Pigi’s kleine Geschichten

von Marie Louise Lagger

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Ein Mann für alles

Ein Herbststurm fegte über den Nordwesten Irlands, schwarze Wolken verdunkelten den Himmel. Der Regen schlug fast waagerecht gegen die Autoscheiben. Ich tuckerte durch die Grafschaft Donegal, wusste nicht so recht, wohin bei diesem Wetter. Was war das da für ein Rumpeln? Ich stoppte und öffnete die Tür meines alten Landrovers, was bei dem Sturm kein einfaches Unterfangen war. Ein Reifen verlor Luft. Great! Das hatte mir gerade noch gefehlt: ein Radwechsel bei Windstärke 9.

Ich fluchte ungehemmt vor mich hin, stieg wieder in den Jeep, starrte durch die regennassen Scheiben – und rieb mir die Augen. War das da vorne nicht eine Werkstatt? Ich sandte ein Stossgebet gegen den Himmel und stapfte hin. Die Werkstatt war verschlossen, ein kleiner Zettel hing an der Tür:

If you need me, you will
find me in the pub

Ich musste schmunzeln, im Pub also war er zu finden, wo auch sonst? Die Dorfkneipe lag passenderweise nicht weit von der Werkstatt, nur ein einziger Gast saß am Tresen. “Das wird er wohl sein!” dachte ich mir, und in der Tat, er war es. Er leerte noch schnell sein Glas und folgte mir zu meinem Gefährt. “Da fehlt wohl etwas Luft, Lady!” Ja, soweit war ich auch schon. “Keine Sorge, das krieg ich schon hin” – sprach’s, und machte sich an die Arbeit.

Foto: Jürgen KullmannIch flüchtete ins Trockene und sah dem Treiben aus der Entfernung zu. Es dauerte nicht lange, und er hatte das Rad vom Fahrzeug ab. Doch was um alles in der Welt hatte er jetzt vor? Ich war baff! Der gute Mann rollte, als ob der Teufel hinter ihm her wäre, das Rad zum Meer und in den Atlantik, starrte ins Wasser und brachte es wieder zurück. “Loch gefunden!” teilte er mir freudestrahlend mit.

Ich wusste nichts zu erwidern und folgte ihm in die Werkstatt, an die sich hinten ein kleiner Laden anschloss. Sollte ich noch etwas brauchen, meinte mein Mechaniker, könne ich mich ruhig umsehen. Das tat ich und entdeckte eine offene Tür, die in ein Lager führte. Ich wagte einen Blick hinein. O Schreck, Kindersärge! Unzählige weiße, verschieden große Kindersärge standen fein aufgestapelt zum Verkauf. Mir wurde mulmig zumute, und ich kehrte in Werkstatt zurück und sah ihm zu.

Nach kurzer Zeit hatte er das Loch zugepfropft, den Reifen aufgeblasen und das Rad montiert. Ich bezahlte rasch, verabschiedete mich und fuhr von dannen. Der Sturm schien stärker zu werden, und der Regen peitschte erneut gegen meine Windschutzscheibe. Nichts wie weg von hier ...

Donegal, 1980

 
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© 2009 Marie Louise Lagger / Lektorat JK