Irisches Tagebuch 2002

A Nation Once Again ...

 

Sonnabend, 8. Juni 2002

Ein schreckliches Wetter war für Irland vorhergesagt, und das gleich für die ganze Woche. Doch nach den Ereignissen der letzten Tagen wird uns nichts mehr umwerfen. Streik und Aussperrung bei Aer Lingus – eine Woche früher gebucht, und wir hätten dumm dagestanden. Sechs Tage lang blieben die Maschinen am Boden. Am Mittwoch dann konnte aufgrund eines Computerausfalls in London in Düsseldorf kein Gepäck verladen werden. Begreife das, wer will.

Zwischenzeitlich schlug eine andere Nachricht aufs Gemüt. Es ist noch nicht lange her, da berichtete Johnnie von einer ‘bemerkenswerten Verbesserung’ des Gesundheitszustandes seiner Schwiegertochter Noreen, die im letzten Sommer ernsthaft erkrankt war. Dann am Sonntagabend ein Anruf, der eine traurige Nachricht übermittelte: Noreen war am Vortag gestorben. Wir schrieben ihrem Mann einen Brief, doch ob der ihn noch vor der Beerdigung erreichte, ist nach diversen Poststreiks in Deutschland (Gehaltsforderung +6 %) und Streikdrohungen in Irland (Forderung +15 %) ungewiss. Die Iren einigten sich soeben auf 12,5 %.

Wo war ich stehen geblieben? Gar nicht, denn wir sitzen im Flugzeug, während die Maschine seit einer Stunde auf die Starterlaubnis wartet. Ein Bummelstreik der Londoner Fluglotsen ist der Grund. Schließlich starten wir doch, umfliegen England via Brüssel und Cork und landen etwas holprig in Shannon. Die Maschine ist halb voll oder halb leer, ganz wie man will. Ob dies eine Folge des Streiks der letzten Woche oder allgemein sinkender Touristenzahlen ist, mögen andere analysieren.

In Shannon gelandet. Mal gespannt, was Hertz zu dem Voucher für unseren Mietwagen sagt. Geht man von dem aus, was das Reisebüro darauf gedruckt hat, haben wir den Wagen heute um 14:30 Uhr zu übernehmen und eine halbe Stunde später um 15.00 Uhr zurückzugeben – woraus sich eine Leihgebühr von 900 Euro pro Stunde errechnet. Der Druckfehler beim Rückgabedatum sei unerheblich, meinte das Reisebüro, Hertz werde das schon richtig interpretieren. Doch zunächst einmal kann der nette junge Mann hinter dem Schalter mit dem Voucher gar nichts anfangen, wendet ihn hilflos hin und her. Was das denn sei? Ach so, Aer Lingus Fly-and-Drive, nun ja, bei denen klappe das noch nicht so richtig, und mit Computern schon mal gar nicht. Er kramt in seinen Unterlagen und füllt schließlich per Hand ein Formular mit dem richtigen Rückgabedatum (heute in drei Wochen) aus.

Fairy01Auf nach Norden. Ein neues Autobahnteilstück [sic!] stiehlt uns den so lieb gewordenen ersten Verkehrsstau bei Newmarket-on-Fergus. “Foul”, schrieen die Feen, als hier vor drei Jahren die Bauarbeiter anrückten, denn die Trasse führte über ihren Versammlungsplatz, dem Latoon Fairy Bush. Hier trafen sich einst die Kerry-Feen auf dem Weg nach Norden, um sich über ihre Taktik im bevorstehenden Kampf mit den Connacht-Feen abzustimmen. Nach einer Kampagne des Volkskundlers und Autors Edmund Lenihan gab die Straßenbaufirma nach und löste das Problem, indem sie den Feengrund nebst Busch aushob und neben die Straße versetzte.

Fairy02Ob den Feen das gefallen hat? Ich bezweifle es. Inzwischen wollen lokale Politiker gar einen Parkplatz anlegen und den Versammlungsort der Feen als Touristenattraktion kenntlich machen. Das würde den Feen allerdings gar nicht gefallen, und die National Roads Authority hat das Anliegen zurückgewiesen.

