Irisches Tagebuch 2000

Maureen mischt sich ein III

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Sonnabend, 17. Juni 2000

Ein Tag in Grau. Wir fahren nach Clifden, lassen das Auto in der Main Street stehen und wandern die Hafenstraße hinunter. Und philosophieren darüber, wie sich die Zeiten geändert haben. Leo’s Hostel, ausgezeichnet mit dem MTH-Award* (siehe Maureens Kommentar weiter unten), wird in ein Apartmenthaus umgewandelt. Auf einer Steintreppe zum Wasser schmust ein Pärchen – das hat sich nicht geändert. Ganz am Ende der Straße ein kleiner Anleger und das Haus des Segelclubs, doch im Juni tut sich hier nichts. Davor die Rettungsbootstation, die Rampe hinterm Bootshaus endet im Schlick. Vermutlich wissen die Skipper, dass sie bei Ebbe nicht in Seenot geraten dürfen.

Wir gehen den Weg nicht zurück, sondern steigen eine schmale, steile Straße zur Sky Road hoch. Eine Stippvisite zum Castle? Wie Schloss Kylemore wurde es erst im letzten Jahrhundert errichtet, allerdings in Billigbauweise, denn sonst hätte mehr davon übrigbleiben müssen. Zwar sieht die Ruine selbst bei diesem Wetter romantisch aus, nur dass ein neuer Bungalow das Bild stört. So fotografiere ich lieber die alte Küstenwache weiter oben am Hang, über die sich geheimnisvoll ein Nebelschwaden legt. Demnächst werden hier Touristen einziehen.

Wir sind wieder in der Stadt und ich muss etwas über unser Lunch-Menü im Derryclare an der Market Street schreiben, sagt mein Mädchen. Sie diktiert: ‘Herrliche knusprige Chicken-Wings, dicke goldene Fritten, nicht ölig, und ein würziger, erfrischender gemischter Salat mit einem senfartigen Dressing. Dazu ein Dip aus Blauschimmelkäse, Sellerie und Sahne. Das Ganze für IR£ 5.50 – zum Reinlegen.’

*  *  *

Ein warmer Sommerabend. Wir sitzen vor dem Cottage und Anne bringt uns einen Sack Torf vorbei. Der Bohrturm gegenüber ist abgebaut und es herrscht wieder Ruhe. Wie sich der Brunnen wohl mit den Sickergruben auf unserer Straßenseite verträgt? Doch vielleicht geht es nur um Brauchwasser für die künftige Baustelle. Das frühere Wohnhaus der Curleys mit dem Metzgerladen und steinernen Schuppen stehen schon seit langem leer; nur pro forma hängen noch Gardinen in dem Haus. Der Bauunternehmer Jack Lyden hat das Anwesen gekauft und will es durch ein kleines Hotel mit Restaurant ersetzen. Anne hat die Pläne gesehen und meint, es würde ganz gut ins Bild passen.

Doch dann steht zwischen diesem und dem Paddy Coyne’s noch ein schmales, baufälliges Feldsteingebäude, die Fenster mit Brettern vernagelt. Der Besitzer kann nichts damit anfangen, da es dahinter keinen Platz für einen Septictank gibt. Sein Bruder vom Paddy Coyne’s könnte es gut als Lagerraum gebrauchen, doch die Preisvorstellungen gehen wohl zu weit auseinander. So wird es von Jahr zu Jahr baufälliger. Vielleicht fällt es in sich zusammen, wenn Curleys Anwesen abgerissen wird und ihm die rechte Stütze genommen wird.

*  *  *

Genug vom dörflichen Klatsch. Es wird Nacht und wir sitzen in Molly’s Bar in Letterfrack. Frank singt und spielt Gitarre, Banjo und Blechflöte, Charlie Akkordeon. Seine Haare beginnen grau zu werden. Ob ihm das Geld für die Farbe ausgegangen ist? Andererseits fährt er von Jahr zu Jahr ein besseres Auto. Auch Séamus Mulligan steht an der Bar. Er trägt nun einen Bart und es dauert eine Weile, bis wir ihn erkennen.

