Irisches Tagebuch 2008

God bless all here ... except the cat

 

Sonnabend, 21. Juni 2008

Hat es sich nun ausgesommert? Der Wetterbericht des Irish Independent deutet so etwas an. Wir kommen gerade von einem Ausflug zum Renvyle Head zurück, da beginnt es auch schon zu schütten. Rasch die drei Wäschestücke von der Leine, dann geht es zum Lunch nach Letterfrack. Wir wollen Veldon’s doch noch eine Chance geben.

Es hat sich gelohnt. Der Haddock – Schellfisch, übersetzt das Wörterbuch – war gar nicht so übel. Dann taucht unvermutet Seán der Bodhránspieler aus dem Regen auf, schüttelt sich, bestellt an der Bar einen Whiskey, erspäht seinen Fanclub und kommt zu uns herüber.

Er sei noch viel besser geworden, meint er schmunzelnd zu meinem Mädchen, von ihr ob seiner Virtuosität an der Handtrommel angesprochen. Neue Techniken und neue Hardware, zu bestaunen von montags bis freitags ab 10 pm bei E.J. King in Clifden. Er sei gerade auf dem Weg zur Aufzeichnung seiner Radiosendung, die jeden Donnerstagabend von Connemara Community Radio ausgestrahlt wird. In der letzten Woche habe er mit Songs wie ‘Lonesome Rider’, ‘Splendid Isolation’ &c. die Ablehnung der EU-Verfassung durch Irland musikalisch kommentiert – ein Riesenspaß!

Er schaut auf die Uhr: Verflixt, er müsse los, sonst komme er noch zu spät. Vielleicht sehe man sich nächste Woche in Clifden. We really hope so.

*  *  *

Am Nachmittag besuchen wir Frank in Mullaghgloss und halten ihn mit seinem Jüngsten von Renovierungsarbeiten ab. Wir trinken in der Küche einen Pott Kaffee, quatschen über dies & das, erzählen ihm von ‘uns Huus’ in Tönning und lassen uns das seine bis in den letzten Winkel zeigen.

Anschließend ein kurzer Besuch bei seiner Mutter Margaret nebenan. Ihr Jüngster ist mit seinem Sohn zu Besuch, er wohnt nur ein paar hundert Meter weiter oben am Hang. Wir werden unsere Pralinen los, doch das Gespräch ist arg zähflüssig. Als Johnnie noch lebte, fiel das Plaudern leichter. Nach einer halben Stunde brechen wir auf.

*  *  *

Wir sind in Molly’s Bar, es ist proppevoll. Frank hat uns mit nach Letterfrack genommen, so dass wir uns nicht streiten müssen, wer heute Nacht zurückfährt. Die Kneipe hieß ursprünglich Freeney’s Pub, doch Molly Freeney war eine Institution, so dass alle Welt von ‘Molly’s Bar’ sprach und Tochter Sally den Namen später übernahm.

Live at MollysAn der Rückwand ein großes Poster nach einem historischen Foto: The Raineys at Freeney’s Pub. Die Raineys waren in den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Travellerfamilie mit großer musikalischer Tradition und verbrachten die Winter in Ost-Galway und die Sommer in Letterfrack. Hier wurde der Oxford-Professer Tony Knowland auf sie aufmerksam, der sich auf Renvyle niedergelassen hatte und mit seinem Tonbandgerät überall dort auftauchte, wo es traditionelle Musik zu hören gab. Und so kam es an einem Abend des Jahres 1956 in Freeney’s Pub zu einer Session, die der musikbegeisterte Professor aufzeichnete. Ein halbes Jahrhundert später tauchte diese Aufzeichnung wieder auf und wurde als CD veröffentlicht, vorgestellt in Freeny’s Pub, der mittlerweile Molly’s Bar heißt.

Zurück zu heute. Die Musik muss warten, denn im TV kämpfen Holland und Russland um den Einzug ins Halbfinale der Europameisterschaft im Fußball. Wir sind in der Verlängerung und es steht 1 : 1. Für die Entscheidung sorgen mit zwei Toren die Russen, die Iren hatten eher den Holländern die Daumen gedrückt.

Doch wer meint, der Pub würde sich nun leeren, hat sich geirrt. Es ist Mittsommernacht, da geht man nicht schlafen – und wenn doch, dann im Pub. Neben uns auf der Bank ruht friedlich ein vielleicht sechsjähriges Mädchen, während Frank auf vielfachen Wunsch lautstark den Whiskey im Fass besingt und das Menschengewühl am den Tresen versucht, sich dabei zu unterhalten. Dass die Kleine bei diesem Lärm schlafen kann?