Weiter geht die Fahrt. Flaggen an Autos und vor den Fenstern – Irland hat seine ersten zwei Spiele bei der soeben begonnenen Fußball-WM mit einem Remis überstanden. Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Findet gerade wieder ein Spiel statt? So leer waren die Straßen noch nie.

Unseren Supermarkt in Gort gibt es nicht mehr; macht nichts, bis Renvyle werden wir noch einen anderen finden. Dann kommt Galway. Auch hier kein Stau, und das gibt wirklich zu denken. In Moycullen erledigen endlich wir den Einkauf für das erste Wochenende. Der Supermarkt sah von außen ganz brauchbar aus, der in Gort hatte jedoch, als es ihn noch gab, die bessere Auswahl. Dafür bleibt der erwartete Schock aus: 37 Euro – haben wir nicht im letzten Jahr den gleichen Betrag in Punt bezahlt? Also doch keine Explosion der Lebensmittelpreise.

Schauern und Regen waren angekündigt, statt dessen klart es auf. Ein lichter Streifen zeigt sich am Himmel, lässt eine Handvoll Sonne durch und die Moore von Maam Cross aufleuchten. Dann das Inagh Valley, Kylemore, Letterfrack und gegen halb neun kommt der drei Monate alte Ford Focus hinter unserem Cottage zum Stehen.

*  *  *

Gegen zwanzig vor zehn entern wir Molly’s Bar in Letterfrack. Die John-Martin-Gang – bereits seit Mittwoch im Lande – war schneller und hat die besten Plätze okkupiert. Über der Bank der Wand eine riesige irische Flagge, darauf gedruckt die Termine der irischen Mannschaft bei der WM. Gegenüber in der Fensterecke stöpseln Frank und Charlie die Strippen ihrer Mikrophone in den Verstärker – welcome back.

Und nun doch ein Preisschock: IR£ 2.30 (umgerechnet Euro 2,92) kostete das Pint Guinness im letzten Jahr, so dass man in diesem drei Euro hätte erwarten können. Aber gleich 3,15 ? Wir fügen uns drein bei Irish Folk mit patriotischem Einschlag: A Nation Once Again ... im Fußball. “Und jetzt zeigen wir’s den Saudis”, lässt Frank zwischen zwei Strophen einfließen.

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Sonntag, 9. Juni 2002

Es regnete in Strömen, als wir heute in der Früh von Molly’s Bar nach Hause fuhren. Star des Abends war ein ‘Bavarian Fiddler’, der ‘so ganz zufällig’ seine Fiddle zur Hand hatte und anschließend einen flotten Reel auf die Dielen legte. Was bei den Pubgängern noch mehr Begeisterung als das Fiddlespiel hervorrief.

Beim Aufstehen regnete es immer noch, der erste Einkauf bei Brian drückt alles aus: ein Bündel Briketts und eine Schachtel Streichhölzer. Doch dazu musste man ihn erst einmal aus seiner Wohnung klopfen. Die Zeitung von gestern war schon ausverkauft, den Sunday Independent führt er nicht.

Ein paar Notizen vom Tage: im Tankstellenladen von Tully den Sunday Independent erstanden, später bei Veldon’s in Letterfrack geluncht. Zumindest die Lunchpreise sind nicht explodiert und entsprechen, in Euro umgerechnet, denen des Vorjahres. Dann lässt sich endlich Anne Jack blicken. Wir zahlen ihr die 1.050 € Cottagemiete bar auf die Hand und werden unser Präsent los. Sie fliegt morgen für zwei Wochen nach Rom, will vorher aber noch einmal vorbeischauen.

Am Nachmittag ein kleiner Spaziergang nach Mullaghgloss, wir passieren den Friedhof. Frisch geschmückt das Grab von einem Teenager, der vor zwei Jahren bei einem Autounfall in Tully ums Leben kam. Auf dem Sockel vor dem Grabstein stehen eine Weltmeisterschaftsflagge und -tasse, darin ein Zettel mit den Ergebnissen der Spiele der irischen Nationalmannschaft. Nicht weit davon hat Johnnies Bruder Paddy zwar noch keinen Stein auf seiner Ruhestätte, dafür aber hinreichend Plastikblumen.

