auch, beobachten durch das klare Wasser, was sich auf dem flachen Grund tut. Hebt der Betrachter die Augen, so tauchen am Horizont die Berge Mayos aus dem Meer, steht er auf und blickt nach Westen, sieht er die Renvyle-Halbinsel mit einem verlassenen Anleger.

De Flood steggt höger und das Wasser nähert sich unseren Füßen. Wir setzen den Spaziergang zu Johnnies Grab fort.

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Montag, 7. Juni 2010

Auf nach Norden, zunächst noch etwas müde, denn bis in den frühen Morgen gab es Musik bei Patrick Sammon im Angler’s Rest. Am Tischchen nebenan hatten sich drei Tschechen mittleren Alters niedergelassen, die Kieran im letzten Herbst auf seiner Europatournee mit dem Hogs “irgendwo in der Gegend um Prag” kennen gelernt hatte. Was das Trinken angeht, können sie mit den Iren mithalten, und was das Rauchen betrifft – alle nasenlang rennen sie mit eine Schachtel Zigaretten zu den Kiffern auf den Hinterhof – nicht weniger. Wäre das Qualmen in den Pubs noch erlaubt gewesen, hätten wir uns wohl von ihnen abgesetzt, so aber spendierten sich die beiden ‘Fanclubs der Coynes’ diverse Pints und lauschten der Musik ihrer Idole.

Old Castle Bar, Donegal. ©2010 Juergen KullmannDoch nun sitzen wir in der Old Castle Bar in Donegal Town, das weder die größte noch die Hauptstadt der gleichnamigen Grafschaft ist, und ich schreibe all das auf. Gegen zehn Uhr sind wir in Tully Cross gestartet und haben rund dreieinhalb Stunden bis hierher gebraucht. Donegal Town ist ein kleines und, worauf der Ort besonderen Wert legt, historisches Städtchen an der Mündung des Flusses Eske in die Donegal Bay. Der Crab Meat Salad im historischen Gemäuer der Old Castle Bar gegenüber der historischen Burg ist mit seinen drei Stangen grünen Spargel und einer leichten Senfnote ganz und gar nicht historisch und echt lecker und macht mit einer zweiten Scheibe überraschend saftigen braunen Brotes, das die Liebste hinzugeordert hat, am Ende auch noch satt.

*  *  *

Etwa anderthalb Stunden nach unserem Mittagsimbiss stehen wir, nachdem wir uns zweimal leicht verfahren haben, in Rinn na Feirste vor einem buckeligen, bergab in einen grünen Dschungel führenden Feldweg. Ist dies nun die Zufahrt zu dem Haus, dessen Schlüssel uns unsere Freunde vom Niederrhein für ein paar Tage überlassen haben, oder führt der Weg über eine Klippe in den Abgrund?

Mein Mädchen steigt aus, um das Terrain zu erkunden, doch da naht von hinten Eileen, die Caretakerin. Ob sie “the friend of Conny and Christian” sei, fragt sie mien Deern. “Nee, das sei eher ihr Mann da vorne im Auto”, antwortet diese, worauf sich Eileen von ihr abwendet, und – Ehre, wem Ehre gebührt – mir erklärt, dass wir hier richtig sind. Sie habe die Betten bezogen und die Heizung in Betrieb genommen und ihr Mann, damit wir ein wenig Platz ums Haus herum haben, den Rasen gemäht und die Büsche beschnitten. Zwischen Conny und Christian gebe es mitunter Differenzen, wie weit sie gestutzt werden dürfen, doch die seien ja weit weg.

Dann also mal los! Wir rollen vorsichtig die buckelige Piste hinab, bis zwischen Büschen und Bäumen das Haus auftaucht.