Doch stopp, von wegen ‘Kleine’, so jung kann sie gar nicht sein, denn nach dem Aushang über der Theke ist es unter 18-jährigen, egal ob mit oder ohne Begleitung, strictly untersagt, sich nach 18 Uhr in der Bar aufzuhalten. Die Achtzehnjährigen in diesem Land sehen manchmal sehr jung aus. Auch den jungen Mann, der die leeren Gläser von den Tischen räumt, hätten wir auf höchstens vierzehn geschätzt.

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Sonntag, 22. Juni 2008

Himmel noch mal, was haben wir denn nur an diesem Sonntag gemacht? Das kommt davon, wenn man sein Tagebuch zwei Tage liegen lässt und sich anschließend zu erinnern versucht.

Nun denn, es hat viel geregnet und mein Mädchen hat gemalt. Die Bilder haben wir an die Küchentür gepinnt. Dann haben wir mit der Cottage-Katze darüber diskutiert, ob sie zu uns ins Haus darf oder nicht, wobei sich mein Mädchen mit ihrem Nein durchgesetzt hat. Auch wenn ––– nun ja, bei diesen die Katz-aus-dem-Cottage-Scheuch-Aktionen fühlt man sich moralisch nicht immer auf der sicheren Seite. Wenn so eine Katze bei Regen beharrlich vor der Tür lauernd beim Öffnen selbiger blitzschnell in die gute Stube springt und im Torfloch rechts neben dem Kamin (woher kennt sie das eigentlich?) verschwindet, kommt man sich schon etwas verwerflich vor, sie wieder nach draußen zu expedieren.

“Das ist es auch!” miaut die Katz.

Cottage Katze, © Juergen Kullmann“Liebe Katze”, mag man darauf antworten, “jetzt komme uns nur nicht mit ‘The Great Famine’ und so. Ein 1a-Lunch und Dinner vom Feinsten (SuperValu und Lidl) bekommst du hier Tag für Tag, dazu erst neulich original-italienischen Parmesan. Da kann von ‘großer Hungersnot’ nun wirklich keine Rede sein! Du siehst doch recht robust und gesund aus, und was das bisschen Regen betrifft – etwas Abhärtung hat noch keiner Katze geschadet. Außerdem gibt es hinter dem letzten Cottage einen prima trockenen Torfschuppen.”

“Touristenpack!” miaut die Katz.

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Das Mittagsprogramm: Ein Spaziergang bei Wind und Wetter am Renvyle Strand. Leicht angefeuchtet kommen wir zurück.

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Das Abendprogramm: Musik mit Frank und Kieran gegenüber bei Sammon’s. Sinne Fianna Fáil ... summend kommen wir zurück.

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Montag, 23. Juni 2008

Die gestrigen künstlerischen Aktivitäten meines Mädchens hatten darunter gelitten, dass der mitgebrachte Acrylblock zu klein gewesen war, als dass sie ihre kreativen Ideen darauf hätte verwirklichen können. Nichtsdestotrotz hatte sie ihre ersten Menschen gemalt: zwei irische Fischer, beziehungsweise das, was man von ihnen sieht, wenn sie ein Curragh zu Wasser tragen.

Grain Store Clifden, © 2008 Juergen KullmannWir fahren nach Clifden um zu schauen, ob der lokale Book and Artist’s Shop größere Formate auf Lager hat. Er hat. Das Papier besitzt zwar nicht ganz die gewünschte Struktur, aber in Connemara muss man Kompromisse machen.

Wir wandern zum Hafen. Mit der Wirtschaft geht es bergab, liest man täglich in der Zeitung. Die Immobilienpreise sinken, und so bietet Matt O’Sullivan den ‘Grain Store’ am Hafen für nur noch eine Million Euro an. Etwas Geld für die Renovierung sollte man allerdings zurückhalten.

Lord of Clifden Castle, © 2008 Juergen KullmannAm Hafen beginnt auch der Slí Croi, wie er genannt wird, ‘Herzweg’, lautet die deutsche Übersetzung. Täglich einmal, lesen wir auf einer Tafel, sollte man ihn der Gesundheit seines Herzens wegen laufen, doch sehr gesundheitsbewusst scheinen die Clifdener nicht zu sein. Der Weg endet bei der Rettungsboot-Station am Yachtclub. Von dort geht es über einen schmalen Fußpfad und dann querfeldein über eine Kuhweide zur Ruine von Clifden Castle, die nicht viel schlechter in Schuss ist, als der zum Verkauf stehende Grain Store am Hafen. Wem sie wohl gehört? Dem Herrn, der hier im Fensterbogen sitzt, eher nicht, und bei Matt O’Sullivan ist sie bislang nicht im Angebot.