Wir könnten etwas Aufheiterung gebrauchen; da passt es gut, dass heute Abend im Angler’s Rest ein Benefizkonzert für eine Schwerkranke angesagt ist. Bei solchen Veranstaltungen geht es immer besonders fröhlich zu. Wir werden sehen.

*  *  *

Es ist gegen halb zehn, ein Blick aus dem Küchenfenster. Kieran trägt Gitarre, Lautsprecher und sonstige Gerätschaften ins Angler’s Rest. Ob wir schon rübergehen sollen? Lieber nicht, irgendwie fühlt man sich doch verpflichtet gleich ein Pint bestellen, und der Abend ist noch lang. Da kommt der Kleinbus mit John Martins Reisegruppe die Straße von Renvyle herunter. Dann lieber doch, ehe seine Gang wieder die besten Plätze blockiert. Wir schaffen es so gerade.

Nun das Schwerste, Kieran begrüßen, der letzten Dienstag seine Noreen beerdigt hat. Es ist dann aber doch nicht so schwer. Unsere Beileidskarte ist angekommen, dank Johns schneller Information war sie die erste. Und schließlich beginnt Kieran zu singen:

Tis a sigh that is wafted across the troubled wave,
Tis a wail that is heard upon the shore,
Tis a dirge that is murmured around the lowly grave,
Oh hard times come again no more.

Tis the song, the sigh of the weary,
Hard times, hard times, come again no more.
Many days you have lingered around my cabin door;
Oh hard times come again no more.

Ich versuche es einmal auf Deutsch, auch wenn es dann nicht mehr so poetisch klingt:

Dies ein Seufzer, der über aufgewühlte Wellen weht,
Dies eine Klage, die man oben am Ufer hört,
Dies ein Trauergesang um das schlichte Grab.
O harte Zeiten, kommt nie mehr zurück.

Dieses Lied , ein Seufzer der Erschöpften:
Harte Zeiten, harte Zeiten, kommt nie mehr zurück.
Manchen Tag habt ihr an meine Tür verbracht,
O harte Zeiten, kommt nie mehr zurück.

Es wird voller, bei den Gästen und in der Ecke der Musiker. Zu Kieran und Frank gesellen Danny Brouder, Charlie O’Malley und Mary Finn mit ihren Akkordeons sowie zwei unbekannte Gesichter mit Gitarre und Blechflöte. Die Akkordeons somit leicht überrepräsentiert, doch leider keine Fiddle. Doch, die Fiddle kommt! Der 82-jährige Johnnie steht in der Tür, den Geigenkasten in der Hand, der Gesichtsausdruck etwas traurig. Noreen war seine ‘Lieblingsschwiegertochter’. Er umarmt uns, erzählt uns all das, was wir schon wussten, und sucht sich seinen Platz zwischen den Musikern.

Die Nacht nimmt ihren Lauf. Lose werden verkauft, der Erlös kommt einer Krebskranken zu Gute. Mein Mädchen erwirbt zwei Streifen. Da steht plötzlich ein junger Mann vor uns: “Entschuldigung, kann es vielleicht sein, dass Sie der Irelandman ...” Frank S., ein studierter und diplomierter Gärtner aus Deutschland, der sich in den Gärten von Kylemore für sechs Euro die Stunde verdingt hat und nun in Irland eine Existenz gründen will. Mein Mädchen ergreift die Gelegenheit beim Schopfe und macht für morgen Abend eine Privatführung durch Kylemore Garden aus.

*  *  *

Es ist nach Mitternacht. Die Bar ist geschlossen, der Pub hat sich geleert, und wir sitzen immer noch mit Johnnie in der Türecke. Er mag nicht gehen, will noch ein bisschen von Noreen erzählen. Mit ihren letzten Worten habe sie Kieran gebeten, sich noch ein schönes Leben und weiter Musik zu machen, und so spiele er bereits heute wieder. Ihre Beerdigung sei die größte seit Menschengedenken gewesen, vier Meilen bis nach Letterfrack hinunter hätten die Autos am Straßenrand gestanden. Go dtuga Dia suaimhneas síoraí dá anam – God rest her soul in peace.

