Irisches Tagebuch 2019

Eine neue Chance für die Insel

 

Sonnabend, 8. Juni 2019

it so wenigen Einkäufen wie heute kamen wir noch nie aus Westport zurück – mit gar keinen, wenn man von ein paar Viktualien fürs Abendessen absieht. Ein im vergangenen Jahr neu eröffnetes Café offeriert für 22 Euro den Afternoon Tea, zuzüglich acht Euro für ein Gläschen Prosecco, wenn man mag. Wir machen es preiswerter und bestellen zwei zusammengefaltete, mit Himbeermus gefüllte und Schokoladenstreifen dekorierte Pancakes für neun Euro das Stück. Beim Verlassen des Coffee Shop steht auf der anderen Straßenseite endlich einmal kein Auto vor dem Blumenladen mit dem dekorativen Fahrrad – für manch ein Foto muss man viele Jahre warten.

Blumenladen in Westport, © 2019 Jürgen Kullmann

Ein Bluegrass- und Folkfestival ist für dieses Wochenende angekündigt. In der Einfahrt zur Old Mill spielt für uns etwas zu lautstark aber sonst ganz gut eine Bluegrass-Band. In das überfüllte Konzert einer Folkgruppe in einem Café am Ortsrand passen wir vom Volumen her nicht mehr, und so lauschen wir den mitunter etwas unbeholfenen Harfenklängen zweier Mädchen in einem Hauseingang und anschließend einem Dudelsackspieler und einem Gitarristen, die sich, da hinter parkenden Autos verborgen, einem Foto entziehen. Zurück geht es via Louisburgh und dem Dunklen Tal, durch das vor 170 Jahren ein Treck hungernder Menschen zog, denen man vor einigen Jahren in Murrisk an der Clew Bay dieses Denkmal setzte:

Hungerschiff-Denkmal in Murrisk, © 1999 Jürgen Kullmann

*  *  *

Am Abend gibt es Musik bei Veldon’s in Letterfrack. Nach dem Tod von Peter Veldon vor zehn Jahren ging es mit dem Imperium des ‘Königs von Letterfrack’ steil bergab, bis dann sein Sohn Pub & Restaurant langfristig verpachtete und der Pächter die gastliche Stätte zu einer neuen Blüte führte. Die beiden Musiker, ein singender Gitarrist und ein Akkordeonspieler, sind noch recht jung und machen ihre Sache sehr gut – so lange, bis der Akkordeonist seine Squeeze Box beiseite legt und sich gleichfalls als Sänger versucht. Vielleicht ist es auch der Hunger, der seine Stimme so unerträglich macht, denn warum sonst würde er immer wieder versuchen, das Mikrofon zu verspeisen?

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Sonntag, 9. Juni 2019

Der beste Wochentag für einen Ausflug nach Roundstone ist der Sonntag, denn sonntags findet in Roundstone von elf bis vier der im Umkreis von zwanzig Meilen beworbene Country Market statt.

Support our local market liest man auf dem Plakat – doch wie denn, bitte schön, bei gerade einmal fünf Marktständen: einem mit ‘Home made Bread & Ice Cream’, einem mit ‘Delicious Crêpes’, einem mit ‘Handcrafted Woodwork’, einem mit ‘Irish Pottery’ und einem mit ‘Handcrafted Jewellery’? Käse wollten wir kaufen, doch der Käsemann, bei dem wir im letzten Jahr unser Geld gelassen hatten, hat ganz offensichtlich nicht mitbekommen, dass wir wieder im Lande sind. Da bleibt nur der Blick auf die Roundstone Bay, über die sich der ‘Marktplatz’ am Hang erhebt.

