Pete O’Briens Reisetagebuch

von Hans-Peter Detzner

Von jedem ein bisschen (1997)

Vor dem Start

Irland ist kein typisches Billigreiseland, und dem von Spanien verwöhnten Pauschal-Urlauber wird hier Manches fehlen. Wer aber einmal im Land des Regenbogens war, den lässt es nicht mehr los. Die manchmal herbe Schönheit der Landschaft, die Gastfreundschaft der Iren, die gemütlichen Pubs möchte ich nicht mehr missen.

So war mir völlig klar, dass ich auch 1997 einige Wochen auf der Grünen Insel verbringen wollte. Im Jahr zuvor hatte es St. Peter mit dem Wetter nicht so gut gemeint, also verlegte ich den Abreisetermin um drei Wochen nach hinten. Einige Ziele wollte ich ein weiteres Mal ansteuern, natürlich auch Neues entdecken.

Ein absoluter Insidertipp ist Gaeltacht Irland Reisen in Moers. Schade nur, dass dort alles auf telefonischem Weg erledigt wird. Gerne würde man sich mit den Leuten in einen Irish Pub setzen, über Irland klönen und dann die Buchung vornehmen. So mein Eindruck am Telefon. Man wird kompetent und freundlich beraten, die Buchung meist sofort bestätigt. Soweit die Werbeunterbrechung – jetzt wieder zum Hauptfilm.

Meine ursprüngliche Reiseplanung sah wie folgt aus: mit Aer Lingus nach Dublin, von dort Weiterflug nach Galway, dann mit dem Bus entweder nach Westport oder Clifden. Anschließend nach Doolin zu einem ‘Pflichtbesuch’ bei den Cliffs of Moher und weiter nach Dingle. Über den weiteren Verlauf hatte mir bis zu meiner Ankunft in Irland noch keine Gedanken gemacht. Auf jeden Fall wollte ich zum Abschluss ein paar Tage in Dublin verbringen, um mich dort mit ein paar irischen Freunden zu treffen. Wollen Sie mich auf meiner Tour begleiten? Dann wünsche ich viel Spaß beim Lesen.

Der Auftakt: Westport

Montag, 21.04.97. Nach der Landung in Dublin und dem Weiterflug nach Galway hieß es, auf das Gepäck zu warten. Das dauert bei einem so kleinen Flughafen nicht lange. Nur wenige Schritte waren es bis zur Bushaltestelle, der Bus wartete bereits. Das fing gut an, nur weiter so. Vom Flugplatz bis zum Busbahnhof waren es ca. 10–15 Minuten Fahrzeit. Eigentlich wollte ich jetzt nach Clifden, ein Blick auf den Fahrplan ließ mich umdisponieren. Wenn schon nicht nach Connemara, dann aber nach Mayo! Im Bus kam ich mit zwei älteren Damen ins Gespräch. Soweit ich sie verstand, reisten sie quer durch Irland um ihre Verwandten zu besuchen. Und die Iren haben eine große Verwandtschaft! In Westport hielt der Bus an einem achteckigen Platz, der, wen wundert’s, The Octogon genannt wird. Die Frage nach Unterkunft stellte sich gar nicht erst. Kaum waren die beiden Frauen und ich aus dem Bus gestiegen, da stiefelten wir auch schon wie abgesprochen auf einen Pub zu, der direkt vor unserer Nase lag. “We need a double for us and a single for this gentleman”, informierten sie den Wirt. £ 15.00 für ein B&B – ein annehmbarer Preis.

Wie immer, war zunächst eine Ortsbesichtigung angesagt. Die Landschaft rund um Westport wird vom Croagh Patrick beherrscht. Der kegelförmige Berg ist mit seinen 2,510 ft (765 m) zwar nicht der höchste, aber der wichtigste Berg Irlands. Der Legende nach verbrachte im Jahr 441 St. Patrick 40 Tage mit Fasten und Beten auf seinem Gipfel.

