Irisches Tagebuch 1998

Inmitten der Stille III

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Sonnabend, 20. Juni 1998

Hillwalking bzw. ‘Bergwandern’ ist angesagt, auch wenn es nur der Maumeen-Pass ist. Der Pass führt vom Inagh- ins Maum-Valley. Daher der Name, könnte man meinen, doch vermutlich ist Maumeen nur eine anglisierte Form von Maímín, was ‘kleiner Pass’ bedeutet. Sein Scheitel ist stolz darauf, sich Bett und Quelle des Patrick nennen zu dürfen. Natürlich ist er eine Pilgerstätte, und wenn die Pilger ihre frommen Übungen absolviert haben, können sie von der kleinen Kapelle, an der der heilige Patrick sein Nachtlager aufgeschlagen hatte, ihren Blick zur Rechten ins Tal von Inagh und zur linken ins Maum-Valley schweifen lassen. Anschließend nimmt man sich von der Quelle, an der sich der Heilige gewaschen hat, heiliges Wasser mit.

Da wir in in der Vergangenheit* stets vom Inagh Valley aufgestiegen sind, starten wir diesmal auf der Gegenseite. Der Weg ist geradliniger und feuchter, dafür der Blick über die Schulter umso beeindruckender, denn nichts versperrt die Sicht ins Tal. Je höher man kommt, umso mehr weitet sich das Panorama, das Tal von Maum umrahmt von den Bergen des Joyce Country.

Am Bett des heiligen Patrick verzehren wir unseren Proviant. Das aufdringliche Schaf, mit dem wir vor zwei Jahren Bekanntschaft geschlossen hatten, lebt hier immer noch mit seinem Baby, doch es ist wohl nicht mehr dasselbe. Selbst der milde Hinweis darauf, dass mein Mädchen eine Vorliebe für Lammkoteletts in Rosmarinsauce hat, hält die Schafdame nicht davon ab sich eingehend für den Inhalt unserer Rucksäcke zu interessieren. An der Lagerstätte des heiligen Patrick fühlt sie sich sicher, denn hat der nicht selbst die Schlangen aus Irland vertrieben? Später lauschen wir einer anderen – diesmal zweibeinigen – Dame aus Dublin, die in sehr prononciertem Englisch zwei Holländerinnen die Gegend erklärt. Die Holländerinnen schreiten weiter und die Dame andächtig die Stationen des Kreuzwegs ab.

Near Recess, © Paul GuilfoyleAuf dem Rückweg kehren wir bei den Joyces of Recess ein, einem der besten Craftshops der Region. Ich kaufe ein hübsches in Leinen gebundenes Buch der Twelve Ben Press: Pat Shannon: The Man Who Stayed Home. Pat ist eine nicht unvermögende Dame mit irischen Vorfahren, die sich in Connemara niedergelassen hat. Eines Tages kam sie auf die spleenige Idee, sich einen Galway Hooker zuzulegen, und beschreibt nun, wie es ihr dabei erging. Der Mann, der daheim blieb und ihrem Buch den Titel gegeben hat, ist Pauraic O’Cualain. Er hat Irland nie verlassen und organisiert auf irische Weise alles, was für sie zu organisieren ist. Auch wenn Pat bei der Schreibweise irischer Namen mitunter danebengreift und aus Gráinne Ní Mháille (Gráinne, Tochter des Malley) eine Gráinne Uí Mháille (Gráinne, Frau des Malley) macht, ist es ein recht vergnügliches Buch.

Während wir weiterfahren lacht mein Mädchen laut auf und liest mir eine Passage aus dem Buch vor:

... Was folgt, ist die Kirche von Recess, die Polizeistation, das Postbüro, dann Recess selbst mit seinem einen langen Gebäude ...

Treffender kann man Recess nicht beschreiben. Doch vor jenem langen Gebäude passieren wir noch ein Schild:

Slow through the Village!