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Dienstag, 8. Juni 2010

ADonegal Rose, © 2010 Juergen Kullmannus einem Brief meines Mädchens an die Landlady und den Landlord unseres Quartiers: “... Ihr Haus ist wunderschön, und wir haben geschlafen wie im Himmel mit Blick auf die Erde und den Ozean. Wunderschön versteckt zwischen Büschen und Bäumen und einer buckligen Wiese drumherum, liegt es wie in einer anderen Welt. Die creme-farbene Rose blüht an der Mauerecke vom alten Schuppen – ein geheimer Garten. Nun sitzen wir auf der Terrasse vor dem Wohnzimmer Ihres Hauses und genießen mit Blick auf das Meer den sonnigen Abend.”

Der Chronist fährt fort

Dún na nGall, Festung der Ausländer, lautet der erstmals 1474 dokumentierte gälische Name der Grafschaft, der später im Englischen zu ‘Donegal’ wurde. Die ‘Gall’ waren zu jener Zeit die Wikinger bzw. Dänen, Normannen, Anglo-Normannen oder auch die Engländer – eben alle, die bis dahin übers Meer gekommen waren.

Bis deutsche Touristen ins Land kamen, dauerte es noch eine ganze Weile, doch immerhin verlassen mehr als fünfhundert Jahre später zwei von ihnen nach einem ausgiebigen Frühstück ihre am Vortag eingenommene Festung in Rinn na Feirste und fahren auf eine Halbinsel, über die sie am Abend zuvor von ihrer Schlafstube aus die Sonne haben untergehen sehen. Vorbei am auf einer Landzunge liegenden ...

Donegal Regional Airport
Next Departure:
August 17th
Check-in now open

Nicht wirklich, doch hätte uns ein solches Schild nicht gewundert, denn in den ersten achtzehn Stunden unseres Hierseins haben wir nicht einen Start und nicht eine Landung beobachtet.

Donegal Beach, © 2010 Juergen KullmannWir lassen das Auto unweit des schlummernden Flughafens stehen und wandern an den Strand, der, eingerahmt von in Jahrmillionen von den Wellen polierten Granitfelsen, an die Weite der Strände auf den Seychellen erinnert. Nur dass die Palmen fehlen und die Wassertemperatur um gefühlte 20 °C niedriger liegt – wer weiß, was sonst hier für Hotelburgen stehen würden.

Ich möchte noch bleiben, doch mien Deern ist unersättlich und will mehr vom Donegal sehen. Den Atlantic Drift South haben wir uns vorgenommen. Gut, dass unsere Karte auch die irischen Ortsnamen kennt, denn die englischen aus den Reiseführern sucht man auf den Hinweisschildern vergebens. Folglich ist Ailt an Chorráian und nicht Burtonport unsere nächste Station, ein verschlafenes Dorf mit 270 Einwohnern und einem Anleger, von dem aus eine Fähre nach Arainn Mhór geht, nicht zu verwechseln mit Inis Mór, der großen Araninsel in der Galway Bay. Zum Shoppen gibt es hier nichts, und so sind zwei Fotos von einem an der Pier auf Grund liegenden Boot und einer mit Efeu bewachsenen Ruine unsere einzigen Mitbringsel.

Weiter geht es nach An Clochán Liath (dt.: der graue Stein), ein Ort, der sich in einer anderen Welt Dungloe nennt:

And I wished I was in sweet Dungloe
    And seated on the grass.
And by my side a bottle of wine
    And on my knee a lass.
I’d call for liquor of the best
   And I’d pay before I go
And I’d roll my Mary in my arms
   In the town of sweet Dungloe.

Was Tralee seine Rose ist, ist Dungloe die Mary. Mary from Dungloe, ein sentimentales Lied über eine tragische Liebe, wurde 1936 von einem Steinmetz namens Pádraig Mac Cumhaill zu Papier gebracht, wenngleich die Geschichte dahinter sich schon ein Menschenleben zuvor ereignet hat. Als 1968 eine Aufnahme mit der Emmet Spiceland Ballad Group zur meistverkauften Schallplatte des Landes wurde, erinnerten sich geschäftstüchtige Einwohner an den Erfolg des Rose of Tralee Festivals von Kerry und riefen ein Mary From Dungloe International Festival ins Leben, auf dem sich seither in jedem Juli junge Frauen um den Titel einer ‘Mary from Dungloe’ bewerben. Derzeitige Titelträgerin ist die 25-jährge Kate Ferguson aus Derry.