CD CoverDoch bis auf den Berg kam ich nicht, sondern blieb ohne zu fasten und zu beten in den Pubs hängen. Die faszinieren mich immer wieder. Vor allem einer hatte es mir angetan, Matt Molloy’s in der Bridge Street. Den Folkfans ist Matt Molloy natürlich kein Unbekannter. Der Flötist der weltbekannten Chieftains ist der Besitzer des Pubs, und so ist es kein Wunder, dass in ihr allabendlich Folkmusik angesagt ist. Rechts eine (sehr empfehlenswerte!) CD mit Liveaufnahmen aus der Kneipe. Für mich war der Besuch natürlich Pflicht!

Wieder einmal in Doolin

Wer sich schon einmal auf das ‘Abenteuer Busfahren in Irland’ eingelassen hat, weiß, wovon ich rede. Von Westport aus wollte ich nach Doolin, was gar nicht so einfach war. Der Bus startete am Morgen und kurvte zunächst in der Mayo herum. In Claremorris hieß es umsteigen, dann ging es über Tuam und Galway nach Ennis. Von dort ist es nicht mehr weit bis Doolin. Ich sah auf die Uhr, dann auf den Fahrplan: 4½ Stunden Wartezeit. Um 18.30 Uhr ging es endlich weiter. Ankunft in Doolin gegen 20.00 Uhr.

Da ich bereits zum dritten Mal nach Doolin kam, war ich mir ob meiner Unterkunft so gut wie sicher. Obwohl ... die nette Frau, bei der ich in den letzten Jahren gewohnt hatte, war nicht mehr ganz jung, etwa siebzig. Hoffentlich lebt sie noch, ging mir durch den Kopf, man weiß ja nie. Ich klingelte, und Gott sei Dank, sie öffnete. Ich fragte, ob sie sich meiner erinnere. “Aber sicher doch,” kam die spontane Antwort, “komm rein.” Das Zimmer für £10.00 pro Nacht war mir also auch diesmal sicher.

Nach einem Abend bei Guinness und Live Music in O’Connor’s Pub wanderte ich am nächsten Morgen zum Anleger von Doolin. Von hier aus ist die Überfahrt zu den drei Araninseln am kürzesten. Im letzten Jahr hatte ich von Inisheer, der kleinsten Araninsel, nicht viel gesehen. Das wollte ich diesmal besser machen. Zunächst aber stand ich einfach nur da und beobachtete die Wellen, die gegen das felsige Ufer schlugen. Ein toller Anblick, egal zu welcher Tageszeit.

Der Besuch bei den Klippen von Moher war inzwischen zur Pflichtübung geworden. Von Doolin aus sind es etwa 8 bis 9 Kilometer. Dann also mal los, auf Schusters Rappen versteht sich. Unterwegs gibt es immer wieder Ecken, von denen aus man das Meer sieht. Bei klarer Sicht lassen sich dann die drei Araninseln ausmachen. Die Wolken scheinen in diesem Land tiefer zu hängen als daheim, ob es darum mehr regnet? Ich marschierte unter Irlands Sonne ein Stück die Straße entlang, kam um die nächste Kurve, und die Straße lag in den Wolken. Ein paar Meter weiter schien schon wieder die Sonne.

KlippenDie vier Klippen mit ihren 200 Metern Höhe sind stets ein lohnenswerter Anblick. Der insgesamt 8 km lange Klippenweg lässt phantastische Ausblicke zu, doch man sollte hinter der Absperrung bleiben, was nicht von jedem beherzigt wird. In jedem Jahr gibt es tödliche Abstürze. Allmählich taten mir die Füße weh. Gerade wollte ich umkehren, da hörte ich deutsche Stimmen hinter mir. “Ach nee, so ein Zufall, auch hier?” Es waren zwei Mädchen, die ich in O’Connor’s Pub kennen gelernt hatte. Sie hatten sich ein Auto gemietet und wollten wieder zurück nach Doolin. Geschickt erwähnte ich, dass ich den Weg zu den Fuß zurückgelegt hatte, und sie boten sich an mich mitzunehmen. Noch ein letzter Blick auf die Klippen – aber was war denn das? Wo waren sie geblieben? Dicke Wolken hatten sich über sie gelegt. Gut, dass ich nicht weitergegangen war! Wir fuhren zurück nach Doolin. Die beiden Mädchen wollten noch einen Kaffee trinken, doch der Coffee Shop hatte geschlossen, und so landeten wir in O’Connor’s Pub. Mein B&B lag nur drei Türen weiter.

