Briefe von einer Coach Tour

von Gisela Dresbach

 

– Erster Brief –

The Pride of Rotterdam
Auf hoher See
Dienstag, 3. Sept. 2002

 
Lieber Irelandman, liebe Irelandfrau –

6.30 Uhr. Jetzt bin ich schon einen Tag im Rückstand mit den versprochenen Briefen, aber bislang gab es einfach keine Schreibgelegenheit.

Es begann am Montag, 10.30 Uhr Abfahrt. Bereits um 10 Uhr 20 bin ich da – und natürlich die letzte, die in den Bus steigt. Da sind sie also, die grauen Köpfe vom Vorbereitungsnachmittag, freudig gestimmt auf die Fahrt nach Irland. Im Bus das Hantieren mit der Technik des Sitzes, den Ablagemöglichkeiten, der Fußstütze usw. Man sitzt recht bequem, auch wenn der Bus nicht mehr ganz modern ist. Dann die Begrüßung durch Reiseleiter und Fahrer und der Tribut dafür, dass ich mit einer evangelischen Reisegruppe unterwegs bin: eine kleine Predigt mit Gebet und Gesang. Es predigt ein pensionierter Pfarrer aus Wuppertal-Elberfeld. Vom lieben Gott ist die Rede, vom Dank für die Fahrt usw. Es werden Liedtexte verteilt, dann erklingt das Lobet den Herrn durch den Bus. Die Reaktion ist geteilt: Dankbarkeit und Freude, aber bei der netten Frau in der Gangreihe neben mir das, was auch ich fühle: Ein wenig Befremden, etwas Spott – aber nur ein ganz klein bisschen – und etwas Belustigung.

Die Fahrt führt nach Holland, in die Nähe von Nimwegen. Dort ist Pause und Besichtigung eines Freilichtmuseums. Weiter nach Rotterdam und auf unser Schiff. Die Pride of Rotterdam ist eine gewaltige Fähre mit vielen Decks. 1.250 Passagiere und 800 Autos – darunter jede Menge LKWs – können geladen werden. Unser Fahrer, der wie ein Ire aussieht, besorgt die Kabinenschlüssel und Essensgutscheine. Auf die Fähre geht es zu Fuß, mit dem kleinen Handgepäck, das wir extra zu packen hatten. Von der Kabine hatte ich Horrorvisionen – alles halb so schlimm! Eine fensterlose und enge Zelle, aber gut belüftet. Ein Bett war von der Wand zu klappen, das andere von der Decke herunterzuziehen. Das Bad klein aber mit allem, was man braucht, erinnert an die Wohn-Klos aus Studentenheimen. Kein Schrank in der Kabine, dafür ein winziger Schreibtisch mit einem Hocker davor.

Auf dem Schiff viel Personal in allen auf der Erde vertretenen Hautfarben und mit so schönen Namen wie Pedro Alvarez, Caesar di Langhi, Benjamin Crawford, Lucia Smith ... Auf den Decks verschiedene Bars, Geschäfte, eine Bank, Geldspielautomaten und sogar Spieltische mit Croupiers.

Fortsetzung folgt,
Gisela

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– Zweiter Brief –

The Kingston Hotel
Adelaide Street
Dun Laoghaire
Donnerstag, 5. Sept. 2002

 
Lieber Irelandman, liebe Irelandfrau –

Die Nacht auf dem Schiff war besser als gedacht: kein Dieselgeruch, keine stampfende Maschine, die See ruhig und das Wetter klar. Abends und morgens Büffet, dann das Ausschiffen in Hull, zu Fuß und genau so gelassen wie das Einschiffen am Tag zuvor. Alle Mitreisenden sind wieder da.

Die Fahrt durch England war auch ganz nett, zwei Stopps an Raststätten. Aufregung im Bus, weil man kein englisches Geld hat und von der zweiten Raststätte an nichts mehr mit dem Euro zu machen ist. Unser Fahrer, ein wahres Organisationstalent, rettet seine Passagiere vor dem Verhungern, indem er Brot und Salami ausgibt. Ich selbst fühle mich wie die Einäugige unter den Blinden, habe ich doch noch 38 £St. vom letzten Englandbesuch, die ich ganz gerne loswerden möchte. So kaufe ich für Helga und mich ein Eis – und ziehe mir manch neidisch-bösen Blick zu.