Außerhalb des Festivalmonats ist Dungloe ein geschäftiges kleines Städtchen mit einem Denkmal für ‘Paddy the Cope Gallagher’, doch nicht für den, der sich heute im Europa-Parlament mit dieser Bezeichnung schmückt, sondern für den ‘Original-Paddy-the-Cope’, seinen 1966 im 93sten Lebensjahr verstorbenen Großvater. Hier ins Deutsche übersetzt ein Auszug aus dem Online-Lexikon Wikipedia:

Paddy ‘The Cope’ Gallagher war der Gründer von der ‘The Cope’ genannten Templecrone Landwirtschafts-Kooperative. Geboren in Templecrone in der Grafschaft Donegal, arbeitete er als junger Bursche zunächst als Saisonarbeiter auf einer Farm im Donegal und verdingte sich später bei der Kartoffelernte in Schottland. Harte Arbeit und lange Arbeitszeiten bei kargem Lohn brachten ihn nach seiner Rückkehr auf die Idee, eine Kooperative zu gründen. Dies führte zu einem Konflikt mit den Interessen lokaler Geschäftsleute, die ihn boykottierten, und so musste er eigene Boote kaufen, um die Produkte für die Kooperative herbeizuschaffen. In der Folge half er bei der Gründung örtlicher Fischerei- und Textil-Kooperativen und eröffnete den dort Beschäftigten die Möglichkeit, ihre Produkte in seinen Coop-Läden gegen andere Waren zu tauschen.

Gestiftet wurde das Denkmal von den “ehemaligen, gegenwärtigen und künftigen Mitarbeitern” des Gründers der Kooperative. Wir unterstützen sie, indem wir in ihrem neuen Supermarkt 12 Euro ausgeben.

Wir verlassen die Stadt, um via Loch an Iúir (See bei den Eiben) zu unserem Cottage zurückzukehren. Unterwegs wollen wir einen Imbiss einnehmen, doch das ist leichter gesagt als getan, denn alle Pubs und Restaurants, die uns mit Barfood all Day zum Anhalten bewegen, stellen sich als geschlossen heraus. Naht eine neue große Hungersnot? Nein, denn im Dörfchen An Bun Beag gibt es das Little Coffeehouse. Ein Blaubeer-Scone für mich und ein Toasted Sandwich für die Liebste, derweil um uns herum irische Hausfrauen beim Nachmittagstee Gälisch plaudern. Nichts verstehend außer “agus, agus, agus”, lauschen wir fasziniert.

Wir reißen uns los von dem keltischen Singsang, wollen noch etwas vom nachmittäglichen Sonnenlicht abbekommen. Der Strand am Rande des Dorfes ist menschenleer, trotz des riesigen Hotel in DDR-Plattenbauweise in unserem Rücken, auf dessen Gelände man nicht einen Menschen sieht.

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Mittwoch, 9. Juni 2010

Zum Donegal gehört, auch wenn unsere Hochglanzprospekte dies verschweigen, graues Regenwetter. Also haben wir solches für heute bestellt. Die Lieferung folgt auf den Fuß.

Nach dem Frühstück, bestehend aus Toast, Ei, Tomaten und Schinken för mien Deern sowie Ei, Tomaten und keinen Schinken für mich, machen wir uns auf den Weg in den Glenveagh National Park am Fuße des Errigal Mountain. Der mit 749 Metern höchste Berg Donegals zeigt nur seinen Sockel und hüllt sein Haupt in graue Wolken.

Auf halbem Wege am Lakeside Heritage Centre ist man auf klassische Touristen wie wir noch nicht eingestellt. Um diese Jahreszeit kämen sonst nur Schulklassen, erzählt man uns im Info-Centre. Eine Führung? Vielleicht heute Nachmittag, falls dann noch jemand käme – oder vielleicht am Wochenende? “Culture Shock Ireland” lautet der Titel eines Buches, das zum ‘Amazing-Value-Preis’ von € 3,99 am Tresen zum Verkauf ausliegt.

