Irisches Tagebuch 2014

Watering the Horses

 

Sonnabend, 7. Juni 2014

Die müssen die Abfahrten umnummeriert haben”, meint mien Deern, als wir auf der M50 die Ausfahrt No. 10 passiert haben und No. 11 angekündigt wird, “denn früher war der Abzweig nach Galway schon bei No. 7.” “Ganz sicher”, meldet sich auf der Rückbank zwischen zwei Rucksäcken eingequetscht unser Navigationsschaf Eileen Óg mit spitzer Zunge zu Wort, “und bei der Gelegenheit haben sie dann Nord und Süd auch gleich umgestellt.” Bei Abfahrt No. 12 verstehen wir den feinsinnigen Hinweis, fahren ab, finden nach einigen Irrungen und Wirrungen eine Auffahrt in Gegenrichtung und wechseln bei No. 7 auf die M4 Richtung Galway.

“Low lie the Fields of Athenry”*, nein, Irland hat nicht schon wieder ein internationales Fußballspiel verloren, sondern im Angler’s Rest feiern heute Abend ein junger Mann seinen 50sten und ein noch jüngeres Mädchen ihren 40sten Geburtstag. Wer von den Anwesenden die Geburtstagskinder sind, finden wir allerdings nicht heraus, nachdem uns die Ankündigung Music Tonight nach getaner Arbeit – sprich: Bewohnbarmachung des Cottage – ins Angler’s Rest gegenüber gelockt hat. Den Akkordeonspieler, meint mein Mädchen, habe sie im vergangenen Jahr in Gay’s Bar aus einer dunklen Ecke heraus gezeichnet, und der Gitarrist und Sänger könne ein gealterter Coaster sein.

Wen kennen wir denn überhaupt, abgesehen von denen, die hinter dem Tresen stehen? Den Local Drinker, der noch recht nüchtern ist, den graubärtigen, nie viel redenden Intellektuellen, der einsam ganz hinten an der Theke sitzt, Gerard vom Paddy Coyne’s nebenan, der, nachdem er die Musikanlage für die Disco nach Mitternacht aufgebaut hat, mit einem “welcome back” kurz bei uns Halt macht, den Hausherrn Patrick Sammon, dessen Gesicht wir kurz in einer der Geburtstagsgesellschaften erhaschen, seinen Bruder Daniel, den Fianna-Fáiler und Bücher- und Gedichtschreiber, den Wuppertaler aus Mullaghgloss, der sich heute nicht mit uns unterhalten will, und viele lokale Pubnasen, deren Gesichter uns seit Jahren geläufig sind, ohne dass wir ihre Namen kennen.

Den beiden Musikern schenkt niemand viel Beachtung. Gegen halb zwölf packen sie ihre Instrumente und verschwinden. Wir auch.

* Ein Klassiker der Folkmusik, den die Zuschauer zu singen pflegen, wenn die irische Nationalmannschaft Fußball oder Rugby spielt – und verliert.

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Sonntag, 8. Juni 2014

in Nachtrag zu gestern Abend: Wir waren noch beim Auspacken, da stand die Reinigungsdame der Cottages in der Tür und staunte, wie wohnlich No. 1 mit dem Inhalt unserer vom Dachboden gehievten Reisetaschen geworden ist. Und schon waren wir in den rare old times, erinnerten uns daran, wie wir vor fast einem Vierteljahrhundert zum ersten Mal das Cottage betraten, als es noch einen Kaufmann und einen Fleischer im Dorf gab, Charlie noch Akkordeon und Johnnie die Fiddle spielte – und dass wir die beiden jetzt nur noch auf dem Friedhof besuchen können.

Ob wir auch die Deutschen vom Rainbow House gekannt hätten, Rainer und Regine? Klar doch, vor zehn Jahren hatten sie ihr Haus auf dem Hügel verkauft. Rainer ist vor drei Jahren verstorben, erzählt sie. Wir hatten es schon im Gefühl. Nach dem Verkauf gerade noch rechtzeitig vor dem Platzen der Immobilienblase hatten wir uns noch ein paar Mal geschrieben, bis der Kontakt einschlief. Der Abschied von dem Haus über der Bucht hatte ihn sehr mitgenommen, und es ging ihm von Jahr zu Jahr schlechter. Nach dem Tod ihres Mannes, berichtet die Putzfrau weiter, sei Regine noch einmal nach Renvyle gekommen, habe es aber im Nachhinein bereut. Die Erinnerung an die alten Zeiten sei zu schmerzlich für sie gewesen.