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Wir sind wieder daheim und sitzen vor dem Cottage. Nach mehr als einem Jahr Renovierung & Einrichtung von uns Huus in Tönning ist unsere handwerkliche Kompetenz so weit fortgeschritten, dass auch dieses davon profitiert. Ein Beispiel ist die Dusche, die zwar konstant warmes Wasser lieferte, deren Brausekopf aber ebenso konstant nach unten rutschte, wenn man ihn nach oben schob – etwas lästig bei einer Köpergröße von über 1,5 Meter. Irische Handwerker oder Cottage-Mieter vor uns hatten versucht, ihn mit Hilfe von Klebeband auf einer halbwegs brauchbaren Höhe an der Stange zu fixieren, doch glitt er uns bereits am zweiten Tag wieder herunter.

Da war disziplinübergreifendes Denken und praktisches Handeln angesagt. Als wir unsere Leihwagen noch ohne Vollversicherung mieteten, waren die Felgen oft mit nur lose befestigten, dem Anschein nach sehr billigen Plastik-Radkappen verziert, deren wahren Wert man erst erkannte, wenn man bei der Fahrzeugrückgabe die Rechnung für eine fehlende präsentiert bekam. Aus jenen Tagen stammt eine Großpackung von 100 Olympic Fixings (Kabelbinder) aus dem Hardware-Shop in Letterfrack, mit denen wir die Radkappen an die Räder zu zurren pflegten, und die wir noch in unserer Tasche auf dem Dachboden fanden. Einen dieser ‘Fixings’ um die Duschstange unter den Brausekopf geschlungen und festgezogen – und nichts rutscht mehr herunter.

Unser Meisterstück jedoch war die Lösung des Problems mit dem Toiletten-Spülkasten, wobei zunächst nicht klar war, dass er das Problem war, denn die Symptome kamen vom Dachboden, wo es enervierend plätscherte. Das ist normal, wenn zuvor im Haus Wasser abgezapft wurde, weil sich anschließend der Vorratsbehälter unterm Dach wieder füllen muss. Doch irgendwann einmal, so der Schluss, sollte er voll sein und das Gluckern aufhören – oder überlaufen und das Wasser durch die Decke tropfen. Doch weder das eine noch das andere trat ein.

Bis dann am zweiten Tag ein kluger Badbenutzer feststellte, dass die Toilettenspülung nach ihrer Betätigung nie ganz versiegte, ein kleiner Rinnsal konstant vom Spülkasten in die Toilette und folglich vom Vorratstank auf dem Tully Mountain in den auf unserem Dachboden floss, um anschließend den Spülkasten wieder aufzufüllen.

Erster Ansatz zur Lösung des Problems (erarbeitet von mir): Nach jedem Auffüllvorgang des Spülkastens den Deckel abnehmen, ins Wasser greifen und den Schwimmer einmal kräftig nach oben ziehen. Dann läuft nichts mehr raus und nichts mehr nach. Das funktioniert, ist aber unbequem.

Zweiter Ansatz, wesentlich eleganter und erarbeitet von meinem Mädchen: An das Ende des Schwimmers im Spülkasten einen Bindfaden befestigen und den Deckel so auflegen, dass ein schmaler Spalt verbleibt. Den Bindfaden durch den Spalt nach außen führen und das andere Ende auf den Deckel legen. Wenn sich nun der Spülkasten nach einem Spülvorgang mehr oder weniger gefüllt hat, einmal kräftig an dem Bindfaden ziehen.

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Dienstag, 24. Juni 2008

Es regnet Bindfäden, aber wir fahren einfach mal los, via Mullaghgloss nach Leenaun und dann weiter durchs Joyce Country entlang des Sees der Kälte* Richtung Tourmakeady am Lough Mask.

Was wir in Tourmakeady wollen und ob wir dort überhaupt irgendetwas wollen, wissen wir selbst nicht. Es gibt dort einen Privatgarten, dessen deutschen Obergärtner wir kennen – wir haben allerdings keine Ahnung wo. Wer weiß, vielleicht läuft uns der Mann ja ganz zufällig über den Weg und zeigt uns seine Wirkungsstätte.