In Gus O’Connor’s Pub versammeln sich mehr oder weniger regelmäßig Musiker aus den umliegenden Orten zu Sessions. An diesem Abend war es ein Ehepaar aus Ennis, das Jigs und Reels auf Squeeze-Box und Fiddle zu Gehör brachte. In einer Pause kamen wir ins Gespräch und ich erfuhr, dass der Mann selbst Akkordeons baute. Das Instrument, das er hier spielte, war das erste, das er hergestellt hatte.

Am nächsten Morgen ging ich zum Anleger, um mit dem Boot auf die kleinste Araninsel Inisheer zu fahren. Die ca. 30-minütige Hin- und Rückfahrt mit den Aran Ferries kostet £ 15.00. Will man auf die größte der drei Araninseln Inishmore, so kostet das Return-Ticket £ 20.00.

Ich wurde mit herrlichem Sonnenschein belohnt, was mir die Gelegenheit zum Filmen und Fotografieren gab. Auf allen drei Araninseln finden sich reichlich Überreste keltischer Bauwerke. Die Inseln gehören zur Gaeltacht, das heißt, hier werden noch die alten Bräuche und vor allem die gälische Sprache gepflegt. Inisheer kann man in wenigen Minuten ‘erledigen’, aber auch einige Stunden dort verbringen, denn es gibt immer wieder etwas zu entdecken. So z.B. die Ruine der Kirche des Heiligen Caomhán, dem Schutzpatron der Insel.

Nach der Rückkehr von Inisheer hieß es zunächst, die Akkus für die Videokamera aufzuladen. Es war gegen 20.30 Uhr, als ich mich dann noch einmal auf den kurzen Weg zum felsigen Meeresufer am Doolin Pier machte – Zeit für den Sonnenuntergang, den ich auf Video festhalten wollte. Es hat sich gelohnt, denn der Atlantik schoss ein wahres Feuerwerk an Wellen ab.

Am Abend ein letzter Guinness-Test in O’Connor’s. Wie immer war es rappelvoll. Ich fand einen Platz und holte mir ein Pint. Kurze Zeit später kamen zwei Männer und eine Frau an meinen Tisch und fragten, ob da noch Platz sei. Klar doch, und die drei Amerikaner aus Michigan bedankten sich mit einem Pint. Irgendwann erwähnten sie, dass sie nach Dingle weiterfahren wollten. Genau das hatte ich auch vor, und so fragte ich, ob sie noch Platz im Wagen hätten. Leider nicht, denn ihr Gefährt war derartig mit Souvenirs vollgestopft, dass ich nicht mehr hineinkam.

Dingle

Montagmorgen, 8.30 Uhr. Der Bus von Doolin fährt über Ennis, Galway und Tralee (dort umsteigen) nach Dingle. Nach der Ankunft am Hafen wanderte ich zielstrebig die Green Street hinauf, wo ich vor zwei Jahren in einem B&B übernachtet hatte. Ich klingelte einmal, zweimal. Nichts tat sich. Plötzlich neben mir eine Stimme: “Kann ich Ihnen helfen?” “Ich denke schon, haben Sie ein Zimmer frei? Ich war vor zwei Jahren schon mal bei Ihnen”, erwiderte ich. “Oh yes, indeed, ich erinnere mich”, kam die Antwort, und die Unterkunft für die nächsten drei Tage war gesichert.

Dick Mack’s, © 1997 Hans-Peter DetznerEin Stück weiter die Green Street hoch sieht man auf der linken Seite eine Kirche, ihr gegenüber Dick Mack’s Haberdashery. Von diesem Unikum hatte ich den drei Amerikanern in Doolin erzählt, denn Dick Mack’s ist einerseits ein Schuster, andererseits aber auch ein Pub. Nun stand ich vor der Kirche, als ich plötzlich ein bekanntes Gesicht sah. John, einer der drei, begrüßte mich überrascht. Ja, die Welt ist klein! Seine zwei Reisegefährten kamen kurze Zeit später, und wir gingen gemeinsam in Dick Mack’s, genossen ein paar Pints, unterhielten uns mit den Einheimischen und ‘enjoyed the craic’, wie man hier sagt.