*  *  *

PlakatAm Abend gastiert in der Stadthalle von Clifden die Horse & Bamboo Theatre Company mit ‘The Legend of the Creaking Floorboard’, der Sage von der knarrenden Bodendiele. Der Name der Theatertruppe rührt daher, dass sie ursprünglich mit einem Pferdewagen durchs ländliche England zog und unter freiem Himmel Theaterstücke aufführte. Heute ist sie mit einem Kleinlaster unterwegs und macht auf ihrem Weg in den Donegal in Clifden Station.

Wir sind die ersten Besucher, bleiben lange Zeit auch die einzigen, und werden für dieses rege Interesse mit einem kostenlosen Ankündigungsplakat der Aufführung bedacht. Die später eintreffenden zwei Dutzend weiteren Besucher können es für IR£ 1.25 erwerben.

Ein pantomimenhaftes Stück mit Musik, das abgesehen von ein paar Sprechgesängen ohne Sprache daherkommt. Wir sind beeindruckt, was sich mit so einfachen Mitteln und viel Phantasie für Stimmungen erzeugen lassen. Die Schauspieler stecken in übermannsgroßen Puppen mit großen Köpfen, die sich ausdrucksstark über die improvisierte Bühne bewegen. Doch ehe sie beginnen, wird die Townhall von zwei überfraugroßen Putzfrauen gereinigt.

Ein allegorisches Spiel um eine Liebe zwischen Leben und Tod, und am Ende sind die Seelen vereint. God bless them, würde Johnnie sagen.

* siehe 26. Juni 1996

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Sonntag, 21. Juni 1998

Sonntag. Wir sind in der Kirche, und eigentlich wollte Johnnie seine Fiddle mitbringen und während der Messe spielen. ‘Für uns’, hatte er gesagt, doch das ist ihm wohl entfallen. Statt dessen lädt er uns erneut auf ein Pint durch die Hintertür ins noch geschlossene Angler’s Rest ein, doch wir lehnen dankend ab, denn ...

... wir wollen in das Bischofsstädtchen Tuam, wo anlässlich des 800sten Todestages von Ruaidrí O’Conor, zur Zeit der anglo-normannischen Invasion (die Invasoren wurden von den Iren selbst ins Land geholt) König von Connacht und Hochkönig von Irland, ein folkloristisches Straßenfest stattfinden soll. Tuam liegt östlich von Galway im Landesinneren, knapp zwei Stunden Autofahrt von uns. Die Hauptkreuzung des Ortes ist für den Verkehr gesperrt und der folkloristische Teil der Veranstaltung besteht darin, dass zwei nicht mehr ganz junge Mädchen in mittelalterlichen Gewändern flötespielend von einer Straßenecke zur anderen ziehen. Ansonsten gibt es ein paar Stände, an denen allerlei Krimskram angeboten wird. Die beiden geöffneten Restaurants sind überfüllt, die Pubs entweder geschlossen oder führen, da heute Sonntag ist, keine Barfood.

Also erstehen wir in einem handtuchschmalen Laden eine Packung Queen’s Lemon Cakes sowie eine Flasche sprudelndes Wasser und verzehren unser Mahl bei vom Himmel rieselndem im Auto. Das Rezept für die Lemon Cakes stammt vermutlich aus dem Jahrhundert einer Queen, in dem man Zitronen noch nicht kannte.

Wir sind über Galway gekommen und fahren über Cong zurück. Es klart auf und sogar die Sonne zeigt sich, dazu noch in Höhe eines Friedhofs mit irischen Hochkreuzen – den eindrucksvollsten, die wir bisher gesehen haben. Nach dem ersten Foto ist der Film voll und mir fällt ein, dass der Filmvorrat im Cottage liegt.

* * *

Am Abend feiert eines der Sammon-Mädchen in Papas Pub Geburtstag und Johnnie unterstützt seine Söhne musikalisch auf der Fiddle. Wir machen ein Foto von den drei Musikanten und trinken unser Anstandspint. Dann wird es uns zu laut; die Musik ist kaum noch zu hören, man sieht nur noch bis zur nächsten Schulter und der Zigarettenrauch beißt in die Augen, Wir ziehen uns zurück. Am nächsten Morgen erfahren wir, dass unsere drei Musikanten nachts um zwei den Pub gewechselt hatten und es nebenan im Paddy Coyne’s eine richtig schöne Session gab. Bis um fünf in der Früh, derweil wir schliefen. Wer zu früh geht, den bestraft das Leben.