*  *  *

Mehrfacher Stromausfall am Vormittag, zunächst immer mal wieder für ein paar Minuten, und dann bleibt er ganz weg. Kaffee kochen geht nicht, doch es ist noch ein kleiner Rest von vor dem Frühstück da, für jeden eine halbe Tasse.

Der Himmel ist grau verhangen, aber immerhin regnet es entgegen der Vorhersage nicht. Wir wandern nach Tully, wie es sich für den Tag nach unserer Ankunft gehört. Neben dem Tankstellenladen dröhnt ein Stromgenerator. Wir kaufen den Sunday Independent und ein paar Kleinigkeiten für den Haushalt, doch einen Ersatz für den fehlenden Stöpsel in der Spüle finden wir nicht, ebenso wenig einen Pfannenwender und zu meinem Leidwesen auch keinen Guinness Cake. Es folgt ein Bummel zum Anleger. Auch wenn wir hier noch nie ein Schiff sahen, ist er in einem guten Zustand, ein massives Bollwerk gegen die See. Pittoresk liegt eine Cottage-Ruine in der Morgensonne, vermutlich weil der Rucksack mit der Kamera wegen des trüben Wetter beim Verlassen des Hauses daheim geblieben ist.

Wo der ‘Rentnerweg’ sich vom Meer abwendet und den Bogen zurück zur Straße macht, marschieren wir geradeaus weiter und werfen einen Blick auf die im Internet als Ferienwohnungen angebotenen Gurteen Cottages, die sich reetgedeckt rechts und links des Weges gegenüberstehen. Mien Deern spielt mit dem Gedanken, eines der beiden im nächsten Sommer für uns zu mieten und das zweite ihrer Cousine nebst Freundin als Ferienwohnung vorzuschlagen. Sollten sie darauf eingehen, beschließt sie nach äußerem Augenschein, nehmen wir das linke. Es hat zwar keinen Wintergarten, dafür aber das schönere Grundstück mit freien Blick auf die Bucht. Ein Hinweis auf die Vermietbarkeit findet sich allerdings nicht, auch keine Telefonnummer oder Info-Adresse. Das einzige, was wir in der Hand haben, ist der Ausdruck einer undatierte Website mit der Handy-Nummer einer Evelyn O‘Connor. Wir wandern zurück nach Tully Cross.

Buchcover, © 2013 Juergen KullmannLetterfrack am Sonntagnachmittag. A Song for the Forest lautet der Titel eines Buches mit zu Papier gebrachten Erinnerungen des einstigen Waldarbeiters Tom Mongan, den wir seit 22 Jahren bei den Music Sessions in Molly’s Bar und Angler’s Rest zu treffen pflegen. Am Eingang von Veldon’s Country Shop liegt es aus und kommt in den Einkaufskorb, als der Autor des Buches den Laden betritt. Rasch hin, um in das noch nicht bezahlte Buch (10 Euro) mit einem noch nicht bezahlten Bleistift (25 Cent) eine Widmung schreiben zu lassen. Die von ihm missverstandene Schreibweise J U E E R G E N – das kommt davon, wenn zwei Leute gleichzeitig ‘E’ buchstabieren – wird in 500 Jahren den Preis des Buches bei einer Versteigerung literarischer Raritäten in die Höhe treiben. Bis wir an der Kasse sind, gesellen sich zu Buch und Bleistift ein Stöpsel für die Spüle und für alle Fälle auch noch eine Spülschüssel. Eine gute Idee, denn der Stöpsel wird sich als zu klein erweisen.