Auch in Tourmakeady regnet es, und kein Head Gardener steht am Straßenrand und winkt. Also halten wir gar nicht erst an, sondern fahren nach Ballintubber, wo sich der Himmel unser erbarmt und seine Schleusen schließt.

Ballintubber Abbey, Irland 2008.   Juergen KullmannVor fünfzehn Jahren hatten wir die Abtei von Ballintubber schon einmal besucht, doch die Erinnerung daran ist verblasst und gilt es nun aufzufrischen. Seither hat sich einiges getan, selbst deutschsprachige Warnhinweise gibt es mittlerweile und der Sakristei, in der wir uns einen Film anschauen, fehlte damals noch das Dach. Ballintubber Abbey – The Church that refused to die (Ballintubber Abbey, die Kirche, die sich zu sterben weigerte) lautet der Titel des Films, und dass er so gut geworden ist, liegt vor allem an seinem Hauptdarsteller, dem Gemeindepriester Father O’Fahey, der in einem naturfarbenen Aranpullover eine Gruppe Besucher über das Gelände und durch die Jahrhunderte führt.

Ballintubber Abbey 2008, © Juergen KullmannSeit 800 Jahren wird hier die Messe gelesen, davon zweieinhalb Jahrhunderte unter freiem Himmel, nachdem der Kirche unter Beteiligung der Soldaten Oliver Cromwells das Dach abhanden gekommen war. Schon der Baubeginn im Jahr 1216 war eine vertrackte Angelegenheit gewesen. Eine göttliche Eingebung, erzählt Father O’Fahey, hatte König Cathal O’Connor von Connacht dazu aufgefordert, als Gegenleistung für eine ihm erwiesene Gunst bei Ballintubber eine Abtei zu errichten. Nun ist Baile an Tobair, wie der Ort auf Irisch heißt (dt.: Siedlung am Brunnen), ein Allerweltsname, so dass der arme König viermal eine Kirche am falschen Ort bauen ließ, bis er den richtigen Brunnen fand und die göttliche Eingebung zufrieden stellen konnte. Denn es sollte jener Brunnen sein, an dem St. Patrick auf dem Weg zu seinem Berg die ersten Christen Irlands getauft hatte.

Der Film über die Abtei und ihre Geschichte ist für 20 Euro auf DVD erhältlich. Soll ich? Die Liebste hat eine bessere Idee. Statt ihn sich in Dortmund auf DVD zu betrachten, könnte man nächstes Jahr wiederkommen und ihn hier noch einmal sehen. Die Frau ist einfach genial!

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Von Ballintubber aus geht es weiter nach Castlebar, der Hauptstadt der Grafschaft Mayo. Der Regen holt uns wieder ein, doch im lokalen Dunne Store ist es trocken. In der Gartenabteilung erwerben wir einen blauen Metalleimer mit Deckel für uns Huus in Tönning. Es ist ganz schön aufwendig und man muss weit herumreisen, bis man so ein Haus in Nordfriesland ausgestattet hat!

* Deutsche Übersetzung von Loch na Fuaiche bzw. Lough Nafooey.

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Mittwoch, 25. Juni 2008

Wir haben uns das Gleann na nGeimhleach bzw. Tal der Gefangenen vorgenommen, parken vor ‘Coyne’s First Pub into Connemara’, wie auf dem alten Zigeunerwagen vor dem Anwesen zu lesen ist.

Poteen, © 2008 Juergen KullmannHier an der Grenze zwischen dem einsamen Mayo und wilden Connemara wird noch Poitín gebrannt, könnte man meinen, wenn man einen Blick in die kleine Hütte rechts der Kneipe wirft, jenes Lebenselixier also, von dem ein irischer Arzt im Jahre 1760 feststellte: 1. es heilt die rissige Haut an den Händen / 2. tötet Würmer / 3. kuriert Kopfschmerzen / 4. verhindert das Altern / 5. stärkt die Jugend / 6. hilft bei Verstopfung / 7. löst das Phlegma / 8. vertreibt die Melancholie / 9. erfreut das Herz / 10. vertreibt den Grieß / 11. kuriert die Wassersucht / 12. heilt den Harndrang / 13. klärt den Geist und beflügelt die Sinne / 14. mindert das Gewicht / 15. lässt den Wind abgehen / 16. bewahrt den Kopf vor Schwindel. All dies ist nachzulesen in Sean McGuffins Buch Zum Lobe des Poitín aus dem Jahr 1978.