Plötzlich wird es voll. Die Neuankömmlinge scheinen, ungewöhnlich genug, wegen der Musik gekommen zu sein! Kein Wunder, es handelt es sich um eine englische Reisegruppe, wie sich bald heraustellt. So merkt auch der eine oder andere nicht, dass Frank gegen Viertel nach zwölf die Nationalhymne anstimmt, und es braucht einen Wink vom Chef der Gang, ehe sich alles vom Hocker erhebt.

Maureen* MTH = Most Terrible Hostel Award! Kein Schw..., Schaf, meine ich, traute sich da ohne Gummistiefel unter die Dusche. M.

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Sonntag, 18. Juni 2000

Historische Segelschiffe messen sich in einem denkdenkwürdigen Spektakel’ – so stamd es kürzlich im Galway Magazine. Ort und Zeit: heute in Roundstone. Doch die versprochenen ‘Sailing Crafts’ machen sich rar, nur ein altes Boot liegt müde im Hafenschlamm – etwas wenig für ein Spektakel.

Was macht man, wenn man in Roundstone um eine historische Segelregatta gebracht wird? Man besucht Irlands rührigsten Bodhrán-Maker, bei dem sich mein Mädchen auch in diesem Jahr kein Instrument kauft, derweil der Laden um die Werkstatt herum gewaltig gewachsen ist und es mit manchem Craftshop Irlands aufnehmen kann. Wie es scheint, sind potenzielle Bodhrán-Käufer recht betuchte Kunden, denn vieles bekommt man anderen Ortes für weniger Geld.

Zurück im Dorf, das in den letzten Jahren hübscher geworden ist. Drei kleine Lebensmittelläden auf hundert Metern, und mein Mädchen versucht als Wegzehrung ein paar Kekse zu erstehen. Eine bestimmte Sorte soll es sein, doch die führt man hier nicht, dafür aber Mehl in 12,5 kg Säcken. Der Spaziergang ist der gleiche, wie im letzten Jahr: ein Pfad oberhalb des Dorfes, mehr oder weniger parallel zur Bucht und Straße*. Kein Lüftchen weht und wir kommen arg ins Schwitzen, ehe uns an der höchsten Stelle eine sanfte Brise erlöst. Vor uns die Roundstone Bogs, dahinter die Berge Connemaras. Ein Schaf und ein Lamm kommen aus dem Moor, treffen auf halbem Wege eine andere Mutter mit ihrem Nachwuchs. Die beiden Alten bleiben stehen und unterhalten sich, bis es den Jungen zu langweilig wird und sie sich ins Grüne schlagen.

*  *  *

Später Nachmittag. Wir sitzen nicht mehr auf einem Hügel über Roundstone, sondern vor unserem Cottage. Unsere Nachbarin aus No. 3 kommt vorbei, eine Gabel in der Hand. Ob wir ihr noch zwei von den Dingern leihen könnten? Sie hat wohl gemerkt, dass Englisch nicht unsere Muttersprache ist. Bei ihnen gebe es nur zwei Gabeln, was zwar zu Connemara passe, aber etwas unpraktisch sei, wenn man das Cottage zu viert gemietet hat. Kein Problem, sagen wir, und sogar auf Dauer. Schließlich haben wir unser Privatbesteck, doch das verraten wir nicht.

*  *  *

Ein Abend im Angler’s Rest. Music to-nite, steht an der Tür, und plötzlich taucht leicht deziermiert die englische Reisegruppe von gestern Nacht wieder auf. Der ‘Travel Operator’ erzählt, dass seine Eltern aus Galway stammen und er von Mai bis Oktober Kleinstgruppenreisen mit 10 bis 12 Teilnehmern organisiert. Im Juni sei er stets in Renvyle. Wir auch, gestehen wir, wenngleich unsere Gruppe auch nur zwei Teilnehmer umfasst.

** siehe 20. Juni 1999

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Montag, 19. Juni 2000

Es sieht nach Regen aus – ein guter Tag für Galway. Als wir ankommen, scheint die Sonne – auch ein guter Tag für Galway. Das Parken gestaltet sich schwieriger als in den vergangenen Jahren: zwei Ehrenrunden um die Kathedrale, an deren Stelle dereinst das Gefängnis stand. Da, ein Parklücke am Straßenrand! “Schaffen wir nicht”, sage ich, “viel zu eng!” “Schaffen wir doch”, sagt mein Mädchen. Sie schafft es.