Einer der Gäste, der sich als John Brown vorstellte, war Musiker und lud uns ein, ihn in einen Pub zu begleiten, der sich An Droichead Beag (Die kleine Brücke) nannte. Leicht zu finden, wenn man den Namen zu übersetzen versteht, denn er lag an der kleinen Brücke zur Connor Pass Road. ‘Mighty Sessions Nightly’ las man schon draußen, und es stimmte. John Brown und seine Freunde machten Musik vom Feinsten, nicht nur Folk.

Man sagt, Dingle habe genauso viele Pubs und Restaurants wie Einwohner. Auf jeden Fall sind es sehr viele, und auch wer mit einem nicht ganz so großen Geldbeutel reist, findet etwas Passendes. Doch nichts geht über die Natur. Ob man in die Berge wandert oder das ‘Gallarus Oratory’ (ein frühchristlicher Sakralbau aus dem 7. Jahrhundert) besichtigt – immer hat man eine wunderbare Aussicht.

Seit meinem Besuch vor zwei Jahren hatte sich einiges im Ort getan. 1996 wurde hier die ‘Dingle Oceanworld’ eröffnet, ‘viel mehr als ein Aquarium’, sagt der Prospekt. Ich fand die Werbung arg übertrieben. Die Anlage besteht aus rund zwanzig Becken mit den verschiedensten Kreaturen des Atlantischen Ozeans. Vor allem für Kinder ist das Streichelbecken gedacht, Rochen und ein paar andere Fische kann man hier ‘hautnah’ erleben. Etwas Besonderes hat das Aquarium aber doch zu bieten: einen zirka neun Meter langen gläsernen Tunnel durch ein Becken. Ob die Sache allerdings die £ 4.00 wert ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Killarney

Nach dem vielen Regen im vergangenen Jahr, wollte ich Killarney endlich einmal bei Sonne erleben, und so war der Ort die nächste Station meiner Reise. Die Busfahrt dauerte nicht lange. Gleich nach meiner Ankunft steuerte ich das Hostel an, in dem ich im Vorjahr übernachtet hatte. Pech gehabt, es war nichts mehr frei. Die Zimmersuche dauerte diesmal etwas länger und allmählich kam ich ins Schwitzen, nicht nur, weil die Sonne es ziemlich gut meinte. Schließlich fand ich eine Bleibe, doch nicht gerade billig und auch nicht für lange. Bedingt durch den Maifeiertag konnte man mich zunächst nur für eine Nacht aufnehmen, wollte mir aber nach Durchsicht der Post am nächsten Tag sagen, ob ich länger bleiben könne. Bei £ 20.00 pro Übernachtung überlegte ich lange, ehe ich zusagte, doch wer weiß, ob ich etwas anderes gefunden hätte.

Dann aber hinaus in die Natur, bei dem herrlichen Wetter. Wieder wanderte ich in die Knockreer Gardens und ein Stück am See entlang, besuchte dann die St. Mary’s Cathedral. Am Abend traten im Danny Mann’s Inn die ‘The Irish Weavers’ auf. Wer einmal eine Spontan-Session in einem Pub erlebt hat, wird von ihrem Auftritt enttäuscht sein. Von vorne bis hinten durchorganisiert, da fehlt die Spontaneität. Ich ging ziemlich früh zu meiner Unterkunft zurück.

Am nächsten Morgen marschierte ich zum Frühstück, vorsichtshalber hatte ich meine Sachen schon gepackt. Man sagte mir, es könne noch bis 10.00 Uhr dauern, ehe man wisse, ob ich das Zimmer behalten könne. Bereits am Tag zuvor hatte ich den Busfahrplan studiert – nach 10 Uhr keine Chance mehr für die Weiterfahrt. So zahlte für die eine Übernachtung und ging zum Busbahnhof. Schade, denn es wäre noch so viel zu sehen gewesen.