Speedlimit in Irland, © 2008 Juergen KullmannMit bis zu 80 Kilometern pro Stunde, so hat es das Straßenverkehrsamt festgelegt, darf man durchs Tal der Gefangenen fahren. Wir gehen lieber zu Fuß, kommen jedoch nicht allzu weit, denn es beginnt zu regnen, so sehr sogar, dass sich die Hunde statt uns anzukläffen ins Trockene zurückziehen. So brechen wir die Expedition ab und fahren zum Lunch ins Bard’s Den nach Letterfrack.

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Es wird Nachmittag, und wider Erwarten schaut die Sonne hinter den Wolken hervor. Wir sitzen vor dem Cottage, und die Katze – Miaauu, ja, einen Moment noch, du kriegst gleich etwas – schnurrt um uns herum. Verlässt man kurz seinen Stuhl, so huscht sie hinauf. Doch sollten wir darauf achten, dass sie nicht den Titel des kleinen Buches zu sehen bekommt, das ich gestern aus Ballintubber mitgebracht habe und in dem ich gerade blättere: God Bless all here, except the Cat.

Katzen, so lese ich hier, gelten als nicht loyal. ‘Is ar mhaithe leis fhéin a dhéanas an cat crónan’, eine Katze schnurrt nur für ihr eigenes Wohlergehen, lautet ein Sprichwort. Ihnen sei nicht zu trauen, meint der Volksmund, selbst den scheinbar so unschuldigen Hauskatzen nicht. Wenn Familiengeheimnisse am Kamin besprochen werden, verrät der Autor, könne man beobachten, dass die Katze nach eine Weile langsam aufstehe, sich strecke und dann als sei nichts gewesen zur Türe hinaus gehe, um alles brühwarm mit der Nachbarkatze zu diskutieren.

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Donnerstag, 26. Juni 2008

Fliuch báite, ertrunken nass, wie es im Irischen heißt, kommen wir von unserer alljährlichen Wallfahrt zu ‘Bett und Quelle des Heiligen Patrick’ auf dem Scheitel des Mám-Ean-Passes zurück. Vermutlich ist es ein Fehler in der Überlieferung, und es handelte sich in Wirklichkeit um die Dusche des Heiligen Patrick. So triefend nass waren wir zuletzt vor fünfzehn Jahren, als wir von einem Currach-Rennen in Leenaun zurückkehrten. Mit dem Rest aus der Whiskeyflasche auf dem Kaminsims versuchen wir zu verhindern, dass sich auch die damalige Erkältung wiederholt.

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Lasagne and Chips, © 2008 Juergen KullmannLunch bei Patrick Sammon im Angler’s Rest. Lasagne mit Chips pflegt der Angler zu speisen, wenn er keinen Fisch an den Haken bekommen hat, und das schmeckt gar nicht so übel. Der Gemeindepriester Father Tony sitzt in einer Nische am Fenster, blättert in der Zeitung und trinkt sein Bulmers. Eine Familie betritt den Raum, Eltern, Großeltern und zwei kleine Kinder. Freudig überrascht begrüßt man Father Tony, setzt sich zu ihm und bestellt etwas zu essen. Ein lautes, fröhliches Geplauder schallt aus der Ecke.

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Schon seit einer Woche hängen überall im Dorf Plakate:

Tegolin’s Tales
A dramatic Experience
every Thursday Night
by Tegolin Knowland,

der, so vermuten wir, Frau von Seán Coyne, dem vierten Sohn des legendären Paddy Coyne. Ort der Handlung: das Teach Ceol in Tully.

Also begeben wir uns kurz vor sieben zum ‘Haus der Musik’ nach Tully. Nach dem Regen vom Vormittag ist es ein schöner Sommerabend geworden. Die Tür steht offen, drinnen wird gehämmert und gezimmert. Eine Bühne wird aufgebaut, und ich frage nach dem angekündigten Ereignis. Wir hatten es fast erwartet: “O sorry, not this Thursday, next Thursday – most probably.”

So steigen wir auf den Hügel vor uns, blicken rechter Hand auf Lough Tully und links auf Renvyle House hinunter, dahinter das Meer. Dann wandern wir nach Tully Cross zurück, um noch ein Stündchen im Paddy Coyne’s zu verbringen.

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Freitag, 27. Juni 2008

Wir inspizieren den Baumarkt von Clifden, vielleicht finden wir ja hier den gesuchten Messingknauf für die Kellertür von uns Huus in Tönning. Den finden wir zwar nicht, dafür aber Lüftungsgitter für die Heizung. Sollen wir die wirklich aus Irland mitbringen? Besonders schwer und belastend fürs Fluggepäck sind sie ja nicht. Gedacht, gesagt und getan!