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Montag, 10. Juni 2002

Es ist Vormittag, wir strolchen durch Clifden. ‘Quite busy’ das Städtchen, geschäftiger als letztes Jahr um diese Zeit. Und das, wo es allen Prognosen zufolge ein arg düsteres Jahr für den Tourismus werden soll: 20 % weniger Besucher werden erwartet. Um da einen gewissen Ausgleich zu schaffen und die einheimische Wirtschaft zu fördern, erwerbe ich im Buchladen an der Main Street die ‘Celebrated Letters’ des vor zwei Wochen verstorbenen Listoweler Kneipiers und Schriftstellers John B. Keane.

Gegen Mittag lunchen wir im Derryclare Restaurant an der Market Street: Chicken Wings und ein Pint Guinness für jeden. Das Guinness kommt, doch halt, da muss ein Missverständnis vorliegen, der junge Mann bringt zwei Gläser und nicht zwei Pint. Er sieht unsere zweifelnden Blicke und grinst. Nee, nee, das hätte schon seine Richtigkeit, für jeden von uns ein Glas auf Kosten des Hauses. “Why ???” Er grinst, zuckt die Schultern und geht. Hat der Landlord Geburtstag? Wir beobachten, wie die wenigen anderen Gäste bedient werden, doch keiner bekommt etwas auf Kosten des Hauses. “Ist doch klar”, meint mein Mädchen amüsiert, “die wollen auf der Website des Irelandman erwähnt werden!”

*  *  *

Es wird Abend und wir fahren zur Kylemore Farm, wo die Nonnen unserem studierten Gärtner Frank für 45 Euro pro Woche ein Zimmer überlassen haben. Aber nur für die Zeit der irischen Schulferien; danach ziehen hier Gastschülerinnen aus aller Welt ein und die Mannsbilder müssen raus.

Kylemore Garden, © Jürgen KullmannIn seinem alten, aus Deutschland importierten Polo fährt uns Frank zum Garten hoch, er hat den Schlüssel zu einem der Nebentore. Die festungsartige Mauer um das 3,5 ha große Anwesen, teils aus Bruchstein und teils aus in Schottland gebrannten Ziegeln, hat die letzten anderthalb Jahrhunderte bemerkenswert gut überstanden. An der oberen Mauer stehend blicken wir nach Süden über die Anlage, die in Ost-West-Richtung durch die frühere Straße von Kylemore nach Tully Cross und in Nord-Süd-Richtung durch einen den Berg herabkommenden Bach geteilt ist.

Frank erklärt uns den Stand der Arbeiten. Was den viktorianischen Lustgarten und die Glashäuser betrifft, gibt es historische Schwarzweiß-Fotos, die bei der Restaurierung helfen. Alles soll werden, wie vor 140 Jahren, mit genau den Blumen und Pflanzen, die an entsprechender Stelle schon damals wuchsen. Ein Problem ist, dass man nur wenig über den Gemüse- und Obstgarten rechts des Baches weiß, der den Nutz- vom Lustgarten trennt. Ursprünglich floss er ungebändigt den Berg hinunter, bis ihm beim Bau der Anlage die heutigen Windungen verpasst wurden. Auch die Bäume, die das Bachbett säumen, wurden damals gesetzt, denn wer im Lustgarten wandelte, sollte den Nutzgarten nicht sehen.

Es fehlt noch die Rekonstruktion der viktorianischen Glashäuser, denn den Nonnen ist das Geld ausgegangen. Missmanagement, munkelt manch einer. Das Geld sei eigentlich da gewesen, doch von den EU-Millionen zuviel in das ehrgeizige Teehausprojekt der Obernonne vor dem Eingang des Gartens geflossen. Und auch wenn nun jeder, der in den Garten will, durch das Teehaus geschleust wird, bringen die wenigen Touristen, die dort tatsächlich einen Tee trinken oder Ansichtskarten kaufen, die Investition nicht rein.