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Montag, 22. Juni 1998

Es ist Montag, und wir kaufen in Clifden Crab Claws fürs Abendessen ein. Die zweite wesentliche Zutat, Knoblauch, haben wir hinreichend bevorratet. Die halbe Menge Krebsklauen hätte es auch getan, doch in dem kleinen Fischladen an der Ecke zur N 59 sind die Augen stets größer als der Magen.

BallynahinchA ‘soft day’, ein Tag von jener sanften Feuchtigkeit, die Irland zur grünen Insel macht. Und so auto-bummeln wir über die lange Moorstraße gen Ballynahinch Castle, links eine Zeichnung von William Makepeace Thackery, der 1842 hier vorbeikam.

Das heutige Schloss wurde im neunzehnten Jahrhundert errichtet, nachdem das Original aus dem siebzehnten abgebrannt war. Hier lebte ‘Humanity Dick Martin’, ein spendierfreudiges Parlamentsmitglied, das im britischen Unterhaus die Initiative zur Gründung der ‘Königlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Grausamkeiten an Tieren’ einbrachte, daher sein Spitzname. Das Geldausgeben war seine Stärke, und so war das Anwesen hoch verschuldet, als es 1873 sein Sohn Richard erbte. 1924 erwarb es Ranjitsinhji, der Maharadscha von Nawanagar. Ein bekannter Kricketspieler, auch wenn sich sein Stammbaum nicht auf die Kelten zurückführen lässt. Er war der wohl berühmteste Passagier, den die Great Western Railway Company je beförderte. Wenn er aus Galway kommend mit seinem Gefolge von achtzehn bis zwanzig indischen Dienern in den kleinen Bahnhof von Ballynahinch einfuhr, krachten Feuerwerkskörper, die seine Leute zuvor auf die Gleise gelegt hatte. Doch die großen Zeiten sind vorbei und die Strecke seit mehr als 60 Jahren stillgelegt.

Heute ist Ballynahinch Castle ein Hotel der Oberklasse, auch ein Richard von Weizsäcker hat hier schon übernachtet. Im Erdgeschoss rechts von der Rezeption ein Pub: Fischerklause würde man ihn in Nordfriesland nennen, genau das Richtige für einen Tag wie heute! Eingeschnitzt auf zwei Holztafeln an der Wand die Namen der Mitglieder des Ballynahinch Fischerman’s Club, einmal Mitglied, immer Mitglied.

Der Smoked Salmon Salad IR£ 8.00 (20 DM) ist ganz lecker, der Apple Pie solala – besser als umgekehrt für eine Anglerresidenz. Und auch der Preis von IR£ 1.00 für ein Tässchen Tee ist castle-like. Beim Verlassen sehen wir an der Garderobe hübsch der Größe nach geordnet fünf paar Gummistiefel, passend zu Füßen zwischen fünf und fünfzig Jahren, darüber hängend fünf Friesennerze, offensichtlich die der Besitzer der Gummistiefel. Wäre es nicht ungehörig gewesen, so hätte ich ein Foto gemacht.

*  *  *

Auch heute Abend verdingen sich Johnnie und Kieran wieder in der Central Bar. Ein Pärchen taucht auf, das Johnnie vor 30 Jahren in Tully Cross kennengelernt hat. Der Dame, die sich in Erinnerung ihrer Vorfahren Kerrygirl nennt, steht das Entzücken bei jedem Geigenstrich Johnnies in den Augen. Doch bereits nach einer Stunde flattert sie von dannen, denn sie wolle in der Früh reiten. “Ein Pferd?” fragt Kieran.

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Dienstag, 23. Juni 1998

Es darf nicht sein, dass wir in diesem Jahr Galway nicht im Regen erleben. Wir müssen dem Wetter und der Stadt noch eine Chance geben, und da es gerade nach Regen aussieht, fahren wir hin, ...