Ein Rundgang durch Letterfrack, ehe wir zurück ins Cottage fahren um dies festzustellen. Rose Coyne’s Diamond Hair Studio gibt es weiterhin, so lange wie ihr Business hat sich noch keines in dem Gebäude gehalten. Der Barde gegenüber hat sein Den renoviert und zwei Räume für einen Craftshop mit schönen aber teuren Dingen abgezweigt. Seine Lunchpreise scheinen sich dabei nicht erhöht zu haben: das Chicken Kiew gibt es weiterhin für € 13,95. Nur das Guinness ist um zehn Cent teurer geworden.

*  *  *

Es wird Abend. Wir nehmen unser Dinner im hinteren Teil von Paddy Coyne’s Public House ein, während im vorderen ein unsichtbarer Fiddler Jigs und Reels spielt. Der Whitling wird optisch schön serviert und schmeckt, könnte aber etwas besser gewürzt sein, was auch für das Gemüse gilt. Ein wenig Nachsalzen tut sowohl dem Mash als auch den Baby Potatoes gut. Tea-for-Two gibt es auf Kosten des Hauses.

Gegen zehn Uhr startet nebenan im Angler’s Rest die Musik mit Frank & Kieran und watering the horses, wie ich aus Toms Buch gelernt habe. ‘Watering the Horses’ nannten es die Waldarbeiter, wenn sie auf dem Weg von einer Arbeitstelle zur nächsten ein Pub aufsuchten, um sich dort mit dem einen oder anderen Pint für die kommende Aufgabe zu stärken.

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Montag, 9. Juni 2014

Nach dem Frühstück versucht mein Mädchen per Handy Evelyn O’Connor zu erreichen und einen Besichtigungstermin für die Gurteen Cottages zu vereinbaren, doch es kommt stets nur die Ansage, dass ihr mobile phone zur Zeit nicht eingeschaltet ist und man es später noch einmal versuchen soll.

Nun denn, dann beschäftigen wir uns mit dem immer noch fehlenden Stöpsel für die Küchespüle und fahren nach Clifden, den gestern erworbenen zu kleinen Proppen als Muster im Gepäck. Womöglich als Nachwirkung der Rezession scheint es in diesem Land einen echten Mangel an diesen Dingern zu geben. Mehrere Haushaltswarenläden können uns “for the moment” nicht weiterhelfen, bis wir dann in einem Winkel des SuperValu doch noch fündig werden. Die Pflichtaufgabe erfolgreich erledigt, lese ich auf einer Bank vor E.J. King’s Bar die Zeitung. “Quo vadis, Labour Party?” fragt der Irish Independent nach der historischen Wahlschlappe bei den Kommunal- und Europawahlen, derweil mien Deern die Straße hochwandert und die Klamottenläden inspiziert.

Am Nachmittag – Evelyn hat ihr Handy immer noch nicht eingeschaltet – ein Spaziergang zum Pebble Beach, Pebble Beach Renvyle, © 2012 Juergen Kullmann dann wird gekocht und diniert. Abschließend ein Abendspaziergang über den Renvyle Strand, ehe der Tag vor dem Kaminfeuer ausklingt.

Habe ich noch etwas vergessen? Zwischendurch regnete es mal recht kräftig und spülte unsere erste Wäsche auf der Leine weich.

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Dienstag, 10. Juni 2014

Mit der Fähre nach Inishbofin? Dafür ist uns das Wetter bei zwanzig Euro pro Person zu unbeständig, doch man kann ja mal schauen, wie es bei Slyne Head aussieht, dort waren wir schon seit Jahren nicht mehr. Dass wir in Ballyconneely vergessen rechts abzubiegen und schon fast in Roundstone sind, ehe wir das merken und umkehren, versteht sich fast von selbst. Immerhin wir erreichen unser Ziel und parken auf einer buckligen Wiese gegenüber der Einfahrt zum Golfplatz.