Waterford

The Sunny South East war absolut nicht ‘sunny’, leider. Im Grunde war Waterford auch nur eine ‘Notlösung’. Erstens wusste ich nicht so recht, wohin ich wollte, und zweitens unterbrach es die lange Fahrt nach Dublin. Im Hostel war kein Zimmer mehr frei, also versuchte ich es mit dem Hotel vom letzten Jahr, das gar nicht so teuer gewesen war. Glück gehabt, die Übernachtungspreise lagen diesmal sogar noch niedriger.

Weniger Glück hatte ich mit dem Wetter. Waterford meinte es nicht gut mit mir, auf eine Art hatte ich auch keine rechte Lust, etwas zu unternehmen. Nicht einmal meine drei Musikerfreunde rief ich an, mit denen ich mich hätte treffen können. Hätte ich es nur getan, denn wenige Wochen danach starb völlig unerwartet einer von ihnen, mein Freund Pat O’Brien. So schlenderte ich nur ziellos durch die Straßen, besuchte einen Bekannten, der in New Ross ein Hotel führt, und fuhr drei Tage später weiter.

Kilkenny

Die Busfahrt von Waterford nach Kilkenny ist recht kurz. Ich fand das Hostel, in dem ich im Vorjahr übernachtet hatte, doch auch hier war wieder einmal – ich hatte es schon fast erwartet – nichts mehr frei. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen und ich wurde leicht sauer. Doch war da nicht ein B&B-Schild? Von der Straße aus sah das Haus nicht gerade einladend aus, doch als mir nach einem Gang durch die Toreinfahrt die Haustür geöffnet wurde, hätte ich fast anerkennend gepfiffen. Im Vorraum jede Menge Grünpflanzen, ein Aquarium und Bodenfliesen. Dann ein Doppelzimmer zur Alleinbenutzung mit Frisierkommode, Toilette und Dusche. Dementsprechend war der Preis: £ 22.00. Ich hatte jedoch keine Lust, weiter durch den Regen zu laufen, und zahlte für zwei Tage.

Kilkenny ist nicht nur durch die zum Guinness-Imperium gehörende Smithwicks-Brauerei bekannt, sondern vor allem durch seine schöne Altstadt mit ihren vielen Kirchen und dem ältesten Rundturm der Grünen Insel. Zwar wurde die Freude immer wieder durch den Regen getrübt, doch wie die Iren sagen: das Wetter ist schön zwischen den Schauern. Beweise da einer das Gegenteil! Also wanderte ich erneut zwischen den drei ‘K‘s hin und her: Kirchen, Klöster, Kneipen. In zufälliger Reihenfolge.

Dublin und Umgebung

Nach dem Pech mit meinem B&B im letzten Jahr hatte mir ein Bekannter ein Unterkunftsverzeichnis geschickt. Ich studierte es ausgiebig, machte mich dann aber doch selbst auf die Suche. Gar nicht so leicht, etwas zu finden! So biss ich in den sauren Apfel und buchte mich in einem einfachen Hostel ein, in dem ich das Zimmer mit fünf Unbekannten teilte. £ 8.00 für Bett und ‘Continental Breakfast’, die O’Connell Street gleich um die Ecke.

Zugegeben, bei meinen ersten beiden Reisen hatte ich mehr Lust, alles zu erkunden. Ich weiß nicht, woran es diesmal lag, mir fehlte der Elan. Lag es am Wetter? Während der ersten 1½ Wochen war es ganz passabel gewesen, sogar einen leichten Sonnenbrand hatte ich bekommen. Dann verschlechterte es sich zusehends. Muss ich denn meine nächste Irlandtour im Hochsommer unternehmen?

Einige Orte hatte ich nun zum dritten Mal besucht, und manches war anders geworden – auch wenn es nur Kleinigkeiten waren. An der O’Connell Bridge war mir im letzten Jahr ein ziemlich aufwendiges Konstrukt in der Liffey aufgefallen, das die Sekunden bis zum Jahre 2000 zählte. Ich weiß nicht, wo das Ding geblieben ist, aber es war verschwunden. Dann hatte ein paar Wochen vor meiner Ankunft der deutsche Bundespräsident Roman Herzog im Stephen’s Green, eine der grünen Lungen Dublins, eine Gedenktafel unter dem 1956 vom Bildhauer Josef Wackerle gestalteten ‘Brunnen der drei Nornen’ enthüllt: In Dankbarkeit für die Hilfe, die das irische Volk deutschen Kindern nach dem Zweiten Weltkrieg gewährte. Bei dieser Operation Shamrock waren 1946 vierhundert deutsche Kinder für einen Zeitraum zwischen 5 und 36 Monaten in irische Familien aufgenommen worden.