Die Bauarbeiter sind aus der neuen Fußgängerzone abgezogen und die Stadt sieht so aus, wie wir sie uns ohne Baustellen vorgestellt hatten. Die Sonne scheint, Straßenmusikanten hier und dort, Menschen vor den Pubs, manchmal einfach auf dem Pflaster sitzend. Viel junges Volk. Michael George aus Renvyle läuft uns über den Weg, braucht eine Weile, bis er uns erkennt. Dann ziehen wir weiter, er zu seinen Dúchas, wir zum Shopping. Wir kaufen ein (Angaben in IR£):

      Mückensalbe   4.00
      Fußcreme   1.50
      3 Gläser Mintsauce   5.20
      Polo Shirt für mein Mädchen   5.00
      2 Kerzen mit Halter für’s Cottage     3.00
      Blumenvase für’s Cottage   1.00
      Firelighter für den Torf   2.00
      Summa sumarum 21.70
 
Wir kaufen nicht und sparen somit:
      Sonnenbrille 40.00
      Degenhardt-Poster 20.00
      Summa sumarum 60.00

Daraus resultierender Nettogewinn: IR£ 38.30, von dem wir als Erstes zwei Theaterkarten für den kommenden Freitag (IR£ 25.00) finanzieren. Die verbleibenden IR£ 13.30 werden wir auch noch unter die Leute bringen!

The Long Walk, © Paul GuilfoyleDie Einkäufe werden im Auto verstaut, dann wandern wir ein zweites Mal zum Kai hinunter. Ein Schwarm stattlicher Lachse zieht aus dem Meer kommend den Corrib hoch, dicht unter der Wasseroberfläche und nach Mücken schnappend. Nie zuvor haben wir ein solches Schauspiel gesehen. Wir warnen sie: “Da weiter oben an den Brücken stehen Angler!” “Wissen wir doch”, antworten die Lachse, “darum speisen wir hier, wo die Mücken so tief fliegen”. “Und die Mücken sich vorab an meinen Fußgelenken”, meint mein Mädchen, “Sollten wir in den nächsten Tagen einen Lachs auf den Teller bekommen, ist die Nahrungskette geschlossen!”

*  *  *

Etwa vier Stunden später in Clifden. Johnnie und Kieran spielen bereits, als wir Barry’s Hotelbar betreten. So gelingt es uns, das erste Guinness aus eigener Tasche zu bezahlen. Kevin Barry, der Bärtige, steht selbst hinter der Bar. Ich frage ihn, ob er im Februar letzten Jahres in Dublin in der Temple Bar war. Er ist verdutzt, in der Tat, er war! Wir hatten ihn im Temple Bar Pub gesehen, löse ich das Rätsel, im Gedränge jedoch keine Chance gehabt, zu ihm durchzudringen. Er lacht: die Welt wird immer kleiner, da wird ein Hotelier aus einem Nest in Westirland in Dublin von einem deutschen Touristen identifiziert.

Derweil stellt Kieran die ‘Band’ vor: den ‘berühmten Fiddler Johnnie Coyne aus Mullaghgloss und seinen Sohn nebst Hildegard und Jürgen aus Germany, die den Taxidienst für Johnnie bestreiten. Letzterem spendiert der berühmte Fiddler nach Schichtende noch rasch ein Pint Guinness bzw. eine Tasse Kaffee und gewinnt so ein Viertelstündchen für einen Schnack mit einem alten Bekannten, ehe es dann wieder heißt: Driving Johnnie home.

Eine dunkle Nacht, die Wolkendecke ist geschlossen. Während wir uns gegen ein Uhr in der Früh die Schlaglöcher umkurvend Mullaghgloss nähern, meint er zu meinem Mädchen, sie fahre genau so sacht und genial wie Kieran. Zu mir hat er dergleichen noch nie gesagt! Also frage ich ihn, ob er ihr dann nicht mit der Weisheit seiner fast 80 Jahre empfehlen würde, immer die nächtlichen Heimfahrten zu übernehmen? “I really think so”, lautet nach kurzem Nachdenken die weise Antwort, doch wie es scheint, mag mein Mädchen die Weisheit des Alters nicht anerkennen.