What now, my love? Wir stromern durchs Städtchen, schauen in diesen und jenen Laden, und ich mache endlich meinen diesjährigen Einkauf bei der netten, älteren Dame im handtuchschmalen, pinkfarbenen Laden von Joyce’s an der Market Street: Barnacle Soup, Geschichten eines 80-jährigen Storytellers aus dem Westen Irlands. Es wird sich als der beste Buchkauf dieses Urlaubs herausstellen.

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Renvyle Thatched Cottage No. 1, © 2008 Juergen KullmannAm Nachmittag wird es wieder sonnig – typisch für die letzten Tage. Einen kompletten Regentag von morgens bis abends haben wir in diesen drei Wochen nicht erlebt. Wir holen uns die Lehnstühle vors Cottage, mein Mädchen löst ein SODUKO aus den Mayo News und ich blättere in meinem neuen Buch. Und natürlich streicht die Katz um unsere Beine:

“Nun gut, liebe Katze, du hast ja Recht, so viel Parmesan, wie wir noch haben, brauchen wir in den zwei Tagen, an denen wir noch hier sind, wirklich nicht. Aber jammer uns nichts vor, wenn du dann Bauchschmerzen kriegst!”

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Sonnabend, 28. Juni 2008

Wir haben gefrühstückt, die Küche ist aufgeräumt, und nun? Und nun? Sollen wir schon packen? Woran man sieht: es ist wieder einer dieser ‘letzten Tage in Irland’ angebrochen. Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang, bis Anne Jack uns zum Lunch bei Sammon’s erwartet?

Gesagt und — fast getan, denn kaum sind wir auf der Straße, da öffnet der Himmel seine Schleusen. Wir flüchten in die Kirche, deren Pforten offen stehen, zünden eine Kerze auf unser Wiederkommen im nächsten Juni an und begutachten die aktuellen Renovierungs-Arbeiten, die Father Tony ganz gut hinbekommen hat.

Drei der Kirchenfenster haben einen berühmten irdisch-irischen Schöpfer und stammen vom Künstler Harry Clarke (1889–1931), der sich zuvor als Buchillustrator einen Namen gemacht hatte. Von ihm sind auch die Glasfenster im Obergeschoss von Bewley’s Oriental Cafe in Dublin. Den meisten Eindruck auf uns macht jedoch das offene Holzgebälk der sich im Altarraum kreuzenden zwei Kirchenschiffe. Dem vielleicht bekanntesten Gemeindepriester des letzten Jahrhunderts, Father Edward Tuffy, ist zur Mitte der Nordseite des Hauptschiffs eine Gedenktafel gewidmet. Während seiner Amtszeit von 1964 bis 1976 hatte er als einer der Gründungsdirektoren von Connemara West Plc. gemeinsam mit dem seligen Dorfkönig Paddy Coyne den Bau der Thatched Cottages eingefädelt.

Nach dem Lunch bei Sammon’s klart es auf. Wie so oft an einem ‘letzten Tag’, wandern wir um Renvyle Head, machen zuvor jedoch ein Abstecher zu dem auf einem Hügel mit herrlicher Rundumsicht gelegenen Friedhof. Das Grab von Johnnies Eltern ist ungewöhnlich gut gepflegt. “Dad and Mum, I prayed for you at Knock”, lese ich auf einer kleinen Steintafel neueren Datums. Die Aufstellerin der Tafel dürfte auch schon über siebzig sein.

Dann geht es weiter zur Spitze der Halbinsel. Zwei Hunde rennen kläffend hinter uns her, doch eigentlich meinen sie ein Auto, das vor einer Minute an uns vorbeigerumpelt ist. Ein belgisches. Dann kommt es uns wieder entgegen. Nur kurze Zeit darauf überholt es uns erneut auf dem inzwischen zum Feldweg mutierten Sträßchen, um uns fünf Minuten später ein weiteres Mal entgegenzukommen. Eine Zeitschleife, gefangen im Connemara Loop?

Wir entkommen dieser Schleife, indem wir ein Viehgatter öffnen, hinter uns schließen und weiterwandern. Mein Mädchen fotografiert eine Mauer, als Merkfoto für alle Mauern, die sie künftig malen will. Dann setzen wir uns auf diese Mauer und haben aufaddiert ein Jahr unseres Lebens auf Renvyle verbracht.

Mauer auf Renvyle

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2008
© 2009 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 16.12.2009