Der Weg zum Meer führt über einen grünen Hügel zu einem weiten Sandstrand hinunter. Das Wasser hat sich zurückgezogen, wir sind die Einzigen, die den Spülsaum entlangwandern. Am westlichen Ende des Strandes führt ein eingezäunter Pfad (für die Golfer gibt es eine Unterführung) über das Golfplatzgelände zur Straße zurück, die nach einigen hundert Metern auf einem weiträumigen Mobile Home Park endet. Unsere vage Hoffnung, der dahinter beginnende Weg zur Spitze der Halbinsel könnte wieder offen sein, zerschlägt sich:

P R I V A T E   P R O P E R T Y
Trespassers will be exeprosecuted

prangt immer noch an dem Gatter. Doch kann man es dem Eigentümer verübeln? Wenn sich das ganz Mobile-Home-Volk tagtäglich an seinem Haus vorbei zur Landspitze aufmachen würde, hätte er vermutlich keine ruhige Minute. Uns allerdings hilft das nicht weiter.

Buchcover, © 2013 Juergen KullmannAuf dem Rückweg stoppen wir an einer kleinen Schule gegenüber einem See, hinter dem sich auf einem flachen Hügel die Ruine von Bunawen Castle erhebt. Erbaut im frühen sechzehnten Jahrhundert, war es ein Wohnsitz des berüchtigten Clan der O’Flahertys: ‘Vor den schrecklichen O’Flahertys, o guter Herr, bewahre uns’, soll zur damaligen Zeit über dem westlichen Stadttor Galways gestanden haben. Donall O’Flaherty heiratete die als Piratenkönigin in die Geschichte eingegangene Grace O’Malley und lebte hier mit Frau und drei Kindern, bis er 1556 auf einem Jagdausflug ermordet wurde. Auf dem See vor der Ruine würden sich auch die drei Kinder Lirs wunderbar auf einem Foto machen, doch sind weit und breit keine Schwäne zu sehen.

Also fahren wir weiter und kehren in der warmen Nachmittagssonne auf ein Eis in Keogh’s Beer Garden in Ballyconneely ein. Hier könnte man auch gut speisen. Das Barfood Menue sieht sehr vielversprechend aus, und das gilt auch für die Mahlzeit, die gerade einem anderen Gast aus der Küche an den Tisch gebracht wird. Doch wir wollen heute Abend selbst kochen, und so bleibt es bei dem Eis.

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Mittwoch, 11. Juni 2013

Hildegard an Gisela – Brief aus Irland

Liebe Gisela — Völlig unaufgeregt und routiniert sind wir am Sonnabend hier angekommen – so routiniert, dass wir auf der M50 die Abfahrt nach Westen verpassten. Kurz vor den Wicklow Mountains fiel dann der Groschen. Also runter von der Autobahn, in Gegenrichtung wieder rauf und an der Ausfahrt No. 7 westward bound.

Als fahrbarer Untersatz dient uns in diesem Jahr ein erst im Frühjahr zugelassener silberfarbener Ford Focus. Ein Diesel! Braucht 5,3 l/100 km und ist eine Nummer größer als ursprünglich gebucht. Daran bin ich schuld! Der versierte junge Mann bei Hertz pries die Vorteile eines Diesels (weniger Verbrauch, preiswerterer Kraftstoff) so erfolgreich an, dass ich schwach wurde, den drei Jahre alten Fiat Panda ausschlug und zu einem Aufpreis von 88 Euro den Focus wollte. Jürgen konnte besser rechnen und meinte, das sei ein Verlustgeschäft für uns. Inzwischen sehe ich das auch so. Pech für uns und eine Erfolgsprämie für den Hertz-Mitarbeiter.

Vieles ändert sich in Irland, aber im Cottage nur wenig. Zu wenig. Manchmal ist es schon erstaunlich, wie die Zeit stehen bleibt. In diesem Jahr wurde zwar der Steinfußboden neu gestrichen, aber Sofa und Sessel sind dem abgewetzten Zustand nach zu urteilen noch dieselben wie vor vierzig Jahren. Gut, dass wir unsere roten Decken haben. Zum Ausgleich gibt es in jedem Jahr andere Dinge, die fehlen. In diesem fehlte der Stöpsel für die Küchenspüle, und es gab keine Pfanne, keine Reibe und keine Topfschwämme. Mit den Decken und weiteren Dingen aus unserer beiden Geheimtaschen auf dem Dachboden sowie einigen Zukäufen konnten wir es uns dennoch wieder gemütlich machen.

