Irisches Tagebuch 2006

Thugamar féin an samhradh linn

 

Sonnabend, 17. Juni 2006

Thugamar féin an samhradh linn – wir hatten den Sommer mitgebracht, doch nun hat er sich verabschiedet und wir wandern im Regen über das Moor. Beim Aufbruch war es noch halbwegs trocken gewesen, doch nun schlägt er uns frontal entgegen und die nassen Hosenbeine klatschen gegen die Waden. Ein widerliches Gefühl. Verflixt, das war eine Pfütze, und jetzt dringt das Wasser auch noch in die Schuhe!

Der Diamond Hill mag das nicht mitansehen und hüllt sich in Wolken, derweil wir uns zur Dawros-Brücke durchschlagen und über die Straße nach Tully Cross zurückkehren. Als wir am Abend zu Molly’s nach Letterfrack fahren, sind die Berge im Dunst verschwunden.

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Sonntag, 18. Juni 2006

Es regnet immer noch, und in Irland begeht man den Vatertag. Da passt es, dass Johnnie am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen wurde, in ‘großartiger Stimmung’, wie Frank gestern Abend bei Molly’s erzählte. Wir sollten doch mal reinschauen, Johnnie würde sich freuen. Doch der Father’s Day gehört der Familie, und so verschieben wir unseren Besuch um einen Tag.

Gegen zwei brechen wir zum Lunch nach Veldon’s auf, diesmal treffe ich die bessere Wahl:

Grilled Plaice on Parmesan Mash
With a smoked Salmon Cream

Dazu Chips und eine Schale mit einem diesmal gut angerichteten gemischten Salat, alles zusammen für € 12,95. Lecker und das Geld wert!

Vor der Bar hängt ein Foto vom diesjährigen Zieleinlauf des Connemara-Marathon, an der Spitze im vollen Galopp ein schwarzköpfiges Schaf. Die Deckenlampen spiegeln sich in dem Glas, so dass es sich nicht fotografieren lässt. Schade!

*  *  *

Am Abend singt Frank bei Sammon’s nur für mein Mädchen – zumindest sieht sie das so. Kieran macht einen eher müden Eindruck.

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Montag, 19. Juni 2006

Regentage sind die künstlerisch produktivsten, also fahren wir nach Clifden und erwerben im Book & Artist’s Shop an der Main Street für 35 Euro sechs Tuben Farben sowie drei Pinsel, letztere im Sonderangebot für zusammen € 7,95.

Doch bevor es ans Malen geht, besuchen wir Johnnie in Mullaghgloss. Er liegt im Bett, fühlt sich heute etwas schwach. Gestern, am Father’s Day, war er gut drauf gewesen, hatte sich aber, wie er meint, ‘zu sehr verausgabt’. Im Krankenhaus sei er mit seinen 85 Jahren der Schwarm aller Schwestern gewesen, sie hätten ihn nur ungern ziehen lassen. Kein Wunder, grinst mein Mädchen, unter all den Junggesellen auf der Station, die nie gelernt hatten den Anordnungen einer Frau zu folgen, habe er nach einem halben Jahrhundert mit Margaret das beste Training gehabt. Johnnie stimmt lachend zu.

Nach anderthalb Stunden machen wir uns auf den Heimweg, treffen dann am Abend Frank und Charlie zur musikalischen Nachtschicht in der Bar des Renvyle House Hotels. Frank wirkt müde, hatte den ganzen Tag den Kleinbus des Renvyle Active Age Club durch die Gegend kutschiert. Manchmal seien die Clubmitglieder schon sehr aktiv, seufzt er.

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Dienstag, 20. Juni 2006

Hildegard in Irland, Tullycross, © Hildegard Vogt-KullmannEin weiterer Regentag, was malen wir heute? Beim Blick aus der Klöntür sieht man auf der anderen Straßenseite das Anwesen der Coyne’s of Tully Cross: Brians Laden, Gerards Pub und Seans halb zerfallener Schuppen mit seinen zugebretterten Fenstern – Teil des Reiches des vor zwei Jahrzehnten verstorbenen Dorfkönigs Paddy Coyne, dem auch der Grund und Boden gehörte, auf dem unser Cottage steht. Es wird Zeit, dieses Reich für die Nachwelt festzuhalten, ehe sie es wie die Gebäude rechts davon hinwegrafft, die dem Maol Reidh Hotel weichen mussten.

Mein Mädchen entwirft mit dem Malblock in der Hand eine Bleistiftskizze, die am Küchentisch zu einem Acrylbild ausgearbeitet wird. Zwischendurch immer wieder ein Sprung zur Tür: Wie sieht der Schornstein aus, und wie viele Fenster hat das Herrenklo? Sie sind zu hoch geraten, aber das ist künstlerische Freiheit. Das Maol Reidh Hotel rechts daneben wird ignoriert. Nach gut drei Stunden ist das Werk vollendet. Sein Titel: Looking out of my Cabin Door.

