Father Eoghan

von Peig Sayers

Unter Hinzuziehung gälischer Ausgaben aus dem
Englischen übertragen von Jürgen Kullmann
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Aus Peigs Sayers Autobiographie

Es ist kein Wunder, dass ich über Father Eoghan Bescheid weiß, begann mein Vater, “war er doch in meiner Kindheit unser Gemeindepriester. Und er war es, der mich verheiratet hat.”

“Er hatte eine ausgezeichneten Ruf”, warf Jim ein, “wegen seines mutigen Eintretens für die unglücklichen Pächter und Katholiken seinerzeit.”

“Ich glaube nicht”, begann mein Vater, “dass irgendein Priester in Kerry den krummen Gesetzen und der Glaubensverfolgung besser Widerstand leistete als Father Eoghan. Er war Kanonikus in An Daingean und dazu ein religiöser und frommer Kirchenmann. Er ging hart gegen die ‘Suppenwerber’ vor, die es damals in dieser Gegend zu Haufe gab. Aus diesem Grund redeten die Protestanten immer abfällig von ihm und schwärzten ihn an. Mit ihren Schmähungen hatten sie allerdings nicht den gewünschten Erfolg, denn Father Eoghan Ó Súilleabháin stand damals bei jedermann hoch im Kurs. Und dazu hatten die Leute allen Grund; oft stand er im Gericht für die Armen auf und trat für ihre Rechte ein. So wollte ihm die andere Seite gerne den Mund stopfen und wartete lange auf eine Chance ihn in Verlegenheit zu bringen.

“Das Haus, in dem die Messe abgehalten wurde”, fuhr mein Vater fort, “stand damals im Osten von Ceann Trá und die protestantische Kirche nicht einmal vierzig Yards davon entfernt. Eine enorme Menschenmenge besuchte damals die protestantische Kirche, auch wenn man heute dergleichen weder hört noch sieht – Gott sei’s hundertfach gedankt!”

“In der Tat”, fügte Jim hinzu, “bis heute halten die Leute Father Eoghans Name und Andenken in Ehren, und man hört oder sieht nirgendwo in der Gegend noch etwas von den anderen.”

“Stimmt!” sagte mein Vater, “auch wenn dies damals anders aussah, als der protestantische Pfarrer auf der Heimfahrt nach dem Sonntagsgottesdienst den Versuch unternahm unseren Priester zu bezwingen. Beide waren sie mit Pferd und Wagen da; der Pfarrer saß vor Father Eoghan auf dem Bock und hatte so den besseren Start. Father Eoghan war ein lebhafter, tollkühner, junger Mann, und immer, wenn er auf seinem Pferd ausritt, war man hingerissen von dem furiosen Tempo, das er vorlegte. Er mochte es nicht, wenn sich irgendetwas vor ihm auf der Straße befand – der Weg hatte frei für ihn zu sein; und das ist der Grund, mein Kind, dass jener Ruf bei den Leuten ein verbreiteter Slogan war. Sobald er sich nämlich näherte, hörte man alle, die Englisch konnten, lauthals ‘Straße frei! Father Owen kommt!’ rufen.”

“Beim Himmel”, unterbrach ich, “das erklärt, warum die Jungen heute Abend so riefen, als sie das Tempo des Seitenwagens erkannten.”

“Zweifellos”, fügte Muiris hinzu. “Weiter, Tomás!”

“Die beiden Pferde schlugen Funken aus der Straße. Der Pfarrer lag die ganze Zeit über vor unserem Priester in Führung, bis sie dann über die Brücke bei Baile an Mhuilinn kurvten und nach Osten fuhren. Keiner von beiden hatte bis dahin eine Silbe von sich gegeben.

Father Eoghan hob seine Stimme: ‘Die halbe Straße, bitte!’ Doch der Pfarrer tat, als höre er ihn nicht.

Unser Priester rief ein zweites Mal, aber der Pfarrer schenkte dem wenig Beachtung. Der Priester geriet in Wut und gab seinem Pferd die Peitsche, als wolle er zwischen der Mauer und dem Pfarrer passieren. Doch der Bursche ließ sich nicht überrumpeln und zog direkt vor dem Priester die Zügel. ‘Das machen Sie nicht nochmal’, schrie unser Priester und stieß ihn mitten auf der Straße zu Boden. ‘Da bleiben sie jetzt!’ sagte er und zog im Handgalopp an ihm vorbei nach Osten.”

“Und flüster mir eines, Tomás”, sagte Muiris, “was tat der Pfarrer daraufhin?”