Wir wandern zum ehemaligen Kloster hinunter und vor dem Tor durch ein Gatter einen Weg hoch, der sich zunächst von der Bucht abzuwenden scheint und dann aber doch die Küste entlangführt, zunächst durch eine hügelige Dünenlandschaft, die an die Lüneburger Heide erinnert. Den Mufflon mit seinen majestätisch gedrehten Hörnern, der uns in den letzten Jahren mehrfach über den Weg lief, treffen wir heute nicht an – doch sein Vertreter auf dem Hügel macht sich auch ganz gut, meint mien Deern:

An der Roundstone Bay, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmann

Eine Herde rosa Schafe kreuzt unseren Pfad. Mit roten Farbflecken markierte Schafe findet man allerorten, doch ganz in Rosa gekleidete sahen wir bislang noch nicht. Ob die rote Farbe im Regen ausgelaufen ist und die Felle rosa eingefärbt hat? Ich will die Kamera aus dem Rucksack holen, da öffnet der Himmel wieder einmal seine sprichwörtlichen Schleusen. Wir flüchten in einen offenen Schuppen, den wir ein Stück voraus entdecken.

Die Schauer war nur von kurzer Dauer; die dunkle Regenwolke ist über uns hinweg- und weitergezogen. Wir setzen unsere Wanderung fort. Die Küste wird felsiger, und vor uns liegt Inishlacken, die ‘Insel der drei Maler’, von der ich schon früher erzählt habe. Mein Mädchen stellt bei einem Blick in den Rucksack fest, dass sie ihr Malzeug vergessen hat. Wir lassen uns auf einem Felsvorsprung nieder und fördern eine Packung Shortbreads aus dem Rucksack zutage.

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Zurück am Hafen von Roundstone lunchen wir im Shamrock und ich erwerbe im Kramladen gegenüber eine Ausgabe des Irish Sunday Independent. Der Zeitungsmann beneidet mich ob meiner aus einem Kaffeesack recycelten Kopfbedeckung. Ich zeige ihm die innen eingenähte Internetadresse des Herstellers, die er sich notiert. Weiter geht es nach Ballynahinch Castle. Mir fehlen noch Fotos von dem Herrenhaus, in dem in den 1920-er und 1930-er Jahren ein von Englands Gnaden regierender indischer Prinz die Sommermonate verbrachte und in den zum Anwesen gehörenden Gewässern seiner Angelleidenschaft nachging. Manchmal kam der irische Außenminister zu Besuch und angelte mit. Nach Berichten von Anwohnern wird sein Geist an nebeligen Tagen immer mal wieder beim Angeln an einem der Gewässer gesichtet. Ranji nannte man diesen ‘Maharadscha von Connemara’.

In unseren Tagen ist Ballynahinch Castle ein Hotel, die Frontseite heute zugeparkt mit Autos. Ein Sportidol feiert seine Hochzeit und hat es exklusiv für das ganze Wochenende gemietet. Doch die Eingangsseite ist nicht die eindrucksvollste, und ins Schloss hinein wollen wir auch nicht. In den letzten Jahren wurden um das Anwesen und entlang der Gewässer Rundwanderwege angelegt. Einer von ihnen, der Railway Loop, wurde gerade erst eröffnet und kreuzt – nomen est omen – die ehemalige Bahntrasse von Galway nach Clifden. Durch ein Wäldchen führend erlaubt er den Blick auf die Wasserseite von Ballynahinch Castle, die sehr viel imposanter als seine Front ist. Wir machen ein Foto über den See hinweg und uns dann auf den Rückweg, denn um sieben Uhr gibt es in Clifden Musik.

Ballynahinch Castle, © 2019 Jürgen Kullmann

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The Carey Family spielt in Lowry’s. Sie spielen ganz nett, der Vater und seine beiden Söhne – wenn auch nicht so genial, dass wir ihre neue CD kaufen. Auf der Heimfahrt noch ein Stopp vor dem Avoca-Shop in Letterfrack. Es ist gegen halb zehn, und ein wunderbares Abendlicht liegt über dem Ballynakill Harbour.

Ballynakill Harbour, © 2019 Jürgen Kullmann

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Montag, 10. Juni 2019

in feiner Sand mischt sich in die Farben, derweil mein Mädchen während ihr der Wind durch die Haare fegt auf einem Stein am Glassilaunstrand hockend versucht, eine Aquarellskizze zu erstellen. Das wird so nichts, stellt sie fest, und es bleibt bei einer Bleistiftzeichnung, die sie später ausarbeiten will. So ist dann noch Zeit, mit dem Fuß mit dem ‘heavy metal inside’ – wie vom Physiotherapeuten empfohlen – durch den weichen Sand zu stapfen. Auch wenn der Wind weiterhin recht kräftig bläst und wir kein wirklich geschütztes Eckchen finden, halten wir zwei Stunden durch.