Glenveagh Castle, © 2010 Juergen KullmannWeiter landeinwärts im Besucherzentrum des Nationalparks ist etwas mehr Betrieb, auch wenn die meisten Parkplätze frei sind. Wir lassen uns per Shuttlebus zum vier Kilometer entfernten Glenveagh Castle kutschieren und nehmen an einer Führung durch das Schloss teil. Mit dem Elan, den unsere junge Schlossführerin an den Tag legt, macht sie ihre Sache bestimmt hervorragend, doch beurteilen können wir das nicht, da wir ihr Englisch so gut wie nicht verstehen.

Es gibt aber einen Handzettel zum Mitlesen: Wie Kylemore Castle in Connemara wurde das Schloss erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet, doch in Gegensatz zu Mitchell Henry von Kylemore war sein Erbauer John Adair ein verhasster Mann, ein reicher Immobilienspekulant, der nach dem Erwerb der Ländereien im kalten April 1861 mehr als zweihundert Pächter vertreiben ließ, weil er sich bessere Gewinne durch Viehzucht versprach. Seine aus Amerika stammende Frau Cornelia hingegen soll recht beliebt gewesen sein. Nach ihrem Tod – sie überlebte ihren Gatten um Jahrzehnte – wechselte das Anwesen mehrfach den Besitzer. Im Bürgerkrieg nistete sich die Old IRA dort ein, und heute ist es im Besitz des irischen Staats.

Glenveagh Garden, © 2010 Juergen KullmannAm beeindruckendsten jedoch ist an diesem regengrauen Junitag die sich den Berghang hochziehende viktorianische Garten- und Parkanlage, die Cornelia Adair nach dem Tod ihres Gatten ab Mitte der 1880-er Jahre hatte anlegen lassen. Das ursprüngliche Design, bestehend aus einem parkähnlichen Lustgarten und einem von einer hohen Steinmauer eingefassten ‘Walled Garden’, ist bis heute unverändert. Viele der alten Bäume stammen noch aus jener Zeit.

Nach ihrem Tod wurden 1929 Lucy und Arthur Kingsley-Porter die neuen Eigentümer, beide begeisterte Gärtner, die den Garten weiter entwickelten, und der letzte private Eigentümer fügte zwischen 1950 und 1980 mit einer gotischen Orangerie, einer italienische Terrasse und einem toskanischen Garten mediterrane Elemente hinzu. Wandert man an der Flanke des Gartens über den Berg – die Stufen aus Mrs. Adairs Zeiten, die auf direktem Wege zu dem Aussichtspunkt führen, sind wegen Baufälligkeit gesperrt – hat man einen weitläufigen Blick über das Anwesen und den See jenseits des Schlosses – fast wie der Blick vom Diamond Hill auf Kylemore Lough und Kylemore Abbey.

Auf der Rückfahrt durch das ‘Poisoned Glen’ wird der Himmel lichter. Ein vergiftetes Tal? Da sieht man wieder einmal, was passiert, wenn man irische Namen im Englischen lautmalerisch wiedergibt. Denn ‘aoibhinn’ hört sich zwar so ähnlich wie ‘poison’ an, bedeutet aber ‘himmlisch’. Daheim in Rinn na Feirste kommt die Sonne raus, so dass wir das Kochen verschieben und zur Bucht hinunter wandern.

Postskriptum: Dass das Grün im Garten von Glenveagh Castle so grünt, ist kein Wunder: selbst im Regen liefen dort die Wassersprenger.

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Donnerstag, 10. Juni 2010

Nach eintägiger Pause meldet sich am frühen Morgen die Sonne zurück. Wir starten zum ‘Atlantic Drive North’.