Wir sind wieder auf der Kylemore Farm, wandern durch den Hintereingang und eine schmuddelige Küche mit rostigem Kühlschrank in den sogenannten ‘Recreation Room’ der nicht anwesenden Internatsschülerinnen, wo uns Frank zu einem Tee einladet. An der Wand im Flur ein Aushang mit einem Hinweis für die 14- bis 16-Jährigen, die hier bald wieder einziehen: Es ist verboten auf die Möbel zu klettern und von ihnen herunterzuspringen. Von welchen Möbeln? Ein Tisch, ein paar alte Polsterhocker und Sitzbälle – das ist alles. So trinken wir unseren Tee, laden den deutschen Frank für Freitag Abend zum Essen ein und fahren weiter nach Clifden, wo ein irischer Frank mit seinem Schwiegersohn in spe im alten Bahnhof Musik macht.

*  *  *

Soviel für heute. Eigentlich wollte mein Mädchen an dieser Stelle ein paar boshaft-kriktische Anmerkungen über die Unterbringung der Kylemore-Schülerinnen und die Hygiene in Schwester ***s Farmhausküche anbringen, doch die im Tagebuch zu diesem Zweck freigehaltene Seite ist immer noch weiß. Statt dessen hier der Erfahrungsbericht einer deutschen Schülerin aus dem Kylemore-Internat.

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Dienstag, 11. Juni 2002

Während das Land im Fußballfieber liegt – heute entscheidet sich, ob Irland bei der Weltmeisterschaft im nicht-gälischen Fußball die Vorrunde übersteht – fahren wir in den Turlough Park hinter Castlebar, der Hauptstadt des County Mayo. Hier wurde im vergangenem Herbst eine Zweigstelle des irischen Nationalmuseums eingerichtet, das ‘Museum of Country Life’ mit seiner ‘National Folklife Collection’. Wie es sich für ein Nationalmuseum gehört, ist der Eintritt frei. Ein paar Zeilen, frei übersetzt aus einem Faltblatt am Eingang:

Das Museum of Country Life liegt als Domizil der nationalen Folklife-Sammlung eingerahmt von prachtvollen Gärten und einem künstlichen See auf dem beindruckenden Anwesen von Turlough Park. Neben dem Museum können die Besucher das restaurierte Turlough Park House mit seinen Höfen besichtigen, 1865 von Thomas Newenham Deane entworfen, dem Architekten des Nationalmuseums an Dublins Kildare Street.

Die Sammlung des Museums zeigt die gesamte Bandbreite des irischen Landlebens, Lebensstile, die über Hunderte von Jahren Bestand hatten, und die es nun nicht mehr gibt. Die Besucher werden ermuntert, sich in eine vergangene Welt zurück zu träumen, die durch die Ausstellung wieder lebendig wird.

Die auf drei Ebenen angeordnete Ausstellung gliedert sich in sieben Bereiche:

o Romantik und Realität
o Die alte Zeit
o Die Landschaft und ihre Ressourcen
o Das Leben im und um das Haus
o Die Arbeit zu Lande und zu Wasser
o Das Leben in der Gemeinschaft
o Die Kräfte des Wandels

Lenihan CDDer Besuch hat sich gelohnt und auch der Museumsshop ist eine Fundgrube – wenn nur die Bücher nicht so teuer wären. Statt dessen erwerbe ich zwei CDs mit Geschichten eines der letzten irischen Geschichtenerzählers, aufgezeichnet vor rund 20 Jahren. Das letzte Exemplar im Regal, und signiert ist es auch.

Als wir aus dem Museum treten, scheint die Sonne. Mit dem Teleobjektiv mache ich einige Fotos vom Rundturm über den Friedhof von Turlough – die im letzten Herbst im Nieselregen aufgenommenen Dias waren im Papierkorb gelandet. Dann noch ein paar Weitwinkelaufnahmen von den Außenanlagen und es geht wieder heim.