Auf dem Heimweg machen wir einen Abstecher über Letterfrack, um bei Veldon’s an eine Zeitung zu kommen, denn auch wenn ein Hinweisschild King’s Store 1 KM verspricht, gibt es den Laden in Lettergesh wie so viele andere nicht mehr. Über dem Diamond Hill schwebt ein Hubschrauber. Heute vor einem Jahr hat Michael O’Sullivan meinem Mädchen in Galway drei Metallplatten und zwölf Schrauben in den linken Fuß eingesetzt, und wie es aussieht, geht ihm die Arbeit nicht aus. In der vergangenen Woche wurde schon einmal ein Bergwanderer vom Diamond Hill geholt und wenig später einer vom Tully Mountain.

Am späten Nachmittag lässt der Wind nach und es wird noch richtig warm. Wir sitzen mit Anne Jack, Maggie und zwei Flaschen Wein vor unserem Cottage, beschnacken das Arrangement für das kommende Jahr sowie die Unterbringung unserer ‘Verbleibe-Taschen’ bis dahin und lassen die Ereignisse des letzten Vierteljahrhunderts an uns vorübergleiten.

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Dienstag, 11. Juni 2019

Brief an Lola

Dresser im Cottage, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmanniebe Lola — Bei dem vielen Regen in diesem Jahr habe ich die Ansichten für unsere Urlaubskarten selbst gemalt, und Jürgen hat sie in die Passepartouts eingeklebt. Unser Dresser steht schon voll davon, und auch diese Karte ist ein kreatives Ergebnis des Regenwetters. Gefällt dir das irische Cottage? Gestern vor einem Jahr habe ich mir nicht weit von hier den Fuß gebrochen und wurde im Krankenhaus von Galway operiert; es ist schon ein komisches Gefühl. Jetzt ist fast alles wieder gut, bis auf das ganze Metall, das noch im Fuß ist und im Herbst raus soll.

Seit gestern bessert sich das Wetter. Wir sonnen uns vor unserem Cottage. Im nächsten Jahr wird es renoviert, und wir haben als Ausweich-
Quartier ein anderes Haus angeboten bekommen. Auch wenn es viele Räume hat – man könnte fast eine Fußballmannschaft darin unterbringen – kostet es nicht viel mehr. Renovierungen dauern hierzulande länger als in Deutschland, vielleicht arbeitet man etwas gemächlicher.

Unser Urlaub in Irland ist nun bald vorbei, aber wir freuen uns schon auf die erste Augustwoche in Tönning, wo wir wieder mehr radfahren wollen. In Irland gibt es inzwischen auch recht viele Fahrradurlauber, doch die Gegend ist recht bergig, und es existieren so gut wie keine Radwege. Das macht die Sache nicht besonders spaßig, in meinen Augen mitunter lebensgefährlich, wenn man sieht, wie Autofahrer an Radfahrern vorbeibrettern. Es ist schon Jahre her, doch ich erinnere mich heute noch an einen tragischen Todesfall auf der N 59 bei Kylemore Abbey.

Soviel für heute und viele Grüße von
Hildegard und Jürgen”

Der Chronist fährt fort

Clifden ist in Feierlaune, begeht in dieser Woche den 100sten Jahrestag des ersten Non-Stop-Flugs über den Atlantik in einem offenen Doppeldecker durch die Herren Alcock und Brown, der am Sonntag, dem 15. Juni 1919 im Derrigimlagh Bog bei Clifden mit einer sanften Bruchlandung abgeschlossen wurde. Dazu der damals mit Masern im Bett liegende siebenjährige Harry Sullivan, übersetzt aus dem Buch Yersterday we were in America, das wir heute Vormittag in Clifden erwarben:

“Weil ich krank war, durfte ich am Morgen nicht mit den anderen zur Messe gehen. Es war nicht lange nach der großen Grippeepidemie, die mehr Menschen als der kurz zuvor beendete Große Krieg umgebracht hatte. Meine Eltern wollten da kein Risiko eingehen.