Looking out of my cabin door, © 2006 Hildegard Vogt-Kullmann

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Mittwoch, 21. Juni 2006

Nach dem Frühstück hört es zu regnen auf. Wir waschen und hängen die Wäsche auf die Leine, ehe wir zum diesjährigen großen Renvyle Walk aufbrechen, hier beschrieben am letzten Juni-Sonnabend des Jahres 2005. Nur dass der Himmel heute etwas grauer ist. Drei Stunden sind wir unterwegs und wissen anschließend, dass der Maler hinter dem Teach Ceol eine Malerin ist. Elizabeth Mary Audigier heißt sie, geboren 1948 in Portsmouth.

Am frühen Abend kommt Gisela aus dem Norden zurück, hat aber keine Lust mehr, mit uns zu Lowry’s nach Clifden zu fahren. Michael Cary und Liam Aspell singen diesmal nicht für mein Mädchen, sondern für ein sehr viel dickeres, gehüllt in ein sahneweißes Satinkleid mit langer Schleppe. Aus Deutschland angereist, hatte sich die junge Dame zur gestrigen Mittsommernacht von einem ortsansässigen Druiden mit einem spindeldürren Jüngling vermählen lassen. Die Braut steht auf Rock-and-Roll und zeigt dem frenetisch Beifall klatschendem Publikum, dass Energie auch beim Tanzen ein Produkt aus Masse und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ist.

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Donnerstag, 22. Juni 2006

EKarte Diamond Hills bleibt trocken, und so unternehmen wir mit Gisela den ‘Lower Diamond Walk’, den ‘Blue Walk’, wie er auch genannt wird und so eingezeichnet ist. Scheinbar unbezwingbar erhebt sich links über uns der kahle Gipfel des Diamond Hill. Dass wir es vor zwei Wochen geschafft haben, dort hinaufzukommen! Leider war es etwas grau, kein gutes Wetter zum Fotografieren. Auch Gisela schaut beindruckt hoch und will den Berg ‘irgendwann einmal’ angehen. Doch heute können wir sie nicht dazu bewegen.

Beim Verlassen des Nationalparks kaufe ich für € 2,50 ein Heftchen über die irischen Torfmoore; vielleicht finde sich darin etwas, mit dem man bei passender Gelegenheit glänzen kann. Es ist erschreckend zu sehen, wie wenige Moore heute noch intakt sind. Fünfzehn von ihnen stehen unter Naturschutz, in Connemara und dem County Galway ist der Blanket Bog des Nationalparks der einzige. Unter einem solchen versteht man ein Moor, bei dem der Torf wie eine Decke über dem mineralhaltigem Boden oder Felsen liegt. Ein Raised Bog hingegen entwickelt sich aus Seen oder wassergefüllten Senken und bildet in den Jahrhunderten seiner Entwicklung eine Kuppel darüber.

Wir lunchen wieder bei Veldon’s. Ein irischer Borussia-Dortmund-Fan mit überraschend guten Deutschkenntnissen serviert uns die Open Crabmeat Sandwichs und wundert sich, dass wir keinen Rossicki oder so ähnlich kennen. Dann geht es heim zum Cottage, wo wir mit einem Glas Whiskey vor der Tür sitzen und das aufreibende Dorfleben beobachten: wer geht in die Pubs, wer kommt heraus, wer raucht vor ihren Pforten und was trägt man aus Brians Shop. Da streicht auch die herrenlose Katze wieder ums Haus. Katzen hätten keine Herren, protestiert sie, wenn überhaupt, dann Personal. Nun denn, da die Studenten, die sie im Frühjahr bedient hatten, abgezogen sind, sorgen wir für ihr Dinner.

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Freitag, 23. Juni 2006

Hildegard an Lola, 7 Jahre alt – Letter From Home

Hallo Lola – Viele Grüße aus dem Land der Schafe. Hier gibt es so viele, dass du es dir kaum vorstellen kannst: auf den Wiesen, an den Berghängen, mitten auf der Straße in der Sonne und auf den Post- und Speisekarten. Nachts träumt man von ihnen und eines – du kennst ja Eileen Óg – liegt bei uns im Bett. Sie lässt einen Gruß an Boo! ausrichten.

In diesem Jahr gehört zu unserem Ferienhaus eine Katze. Amerikanische Studenten, die vor uns hier waren, hatten sich mit ihr angefreundet und sie gefüttert. Die Studenten sind jetzt weg, doch die Katze streift immer noch jeden Tag ums Cottage und erwartet ihr Dinner. Wenn wir es vergessen, miaut sie ganz vorwurfsvoll und kratzt an der Tür. Also haben wir Katzenfutter gekauft und stellen ihr täglich eine Mahlzeit und etwas zu trinken hin.

Leider ist unser Urlaub schon bald zu Ende. Vielleicht sehen wir uns ja zu deinem Geburtstag. Und viele Grüße an deine Familie.