On Grafton Street in ... nein, nicht im November, wie die Dubliners singen. An einem Tag Anfang Mai wanderte ich die Grafton Street entlang, die nicht nur während der Mittagspause stark frequentiert ist. Ab und zu ließ sich sogar die Sonne blicken, und die Straßenmusikanten versuchten, mit ihren Darbietungen ein bisschen Geld zu sammeln. Darunter einige, die wirklich Spitze sind, doch ganz besonders gefiel mir ‘Rocky’, ich habe ihn bereits in meinen früheren Reisetagebüchern erwähnt. “Na, auch wieder hier?” meinte er, als ich ihn passierte und fast nicht erkannte. Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Iren Menschen wiedererkennen, die sie nur ein- oder zweimal gesehen haben. So erging es mir mit den Landladies in Doolin und Dingle wie auch mit diesem ‘Busker’. Auch er hatte sich verändert – allerdings nur, was das Outfit betrifft. Seine Musik war unverändert gut.

Fast überall im City Centre fallen fliegende Händler auf, die an der Straßenecke stehen und Tabak und Zigaretten verkaufen. Lautstark preisen sie ihre Ware im Dubliner Slang an: “Bacco!” Plötzlich zischt jemand: “Achtung, Bullen!” Schnell die Stange Zigaretten und die Tabakpäckchen weggesteckt, und man tut, als sei nichts gewesen.

Eigentlich wollte ich noch ein paar Ausflüge unternehmen, nach Newgrange, in die Gegend um Navan und dann in die Wicklow Mountains. Doch der Regen hörte einfach nicht auf. So beschränkte ich mich darauf, an einem meiner letzten Tage in Irland mit der Dubliner S-Bahn DART nach Bray zu fahren. Der kleine Badeort südlich der Hauptstadt zeigt sich im Sommer wahrscheinlich von einer besseren Seite. Jetzt aber war der Strand verlassen und die Spielautomaten blinkten einsam vor sich hin. Ich stellte mich irgendwo unter und hoffte, dass der Regen bald aufhören würde. Tatsächlich ließ er nach, und ich konnte doch noch ein Stück über die Klippen wandern.

Four Courts, Dublin. Public DomainEin paar Stunden später fuhr ich nach Dublin zurück, der Himmel grau. Die letzten Abende verbrachte ich in einem Pub, dessen ‘Zweitausfertigung’ bei mir daheim in Bochum steht. Hier traf ich meine Freunde, die dort immer noch Musik machten. In Dingle hatte ich mir die vierte Tin Whistle gekauft sowie für einen Freund in Deutschland einen ‘Tipper’ für seine Bodhrán. Beides zeigte ich einem der Musiker. “Komm, spiel mal was auf deiner Flöte”, meinte der und holte seine aus der Ecke. Zusammen wagten wir uns an den ‘Lonesome Boatman’, und Jim nickte anerkennend: “Hast wohl sehr genau das Video studiert, oder?” Im Jahr zuvor hatte ich die Gruppe während eines Auftritts im Pub gefilmt und ihnen nun eine Kopie mitgebracht.

Damit war meine Zeit in Irland (leider) schon wieder um. Ich verließ die Grüne Insel mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Viel hatte ich gesehen und erlebt, doch wäre es so viel schöner gewesen, wenn das nur Wetter ein kleines bisschen mehr mitgespielt hätte. Was soll’s, die nassen Klamotten trocknen wieder, und was bleibt, das sind die Erlebnisse und Erinnerungen, im Kopf und auf Fotos und Filmen.

SLÁN LEAT, hÉIREANN*

* Soll heißen: ‘Tschüß Irland’. Mein Englisch geht ja gerade noch, aber Gälisch? Ich hoffe, ich habe es hier wenigstens korrekt geschrieben!

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© für die überarbeitete Fassung Jürgen Kullmann