Sie waren gerade fort, als ich dieses schrecklich Geräusch hörte. Es schien vom Himmel zu kommen. Ich war gleichermaßen neugierig und bange. Masern oder nicht, ich eilte nach draußen, um der Sache nachzugehen. Ich kam gerade noch rechtzeitig, um diese graue Maschine im Sturzflug über der Hauptstraße zu sehen. Ihre beiden Propeller wirbelten herum, und ihre riesigen Flügel berührten fast die Kirchturmspitze. Ich war baff. Ich hatte zwar schon von Flugzeugen gehört, aber nie zuvor eines gesehen. Ich beobachtete, wie es unter den niedrigen Wolken aufs Moor zu brauste, während seine Flügel auf und ab schwangen.

Der Lärm war sehr laut, ich konnte ihn noch lange hören. Es muss für die Männer drin schrecklich gewesen sein. Wo war die Maschine hergekommen, wo wollte sie hin? Da hätte ich nun, wenn meine Eltern aus der Kirche kamen, was zu erzählen – doch wie könnte ich das ohne zuzugeben, dass ich nach draußen auf die Straße gegangen war?”

Harry wusste es nicht, und doch war er Zeuge des glücklichen Endes des ersten Non-Stop-Flugs über den Atlantik geworden. Acht Minuten nach seiner Beobachtung legten der Pilot John Alcock und sein Navigator Arthur Whitten Brown nahe der Marconi-Telegraphenstation im Derrigimlagh Bog eine Bruchlandung hin – sie hatten den weichen Moorboden für festes Terrain gehalten. Beinahe wären sie nicht die Ersten gewesen, denn einen Monat zuvor war ein entsprechender Versuch ihrer Konkurrenten nur knapp gescheitert.

Derrigimlagh Bog, © 2019 Jürgen Kullmann

Und so wandern wir vier Tage vor dem Jubiläum allein auf weiter Flur über das Moor zu dem in der Ferne weiß leuchtenden Denkmal, das man auf einem kleinen Hügel am (Bruch-)Landeplatz aufgestellt hat, gelegen auf dem riesigen Arial der ehemaligen Funkstation von Guglielmo Marconi, der europäischen Basis der ersten festen Funkverbindung über den Atlantik. Heute weiden Schafe vor dem Denkmal, doch damals arbeiteten hier mehrere hundert Menschen, in den Anlagen selbst sowie in den Kraftwerken zur Stromerzeugung. Die Funker und Arbeiter waren die Ersten, die vom erfolgreichen Abschluss des Transatlantikflugs erfuhren – und dies gleich in die Neue Welt zurücktelegraphieren konnten.

Derrigimlagh Bog, © 2019 Jürgen KullmannVon den technischen Anlagen und Wohnungen für die Arbeiter und das Management existieren heute nur noch die Grundmauern, seit einigen Jahren verbunden durch einen Rundwanderweg mit Erläuterungen zu den Mauerresten und historischen Fotos, ohne die man die Relikte im Moor nie mit einer technisch revolutionären Einrichtung in Verbindung gebracht, sondern für die Reste alter Torf- und Viehschuppen gehalten hätte.

Denn schließlich wird heute auf einigen der Flächen Torf abgebaut, ganz offensichtlich maschinell, denn die langen, schienenstranggleichen Torfstreifen, wurden wohl kaum mit dem Spaten gestochen.

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Mittwoch, 12. Juni 2019

Brief an Klaus & Brigitte

oin tosamen — Kurz vor Ende unseres diesjährigen Irlandurlaubs hier noch ein analoger Gruß an euch auf einer selbstgemalten Karte der Gattung ‘experimentelle Cottage-Kunst’. Das Malen von Karten war in den letzten drei Wochen meine Beschäftigung für die Regentage: viel Regen – viele Karten, die Jürgen dann montiert und verschickt hat!

Artwork, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmann

Dazu haben wir zwei Krimis gelesen, einen halben Pullover gestrickt, viele Regenfotos gemacht, viel Tagebuch geschrieben und jeden Tag ausführlich den Irish Independent studiert.