Dennoch, die Stimmung im Bus ist gut. B., das schmuddelige Sorgenkind (jeder macht sich Sorgen, beim Essen neben ihm sitzen zu müssen) kann abgewehrt werden. Herr S., dessen Kinder in England leben, doziert über das Vereinigte Königreich, das wir von Küste zu Küste durchfahren. Ich oute mich als (a) katholisch und (b) Irlandkenner. Herr Beck, unser Reiseorganisator, ist rührend um gute Stimmung und Ordnung bemüht. Heute sprach er die Andacht. Er glitt etwas ab und war plötzlich bei den verfolgten und bedrohten Missionaren Indonesiens. Und für die haben wir dann gebetet und gesungen (Lobet den Herrn!).

Am Nachmittag dann in Holyhead Einchecken auf die Fähre. Wir fahren mit dem Bus auf das Schiff und bekommen eingeschärft, dass unser Gefährt auf Deck 5 an der blauen Treppe steht und wir uns nach Aufforderung dort wieder einzufinden hätten. Das Schiff ist klein und übersichtlich und die Reisegruppe hockt mehr oder weniger beisammen. Eine Vielzahl von Typen und Persönlichkeiten, kaum zu beschreiben in ihrer Vielfalt: der junge etwas zurückgebliebene Mann, der so schrecklich ungelenk, aber nicht dumm ist. Der kleine syrische (?) Kinderarzt mit seiner deutschen Frau, deren Kinder alle studiert haben. Die Ehepaare aus Ennepetal, kleinstädtisch, wie es sich für Leute von dort gehört. Der Pfarrer und seine Frau, beide scheu und ruhig. Die alleinreisenden Damen, weitgereist und selbstbewusst. Die älteren Herrschaften über 70, gleichfalls weitgereist, aber nicht mehr ganz so fit beim dauernden Herausklettern aus dem Bus.

So gibt es in dieser Anfangsphase immer wieder neue Konstellationen, die wieder verworfen werden, bis sich schließlich herausstellt, wer mit wem kann. Ein bisschen abseits bleiben B. und Frau M., die über 80 ist und etwas überfordert wirkt, sowie der Kinderarzt (typisch Weißkittel-Effekt). Ich selbst gehöre zu Helga und ihrem Herbert, dazu gesellt sich eine der fünf Alleinreisenden, die es mit den anderen nicht so gut kann. Denn fünf sind eine zuviel.

Fortsetzung folgt,
Gruß, Gisela

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– Dritter Brief –

Ocean Cove Hotel
Kilkee Bay
County Clare
Sonntag, 8 Sept. 2002

 
Hallo ihr beiden –

7.45 Uhr. Jetzt bin in völlig im Rückstand mit den versprochenen Briefen, aber es funktioniert einfach nicht: Briefe schreiben, wenn man von morgens bis abends Bus fährt, alle zwei bis drei Stunden anhält und aussteigt, dann mit Verspätung im Hotel ankommt und im Laufschritt zum Essen eilt. Und wenn man anschließend auch noch seine Ration Guinness will, bleibt gar keine Zeit mehr.

Gleich geht es von Kilkee weiter nach Killarney, der letzten Station unserer Reise. In Dublin war es ganz nett, auch wenn das Hotel nicht den Wünschen entsprach. Die Bedienung war überfordert und das Abendessen schrecklich langweilig – ihm fehlte die Würze. Mein Zimmer war in Ordnung, ging jedoch auf einen dunklen Innenhof hinaus und wurde nicht richtig hell. In unserer Gruppe haben sich jetzt die Grüppchen gefunden und es wird streng darauf geachtet, dass man seinen Tisch im Speisesaal mit den anderen aus der eigenen Gruppe teilt. Nur kein Wechsel! Da wir eine Dreiergruppe sind, fällt es uns manchmal schwer zusammen zu bleiben, denn die Tische sind auf sechs, vier oder zwei Personen ausgerichtet.

Wir wenden verschiedene Techniken an: (a) Reinstürmen und die anderen wegdrängen, (b) von vornherein einen unattraktiven Tisch ansteuern, den keiner haben will, und (c) durch geschicktes Stühlerücken Platz schaffen. Es gibt böse Blicke, wenn man dabei einen Tisch ergattert, den gestern noch eine andere Gruppe hatte.