... doch nicht gleich in die City, sondern zunächst ins Galway Crystal Centre an der Dublin Road, in dem es im letzten Jahr so schöne ‘slightly imperfect’ Karaffen zum halben Preis gab. Doch dummerweise arbeiten die Kristallschleifer im Moment nahezu perfekt, und den Preis für eine perfekte wollen wir nicht zahlen. Und so muss unser Whiskey noch ein weiteres Jahr auf seine Karaffe warten. Auch der gewohnte Galwayer Regen lässt uns im Stich!

Was soll’s, zum Ausgleich entdecken wir am Nachmittag einen der schönsten Pubs der Stadt, The Quays. In der High Street, in der auch die Kennys ihren Buchladen haben*. Mein Mädchen hatte davon gelesen. Von außen sieht er nach nichts Besonderem aus, doch wenn man den vorderen Teil durchschritten hat, kommt fast Ehrfurcht auf – zumindest am frühen Nachmittag, wenn es noch recht still ist. Die Einrichtung erinnert an altes Kircheninventar, und die Bar liegt, wie es sich gehört, im Hauptschiff der Kathedrale. Natürlich gibt es auch eine Empore, auch wenn dort keine Orgel steht. Den Rest mag sich der geneigte Leser selbst ansehen.

Eine Bemerkung zu Kennys kann ich mir nicht verkneifen. Da hatte ich im letzten Jahr ‘just for fun’, wie man so sagt, Maurice Walsh’s Green Rushes ins Deutsche übersetzt, einen Schmöker aus den 30er Jahren. Und da ich die Vorlage dereinst bei Kenny’s erstanden hatte, das Ergebnis hübsch gesetzt Maureen Kenny nach Galway geschickt. Nun finde ich diese Kopie, wenngleich etwas primitiv gebunden, in einem Regal bei Kennys für IR£ 15.00 zum Kauf angeboten.

Wir kaufen statt dessen etwas zum Abendessen ein, ehe wir uns auf dem Weg zum Auto machen, das – wie immer – kostenlos an der Kathedrale parkt. In den Bridge Mills an der William-O’Brien-Brücke ersteht mein Mädchen im Vorbeigehen noch einen semi-antiken Bilderrahmen mit Messing-Intarsien, bevor es dann wieder auf die Heimfahrt geht.

* * *

Im Cottage fällt gerade die Heizung aus – da macht das Kochen keinen Spaß. Mitchell’s in Clifden profitieren davon. Dann ab in die Central Bar, und nach einer langen Nacht fahren wir mit Johnnie nach Mullaghgloss.

* Es war wohl eher die Quay Street, die Verlängerung der High Street (Anmerkung aus dem Jahr 2006).

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Mittwoch, 24. Juni 1998

Seit zweieinhalb Wochen sind wir nun in Irland und waren noch nicht einmal in Cleggan. Bis heute. Am Hafen baut Oliver Coyne wieder einmal um; der Craftshop hat’s wohl nicht gebracht und wird dem Laden zugeschlagen. Wir wandern auf die Pier hinaus, hocken uns auf die Mauerkante und beobachten das Einlaufen eines Fischkutters. Viel scheint man nicht gefangen zu haben, doch wer weiß, was unter Deck ist.

Die Flut kommt und wir wandern ein Stück westwärts zum Strand an der Sallerna Bay. Der nervige Hund vom letzten Jahr taucht wieder auf, holt schon mal ein Stöckchen und legt es uns vor die Füße. Ein paar Mal tut mein Mädchen ihm den Gefallen, schleudert sein Spielzeug in die Gegend. Fällt es an Land, so bringt er es zurück, fällt es ins Wasser, so schleppt er ein neues an. Dann ziehen wir uns resignierend zurück. Zum Glück – für den Hund – nahen zwei andere Strandgänger, doch bald hören wir ihn in der Ferne bellen. Seine neue Opfer haben sich wohl nicht auf das Stöckchen-Spiel eingelassen. Oder hat er die beiden verspeist und Magengrimmen? Touristen können arg unverdaulich sein. Wir hingegen speisen in Oliver Coyne’s Pub, und Olivers Smoked Mackerel Salad ist noch genau so gut wie 1997, 1996, 1995, 1994, 1993 und 1992.