Heute Abend fahren wir zu einer Theatervorstellung nach Clifden: eine Comedy zum hundertsten Jahrestag des ersten Non-Stop-Transatlantikflug der Herren William Alcock und Arthur Whitten Brown. In Neufundland gestartet haben sie den Flug im Moor von Derrigimlagh mit einer Bruchlandung erfolgreich zum Abschluss gebracht. Die Bruchlandung überstanden sie unverletzt, doch Alcock kam nur ein halbes Jahr später bei einer anderen in Frankreich ums Leben.

Gestern vor einem Jahr hatte ich unweit von hier auf dem Mám Éan Pass meinen Unfall. In den letzten zwei Wochen war der Hubschrauber der Bergrettung dreimal unterwegs, zweimal am Diamond Hill und einmal am Tully Mountain. Einen der Einsätze haben wir von Veldon’s Shop in Letterfrack aus beobachtet. Da der Helikopter an den Hängen nicht landen kann, werden die verunfallten Personen an Seilen hochgezogen. Da waren mir die dreizehn Männer der Clifden Fire Brigade, die mich vom Mám Éan runtergeholt hatten, dann doch lieber.

Schöne Grüße von
Hildegard und Jürgen

Der Chronist fährt fort

Die Theateraufführung soll um 14.30 Uhr beginnen. Um einen guten Platz im Saal des – nomen est omen – Alcock & Brown Hotels zu ergattern, fahren wir frühzeitig nach Clifden, wandern ein bisschen durchs Städtchen, erwerben in der Buchhandlung den Bericht von Anne Jacks Nichte über ihr Leben als country doctor, gönnen uns auf dem der Bank am ‘Spire’ jeder ein Eis, begeben uns gegen zwei Uhr ins Hotel … und erfahren dass der Termin abgesagt wurde, weil die “two boys” noch einen anderen im Station House Hotel hätten, der länger als ursprünglich gedacht dauern würde. Wir akzeptieren den angebotenen Ersatztermin um 19.30 Uhr, der auf unseren Online-Tickets handschriftlich geändert wird. Dann geht es zurück nach Tullycross.

Fünf Stunden später. Ob die Sache mit dem Terminkonflikt wirklich den Tatsachen entsprochen hatte? Am Abend ist der Raum im Hotel gerade einmal halb gefüllt. Vielleicht waren wir und das zweite Pärchen die einzigen, die für 14.30 Uhr gebucht hatten, und für vier Personen wollten die beiden ‘Boys’ mittleren Alters nicht auftreten. Doch sind sie echt gut, wie sie die Vorgeschichte und den Flug über den Atlantik mit nur einer Handvoll Requisiten auf die Bühne bringen, aus zwei Tischen, ein paar Latten, einigen Tüchern und zwei Kinder-Windräder einen ‘flugfähigen Doppeldecker’ bauen, in den auch noch zwei Männer passen.

Das Gesichtserinnerungsvermögen von meinem Mädchen ist phänomenal! “Ist das da nicht … ?” Ich sehe mich um, die betreffende Dame schaut auf, und sie scheint sich gleichfalls zu erinnern. Judy, eine Schottin aus Edinburgh und ehemaliges ‘girl friend’ von K. Vor zehn Jahren hatten wir sie bei der Einweihung von Roses Diamond Hair Studio in Letterfrack kennen gelernt. In der Pause kommt sie auf den Brexit zu sprechen, gegen den sich Schottland in der Volksabstimmung mit einer fast Zweidrittel-Mehrheit ausgesprochen hatte. Jetzt würden ‘sie und ihr First Minister’ auf ein erneutes Referendum zur Abspaltung von Schottland von Großbritannien setzen, sagt sie, um dann – sie grinst – zu Mrs. Merkel zu gehen und zu sagen “please take us back”.

Die Pause ist vorbei, das Stück geht weiter. Interessant, da haben die beiden Jungs in ihren Flug über den Atlantik doch den Klingelton von einem Handy eingebaut. Wir sind gespannt welche Pointe jetzt kommt! Es klingelt ein zweites und ein drittes Mal. Da zuckt mien Deern zusammen, greift in den Rucksack vor sich (wir sitzen in der ersten Reihe), wühlt darin herum, zieht das Smartphone hervor und schaltet es aus. Ob sich die Standing Ovations am Ende der Vorstellung auf diese Szene beziehen?