Von Dublin aus haben wir viel gesehen. In den Wicklow Bergen waren wir und auch Dun Laoghaire ist sehenswert. Ein nettes Örtchen mit viel Wasser, vielen kleinen Geschäften und mehreren Pubs, in denen es aber nur Popmusik gibt. In Dublin selbst hatten wir eine nette Führung mit Paula von Bord Fáilte. Anschließend gab es Gelegenheit zu einem Stadtbummel, wer wollte konnte alternativ mit dem Bus zur Guinnessbrauerei fahren.

Die kannte ich ja schon, die Guinnessbrauerei, und so führte ich meine Untergruppe privat durch die Stadt: Über die O’Connell Bridge am GPO vorbei zur Henry & Moore Street, wo sich zu ‘unserer Zeit’ die Blumenverkäufer mit ihren Kinderwagen tummelten. Derzeit werden aus nämlichen Kinderwagen Erdbeeren verkauft, vor allem vor dem General Post Office. Dann wanderten wir über die Ha’penny Bridge (frisch restauriert!) auf die andere Liffeyseite zurück und durch die Temple Bar. Habe die düstere Ecke von Anno Tuck kaum wiedererkannt.

Nicht verkneifen konnte ich mir einen Abstecher in die South Great Georges Street – ich musste meinen Begleitern doch Kelly’s Hotel zeigen, wo wir ’94 untergekommen waren. Temperaturen wie in der Sauna, und das Fenster in meinem Zimmer ließ sich nicht öffnen. Und eine Telefonanlage aus den 30-iger Jahren mit Stöpseln. Das Hotel gibt es immer noch.

Schließlich waren wir wieder beim Trinity College, wo wir gegen 18 Uhr eingesammelt werden sollten. Große Aufregung, Herr M. fehlt, der Älteste der Reisegruppe. Seit Mittag hatte ihn keiner mehr gesehen. Wir warteten bis 18.15 Uhr, dann mussten wir los – das Dinner nimmt keine Rücksicht auf verlorengegangene Touristen. Aufgeregte Diskussionen im Bus: War er so klug und ist mit dem DART oder einem Taxi gefahren? Oder liegt er im Krankenhaus? Als wir in Dun Laoghaire ankommen, steht er schon vor dem Hotel. Er hatte sich verlaufen und richtig erkannt, dass er es nicht rechtzeitig zum Bus schaffen würde. Also stieg er in den DART und fuhr mit ihm zurück nach Dun Laoghaire. Toll für einen 80-jährigen, der kein Wort Englisch spricht. Er hatte am Fahrkartenschalter den Hotelprospekt gezeigt und es geschafft zu einer Fahrkarte und in die richtige Bahn zu gelangen. Und an der richtigen Station auszusteigen.

Fortsetzung folgt,
Gruß, Gisela

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– Vierter Brief –

Ryan’s Hotel
Killarney
Immer noch Sonntag, 8 Sept. 2002

 
Hallo ihr beiden –

18:30 Uhr. Das Hotel, von dem das Briefpapier stammt, liegt nun schon hinter uns. Vor einer Stunde haben wir unsere letzte Station auf irischem Boden erreicht, das Ryan’s Hotel in Killarney. Schluck, was für ein Unterschied zur letzten Unterkunft. Das ‘Ocean’s Cove’ an einer wunderschönen Bucht am Atlantik gelegen, ein Zimmer mit Blick auf die Bucht, helfende Hände, die den Koffer tragen und eine angenehme Atmosphäre. Und nun: Zimmer mit Blick auf den Innenhof, vor dem Hotel eine große Kreuzung mit Tankstelle, einem Super Value und weiteren Geschäfte gegenüber. Im Zimmer alles etwas abgenutzt, wenn auch sauber. Ein Tischchen mit Wasserkocher, Tassen und dem obligatorischen einen Teelöffel.

Aber: wo gibt es eine Steckdose, für den Wasserkocher? Unter dem Schreibtisch! Also runtergekrabbelt, doch der Stecker geht, da sich die Dose zu nahe am Boden befindet, nicht rein, er ist einfach zu dick. Die nächste Steckdose ist unter dem Hosenbügler hinter dem Fernseher. Das klappt, aber nur wenn man den Kocher auf den Fußboden stellt.

Nach dem Einchecken bin ich kurz in den Super Value gegangen – teurer als der Tesco in Dun Laoghaire – und habe etwas Süßes gekauft. Größter Verkaufsschlager bei unserer Truppe waren jedoch die Long-Life-Plastikeinkaufsbeutel des Supervalues, von vielen als Souvenir entdeckt. Und so wurden an diesem Nachmittag in Killarney die Beutel zu einem Erkennungszeichen für Teilnehmer an unserer Tour.