MaureenKomisch, oben steht gar nicht, was sie heute Abend bei Veldon’s gegessen haben. Dabei war es etwas ganz Besonderes: Wolfssteak mit Mintsauce, haben sie mir erzählt. M.

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Dienstag, 20. Juni 2000

Hildegard an Gisela – Letter From Home

Liebe Gisela – nun sind wir schon über eine Woche hier und die Zeit vergeht, schrecklich genug, wie im Flug. Heute ist es windig und regnerisch; so komme ich auch einmal zum Schreiben.

Gestern waren wir in Galway, haben uns Theaterkarten für den ‘Matchmaker’ besorgt. Nach Abschluss der Bauarbeiten an der neuen Fußgängerzone ist Galway wieder richtig schön geworden. Doch liegen zwischen dem Galway von heute und dem vor acht Jahren Welten – wenigstens ein halbes Jahrhundert. Hoffentlich geht der alte Charme nicht ganz verloren.

Manchmal ist es schon schade, dass Charlie nicht mehr den rostigen Kleiderbügel als Antennenersatz auf seinem Auto spazieren fährt. Auf jenem Gefährt, das nach jedem Tanken bei Brian geschüttelt werden musste. Mit dem Fortschritt und dem keltischen Tiger sind auch die Preise gewaltig gestiegen. Gestern habe ich für 500 g Erdbeeren sage und schreibe fast 8 DM bezahlt!

In Tully Cross und auf Renvyle ist aber alles noch beim Alten. Die ortsüblichen alten Trinker trinken immer noch, und auch der Nachwuchs bildet sich heran. Die Frauen haben weiterhin den typisch renvylschen Charme & Chic und gehen jeden Montag zum Bingo in die Marian Hall. Und auch wir sind in jedem Juni da.

Bis bald, Hildegard”

 
Der Chronist fährt fort:

Um den Brief abschicken zu können brauchen wir Briefmarken, und die gibt es in Letterfrack. Die Postfrau ist bereits zu Tisch. Macht nichts, auch uns hungert es. Wir kehren bei Veldon’s ein:

Goat Cheese & Aubergine Gateau
With a Dried Tomato Vinaigrette
&
Garlic Wedges

Bewertung: Köstlich. Dazu ein Pint Guinness, versteht sich. In Veldon’s Bar empfiehlt es sich mittags statt abends zu essen, denn dann entfällt das Bedienungsgeld.

Es beginnt sich einzuregnen, also lassen wir uns Zeit beim Essen, solange, bis wir glauben, dass auch die Postfrau wieder da ist. Das Büro in ihrem Haus an der Straße nach Renvyle besteht aus einem schmalen Schalterraum, in den vielleicht fünf Menschen passen. Beim Öffnen der Tür bimmelt es und sie kommt aus ihrer Wohnung nebenan. Ob es sein könne, fragt sie, während sie die Briefmarken aus einem Block trennt, dass man sich schon einmal gesehen hat, vielleicht im letzten Jahr? “In der Tat, und im vorletzten, im vor-vorletzten, im vor-vor-vor-...”

Erst neulich hat An Post energisch bestritten, das Netz der vielen kleinen ländlichen Postämter ausdünnen zu wollen. Im Gegenteil, man denke daran einen Bankservice einzurichten, nachdem die Bank of Ireland angekündigt hat, sich aus der Fläche zurückzuziehen. Doch mancher einer scheint der Ankündigung der Post nicht zu trauen.

*  *  *

Am Abend bei in Lowry’s in Clifden. Es ist schon nach zehn, als wir den Pub betreten. Den ganzen Tag über hat es geregnet, folglich sind die Kneipen rappelvoll. Ganz hinten bei der Musik sitzt John Martin, der ‘Tour Operator’ von gestern Abend, mit den vier hartnäckigsten seiner Gruppe. Sie haben heute ihren letzten Tag. Morgen fliegen sie nach Essex zurück, und in drei Wochen ist John mit einer neuen Truppe wieder da.