Am Samstagabend begrüßte uns eine Frau aus dem Dorf: schmuddeliges T-Shirt, abgekaute Fingernägel und ein leichter Watschelgang. Passt zu den Cottages, aber nett war sie dennoch. Vielleicht hat sie auch eine Behinderung. Sie erzählte uns, dass Rainer – du erinnerst dich an die Lübecker vom Rainbow House? – vor drei Jahren verstorben ist.

Anne Jack war am Wochenende in England, eine Beerdigung. Gestern Abend haben wir sie getroffen. Seit Mitte April ist sie Witwe. Frank und Kieran musizieren noch zweimal die Woche, aber Frank will nur noch ein Jahr lang in Pubs auftreten. Ihr müsst euch also beeilen, wenn ihr die Coyne-Brothers noch einmal live erleben wollt – oder es mit Kieran vorlieb nehmen, der versprach Musik zu machen, bis man ihn “in einer Kiste aus der Kneipe trägt”.

Heute Vormittag haben wir das Kapitel “Auf der Suche nach Evelyn O’Connor und den Gurteen Cottages” abgeschlossen, d.h. die Cottages hatten wir schon am Sonntag gefunden. Die Lage von O’Connor’s Cottage ist ganz bezaubernd, so dass Jürgen es für uns vorgesehen hatte, sollte man es je schaffen, ihn aus No. 1 in Tully Cross herauszuzerren. Das zweite, Bridget’s Cottage, steht vis-à-vis ein wenig im Gebüsch auf der anderen Seite des Weges. Zwei Tage lang hatte ich vergeblich versucht die Besitzerin zu kontaktieren, allein gestern drei Anläufe gemacht. Eine freundliche Stimme informierte mich jedes Mal, dass ihr Mobile Phone temporarily nicht erreichbar sei und ich es später neu versuchen solle.

Heute nun nahm ich all meinen Mut zusammen, fragte im Tankstellenladen von Tully nach Evelyn O’Connor und erfuhr, dass sie nur ein paar hundert Meter hinter den Cottages wohnt. Wir erwischten dann zwar das falsche Haus (es gab da zwei), doch das war ein Glücksfall, denn dort wohnt ihre Caretakterin, die uns verriet, dass Evelyn in Urlaub ist. Dann holte sie die Schlüssel und zeigte uns beide Häuser von innen. Hier mein Exposé:

O’Connor’s Cottage: Tolle, romantische Lage, aber drinnen ist es kalt, dunkel und beim Eintreten leicht muffig riechend. Grandioser Garten mit Meerblick.

Bridget’s Cottage: Die Lage nicht so genial, dafür aber nett, warm, hell und gemütlich mit einem kleinen Wintergarten in Südwestlage, in dem es im Sommer wohl recht warm wird. Leider kein Meerblick. Alles sauber und adrett, aber auch ‘irisch’. Zwei Schlafzimmer, das zweite mit separatem WC.

Nach der Besichtigung änderten wir unsere Meinung dahingehend, dass wir Bridget’s Cottage vorziehen würden, eigentlich nur dieses in Frage kommt. Zu euch würde es auch passen, und wir nehmen dann – ich höre Jürgen schon aufatmen – wieder unseres in Tullycross.

Mit schönen Grüßen von
Hildegard und Jürgen”

Wie oben beschrieben zu Papier gebracht bei einem Pint Guinness im Paddy Coyne’s am Abend nach unserem heutigen Ausflug nach Westport. Es war ein Tag voll spannender Abenteuer:

–  Am Einkaufszentrum beim Bahnhof geparkt und bei Boot’s ein In-die-Haare-Schmiermittel für die Liebste erstanden (€ 1,99).

–  Am Bahnhof gegenüber einen Fahrplan für die Züge in den Osten besorgt und die Fahrpreise ermittelt: Tagesrückfahrkarte nach Dublin pro Person 41 Euro, nach Athlone etwa die Hälfte.

–  Über das alte Viadukt in die Stadt gewandert, dort auf Shoppingtour mit der Liebsten.

–  Ein Glas Mintsauce (mit 24 % frischer Minze und ohne Farbstoff statt der eingefärbten dünnen Plörre von Baxter’s) sowie eine kleine Muskatreibe erstanden.