Doch nun hocke ich in meinem Zimmer und verzehre die Süßigkeiten zu meinem Kaffee. Das Radio (mein eigenes!) funktioniert: Geistliche Musik auf RTÉ 1, die kann ich heute gut vertragen. Denn heute Morgen auf dem Weg von Kilkee gab es in einer alten Kirchenruine einen Gottesdienst – wir haben ja unseren Privatpfarrer dabei. Ich klinkte mich aus, nicht weil ich nicht an einem evangelischen Gottesdienst teilnehmen wollte, sondern weil mir der Prediger auf die Nerven geht. Wir sind alle Kinder Gottes, manche aber etwas mehr.

In Bunratty hatten wir Pause gemacht, ganz nett das Freilichtmuseum. Was mich an dieser Art zu reisen nervt, weiß ich heute schon: Man sitzt viel zu lange im Bus und hat kaum Zeit zum Luftholen und Genießen. Obwohl unsere Tour noch recht gemächlich abläuft, wenn ich anderen Berichten trauen darf.

Der größte Gewinn unserer Fahrt ist jedoch unser Fahrer, Wilfried aus Köln. Ihr hättet eure Freude an diesem Irlandfan, der jeden Tag mehr wie ein Ire aussieht. Dünn und mit wenig Haaren auf dem Kopf – und die sind rotblond –, ein Dreitagebart, grüne Schuhe und ein Sweat- oder T-Shirt. Ganz ruhig, völlig cool, aber über alles informiert. Gestern auf der Fahrt durch den Burren hat er uns ein Haus gezeigt, das früher eine Ruine war und von dem er lange träumte es eines Tages zu kaufen und zu renovieren. Das kommt uns doch bekannt vor, nicht wahr? Das alte Schulhaus auf Renvyle ...

Wilfried liest auch das irland journal und kennt bestimmt auch den Irelandman. Er hat eine Mütze, so grün wie Jürgens blau ist, nur etwas ballonartiger. Er fährt sehr flott über die engsten Straßen und wirkt dabei so sicher, dass man keine Angst hat. Alles in allem: er entspricht so gar nicht den Busfahrern, die ich von anderen Ausflügen, z. B. mit dem VdK, kenne. Ohne unseren Wilfried wäre die Fahrt sicher nicht so glatt verlaufen.

Gestern Abend in Kilkee gab es tolle Musik, zum ersten und einzigen Mal auf dieser Reise. Wir hatten uns für 22.15 Uhr in der Hotelbar verabredet, nachdem wir nirgendwo im Ort Livemusik gefunden hatten. Im Hotel hatte sich eine Gruppe namens Poitín Still eingefunden, das klang nach meinem Geschmack. Ein Repertoire wie bei den Coynes: Green Fields of France, Dirty Old Town usw. Ein Gitarrist, der auch ganz gut sang, eine Frau am Keyboard und einer junger Fiddler. Ein rundum gelungener Abend. ‘Nun The Wild Rover für die Deutschen zum Mitsingen’ meinte plötzlich der Sänger. Habe mich in Schweigen gehüllt und statt dessen bei The Green Fields Of France mitgesungen – dem musste ich doch zeigen, dass man auch etwas anderes kennt.

Von unserer 47-köpfigen Reisegruppe sind nur sechs in die Bar gekommen, und von denen haben nur drei bis zum Ende durchgehalten. Mit Nationalhymne, versteht sich! Himmel, was wollen die Leute denn in Irland, wenn sie nicht zur Musik kommen? Und bequemer als im eigenen Hotel geht es doch wirklich nicht! Um halb zwei in der Nacht kam ich ins Bett, doch geschlafen habe ich bis halb drei nicht. Heute Morgen um Viertel nach sieben mussten wir dann schon wieder raus, der Bus wartete. Das ist schon hart an der Busfahrerei: Man ist in keiner Weise flexibel und kommt nie zum Ausschlafen. Und nun ruft das Abendessen, die Rennerei nach einem Tisch beginnt ...

Das war’s, morgen Abend geht’s in Cobh auf die Fähre nach Frankreich.

Bis dann, Gisela

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Weitere Berichte


© 2002 Gisela Dresbach & Jürgen Kullmann