Mein Mädchen fragt, warum ich immer zur Tür schaue, ob ich jemanden erwarte? Nein, doch über der Tür hängt die Uhr und ich rationiere mein Guinness. Da sie sich nicht auf Johnnies Empfehlung von gestern Nacht eingelassen hat, muss ich heute fahren. 1/4 Pint pro halbe Stunde, dann reicht es bis Mitternacht. Und die naht, doch mit ihr ein Japaner mit einer Bodhrán-Tasche. Jetzt packt er sie auch noch aus! Das Ding am Nachmittag in Roundstone kaufen, im Hotel zweimal draufklopfen (ist doch gar nicht so schwer!) und abends seine Kunst im Pub zu Gehör zu bringen – eine Geschichte, so alt wie der Tourist und das Instrument. Aber diesmal trügt der Verdacht: Charlie rückt ein Stück mit seiner Squeeze Box zur Seite, der Gast setzt sich dazu, legt los – und kann’s wirklich! Kay heißt er, was gar nicht so japanisch klingt. Ein weiterer fahrender Musikant taucht auf, John Mullan sein Name. Frank überlässt ihm seine Gitarre und greift zum Banjo. Auch Charlie und Bodhrán-Kay sind soweit:

From Bantry Bay up to Derry Quay,
From Galway to Dublin Town,
I never found a brown colleen
Like my girl in County Down.
 

Ich schaue mein Mädchen an, ...

Maureen... dessen Haarfarbe genau so echt ist, wie Charlies schwarze. M.

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Mittwoch, 21. Juni 2000

Heute haben wir frei – keine Musik am Abend. Im oft gerühmten weichen irischen Regen bummeln wir durch Westport. Ich husche in den Buchladen an der Bridge Street, mein Mädchen in die Art Gallery nebenan.

Ich durchforste das Regal ‘Irish Interest’, nehme A Word In Your Ear von Diarmuid Ó Muirthe, dem Autor der Kolumne ‘The Words We Use’ der Irish Times, in die Hand, schlage Seite 24 auf und finde dort unter dem Stichwort ‘Haggard’:

“Jürgen Kullmann writing from Dortmund in a mixture of English and impeccable Irish ...”

Das Buch ist gekauft, das muss ich der Welt zeigen! Ich wandere nach nebenan in die Art Gallery. Als wir sie zu zweit wieder verlassen, ist die Kreditkarte meines Mädchens mit IR£ 140.– belastet.

*  *  *

Ein Mittagsimbiss im Tower’s Pub am Kai von Westport, an dem wir noch keinen Wasserstand gesehen haben, der mehr als einem Floß das Anlegen erlaubt hätte. Der gebackene Ziegenkäse steht immer noch auf der Karte und schmeckt noch genauso gut, wie im vergangenen Jahr.

Uns gegenüber an einem langen Holztisch eine Englisch sprechende Gruppe: drei Erwachsene und drei Kinder, der Jüngste etwa ein halbes, der Älteste vielleicht vier Jahre alt. Der Vater trinkt ein Pint Milch – vermutlich kein Ire. Wer von den zwei Damen die Mutter ist, können wir nicht herausfinden, vielleicht teilen sich beide die Mutterschaft. Hauptäußerung des Vaters zum herumturnenden Zweijährigen: “Sit down! Be a good boy!” Darauf der besser dressierte Vierjährige: “Look at me. I’m a good boy.”

Der Pub ist rappelvoll, doch ansonsten scheint das Hafenbelebungskonzept Westports nicht aufzugehen. Hinter den alten Fassaden der vor einigen Jahren noch völlig zerfallenen Lagerhäuser befinden sich nun ein Hotel, Ferienappartements und Craftshops, scheinen jedoch nicht so recht angenommen zu werden. Einige Läden stehen noch – oder schon wieder – leer, Mieter werden gesucht. Kein Vergleich zum lebhaften Städtchen oben an der Mall. Dort erstehen wir, ehe wir wieder heimfahren, im Fischladen am Oktagon noch rasch eine Lachsforelle, zwei Kilo Salz und einige weitere Zutaten. Wofür, das schreibt mein Mädchen nun auf:

Man nehme den ganzen Fisch, entferne die Eingeweide und ersetze sie durch Thymian, Rosmarin und Koriander. Letzteres ist im Moment nicht zu bekommen, werde statt dessen Petersilienwurzeln nehmen.