*  *  *

Auf dem Rückweg kaufen wir in Westport ein, vor allem den Lieblingskäse meines Mädchens, der im County Galway nicht verfügbar ist – es sind irgendwie Zwiebeln darin. Leenaun erweist sich als Regenloch und wir fahren ohne anzuhalten durch, vorbei an Lough Fee und dem Schweinesee (die Sonne kommt wieder heraus) zurück nach Tully Cross. Crab Claws stehen heute Abend auf dem Speiseplan, köstlich!

*  *  *

Nachtrag: Irland ist weitergekommen, hat die Vorrunde der Weltmeisterschaft im Fußball überstanden und liegt im (Sieges-)rausch. A Nation once again ...

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Mittwoch, 12. Juni 2002

Was haben wir heute eigentlich gemacht? Hinreichend wenig! Das Wetter weiß nicht, was es will, Aprilwetter im Juni. Die Maol Réidh Lodge auf der anderen Straßenseite soll im Sommer 2002 eröffnet werden, ist dem Schild am Bretterzaun zu entnehmen. Mag sein, dann beginnt der Sommer hier im Dezember.

Wir wandern zum Ortseingang von Tully und den Weg zum Anleger hinunter. Es ist vielleicht eine halbe Meile bis zum Meer, ein Blick zurück auf die bunte Häuserzeile des Dorfes, von der ich immer noch kein wirklich gutes Foto habe. Vielleicht lässt sie sich besser malen. Wir gehen weiter. Die Pier mit ihren hohen Natursteinmauern überrascht uns, denn sie ist müllfrei. Ein Angler sitzt auf der Mauer. Einige hundert Meter weiter draußen erkennt man ein Boot mit zwei Fischern, regungslos darauf wartend, dass sich etwas tut. Und wenn sich nichts tut, ist man auch zufrieden.

Es muss schon Jahre her sein, dass wir das letzte Mal hier standen, so wie auch vor 10 Jahren bei unserem ersten Irlandbesuch. Ein Tag, an dem ich mich noch erinnere. Das Wetter war grau wie heute und alles wirkte verlassen und aufgegeben. Ein Mann machte sich an einem alten Auto zu schaffen und holperte, als es nach mehreren Versuchen ansprang, mit ihm von dannen. Poitínschmuggler! versuchten wir uns vorzustellen. Es war Charlie O’Malley mit seinem damaligen Jahreswagen*, der noch nach alter Sitte einen Kleiderbügel aus Draht als Antenne trug.

* Ein Auto, das maximal noch ein Jahr hält, ehe es ganz auseinander fällt.

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Donnerstag, 13. Juni 2002

Hildegard an Gisela – Postcard From Home

Liebe Gisela – Viele Grüße aus unserem Cottage. Wieder einmal kam ich mit falschen Erwartungen nach Irland, war mit Sommerkleidchen im Koffer auf schönes Wetter eingestellt und hatte mit ruhigen Cottageabenden gerechnet. Nichts da! Es regnet und ist kalt, dafür jedoch gibt es jeden Abend Musik. Auch nicht schlecht !!! Laufend treffen wir Leute, die uns von irgendwoher (wieder-)erkennen, und so haben wir neulich im Derryclare als Wiederholungstäter zwei Gläser Guinness auf Kosten des Hauses bekommen.

Tschüss, Hildegard”

*  *  *

Um die nach dem Frühstück geschriebene Karte aufgeben zu können, brauchen wir eine Briefmarke. “Welcome back”, meint die Letterfracker Postmeisterin, was es denn sein dürfe. “Ten stamps for what was in the olden days thirty-two.” Sie lacht: “That’s forty-four now.” Was denn das Porto in Deutschland koste? “Fifty-six?” – das sei aber teuer, schüttelt sie den Kopf, eigentlich sei doch auf dem Kontinent alles billiger. “Benzin auch nicht”, kläre ich sie auf, mehr als einen Euro müsse man in Deutschland für Unleaded berappen.