Es ist noch zu früh um nach Hause zu fahren, und so halten wir nach einigen Meilen an und wandern ein Stück über die Flanke des Hügels, der zwischen den beiden Zufahrtsstraßen von der N 59 nach Cleggan liegt. Zwei Frauen stechen Torf. Bei unserem Näherkommen zieht sich eine rasch die Bluse über die Schultern.

Der Weg geht sacht bergan. In den letzten Tagen hat es viel geregnet, der Boden sich mit Wasser vollgesaugt. Bog lautet der irische Name für Moor, was soviel wie weich oder sanft bedeutet. Lá bog, oder a soft day, sagt man auch zu einem feuchten, nieseligen Tag. Doch bis jetzt ist es trocken und sonnig, auch wenn die Sonne dem Boden die Feuchtigkeit nicht genommen hat. So lassen wir uns auf einem Felsbrocken nieder und genießen die Aussicht. Halblinks der Ballynakill Harbour, dahinter der Tully Mountain, den wir in der letzten Woche so bravourös (fast) bezwungen haben. Vor uns die kahlen Kuppen der Twelve Bens, die sich nicht entscheiden können, ob sie die tief über ihnen hängenden Wolken zu einem Regenguss aufkratzen sollen oder nicht. Wir warten ihre Entscheidung nicht ab, sondern wandern zum Auto zurück.

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Donnerstag, 25. Juni 1998

Schon seit dem letzten Sommer ist man dabei, die verwunschenen Gärten von Kylemore Abbey aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken. Auch Kieran gehört zu ihren Erweckern. Und kurz vor unserer Ankunft in Irland vermeldete Connemara-Net: Victorian Gardens Reopened Now! Zeit, dass wir uns auf die Suche nach ihnen machen.

Doch wo sind sie, diese Gärten? Wie ehedem schleichen wir uns ohne zu zahlen durch den Hintereingang aufs Abbeygelände, wandern die Waldallee mit ihren uralten Bäumen entlang und vermuten die Gärten in Schlossnähe unten am See, irgendwo zwischen uns und der N 59 jenseits des Flusses. Das heißt, ich vermute dies, derweil mein Mädchen meint, es gäbe hier zu wenig Sonne und das Gelände sei zu sumpfig. Nach einer Weile weist ein Pappschild links den Berg hoch: Construction Side! Schrecklich, dass man jetzt auch hier zu bauen anfängt, hoffentlich nicht so einen schrecklichen Bungalow. Vielleicht ist es auch nur ein Stall für den Bullen des Farmers, vor dessen Gefährlichkeit auf den Schildern links des Zauns gewarnt wird. Wir gehen weiter und suchen die Gärten. Da gab es doch am Dawros River, der sich nun zum See weitet, ein Haus, das für uns immer ‘das Gärtnerhaus’ war. Da ist es auch schon, doch keine Gartenbaustelle weit und breit. Vielleicht wohnte hier des Schlossherrn Fischereimeister.

Bald haben wir Mitchell Henrys Märchenschloss passiert, in dem die Nonnen von heute höhere Töchter aus aller Welt mit höherer Bildung versehen. Eine kleine Rast im Wald jenseits der Zinnen. Wir sitzen in einem kleinen Rondell auf einer Steinmauer, lassen unseren Blick über Lough Pollacappul schweifen und amüsieren uns über die zwischen Schloss und Kapelle hin und herwandernden Couchtour-Touristen mit ihren verschiedenfarbigen Buttons auf der Brust. Die Kapelle hatte Mitchell Henry nach dem Tod seiner Frau errichten lassen, doch darüber habe ich schon früher berichtet.*

Nach einer halben Stunde machen wir uns auf den Rückweg, würden nun, falls wir Englisch könnten, auf einem Schild lesen, dass unser Waldpfad Strictly Private! ist – zumindest von Ost nach West. Eine Stelle, an der Jahr für Jahr unsere Englischkenntnisse versagen. Also wandern wir den Meditationsweg der Nonnen zurück. Doch wir beschließen nicht aufzugeben, verlassen am Abzweig zur ‘Construction Site’ die vertrauten Pfade, steigen den Hang hoch ...