–  Modeläden durchstöbert und nichts gekauft.

–  Das so gesparte Geld in zwei große Becher Minteis investiert und auf einer Bank an der Promenade zu Seiten des Carrowbeg River verspeist.

–  Glücklich und zufrieden über den ereignisreichen Tag den Heimweg angetreten.

Killary Harbour, © 2014 Juergen Kullmann–  Hinter Leenaun auf dem Schotterplatz am Killary Harbour einen Muschel- und Austern-Imbisswagen entdeckt, besichtigt und fotografiert. Neben dem Van ein Pavillon mit zwei Tischen und ein paar Stühlen, unter dem sich zwei deutsche Familien über ihre Austern (10 Euro) bzw. Muscheln (5 Euro) hermachten. Werden demnächst auch mal hier einkehren!

–  Weiter nach Letterfrack gefahren und im Bard’s Den Chicken Kiew (genauso lecker wie letztes Jahr) verspeist.

–  In der Abendsonne das ‘Exiting new development’ am Ortseingang von Tully Cross besichtigt. Nach langer Rezessions-Pause geht es nun weiter, und es hat sich viel getan. Auch die Außenanlagen nehmen Gestalt an, toller Blick auf die Hills of Connemara. Ein Gärtner mäht den Rasen.

Twelve Bens from Tullycross, © 2014 Juergen Kullmann

Und nun sitzen wir zum Abschluss des Tages im Paddy Coyne’s. Der Brief an Gisela ist geschrieben, die Pints sind ausgetrunken und ich klappe das Tagebuch zu. Oíche mhaith a chairde, gute Nacht Freunde!

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Donnerstag, 12. Juni 2014

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt ein Dorf.
Der Nebel drückt die Berge schwer
Und rund um Renvyle rauscht das Meer
Eintönig um den Ort.

So hätte Theodor Storm heute wohl gedichtet, wenn er statt in Husum auf Renvyle aufgewachsen wäre. Was macht man, an solch einem nebelverhangenem Tag? “Visit the next craftshop” empfiehlt wieder einmal unser Connemara-Reiseführer aus dem Jahr 1994. Den nächsten hat Kylemore Abbey aufzuweisen, nichts wie hin.

Kylemore Abbey, © 1993 Juergen KullmannDer Parkplatz für PKWs ist recht leer, der für Busse um so voller. Wir zählen fünfzehn, und da kommt schon der nächste. Mehr als fünfhundert Menschen dürften sich auf dem Gelände befinden. Wir schlendern durch den Laden zum Kassenhäuschen. Dreizehn Euro will man für den Zugang haben. Der Aufstieg zur Statue oben am Berg ist nur als guided tour erlaubt und kostet, in einer Stunde hoch und wieder runter, zwanzig Euro. Nichts für uns, eine solche Hektik. Als man den Berg in den 1990-er Jahren noch kostenfrei und ungeführt erklimmen durfte, war das für uns ein Halbtagsausflug.

Auch der Craftshop verdient heute nichts an uns; wir suchen uns einen anderen auf halbem Weg zwischen Letterfrack und Clifden. Schwein gehabt, die Jacke für 250 Euro am Eingang steht mien Deern nicht, und so geben wir ‘nur hundertdreißig’ für einen hübschen, farbenfrohen Pullover und eine dazu passende Brosche aus.

Zurück im Cottage bereiten wir unser Dinner vor, schnetzeln zwei Lammsteaks in eine Casserole, braten das Fleisch an und lassen den Eintopf auf dem Herd simmern … derweil wir eine noch Runde übers Moor machen und beim Aufbruch vergessen, den Herd auszuschalten. Doch ist das Cottage bei unserer Rückkehr nicht abgebrannt, das Fleisch allerdings gut durchgegart.

Am Abend ein Krimi und eine Flasche Wein beim Kerzenschein vor dem Kaminofen. Um aus einem E-Book vorzulesen, braucht es keine weitere Beleuchtung.