Das Salz mische man mit einem Esslöffel Thymian, Rosmarin und Knoblauch. Dann packe man den Fisch in das Salz, bedecke ihn vollständig damit und schiebe ihn für 20 Minuten in den 250 Grad heißen Ofen. Den Ofen ausschalten und den Fisch noch 10 Minuten darin stehen lassen

Die Sauce: 2 gehäufte Teelöffel Mayonnaise, 2 gehäufte Teelöffel Joghurt, etwas Crème frâiche, eine Prise Zucker, Saft einer halben Limone.

Wenn man es dann noch schafft, den Fisch sauber aus der Salzkruste herauszuhacken, ist das Ganze der Himmel auf Erden. Und in Irland darf man dazu auch Guinness trinken.

Bain sult as – Guten Appetit!

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Donnerstag, 22. Juni 2000

Wir fahren nach Cleggan, das Megalithengrab zu finden, nach dem wir bereits seit acht Jahren suchen. Gestern Abend im Paddy Coyne’s gab uns Reiner den entscheidenden Hinweis: Auto an der Cleggan Bay stehen lassen, dann den Weg rechts zur Cleggan Farm hoch. Ein wohlhabendes Anwesen muss sie einst gewesen sein, die Gebäude in dem gleichen grauen Granit wie Schloss Kylemore. Wenn ich mich recht erinnere, gab es da auch Verbindungen. Hinter der Farm geht es linker Hand die feuchte Wiese zum Meer hinunter. Schon von oben erkennt man die schwere, wenngleich sehr unebene Deckplatte des Grabes; letzteres mag sie davor bewahrt haben, als Hauswand ihre endgültige Bestimmung zu finden.

Wir sitzen vor dem Grab, das Jahrtausende überdauert hat, und blicken über die Bucht auf den Hafen von Cleggan. Auf dem Wasser tut sich nichts, das Postboot von Inishbofin wird erst am Nachmittag erwartet. “Wir werden beobachtet”, meint mein Mädchen. Links von uns auf einer Weide mustert uns ein Pferd und wendet sich betont desinteressiert ab, als auch wir es mustern. Zehn Minuten später ist es wieder da und streckt den Kopf über die Feldsteinmauer. Wir bieten ihm einen Keks an, doch es zeigt sich nicht sehr begeistert. “Habt ihr kein Stück Zucker?” Das nächste Mal, mein Freund!

Ich will noch ein Foto machen, da fallen plötzlich Regentropfen. Unsere Eile nützt nichts; noch ehe wir am Auto sind, sind wir fluich baite oder ‘ertrunken nass’, wie der Ire sagt. In Tully Cross ist die Straße spurtrocken.

*  *  *

Am Abend auf ein Pint im Paddy Coyne’s. Ehe das Anwesen nach Paddys Tod unter seinen Söhnen aufgeteilt wurde, gehörten der Laden und der Pub zusammen, und so liegt das alte Anschreibebuch als Reminiszenz an die Vergangenheit auf der Fensterbank.

Es beginnt im Jahr 1966. Wie es scheint, hatte Paddy Coyne die Region von Kylemore Abbey bis Renvyle Haus mit allem versorgt: Kohle, Gas, Lebensmittel, Papierwaren. Interessant die Umsatzmengen: Im März 1966 vier Stück Seife und eine Grapefruit für das Renvyle-Haus-Hotel. Ob dies auf die Belegungszahlen schließen lässt? Doch dann am 23. Dezember eine ellenlange Liste: Gas, Sausages, Bacon, Eier, und, und, und ... Der Bacon reichte nicht, ein Nachkauf am 24. Dezember. Und unsere Bekannten? Zirka jeden zweiten Tag gehen vier Pints Milch an einen Johnnie Coyne aus Mullaghgloss. Die eigene Kuh lieferte nicht genug für zwölf Kinder.

Urlaub in einem Ferienhaus im Jahr 1966. Wie das vonstatten ging, lässt sich einem im Anschreibebuch liegenden Brief entnehmen:

Mr. Paddy Coyne
Tully Cross

Beach House Hotel
Epson Road
Guildford, Surrey
März 1966

Dear Mr. Coyne,

Meine Familie und ich werden ein paar Wochen in Mr. Anthony Knowlands Haus auf Renvyle verbringen. Er empfahl mir, vorab bei Ihnen eine Viertel Tonne Kohle zu bestellen, so dass sie bei unserer Ankunft am Dienstag, dem 12. April, zur Hand ist. Ich versäumte herauszufinden, ob Sie die Kohle zu liefern pflegen, oder wir sie einfach im Auto mitnehmen sollen. Halten Sie dies so, wie Sie es bei Mr. Knowland halten würden, und wir werden uns bei der Ankunft schon in die Lage hineinfinden.