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Wir ziehen weiter in Griffin’s Bar and Lounge auf der anderen Straßenseite. Für neun Uhr ist hier Musik angekündigt. Ein älterer Flötenspieler und ein jüngerer Mann mit seiner Fiddle machen sich bereit. Musicians are welcome steht über der Tür. Da kommt auch schon einer mit einem Gitarrenkasten herein, spricht ein paar Worte mit dem Flötenspieler, holt sich einen Hocker, setzt sich dazu, packt die Gitarre aus und kann’s dann auch, was bei guest musicians nicht immer der Fall ist ist. Wie dann, was noch seltener der Fall ist, die mehrfach zum Singen aufgeforderte, unscheinbar wirkende local lady links von uns an der Bar tatsächlich auch singen kann. Und dann setzt ein junger Mann zum Tanz an.

Griffiths Bar, Clifden, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmann

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Donnerstag, 13. Juni 2019

Wieder einmal ist einer jener stimmungsdrückenden ‘letzten Tage in Irland’ angebrochen, denn morgen geht es zurück nach Deutschland. Wir beginnen mit dem Packen unserer ‘Verbleibetaschen’, doch dieses Mal nicht für den Cottage-Dachboden, sondern zum Weitertransport in ‘Coyne’s Cottage’, wo wir im nächsten Jahr unser Lager aufschlagen wollen. Der Stimmung angemessen ist das Wetter trüb. Für weite Ausflüge bleibt keine Zeit, doch für eine Wanderung zum Friedhof auf Renvyle Head schon. Wir wollen nicht abreisen, ohne Charlie besucht zu haben.

Renvyle Head, © 2012 Jürgen Kullmann

Gegen sechs Uhr am Abend holt Anne Jack unsere beiden Taschen ab, um sie fürs nächste Jahr unter dem Dach von Coyne’s Cottage zu deponieren. Den Abend beschließen wir mit einem Dinner im Paddy Coyne’s.

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Epilog

Ja mach nur einen Plan,
Sei nur ein großes Licht,
Dann machst du einen zweiten Plan,
Geh’n tun sie beide nicht.

Bertolt Brecht

Drei Jahre sind nach dem letzten Eintrag ins Irische Tagebuch vergangen, und wir schreiben den Sommer 2022. Nichts wurde aus der Rückkehr nach Irland im Juni 2020, nichts aus dem Aufenthalt in Coyne’s Cottage, und unsere ‘Verbleibetaschen’ ruhen dort immer noch auf dem Dachboden.

Nach dem Ausbruch der weltweiten Corona-Epidemie wurde Irland im Frühjahr 2020 de facto geschlossen, und Aer Lingus sagte unsere bereits bezahlten Flüge ab und stellte uns einen Gutschein aus. Auch 2021 war die Grüne Insel mehr oder weniger ‘closed’. Als wir uns im späten Frühjahr dieses Jahres über die Leihwagenpreise in Irland informierten, gab es für die Sommermonate keine mehr, und für drei Wochen im September sollte der geneigte Irlandreisende rund € 1.800 berappen – verglichen mit 480 Euro, die der gleichen Wagentyp im Juni 2020 für drei Wochen gekostet hätte.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Und so haben wir nun unseren Aer-Lingus-Gutschein für zwei Flüge nach Dublin und zurück eingelöst, um im Oktober eine Woche in der irischen Hauptstadt verbringen, der wir zuletzt in den letzten Tagen des letzten Jahrtausends einen Besuch abgestattet hatten. Ins Harding Hotel haben wir uns eingemietet, in dem wir am 2. März 1999 unseren letzten Dublinaufenthalt hatten ausklingen lassen. Dublin Revisited wird es dann bei den Reisetagebüchern heißen – sollte uns die Corona-Pandemie nicht wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Und 2023 wird es dann, dieses Mal mit dem eigenem Auto und per Fähre, wieder in den irischen Westen gehen.

Le cúnamh Dé!

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2019
© 2021 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 12.07.22