... und stoßen nach einigen hundert Metern Wildnis auf eine verwitterte, meterhohe Mauer mit frisch eingerüstetem Torbogen. Da sind sie also, die an einem verborgenen sonnigen Südhang gelegenen, von einer windschützenden Mauer umgebenen Gärten von Schloss Kylemore, seit fast hundert Jahren von der Welt vergessen und den Feen und Leprechauns vorbehalten, die nicht viel zu ihrer Pflege beigetragen haben. Um nun, ehe die Natur sie zurückerobern kann, wiederentdeckt und mit Hilfe von EU-Geldern zwecks Geldabschöpfung bei Touristen restauriert zu werden. Doch immerhin sind die Benediktinerinnen mit ihren Aktivitäten die größten Arbeitgeberinnen dieser abgelegenen Region. Ohne sie hätte manch einer sein Dorf verlassen müssen.

Groß ist die Aktivität auf dieser ‘Construction Site’ allerdings nicht: wir sehen nicht einen Menschen. Obwohl sich etwas tut, denn die Beete nehmen bereits Form an und unterhalb von uns liegt eine hundert Meter lange Reihe noch nicht gepflanzter Stiefmütterchen. Und das im Juni, wundert sich mein Mädchen. Die Zeit geht anders, wo die Feen wohnen.

Nicht nur die, denn wie aus dem Nichts steht plötzlich ein freundlicher Leprechaun in der Gestalt eines deutschen Gartenbaupraktikanten vor uns und weist darauf hin, dass die Gärten noch im Aufbau begriffen und nicht öffentlich zugänglich seien. In einer Stunde gebe es jedoch eine Gruppenführung. Doch kann man sich einer solchen anschließen, wenn man ohne Eintritt zu zahlen durch den Hintereingang aufs Gelände gekommen ist? Wir stellen die Frage nicht und beschließen in einem Jahr wiederzukommen, um den Stand der Arbeiten zu überprüfen.

* siehe 23. Juni 1995

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Freitag, 26. Juni 1998

Wir fahren zum Bretonen von Clifden, unserem Wildlachs-Räucherer der vergangenen Jahre. Treffen ihn auch an, doch mit Lachs kann er nicht dienen. Ein Opfer des ‘Irish Way of Life’, wie er erklärt: das altes Räucherhaus ist ausgeräumt, das neue sollte vor einem Monat fertig sein ... doch man lebe halt in Irland. Wir nicken zustimmend, versprechen in einem Jahr wiederzukommen.

Was nun? Ohne frisch geräucherten Lachs abreisen, wo doch Schwiegervater darauf wartet? Gab es da nicht am Bunoween Quay noch eine Räucherei, auch wenn sie stets geschlossen hatte? Eine Chance!

Die Räucherei ist auch diesmal verrammelt, wahrscheinlich nur eine Attrappe. So wandern wir gemächlich den langen Strand entlang bis zu jener Burg, auf der Gráinne Ní Mháille ihre erste Ehe ausliebte. Beim Näherkommen entdecken wir oben am Hang einen Zaun, gespickt mit weißen Schildern. Auf Lesenähe hinaufzusteigen lohnt nicht, der Besitzer von Bunoween Castle ist im Dorf für seine Private-Property-Manie bekannt. So bleiben wir unten am Wasser und ich schreibe in dieses Buch mit Silberschnitt, das mir die Liebste geschenkt hat.

Eine Stunde später fahren wir zu dem kleinen Café Shop nahe dem Golfplatz, und da gibt es tatsächlich geräucherten Wildlachs aus der Räucherei am Quay, die immer geschlossen hat. Wir erwerben 400 g für IR£ 10.00, gar nicht so teuer! Doch leider, wie wir später feststellen müssen, bei weitem nicht so gut wie der vom Bretonen aus Clifden.

*  *  *

Am Abend geben uns Johnnie und Kieran ein ‘Abschiedskonzert’ in Molly’s Bar. Kieran singt Seán Keanes Home Away From Home, und so fühlen wir uns auch. Nachts um eins bringen wir Johnnie zum letzten Mal in diesem Jahr nach Mullaghloss. God bless ye Johnnie.
 

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Reiseberichte Irland: Connemara 1998
© 2000 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 05.07.2006