Wir fahren weiter in die Hauptstadt Connemaras, stromern ein wenig durch Clifden, kaufen irgendetwas ein, doch was, das habe ich vergessen. Bei Lowry’s ein Schild Music to-nite by Dúchas vor der Tür – ’mal sehen, wenn uns heute Abend nichts Besseres einfällt ... Dann zum Lunch ins Derryclare. Beim Bezahlen fragt der Hausherr, ob er uns nicht schon im letzten Jahr gesehen habe. Das könne schon sein, betätigen wir seine Annahme, und im Jahr davor, und im Jahr davor, und im Jahr davor, und ... Dann müsse er wohl kaum fragen, wie es uns in Irland gefällt, unterbricht er die Auflistung. Wo wir denn unser Quartier hätten? “Renvyle Peninsula”, klären wir ihn auf. “Renvyle House Hotel?” “Nein, Tully Cross, Thatched Cottages!” “Sehr praktisch”, meint er, “genau gegenüber dem Paddy Coyne’s”.

Der Mann kennt sich aus und uns wird klar, dass es sich bei den beiden Guinness am Montag um den ‘Welcome back drink’ gehandelt hatte. Zum Abschied kann es sich mein Mädchen nicht verkneifen zu erzählen, wie sie die Entwicklung des Derryclare Restaurants in den letzten zehn Jahren in Erinnerung hat: von einem nach hinten hin immer kälter und feuchter werdenden Schlauch zum warmen, ‘cosy restaurant’ von heute. Er lacht, das erste sei vor seiner Zeit gewesen. So long, bis demnächst.

*  *  *

Gegen zwanzig vor zehn am Abend betreten wir Lowry’s Bar. Es ist schon recht voll und wir ergattern gerade noch zwei Hocker an der Wand zum ‘Restroom’, wie man die Toiletten dezent umschreibt. Der Zopf ist ab und seine Haare werden lichter, doch Seán spielt die Bodhrán virtuoser als je zuvor. Und Michael George bellt wie in alten Zeiten ins Mikrophon.

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Freitag, 14. Juni 2002

Hildegard an Gisela – Letter From Home

Hallo Cousine – Nach der Karte von gestern heute ein Brief. Beim Aufstehen regnete es in Strömen (wo liegt dieser Ort eigentlich?), und so fuhren wir zum Shoppen nach Galway. Nachdem ich fünf Stunden lang alle Bekleidungsläden inspiziert und gerademal eine Bluse gekauft hatte, war ich schon ganz frustriert. Bis ich dann mehr aus Versehen in einen Second-Hand-Laden geriet – Enable Ireland, Verkauf zu Gunsten der Behinderten Irlands! Dort erwarb ich eine rote Fleece-Jacke (4 Euro), die nach ihrem Aufdruck zuvor im Dienst des Castlebar Malta Ambulance Corps stand, sowie für € 3,50 eine Bluse mit Rosenmuster. Auf dem Rückweg zum Parkplatz kamen wir an einem Kleidersammelcontainer mit der Aufschrift Support the Disabled vorbei: Mmm, ob meine Jacke da auch durchgewandert ist? Für 7.000 Mark Urlaub machen, und sich dann aus der Kleiderkammer versorgen – ich schäme mich ja fast, bin aber doch ganz stolz darauf. Vorsichtshalber habe ich meine Errungenschaften gleich gewaschen, man weiß ja nie!

So, ich habe die Jacke jetzt an und schreibe weiter, es hat übrigens zu regnen aufgehört. ‘Zurück in die Flower-Power-Zeit der 70-er’, heißt das Motto der irischen Modemacher in diesem Jahr. Folklorestickerei auf Blusen, Spitzeneinsätze und Rüschenröckchen. Ich muss aus jener Zeit noch irgendwo eine Bortenkreppbluse mit schwarzer Stickerei herumliegen haben, vielleicht aktiviere ich die wieder.

Heute Abend wollen wir zu Molly’s nach Letterfrack. Hoffentlich werde ich nicht von den Locals ob meiner Jackenaufschrift zur Wiederbelebung vom Barhocker gefallener Betrunkener geholt. Werde einfach behaupten, ich hätte sie im Craftshop gekauft. Wir werden sehen.

Tschüss und bis demnächst,
Hildegard”

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Reiseberichte Irland: Connemara 2002
© 2004 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 24.11.2006