Hildegard und Jürgen”

So, noch rasch eine Marke drauf, und ab geht die Karte per Luftpost nach Deutschland. Bereits 1919 landete in Irland das erste Flugzeug, und das ganz in unserer Nähe. Es waren die Herren Alcock und Brown, die aus der neuen Welt kommend drei Meilen südlich von Clifden ein Bruchlandung ins Moor legten, unweit der Telegrafenstation, von der aus zwölf Jahre zuvor der erste Funkspruch über den Atlantik ging.

© 2006 Gisela DresbachAlcock and Brown Landing Site steht auf einem Wegweiser, der uns an der Clifden-Ballyconelly Rd. auf eine Schotterpiste führt. Wir fahren bis zu einem Gatter, lassen das Auto dort stehen und wandern durch eine zunächst recht steinige Landschaft, die allmählich in die Roundstone Bogs übergeht. Vorbei an einem verwunschenen Seerosenteich, dann ragt in der Ferne einer Seeboje gleich ein seltsamer Pylon aus dem Moor. Wir kommen näher, passieren die Ruine der Telegrafenstation von 1907 und stehen vor dem Monument.

Ein Hinweis, um was es sich handelt, fehlt, doch es dürfte der ‘whitewashed tower’ sein, der laut unserem Rambler’s Guide Connemara an die historische Landung erinnern soll. £ 10.000 haben die beiden Bruchpiloten von einem Lord Beaverbrook für die erste Atlantiküberquerung bekommen, der ehe er in die englische Politik ging in Kanada ein Vermögen mit Zement gemacht hatte. Alcock und Brown wurden vom englischen König zu Rittern geschlagen.

*  *  *

Unsere Mägen beginnen zu knurren, also fahren wir nach Clifden zurück. Beim Lunch im Derryclare stellt der Landlord fest, dass mein Mädchen in den letzten vierzehn Jahren nicht um einen Tag gealtert ist. Recht hat er! Heute Abend gibt es Musik mit Frank und Kieran in der Bar des Renvyle House Hotels – da wird sie sich fein machen.

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Sonnabend, 24. Juni 2006

Bei grauem Himmel ziehen wir in Wollpullovern und Regenjacken los und kehren bei strahlendem Sonnenschein von unserer Renvyle-Head-Wanderung zurück. Das Haus oben am Berg steht schon wieder zum Verkauf, diesmal jedoch möbliert, wie ein Blick in die Fenster zeigt. Vermutlich verlangt der Besitzer jetzt einige zigtausend Euro mehr, als er vor zwei Jahren für das Anwesen bezahlt hat.

Ein kleiner brauner Hund hat sich uns angeschlossen, einer von der leisen Sorte. “Der hat sogar Angst vor einem Lamm”, meint mein Mädchen, als er einen großen Bogen um ein solches macht. Aber schon bald zeigt er es uns. Am alten Wehrturm springt ein dreimal so großer fauchender Köter auf ihn zu und umtänzelt ihn. Doch der Kleine lässt sich nicht irritieren und gibt keinen Laut von sich, ignoriert den wilden Kläffer völlig, wendet sich demonstrativ ab, schaut aufs Meer und lässt sich auch durch Dauergebell und Geknurre nicht aus der Ruhe bringen.

*  *  *

Wir lunchen vor dem Cottage, auf den Tellern Chicken Wings und Wedges von Sammon’s gegenüber. Das Guinness hingegen kommt aus der Dose und ist mit € 1,69 nur halb so teuer wie im Pub. Loretta stand hinter der Theke, erzählt mein Mädchen, und sieht mit ihren fünf Kindern zwischen zwei und neun Jahren immer noch wie Milch-und-Honig aus.

*  *  *

Ehe es ans unvermeidliche Packen geht, wandern wir noch einmal zum Renvyle Strand. Die Flut hat ihren Scheitelpunkt erreicht, nur ein schmaler Sandstreifen ist noch sichtbar. Es ist der letzte Urlaubstag, wir werden melancholisch:

Samhradh samhradh bainne na ngamhna,
Thugamar féin an samhradh linn
Thugamar linn é is cé bhainfeadh dínn é?
Thugamar féin an samhradh linn.

Sommer, Sommer, Milch der jungen Kühe,
Wir brachten den Sommer mit.
Wir brachten ihn mit, und wer wird ihn uns nehmen?
Wir brachten den Sommer mit.

Doch das Singen lassen wir besser, sonst lässt man uns im nächsten Jahr nicht mehr ins Land.

Tráthnóna Samhraidh, © 2005 Hildegard Vogt-Kullmann
H. Vogt-Kullmann: Tráthnóna Samhraidh

‘Thugamar féin an samhradh linn’, wir brachten den Sommer mit. Morgen reisen wir ab, doch der Sommer wird bleiben.

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Reiseberichte Irland: Connemara 2006
© 2006-2007 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 08.03.2007