“Willkommen in An Fál Carrach, der größten gälisch sprechenden Stadt Irlands”, begrüßt uns der Weiler. Beim Zensus von 2006 wurden 842 Bewohner gezählt. Doch viele gälische Worte dringen auf der Straße und in den Läden nicht an unsere Ohren. In einem erwerben wir Küchenutensilien für den Export auf den europäischen Kontinent: zwei große Holzlöffel, die wir in dieser Form schon seit mehr als einem Jahr suchen und in Deutschland nicht auftreiben konnten, dazu eine jener einfachen und zugleich praktischen Muskat-Reiben, wie sie unsere Großmütter kannten, und schließlich zum Stückpreis von € 1,50 zwei der von uns so geschätzten ‘Westport-Messer’. Vor vielen Jahren hatten wir sie in Westport entdeckt und seither die Verwandtschaft damit versorgt, doch nachdem wir den Laden 2006 nicht aufgesucht hatten, waren seine Pforten 2007 geschlossen. “Die besten Küchenmesser, die Irland zu bieten hat!” meint das junge Mädchen an der Kasse.

Horn Head, Donegal. © 2010 Juergen KullmannDie Klippen von Horn Head sind unser Ziel. Um die Halbinsel auf dem schmalen Fahrweg zu umwandern, reicht ein Vormittag nicht. Also setzen wir uns ins Auto, halten aber nach wenigen Minuten wieder an und erkunden ein Stück des Weges zu Fuß, links der Berg, rechts das Meer und dazwischen auf halber Höhe der Weg. Hinter der nächsten Kurve ziehen sich große abgebrannte Heideflächen den Hang hoch. Wie es aussieht, hat die Straße das Anwesen unterhalb von uns vor den Flammen geschützt. Den Brandgeruch in der Nase, gehen wir zu unserem silbernen Nissan Micra zurück und setzen die Fahrt fort, bis wir auf einer schräg vor uns liegenden Landzunge die Klippen von Horn Head erblicken und einen Foto-Stopp einlegen.

Horn Head, Donegal. © 2010 Juergen KullmannZurück ins Auto. Nach einigen hundert Metern biegen wir nach rechts auf einen Schotterweg ab und holpern die Landzunge zu den Klippen hoch, bis der Weg vor einem Hügel endet. Zu Fuß geht es weiter durch die Heide, doch Vorsicht, denn

In Loving Memory of
Our Son
Peter King (P.K.)
Who died in a Fall from these Cliffs
25th Sept. 1993
Always Remembered

lesen wir auf einem Gedenkstein. Die ersten Opfer des dritten Jahrtausends müssen nicht wir sein! Oben auf dem Hügel habe einige Unverbesserliche der IRA ein ‘Denkmal’ gesetzt.

*  *  *

Wir bummeln die Küste entlang gen Süden, stoppen hier und dort, um die Landschaft in uns aufzunehmen – mit der Kamera klappt das nicht so recht. Ein längerer Aufenthalt an der Pier von Machaire Uí Robhartaigh, dem ‘flachen Land der Familie Robert’, wo gerade die Fähre nach Tory Island ablegt. Die Silhouette der Insel im Nachmittagslicht macht Lust sie zu besuchen, doch heute ist es zu spät dafür.

Bloody Foreland, blutiges Vorland, nennt man diese nordwestliche Ecke Donegals, was aber nichts mit blutigen Ereignissen aus der Geschichte zu tun hat, sondern mit dem roten Leuchten der Granitfelsen im Sonnenuntergang. Allerdings leidet die Schönheit oft unter der Zersiedlung der Landschaft. Mit dem Auto über eine Kuppe wippend habe ich den Eindruck, vom Dalkey Hill aus den Großraum Dublin unter mir liegen zu sehen. Die ersten Siedler ließen sich hier um das Jahr 5.000 v. Chr. nieder, als das Land noch von Morast und dichtem Wald bedeckt war, und bis ins späte Mittelalter haben auf diesem Landstrich kaum mehr als ein paar hundert Menschen gelebt. Im 17. Jahrhundert erfolgte mit der forcierten Ansiedlung englischer und schottischer Bauern durch die englische Krone die eigentliche Besiedlung. Heute liegt die Bevölkerungszahl bei viertausend.