“Er blieb am Straßenrand liegen, mein Junge, er und sein Pferd, für mehr als zwei Stunden. Gleichsam versteinert wurde er dort für alle Welt zur Zielscheibe des Spotts. Doch als sich Father Eoghans Temperament abgekühlt hatte, wurde ihm klar, dass er närrisch gewesen war seinen Kopf in die Schlinge des Gesetzes zu stecken. Er wusste sehr gut, dass die glücklose Seite nur auf eine Chance zum Losschlagen wartete. Als er und die drei anderen Priester mit dem Essen fertig waren, musste er kichern. ‘Was bringt Sie zum Lachen, Father Eoghan?’ fragte Father Ó Conchubhair. ‘Es ist – ich glaube, ich habe mich ganz schön in den Schlamassel geritten’, antwortete Father Eoghan. ‘Der Pfarrer ist jetzt erst zu Hause angekommen. ‘Was ist ihm zugestoßen?’ wollte Father Ó Conchubhair wissen, und Father Eoghan erzählte ihnen die Geschichte. ‘Doch ich fürchte’, fügte er hinzu, ‘mein Spaß wird nun ernste Folgen haben.’”

“Mag sein”, warf Jim ein, “dass sie nur nach einem Vorwand suchten ihn fertigzumachen.”

“So war’s, mein Sohn!” bestätigte mein Vater. “Diese Emporkömmlinge waren damals überall sehr einflussreich. Als sich die Nachricht ausbreitete, dass Father Eoghan den Pfarrer zur Zielscheibe des Spotts gemacht hatte, schleppte man ihn binnen kurzem vor Gericht.”

“Er wurde wohl zu einer Geldstrafe verurteilt,” sagte ich.

“Das wurde er, Kind”, antwortete mein Vater, “und die Strafe war gesalzen! Doch sie waren insofern nicht zufrieden, als es ihnen nicht gelang, ihn für gehörige Zeit ins Gefängnis zu bringen. Diese Genugtuung hatten sie nicht, da die Leute von An Daingean am Gerichtstag so viel Geld gesammelt hatten, dass die Strafe mehr als zweimal bezahlt werden konnte. Und die ausländischen Laffen waren empört genug darüber, dass es ihnen nicht gelang den Priester in Ketten zu legen.”

“Ich würde meinen, Tomás”, warf Muiris ein, “dass es für die Leute von An Daingean schwer genug war den großen Sack voll Geld zusammenzukriegen, denn die Zeiten waren damals hart für die armen Leute.”

“Was sagst du da, Mann?” fragte mein Vater. “Sie hätten ihre unsterblichen Seelen verpfändet, bevor sie ihren Feinden und den Feinden ihrer Religion eine solche Genugtuung gegönnt hätten! Der Geldbetrag, um den sie seinetwegen ärmer wurden, war ihnen völlig schnuppe. Schnell handeln, das war das Einzige, was ihnen blieb, um ihm die Schlinge vom Hals zu ziehen.”

“Da hast du recht!” sagte Muiris. “So wurde wohl genug Geld gesammelt um die Schuld zu bezahlen?”

“Auf mein Wort, das wurde es”, antwortete mein Vater. “Nicht ein Penny fehlte, und Father Eoghan hatte noch Geld übrig, als die Schulden beglichen waren. ”

“Er war’s bestimmt wert!” sagte Muiris.

“Ein wahres Wort!” sagte mein Vater. “Zwei Wochen nach dem Gerichtstag erging an die Gemeinde die Aufforderung, das ‘Problem’ zu lösen, in dem sich Father Eoghan befand. Jeder wusste, dass es sich bei dem fraglichen Problem um die Gerichtskosten handelte; also waren sie fest entschlossen ihm nach besten Kräften zu helfen. Am folgenden Sonntag wurden an den Kirchentüren Kollekten abgehalten und jede Gemeinde konkurrierte mit der anderen um ein Lobeswort von Father Eoghan. Auf diese Weise wurde erheblich mehr gespendet, als nötig war um die Schulden zu begleichen.”

“Dass du noch lange lebst”, sagte Jim. “Nie zuvor habe ich diese Geschichte von Father Eoghan gehört.”

“Mag sein”, antwortete mein Vater. “Seine Güte als Geistlicher war grenzenlos und es war ein Jammer, dass er so früh und in der Blüte seines Lebens starb.”

“Möge sich sein Ruhm im Himmel vermehren”, sagte Muiris. “Als der Ruf an ihn erging, musste er folgen.”

“In der Tat, das musste er”, sagte mein Vater, “und es war eine große Trauer um ihn im Kirchspiel An Daingean.”

“Stimmt”, bestätigte Jim, “und darüber hinaus in ganz Kerry.”

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© der Übersetzung Jürgen Kullmann. Das komplette Buch, ergänzt durch Karten und Anmerkungen, liegt als private Übersetzung vor. Eine offizielle Übersetzung ist unter dem Titel So irisch wie ich im Lamuv-Verlag erschienen.