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Freitag, 13. Juni 2014

Nach einem Einkauf bei Lidl stellen wir das Auto auf dem Parkplatz nahe dem alten Bahnhof ab und bummeln durch die Stadt zum Bootshaus an der Clifden Bay hinunter. Als Slí Sláinte, Gesundheitspfad, ist der Weg ausgezeichnet und soll zum Joggen animieren. Das Café am Ende der schmalen, kaum befahrenen Straße hat entgegen unserer Einschätzung seine Segel nicht gestrichen und sogar den Winter über geöffnet gehabt.

The Secret Garden, © 2014 Juergen KullmannÜber die Relikte eines alten Trampelpfades versuchen wir uns zum Hintereingang von Clifden Castle durchzuschlagen. Nachdem wir im Abstand von einigen hundert Metern zwei Blockaden aus alten Eisenbahnschwellen überklettert haben – wir definieren sie als gegen Schafe und nicht gegen Wanderer gerichtet –, geben wir das Unterfangen vor einem zugemauerter Torbogen, der bis dato durch eine Steinmauer führte, auf. Der neue Besitzer von Grund und Boden hat obsiegt. So wandern wir den Gesundheitsweg ein Stück zurück und an der Ecke mit dem ‘geheimen Garten’ die schmale, steile Straße zur Sky Road hoch und summen mit William Butler Yeats:

Down by the salley gardens
My love and I did meet;
She passed the salley gardens
with little snow-white feet.
She bid me take love easy,
As the leaves grow on the tree;
But I, being young and foolish,
With her would not agree.

Wo der offizielle Weg zu Clifden Castle seinen Anfang nimmt, füttert ein französisches Pärchen mit grauem Haar einen ebenso grauen Esel, während sich das Grau des Himmels auflockert und ein sunny spell durch die Wolkendecke dringt. Ein Abstecher zur Ruine? Die Zufahrt zum einstigen Wohnsitz des Stadtgründers John D’Arcy ist nach dem Regen der vergangenen Nacht morastig und verschlammt, doch anders als eine Gruppe von vier Engländern, die sich von meinem Mädchen über das Ziel aufklären lassen, geben wir nicht auf und schlagen uns zur Ruine durch. Die drei Rabenvögel auf ihren Zinnen wollen nicht warten, bis der Objektivwechsel abgeschlossen ist, und verzichten auf den Ruhm, sich im nächsten Jahr auf einem Kalenderblatt wiederzufinden. So muss sich das alte Gemäuer ohne sie fotografieren lassen, dem Sonnenstand geschuldet von seiner Rückseite. In den 1990-er Jahren kam man noch zwischen die Mauern hindurch ins Innere, doch das ist jetzt wegen Einsturzgefahr gesperrt.

Gegen halb sechs sind wir wieder im Städtchen, holen uns im SuperValu den Irish Independent und einen halben Liter Milch und beschließen Hunger zu haben. Musik zum Dinner scheint es in diesem Sommer in Clifden nicht zu geben. Wir wandern ins Derryclare Restaurant, das mit einem neuen Inhaber nach hungrigen Touristen Ausschau hält – bislang mit nur mäßigem Erfolg, verglichen mit dem Gewimmel bei E.J. Kings gleich nebenan. Doch an seinen Muscheln Clifden Casle, © 2014 Juergen Kullmannim Tomatensud ist nichts auszusetzen, nur meine Ziegenkäse-Pizza hätte etwas weniger Käse und stattdessen mehr Paprika, Oliven und getrocknete Tomaten vertragen. Dass zu den Muscheln und der Pizza eine große Schale Pommes Frites serviert wird, verwundert niemanden, der die traditionelle irische Küche kennt.

Nach dem Abendessen wird es noch einmal sonnig. Auch wenn es für den Sonnenuntergang zu früh ist, machen wir auf der Heimfahrt einen Schlenker über die Sky Road, setzen uns auf eine Maurer und blicken den Hang hinunter auf die Burg im Abendlicht. Wieder daheim fällt die angekündigte Musik in Molly’s Bar wegen Fußball aus, und so verbringen wir den Rest des Tages mit dem Rest der Flasche Wein von gestern vor dem Torffeuer.

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2014
© 2015 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 14.10.15