Mit freundlichem Gruß,
Kenneth G. Wilson

 
Und was meint Maureen dazu?

MaureenHineinfinden in die Kohlen? Da will ich nur hoffen, dass Mr. Wilsons Töchterchen kein weißes Kleidchen anhatte. M.

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Freitag, 23. Juni 2000

Nach einem späten Frühstück zockeln wir nach Galway, denn heute ist Theatertag. Bei unser Ankunft scheint die Sonne und wir finden recht schnell einen Parkplatz nahe der Kathedrale. Wir bummeln durch die Fußgängerzone, Straßenmusiker an jeder zweiten Ecke. Schade nur, dass sich der Harfenspieler auf der einen Straßenseite nicht mit dem Akkordeonspieler auf der anderen auf das gleiche Stück einigen kann.

Viel einzukaufen haben wir heute nicht, IR£ 30 für einen abgegriffenen 200-Seiten-Band mit Erzählungen von Seán O’Faolain sind mir zu viel. Die Preise im hervorragend sortierten Antiquariat von Kenny’s Bookshop scheinen sich zunehmend an der Zahlungsfähigkeit reicher Amerikaner auszurichten, da lob ich mir Fred Hanna in Dublin. So bleibt es bei einem gebrauchten Taschenbuch mit der dreibändigen Autobiographie Oliver St. John Gogartys. Immerhin gehörte ihm zeitweilig das Renvyle House, und er liegt nicht weit von unserem Cottage am Ballynakill Harbour begraben.

Am Kai herrscht Ebbe – keine Lachse, die man vor den Anglern warnen müsste. Die Zeit verstreicht und mein Mädchen schaut auf die Uhr. Wir wollen noch zu Abend essen, ehe die Theatervorstellung beginnt, in einem Restaurant am Ausgang der Fußgängerzone nicht weit vom Eyre Square. Man sitzt wie in schmalen Zugabteilen, zwischen sich ein Tischchen. An den Wänden gälische Sprüche. Manche, wie Go n-éirí do bhóthar leat (möge dein Weg immer bergauf gehen), können wir inzwischen übersetzen, andere nicht. Über der Eingangstür der folgende:

Du verlässt nun unser Restaurant
Und kehrst zurück in die grimmige Welt

TheaterplakatSo schlimm wird das Theaterstück, das uns nun erwartet, doch hoffentlich nicht werden. Wird es auch nicht! Matchmake Me – Do, die ‘Weltpremiere eines urkomischen Stückes von John B. Keane’, steht auf dem Theaterzettel. Weltpremiere? Ich wusste gar nicht, dass der Autor noch Stücke schreibt. Er muss jenseits der 70 sein, und vor eine Weile las man etwas von einer schweren Erkrankung. Und so ganz neu ist das Stück dann auch nicht, sondern eine Adaption seines Matchmakers.

Schauplatz der Handlung ist ein gemütlicher Pub, da fühlt man sich zu Hause. Der Wirt, zugleich der Heiratsvermittler, ist ein verschmitzt-sympathischer Typ, der uns an Ned Devine erinnert. Viele anzügliche Witze, deren Feinheiten wir nicht verstehen. Doch man will sich keine Blöße geben und grinst mit, wenn die anderen laut lachen. Trotz alledem: uns gefällt die Aufführung, sie ist nicht so verstaubt wie Moll* im letzten Jahr.

*  *  *

Auf der Heimfahrt passieren wir auf der N 59 einen Busunfall. Menschen auf der Straße, die Garda winkt uns vorbei. Den Rest der Strecke fahren wir langsamer, und so ist die Tür zum Paddy Coyne’s bereits verschlossen, als wir in Tully Cross eintreffen.

* siehe 22. Juni 1999

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Reiseberichte Irland: Connemara 2000
© 2001 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 02.08.2006