Wir befinden uns im Kirchspiel Gaoth Dobhair, was so viel wie ‘Wind über dem Wasser’ bedeutet. Zwar ist es heute windstill, doch wird auf Hinweistafeln an den Parkbuchten von 12.000 Schiffsuntergängen seit Beginn der Geschichtsschreibung berichtet. Ein besonders tragischer ereignete sich am 9. November 1935, als ein offenes Boot mit zwanzig Bewohnern der vierzig Kilometer südlich von hier gelegenen Insel Arainn Mhór, die als Saisonarbeiter von der Kartoffelernte in Schottland heimkehrten, in der Dunkelheit auf einen Felsen lief. Nur ein Passagier überlebte.

Bei An Bun Beag kommen wir wieder in uns bekannte Gefilde und fahren ins Cottage zurück, wo die Midges auf der Terrasse schon auf uns warten.

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Freitag, 11. Juni 2010

Brief von Eileen Óg an Nis Puk in uns Huus in Tönning*

Moin Nis — Wir sind auf dem Rückweg vom Donegal in unser Cottage auf der Renvyle-Halbinsel. Meine beiden Mitreisenden meinen, sie würden den Weg zurück auch ohne meine Hilfe als Navigationsschaf finden, so dass ich dir jetzt einen Brief schreiben kann.

Der Donegal ist der nördlichste Zipfel von Irland, aber auch nicht weiter nördlich als Nordfriesland. Nur tausend Kilometer weiter westlich. Drei volle Tage, zwei halbe und vier Nächte haben wir hier verbracht, in einem Haus an einem Hang, das so gut zwischen Büschen und Bäumen versteckt ist, dass man es von der Zufahrt aus nicht sieht. Diese Zufahrt ist sehr abenteuerlich. Es handelt sich um einen buckligen Feldweg, der ziemlich steil von oben den Berg herunterkommt. Da musste ich den Fahrer genau lotsen, damit er nicht mit dem Autoboden auf einem Buckel zwischen den Fahrspuren aufsetzte.

Glenveagh Castle, © 2010 Juergen KullmannVon unserem Schlafzimmer aus, in dem die Fenster bis auf den Fußboden reichen, sieht man zunächst einen grünen Abhang, dann die Bucht und dahinter eine Landzunge, auf der einmal am Tag oder so ein Flugzeug landet, und dann das Meer. Auf der anderen Seite des Meeres liegt Amerika. Die Bucht sieht bei Ebbe nicht viel anders aus, als das Watt bei dir in Nordfriesland.

Die Landschaft gefällt mir ganz gut, doch gibt es kaum Schafe, denen ich von meinen Abenteuern berichten könnte. Selbst dort, wo die Felsen von Horn Head in die Sheephaven Bay abfallen, habe ich kein einziges gesehen. Ich möchte mal wissen, woher diese Bucht dann den Namen Schafsbucht hat! Ganz anders in Connemara, wo wir jetzt hinfahren. Dort gibt es mehr Schafe als Menschen, aber die Connemara-Schafe kennen meine Abenteuer ja alle schon.

So, jetzt muss ich aber aufpassen, dass der Fahrer sich nicht verfährt. Wir nähern uns nämlich Castlebar, und da wird es etwas kompliziert. Nicht, dass wir am Ende statt in Tully Cross in Dublin landen.

Tschüüs und viele Grüße an Jan Hinrich und Paddy-the-Sailor. Wir sehen uns dann im Herbst, und ich werde euch alles ausführlich erzählen.

Eileen Óg
Reise & Navigationsschaf”

* Siehe: Briefe an Nis Puk – Reistagebuch 2009. Auf dieser Reise lernte Eileen Óg auch Paddy-the-Sailor kennen, den sie dann mit nach Nordfriesland brachte.

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Reiseberichte Irland: Connemara 2010
© 2011 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 17.03.2011